Moritz Rinke - Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel

Es gibt 13 Antworten in diesem Thema, welches 2.197 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

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    Der erfolglose Gallerist Paul Kück wird aus Berlin zurück in seine Heimat Worpswede im Moor beordert. Sein Erbe, das Haus seines Großvaters, droht im Teufelsmoor zu versinken. Dort angekommen trifft er auf all die alten Geschichten die er doch längst hinter sich gelassen hatte. Die Bronzefiguren seines Großvaters, der alte Topf der angeblich Rilke gehört hatte. Ein altes Stück Butterkuchen an dem Willy Brand persönlich abgebissen hatte und immer noch zum Andenken an ihm in der Truhe liegt. Es gibt auch die alte Geschichte von Marie die angeblich von der Gestapo abgeholt wurde, böse Zungen behaupten die Kücks hätten sie aber hinter der Scheune im Moor vergraben.


    Das Buch ist voller Witz, hat aber auch den nötigen Ernst, einen Paul Kück dem das alles langsam zu viel wird und einem Moor das nicht nur viele Dinge verschluckt, sondern auch einiges wieder nach Jahren, und zu den ungünstigsten Zeiten wieder ausspuckt.
    Die Figuren sind tiefgründig, skurril aber glaubwürdig. Nach und nach wird immer mehr von den Kücks ans Licht kommen. Ein ganzes Jahrhundert mit dem Paul sich auseinandersetzen muss. Unerwiderte Liebe, tiefsitzender Hass, Eifersucht, skandalöses,... das alles wird zwar etwas im Durcheinander erzählt, folgen konnte ich aber immer.
    Das Ende bleibt offen, und irgendwie auch nicht. Zuerst liess es mich etwas unzufrieden zurück, im nachhinein finde ich es aber gut so. Übrigens fängt die Geschichte mit dem letzten Kapitel an. Da versteht man zuerst nichts von und man muss sich durch die Geschichte kämpfen, wie Paul mit seinen ewig nassen Schuhen.
    Ein paar Abschnitte waren vielleicht ein bisschen zäh, aber trotzdem konnte ich nie von dem Buch lassen und deswegen vergebe ich die volle Punktzahl.


    5ratten:tipp:

    Lesen ist die schönste Brücke zu meinen Wunschträumen.

  • Paul ist Anfang 30 und versucht mehr schlecht als recht, in Berlin eine Kunstgalerie zum Laufen zu bringen, als ihn ein Hilferuf erreicht: sein Elternhaus in der Künstlerkolonie Worpswede droht im Moor zu versinken, wenn nicht schleunigst Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Und da seine Mutter seit langer Zeit auf Lanzarote weilt und sonst keiner mehr da ist, der sich kümmern könnte, macht sich Paul eher widerwillig auf den Weg, um nach dem Rechten zu sehen.


    In seiner früheren Heimat erwartet ihn nicht nur ein vom Untergang bedrohtes weitläufiges altes Haus, sondern auch eine unerwartete Konfrontation mit der Vergangenheit seiner Familie. Wie stand es um die Gesinnung seines Großvaters und Namensvetters Paul Kück, eines bekannten Bildhauers, zur Zeit des Dritten Reiches? Was passierte tatsächlich mit seiner Großtante Marie, die angeblich wegen kommunistischer Neigungen von der Gestapo abgeholt wurde? Und wer ist nun wirklich der Vater von Maries Sohn, dem leicht minderbemittelten Cousin, der heute noch auf dem Hof lebt und den der Opa bissig "Nullkück" zu nennen pflegte, um seine ungeklärte Abstammung hervorzuheben?


    Moritz Rinke, der selbst in Worpswede groß geworden ist und hier sicherlich auch das eine oder andere aus seiner eigenen Geschichte einfließen lässt, gelingt in diesem Roman über Pauls unfreiwillige Reise an den Ort seiner Kindheit und seiner Spurensuche in der Familienvergangenheit das Kunststück, auf skurril-witzige Art über ernste Themen zu schreiben. Was Paul da nach und nach zutage fördert, ergänzt um die Dinge, die Peter Ohlrogge, Exliebhaber von Pauls Mutter und die zweite Erzählstimme des Buches, im Laufe der Zeit herausgefunden hat, ist ganz und gar unerquicklich und eng mit den dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte verknüpft, doch die Szenen, die sich während Pauls Stippvisite oder auch in Ohlrogges Rückblenden abspielen, sind häufig brüllend komisch, auch wenn einem kurz danach schon wieder das Lachen im Halse steckenbleiben will.


    Ein echtes Highlight des Buches war für mich Nullkück, der sich in all den