Tobias O. Meißner – Barbarendämmerung

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  • Tobias O. Meißner – Barbarendämmerung


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    In Barbarendämmerung begleitet der Leser einen wahrhaft außergewöhnlichen Protagonisten. Er ist ein Barbar, spricht nicht, schließt keine Freundschaften, handelt für gewöhnlich instinktiv und für den („zivilisierten“) Leser oft nicht nachvollziehbar. Man lernt ihn im Angesicht des Todes kennen und begleitet ihn gemeinsam mit diesem ein Stück seines Weges. Denn der Tod ist ein allgegenwärtiger Begleiter in diesem Buch …


    So außergewöhnlich wie sein Protagonist, so außergewöhnlich ist auch dieses Buch. Es ist in Geschichtenform geschrieben, die zwar einen aufeinanderfolgenden Zusammenhang haben, jedoch auch einzeln stehen können. Dabei spielt Meißner gekonnt mit der Sprache, von den Kapitelüberschriften, die Konsonanten und Vokale in Groß- und Kleinbuchstaben trennen, über Satzwiederholungen als Stilmittel, bis hin zu Charakteren, die nur in Versen sprechen, um nur einige zu nennen.


    Die Hauptperson, der Barbar, wächst einem im Laufe der Geschichte irgendwie ans Herz. Obgleich er unvorstellbare Gewalt in die Geschichte bringt, das Blut in Strömen fließen lässt und oftmals irrational handelt, schafft es der Autor, dass man mit ihm fühlt. Obwohl ich mich bewusst von ihm distanzieren wollte, ist mir das nur teilweise und nur manchmal gelungen, denn allzuoft zeigt der Barbar Gefühlsregungen, die für den („zivilisierten“) Leser durchaus nachvollziehbar, ja nachfühlbar sind.


    Gar nicht so versteckt kommt eine Kritik an der Menschheit zum Vorschein, die die Begriffe Barbarei und Zivilisation einander gegenüberstellt, in Frage stellt, und den Leser regelrecht dazu auffordert, seine eigene Auffassung der beiden Begriffen einmal unter die Lupe zu nehmen und zu hinterfragen.


    Ein :tipp: fernab der typischen Fantasy.


    4ratten

    Liebe Grüße,<br />Verena<br /><br />&WCF_AMPERSAND"Viele, die leben, verdienen den Tod. Und manche, die sterben, verdienen das Leben. Kannst du es ihnen geben?&WCF_AMPERSAND" Gandalf in &WCF_AMPERSAND"Die Gefährten&WCF_AMPERSAND", J.R.R. Tolkien

  • Wo ist der "Gefällt mir"-Knopf? :zwinker:


    Ich stimme mit Räubertochter überein, es ist ein außergewöhnliches Buch. Der Barbar hat noch weniger Text als Arnie in "Terminator". Eigentlich spricht er nur einmal, und selbst dann bekommt der Leser nicht mit, was er denn nun gesagt hat. Nie hätte ich gedacht, dass so was in einem Buch funktionieren kann. Das tut es aber. Der Barbar spricht durch seine Taten. Diese sind nicht immer was für schwache Nerven, trotzdem entwickelt man nach einigen Kapiteln eine gewisse Zuneigung zu diesem schweigsamen und "barbarischen" Helden.


    Spätestens gegen Ende des Buches kommt die Frage auf, ob die sogenannte Zivilisation nicht die eigentliche Barbarei ist.


    Unbedingt lesen!


    5ratten


    ***
    Aeria

  • Ein Buch, das mich gleich mal vor taxonomische Probleme stellt: Handelt es sich bei Barbarendämmerung von Tobias O. Meißner nun um einen Roman oder doch um eine Sammlung von Kurzgeschichten? Eigentlich lässt sich ja jedes Kapitel dieses Buchs als eigenständige Kurzgeschichte lesen. Aber die Kurzgeschichten sind chronologisch angeordnet, und im Grunde genommen bewegt sich der Leser auf einer Art Wendeltreppe: am gleichen Ort, zu Beginn wie am Schluss - und dennoch irgendwie eine Etage höher (oder tiefer?) Nämlich zu Beginn wie am Schluss steht der barbarische Protagonist kurz davor, enthauptet zu werden, zu Beginn wie am Schluss entkommt er. Dennoch wage ich zu behaupten, dass der Barbar zu Beginn durch seine Abenteuer zwischendurch ein anderer geworden ist am Schluss.


    Das Ganze ist natürlich erst einmal eine Hommage an Robert E. Howards <em>Conan</em>. Wie sein berühmter Vorgänger ist auch dieser Barbar ein Einzelgänger, wie sein berühmter Vorgänger hat er offenbar weder Familie noch Freunde. Im Gegensatz zu seinem berühmten Vorgänger hat Tobias O. Meißners Barbar auch keinen Namen und keine Sprache.


    "Zivilisation ist unnatürlich. Sie ist eine Laune des Zufalls. Aber die Barbarei wird letztlich immer die Oberhand behalten." - Mit diesem berühmten Satz aus Howards Conan-Geschichte <em>Jenseits des Schwarzen Flusses</em> auf dem Vorsatzblatt lässt Meißner den Leser in seine Barbaren-Geschichten eintauchen. Was als Motto über allen Conan-Geschichten schwebt und letztlich auch Howards bewusstes Denken beherrschte (sein unbewusstes wohl weniger: Howard blieb bis zuletzt als Muttersöhnchen im Elternhaus kleben, und als seine Mutter im Sterben lag, wollte er das nicht überleben und erschoss sich, noch bevor die Mutter ihren letzten Kampf verloren hatte ...) - dieses Motto der Conan-Geschichten also bestimmt auch unseren "modernen" Barbaren.


    Aber Meißner ist ein intelligenter und belesener Autor. Er weiss, dass die Art und Weise, wie Howard vor zwei oder drei Generationen Geschichten geschrieben hat, heute nur noch nostalgisch oder historisch-kritisch geschätzt werden kann. Howard hat zweifellos gute Geschichten geschrieben, aber so könnte heute keiner mehr schreiben. Die Postmoderne ist auch in der Fantasy angekommen, auch und gerade dann, wenn sie ihre alten Vorbilder zitiert. Und so wechselt z.B. die Sprache, wechselt der Stil zum Teil von Kapitel zu Kapitel (selbst eines in Gedichtform existiert). Die Themen reichen von typischen Szenen aus Conan-Geschichten (der Barbar als gedungener Dieb, als Söldner) über de Sade'sche Intermezzi, wo Tod und Qual immer auch sexuelle Begierde erzeugen, bis hin zu apokalyptischen Szenen mit Zombies in Sümpfen oder dekadenten Szenen in Lautréamont'scher Manier, wenn Kinder lebendig in heissem Öl frittiert und anschliessend verspiesen werden. (Dekadent oder antik? Auch die alten griechischen Mythen kennen genügend solche Szenen ...) Letzten Endes entpuppt sich wie bei Howard der Barbar als der einzige natürliche und menschliche Mensch - als der edle Wilde. (Trotzdem er zwischendurch auch selber mal ein bisschen mordet, plündert oder vergewaltigt.)


    Das Buch ist ein intelligenter Zeitvertreib. Im Grunde genommen ist Tobias O. Meißner ein subversiver Autor, der mit klassischen Versatzstücken der Trivialliteratur spielt, sie neu zusammensetzt und so dem Leser nicht nur die übliche "Âventiure", die übliche Queste, die üblichen Raufereien vorsetzt, sondern ihm immer auch ein literarisches Puzzle zur Lösung aufgibt.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallo,


    und hier noch meine Meinung zum Buch:


    Der Barbar spricht nicht. Er ist getrieben von seinen Instinkten und damit dem puren Willen zu Überleben. Er weiß nichts über Liebe oder Freundschaft und versteht noch weniger von Kunst. In einer vermeintlichen Zivilisation gilt er als "Anders". Etwas, das man begaffen und benutzen kann - und etwas, von dem ungeahnte Gefahr ausgeht. Und so ist der Barbar auch eine Hommage an Robert E. Howards "Conan", den man allerdings nicht kennen muss, um die Wirkung von "Barbarendämmerung" am eigenen Leib zu spüren.


    Der episodenhafte Aufbau des Buches ist stark von einem Kurzgeschichtencharakter geprägt. Nur wenige Elemente der Kapitel basieren aufeiander, weshalb man diese auch fast voneinander unabhängig lesen kann. Tobias O. Meißners Sprachexperimente sind seinen Fans wohlbekannt und so finden sich hier übelkeiterregende, an Tarantino erinnernde Splattersequenzen neben Szenen voll von poetischer Kraft und Schönheit. Der Autor erschafft mit wenigen Zeilen lebendige Bilder im Kopf des Lesers und bringt diesen so nahe an das Geschehen, dass kaum eine Seite zwischen ihn und den Barbaren passen würde. Das Buch ist ein Sammelsurium an zitatefähigen Sätzen und eigentlich müsste man fast das ganze Buch abschreiben, wenn man alles Bemerkenswerte hervorheben wollte.


    Robert E. Howards "Conan" kenne ich nicht - dafür allerdings Schwarzeneggers Interpretation des Conan. Doch zu diesem Thema hülle ich mich lieber in beredtes Schweigen, denn ich weiß, dass vor allem Männer diese Verfilmung lieben. Eine Verfilmung, für die Schwarzenegger 1983 übrigens für die "Goldene Himbeere" als "Schlechtester Darsteller" nominiert wurde. Dies nur am Rande. "Barbarendämmerung" ist ein intelligentes Buch, das den Leser immer wieder die Frage stellen lässt, wer der eigentliche Barbar ist. Was ist so zivilisiert an einer Welt, die Zwangsprostitution - nicht nur von jungen Frauen, sondern auch von Tieren - zulässt? Einer Welt, in der täglich Milliarden von Lebewesen - Menschen wie Tiere, egal ob jung oder alt - Todesqualen erdulden und elend verrecken. Oft nur aus dem Grund, die Lust anderer zu entfachen und zu befriedigen. Die Lust des Fleisches und die Lust nach Fleisch.


    Zitat

    Und einmal hatte er unten vor versammeltem Hörsaal ein Schwein schlachten lassen. "In den Städten ist man diesen Anblick schon gar nicht mehr gewohnt", hatte er dabei mit lauter Stimme und ausgebreiteten Armen gerufen, während einigen der empfindlicheren Studenten übel wurde und sogar die Sinne schwanden, "aber so sieht es aus, so riecht es, so schreit es, und so wehrt es sich, was wir wohlschmeckende Wurst nennen!"


    Und doch fehlt der moralisierende Zeigefinger. Vielmehr hält Meißner uns allen den Spiegel vor - wie er das immer in seinen Büchern zu tun pflegt. Die Wertung überlässt er anderen.


    Der Barbar wirkte auf mich oft wie ein Kind, denn auch Kinder sind manchmal grausam, manchmal aber auch nicht. Und meistens folgen sie ihren Instinkten. In vielen Szenen kann man den Barbaren deshalb sogar eher mit einem Kind als mit einem Tier vergleichen. Kinder spielen oft mit der Grausamkeit, um herauszufinden, wie weit sie gehen können - sie sind unerfahren und müssen Dinge kennenlernen. Tiere sind grausam, wenn es um ihr Überleben geht. Und doch ist der Barbar oft auch wieder ein Tier, das einzig von seinem Instinkt geleitet scheint.


    Jeder Leser muss sich darüber im Klaren sein, dass man hier keine sympathische Hauptfigur finden wird und auch eine lineare Handlung wird der eine oder andere vermissen. Der rote Faden ist hier rot. Blutrot. Der Barbar überschreitet immer wieder Grenzen. Doch nicht nur der Barbar, nein auch die sogenannten zivilisierten Bürger lassen oft jeden guten Geschmack missen. Immer wieder stellt man sich die Frage: Wer ist hier der Barbar? Der Gefangene, der das Leben wählt, oder die Henker und Zuschauer, die den Tod wählten? Wer missachtet wen? Der Barbar seinen Schmerz? Den nahenden Tod? Oder missachten andere den Barbaren und nutzen ihn einzig aus dem Grund, sich selbst Befriedigung zu verschaffen?


    In "Barbarendämmerung" geht es jedoch nicht nur um das Blutrünstige in uns allen, sondern auch um die Frage, wie frei jeder von uns sein kann. Gibt es die absolute Freiheit? Oder leben wir alle in einer Illusion der Freiheit? Manche Kapitel erinnern gar an die Bücher des Marquis de Sade. Angefangen mit den Grausamkeiten, Sex mit Leichen und sonstigen Perversitäten, derbes Schwanz-Gerede bis hin zum Monolog eines "Nebendarstellers". Diese Gier nach Belustigung und Blut - oder Belustigung durch Blut. Mancher mag etwas Krankhaftes darin erkennen, doch waren die Menschen krank, die Gladiatorenkämpfe besucht haben? Oder die zusahen, wie Löwen in der Arena auf Sklaven geschickt wurden? Hat diese Art der Krankheit etwas mit dem Status der Zivilisation zu tun? Doch eigentlich gelten die damaligen Römer noch heute einer der Grundsteine unserer Zivilisation. Und wer ist hier in der Geschichte wirklich krank? Derjenige, der durch Liebe manipuliert und den "Geliebten" in den sicheren Tod schickt, oder der Geliebte, der sich manipulieren lässt und nicht darüber nachdenkt, dass es ihm gar nichts bringt, wenn er für seine Liebe stirbt?


    Trotz allem muss ich leider sagen, dass bei mir dieses Mal der Meißner'sche Wow-Effekt ausblieb. Mir fehlte eine durchgehende Handlung und umso erstaunlicher ist es, dass es mir überhaupt nichts ausmachte, dass der Barbar während des ganzes Buches nicht unbedingt mit seinen rhetorischen Fähigkeiten zu glänzen vermochte. Es ist dieser Kurzgeschichtencharakter, für den ich mich selten erwärmen kann. Der Kopf sagt, dass Tobias O. Meißner hier mal wieder ein hervorragendes Buch abgeliefert hat, aber mein Herz sagt, dass ich andere seiner Bücher viel lieber mag.


    4ratten

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

    Einmal editiert, zuletzt von nimue ()

  • Tobias O. Meißner - Barbarendämmerung


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    In 19 Kapiteln / Kurzgeschichten wird hier die Geschichte eines stummen, namenlosen Barbaren erzählt. Er wandert durch eine mittelalterlich anmutende Welt und stolpert von Kapitel zu Kapitel in neue Geschichten. Die Dinge geschehen ihm und er lässt es zu. Aufträge werden ihm erteilt und er nimmt sie an. Wenn er genug hat, zieht er weiter, meistens über Leichen, hinter ihm eine beachtliche, barbarische Blutspur. Der Barbar überwindet jedes Hindernis, Gefühle sind ihm fremd, zwischenmenschliche Beziehungen braucht er nicht.


    Die erklärte Hommage an Robert E. Howards "Conan" (den ich weder gelesen noch gesehen habe) ist derartig wortgewaltig, dass sich vor meinem inneren Auge der alternative Titel „Ode an den Barbaren“ aufdrängte. Die Poesie der Sprache steht dabei in krassem Gegensatz zu der rohen, gewalttätigen Handlung.


    Tobias O. Meißner hat den Lesern mit „Barbarendämmerung“ einiges mehr zu bieten als Horror-Splatter. Da wäre zum einen eine spannende, unterhaltsame Geschichte. An manchen Stellen hat sie die Grenzen des Erträglichen für mich ausgelotet, allerdings muss man in einem barbarischen Buch schon auf Gewalt gefasst sein. Die Sprache, die uns die Geschichte erzählt ist absolut meisterhaft. Es wimmelt nur so von Sätzen und Wendungen, die man zitieren möchte, stellenweise findet sich auch, der brutalen Handlung zum Trotz, subtiler Humor in den Wörtern. Zu guter Letzt muss man sich immerzu fragen: Wer ist denn nun barbarisch? Der namenlose, alles und jeden niedermetzelnde Kraftprotz oder die mutmaßlich zivilisierten? Über die Lektüre hinaus regt das Buch zum Nachdenken an.


    Abgesehen von einem Kapitel, das die Grenzen der Zumutbarkeit bei mir überschritten hat (und das ich ohne Probleme aufgrund des episodenhaften Aufbaus überfliegen konnte) hat mich noch eines irritiert: Die Motivation des Barbaren war für mich oft nicht nachvollziehbar. Was ist sein Ziel? Warum kann er in der einen Situation seine Kraft nicht kontrollieren bzw. dosieren, in einer anderen aber jede Bewegung präzise ausführen?


    Insgesamt ist „Barbarendämmerung“ allein schon wegen der Sprache, ein großartiges Buch.


    4ratten

    Ich bezeige, nach Hertzens-Aufrichtigkeit, dass ich mich glücklich schätze, mich mit Verehrung nennen zu dürfen und ersterbe,<br />Roulade<br /><br />[url=http://www.literaturschock.de/autoren/interviews/119-intervie

  • Meißner, Tobias O. - Barbarendämmerung


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    Ohne jegliche Bindungen zieht der Barbar durch die Lande. Schweigend, allein. Häufig von Gewalt und Tod begleitet. Und der Leser folgt ihm in episodenhaften Kapiteln auf seinen Wegen, verfolgt, wie er in unterschiedliche Rollen schlüpft, sich Menschen und Göttern stellt, zum Jäger und zum Gejagten wird...


    Die einzelnen Geschichten stehen mit wenigen Ausnahmen für sich, obwohl einige chronologisch aufeinanderfolgen. Leider fehlte mir daher etwas der rote Faden, der das ganze Buch zusammengehalten hätte. Natürlich folgen wir in jeder Geschichte dem Barbaren auf seinen Streifzügen und gerade die Frage danach, was denn eigentlich wirkliche Barbarei ist, steht oft im Vordergrund. Sehr gut gefällt mir auch der Rahmen, den erste und letzte Episoden um die Handlung spannen. Trotzdem sagt mir dieser Stil einfach nicht so sehr zu, denn dazu fehlen mir mehr wiederkehrende Charaktere, Bezugnahne auf Ereignisse, geringere Zufälligkeit der Ereignisse oder eine deutlich Weiterentwicklung der Hauptfigur. Auch hätte ich mir noch mehr andere Perspektiven gewünscht, denn gerade gegen Ende überwog stark die Sicht des Barbaren.
    Hinzu kommt, dass mir persönlich der unterschiedliche Schreibstil einiger Kapitel - auch wenn sie handwerklich wirklich gut gemacht sein mögen - nicht ganz zugesagt hat. Dafür wussten an anderer Stelle wunderbar passende und originelle Bilder zu überzeugen: "Am Morgen bildete sich Licht, als würde das Dunkel verschimmeln" Und abgesehen von den beiden Ausnahmen (für micht! Andere mögen davon begeistert sein!) waren alle anderen Kapitel sprachlich sehr angenehm und flüssig zu lesen. Außerdem herrschte insgesamt eine gut ausgewogene Mischung aus ruhigeren (soweit das in diesem Buch überhaupt möglich ist) und actionlastigeren Episoden.


    Die Hauptperson selbst, der Barbar, bleibt während des gesamten Buches namenlos. Bis zuletzt war es mir nicht möglich, seine Handlungen vollständig einzuschätzen oder vorauszusehen. Diese Unberechenbarkeit und Wildheit machten es aber nur umso spannender. Was mich aber noch mehr fasziniert hat: Obwohl viele seine Taten gewalttätig, grausam sein mögen - meine Einstellung ihm gegenüber blieb eher distanziert. So als könnte ich ihm nicht böse sein. Vielleicht liegt es daran, dass seinen Handlungen jeder böse Willen oder gar bewusste Grausamkeit fehlt?


    Das Grundthema des Buches, das in allen Kapiteln aufgegriffen wird, ist die Frage, wer denn nun wirklich barbarisch ist. Der Barbar? Oder sind es nicht vielmehr in vielen Fällen diejenigen, die sich gerne als zivilisiert geben?
    Immer wieder, mit zum Teil sehr drastischen, blutigen und sogar ekelhaften Bildern, wird so der Gesellschaft ein Spiegel vorgehalten. Auch wenn nur der Leser das wirklich erkennen kann, denn bei den wirklichen Barbaren ist mit Einsicht wohl eher nicht zu rechnen...


    Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich das Buch zwar gern gelesen habe und es auch durchaus weiterempfehlen würde. Aber die richtigen Begeisterungsstürme auf meiner Seite bleiben leider aus. Vor allem wegen des Episodenstils und der doch ziemlich heftigen Bilder und Thematik.


    3ratten

    Even when reading is impossible, the presence of books acquired produces such an ecstasy that the buying of more books than one can read is nothing less than the soul reaching towards infinity... - We cherish books even if unread, their mere presence exudes comfort, their ready access reassurance.

  • Hallo!


    Ich habe mich beim letzten Forentreffen relativ spontan auf das Experiment Fantasy eingelassen, weil das Genre eigentlich nicht zu meinen Lieblingen gehört. Aber ich habe festgestellt dass es ab und zu nicht schlecht ist, sich auf etwas Neues einzulassen :zwinker:


    Ich fand den sprachlosen Barbaren von Anfang an sehr interessant. Ich glaube nicht, dass er wirklich intelligent ist, aber er hat einen sehr guten Instinkt und lernt definitiv aus Erfahrung. Außer was den Heimweg angeht, da tut er sich mehr als einmal schwer. Auch wenn er kein guter Mensch ist, so hat er doch klar festgelegte Werte, von denen er nicht abweicht. Trotzdem macht er manchmal Dinge, von denen er nicht vollständig überzeugt ist wie z.B. das Zerstören einer Götterstatue. Da kam es mir nicht zum ersten Mal vor, als ob er sich dazu überreden ließe. Aber warum? Nur wegen eines Helms mit einer schönen Feder? Den hätte er sich auch einfach nehmen können. Aber das wiederum macht er nicht. In seinen Kämpfen mag er noch so grausam sein, aber stehlen scheint er nicht zu können.


    Auch wenn sehr viel Blut fließt hat es sich für mich in einem erträglichen Rahmen gehalten. Auch das von roulade erwähnte Kapitel (ich gehe einfach mal davon aus dass ich weiß, welches sie meint) hat mich erstaunlich ruhig gelassen. Vielleicht lag es daran, dass die Geschichte für mich nicht real war. Da kann ich vieles ausblenden, was mich ansonsten stören würde.


    Die Sprache hat mir sehr gut gefallen. Die Überschriften der Kapitel passen meiner Meinung nach sehr gut zur Hauptperson, auch oder gerade weil sie manchmal wie ein hingeworfenes Wort wirken. Aber Sprache ist sowieso nicht das Metier des Barbaren. Auch Luxus scheint ihn eher zu lähmen als ihm zu gefallen.


    Auch hier ist das Leseexperiment geglückt und ich werde dem Board Fantasy in Zukunft sicher mehr Aufmerksamkeit schenken.
    4ratten


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Nachdem ihr mir das Buch beim letzten Forentreffen empfohlen habt, hier ein kurzer Kommentar: Ich habe es nach zwei Kapiteln beiseitegelegt. Ich finde die Beschreibungen der Gewaltexzesse unerträglich. Ansonsten kann ich leider nichts zur Qualität des Buchs aussagen, weil ich es, wie gesagt, nur angelesen habe.


    LG
    hilde

    Ich bin ein trockener Workaholic. (Vince Ebert)

  • Das ist schade ... aber ich verstehe, was Du meinst. Da Du offenbar andererseits Charlotte Roche lesen konntest, wundert mich das zwar ein bisschen ... aber je nun ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Den Vergleich müsstest Du mir erklären! Aber das ist leider OT...

    Ich bin ein trockener Workaholic. (Vince Ebert)

  • Och ... ich bin Meister des OT ...


    Was ich meine: Charlotte Roche ist nach allem, was ich gehört habe, in ihrem Buch sehr darauf versessen, Körperöffnungen und deren jeweiligen Ausflüsse bzw. Ausscheidungen zu beschreiben. Mit dem Ziel offenbar, ihre Leser zu schockieren. Meißner erzählt eine Geschichte, in der Gewalt vorkommt; Gewalt, die aber nicht um der Gewalt willen beschrieben wird. Gewalt oder Sex zu beschreiben, damit man Gewalt oder Sex beschrieben hat, langweilt mich. Weswegen ich von Anfang an auf Fr. Roche verzichtet habe.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Meine Meinung zum Buch:
    Das Buch beginnt mit der Erzählung der bevorstehenden Hinrichtung des "Barbaren", eines jungen, kampferprobten Mannes, dessen Umgangsformen nicht so recht in die ihn umgebende "Zivilisation" passen. Wobei man sich als Leser an vielerlei Stellen des Buches fragt, wer denn nun tatsächlich barbarisch und wer zivilisiert ist.


    Der Barbar: namenlos, scheinbar ohne Vergangenheit, schweigsam - was er braucht, nimmt er sich, egal, ob es sich um Nahrung, Frauen oder Waffen handelt. Wobei er nicht wahllos tötet, sondern nur, wenn er sich bedroht fühlt.


    Normalerweise bin ich nicht so sehr der Freund von Kurzgeschichten, aber bei diesem Buch hat mich das nicht gestört, daß jedes Kapitel, bis auf wenige Ausnahmen, für sich steht. Was sicherlich auch daran liegt, daß kein Kapitel dem anderen gleicht, nicht nur die Handlungsorte und Personen wechseln, auch die Herausforderungen für den Barbaren ändern sich. Und der Autor schafft es wieder mal, dies alles wunderbar zu erzählen.
    Schade finde ich allerdings, daß dadurch die wechselnden Charaktere etwas oberflächlich bleiben, weil sie meist nur für ein Kapitel in Erscheinung treten und sich nicht entwickeln können; in anderen Büchern des Autors hat mir immer besonders gut gefallen, wie vielschichtig er seine Protagonisten darstellt, weit mehr als nur "häßlich = böse" und "gut aussehend = Held" :breitgrins: Auf der anderen Seite passt dies aber genau zu diesem Buch, weil der Barbar sich selten mit tiefschürfenden Gedanken rumschlägt, und was einmal vergangen ist, schert ihn nicht mehr sonderlich.


    Für zarte Gemüter ist das Buch sicherlich nicht so gut geeignet, es geht blutig und derb zu, aber der Titel läßt nun auch nicht auf irgendwelche rosarote Szenarien schließen. Und dennoch ... oftmals hat mich der Barbar mit seinem Tun überrascht, manches Mal hätte ich wetten können, daß er anders reagiert.


    Das Buch hat mir sehr gut gefallen, obwohl ich anfangs diesbezüglich unsicher war, da die Hauptperson nicht unbedingt ein Sympathieträger ist - aber die kraftvolle Erzählweise hat mich wieder restlos überzeugt. Sehr gelungen fand ich das Ende des Buches, mit dem in gewisser Weise ein Kreislauf geschlossen wird.


    4ratten

    Liebe Grüße

    Karin


  • Och ... ich bin Meister des OT ...


    Was ich meine: Charlotte Roche ist nach allem, was ich gehört habe, in ihrem Buch sehr darauf versessen, Körperöffnungen und deren jeweiligen Ausflüsse bzw. Ausscheidungen zu beschreiben. Mit dem Ziel offenbar, ihre Leser zu schockieren. Meißner erzählt eine Geschichte, in der Gewalt vorkommt; Gewalt, die aber nicht um der Gewalt willen beschrieben wird. Gewalt oder Sex zu beschreiben, damit man Gewalt oder Sex beschrieben hat, langweilt mich. Weswegen ich von Anfang an auf Fr. Roche verzichtet habe.


    Schade, denn "Schoßgebete" kann auf mehrere Lesarten gelesen werden, die sich durchaus lohnen. Es gibt tatsächlich eklige Szenen, aber die kann ich überfliegen und mich auf die Teile des Buchs konzentrieren, die mich interessieren. Was ich meine: Bei Roche sind es einige Szenen, auf deren Lektüre ich verzichten kann, und ich habe dann trotzdem noch was Buch. Beim Barbaren gelingt mir das nicht, weil die Gewalt das Buch durchdringt, zumindest bei dem, was ich gelesen habe.

    Ich bin ein trockener Workaholic. (Vince Ebert)

  • In "Barbarendämmerung" ist die Gewalt der heimliche Star, der Barbar ist der Bühnentechniker, der sie gut ausleuchtet. Das fand ich so faszinierend.
    Die Gewalt gehört einfach in dieses Buch, wer würde ein Buch mit diesem Titel kaufen und eine Ode an eine Tomate erwarten?
    Die Gewalt zieht sich durch das Leben des Barbaren, aber er ist nicht immer der Auslöser, auch das fand ich toll, denn dadurch kann sich der Leser erst auf diesen schweigsamen "Helden" einlassen.


    ***
    Aeria

  • In "Barbarendämmerung" ist die Gewalt der heimliche Star, der Barbar ist der Bühnentechniker, der sie gut ausleuchtet.


    Das hast Du schön ausgedrückt :daumen:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Auf seiner Hinrichtung lernen wir ihn kennen. Er flieht, jedoch nicht ohne ein Blutbad zu hinterlassen. "Barbarendämmerung" - ein Roman in Kurzgeschichten über einen Helden, Feind, Opfer und Freiheitskämpfer in einer Person. Er lechzt nach Einsamkeit und dem Duft der Wildnis, er mordet, verteidigt, wird zum Gott und Gefangenem.


    Ich kann keine Vergleiche ziehen, kenne weder andere Bücher des Autors noch Barbarenfiguren aus Literatur und Film. Da mir der Autor jedoch schon mehrfach empfohlen wurde, habe ich direkt zum neuen Roman von Tobias O.Meißner gegriffen. Ich hatte einen Fantasyroman mit Tiefgang erwartet und bekam Kurzgeschichten, die alle vom gleichen Protagonisten handeln. Ohne zusammenhängende Rahmenhandlung war es sehr gewöhnungsbedürftig. Das Gefühl, etwas zu vermissen, konnte ich während des Lesens nie ganz abschütteln, aber "Barbarendämmerung" überzeugte trotzdem.


    Einmal darauf eingelassen, fiel mir der besondere Schreibstil auf. Meißner setzt kleine Wortspielereien und Wiederholungen gekonnt ein, die den Geschichten eine gewisse Würze verleihen. Der Barbar wirkt anfangs sehr unnahbar und fremd, da er sich nicht in Worten ausdrückt. Ich war oft versucht mich mehr an Nebendarsteller zu klammern, die jedoch nie länger als eine Geschichte blieben. Gegen Ende gelingen ein paar Zusammenhänge und die Abenteuer greifen ineinander über.


    Natürlich ist der Barbar kein Schoßhündchen und seine Handlungen sind oft brutal. Doch Meißner zeigt eindeutig, dass nicht nur der Offensichtliche gern im Gemetzel badet, sondern auch die Umwelt kranke Köpfe beherbergt, die nur einen Schritt von der Hölle entfernt sind. Unweigerlich sieht man den Protagonisten mit anderen Augen.


    Brutale Kurzgeschichten mit Tiefgang und der Frage: Wer ist hier der Barbar?


    4ratten

  • Meine Meinung:
    Der Barbar hat es nicht nötig, zu sprechen. Er hat keine Freunde und ist ganz zufrieden damit. Man beglotzt, bestaunt und verfolgt ihn und versucht, ihn zu töten. Doch da steht der Barbar drüber. So zieht er durch die Welt und rutscht von einem Schlammassel in den nächsten.


    Die Kapitelaufteilung gefällt mir besonders gut, denn, wie schon gesagt wurde, lesen sich die einzelnen Kapitel wie eigene Kurzgeschichten. Das hilft mir langsamer Häppchenleserin, nicht aus dem Lesefluss zu geraten und mich innert Sekunden wieder hineinzufinden. Natürlich trägt auch die ungezwungene und doch sorgfältig gewählte Sprache dazu bei, genauso wie die vielen, tollen Charaktere, mit denen man mitfiebern kann.


    Die Hauptfigur finde ich hierbei besonders gelungen. Wie hat Tobias O. Meissner das bloss geschafft? Einen Protagonisten zu erschaffen, der unser gemütliches Weltbild völlig auf den Kopf stellt und dennoch mit der Zeit so sympathisch wird, dass man gar um ihn bangt. Und dazu noch einer, der die ganze Zeit nicht ein Wort sagt.


    Inhaltlich sind die Geschichten sehr unterschiedlich. Manche sind äusserst brutal, andere wirken eher auf psychologischer Ebene und wieder andere sind einfach nur witzig. Die Mischung ist sehr gut getroffen, nach den harten Parts kommen immer wieder Verschnaufpausen. Aber ich muss auch sagen, dass ich einige Sequenzen schon grenzwertig fand:
    Eine wegen aufgrund des Themas, wobei ich da das Ende sehr gut gelöst finde.

    Die andere, weil ich sie nur mit Mühe vertragen habe.


    Aber nun lasst mich schweigen, damit alle, die es jetzt noch nicht getan haben, das Buch auch lesen können. :breitgrins:


    4ratten

  • @Stormy: das waren auch die Punkte, bei denen ich schlucken musste :sauer: Normalerweise würden sie bei mir zum Abbruch führen oder zu einer wesentlich schlechteren Bewertung. Aber das Buch hat mir so gut gefallen, dass ich sie diesmal wegstecken konnte.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Hey, Kirsten. :winken: Mir geht es da ganz ähnlich wie dir. Viele Autoren verzetteln sich bei solchen Szenen auch einfach, weil ihnen - meinem Empfinden nach - das nötige Feingefühl fehlt. Meissner scheint dies zu haben. Ich rechne ihm das sehr hoch an,

  • Kirsten:
    Stimmt schon, die Stellen sind heftig. Aber trotzdem fand ich sie ganz gut rübergebracht. Oft ist es bei solchen Szenen aber eben so, dass sie für das Buch bzw. die Handlung nicht nötig sind, sondern nur des Schockeffektes wegen eingebracht werden. Hier ist das allerdings anders: Immerhin ist Gewalt einer der Hauptthemen des Buches. Deswegen passen sie meiner Ansicht nach auch ganz gut rein.

    Even when reading is impossible, the presence of books acquired produces such an ecstasy that the buying of more books than one can read is nothing less than the soul reaching towards infinity... - We cherish books even if unread, their mere presence exudes comfort, their ready access reassurance.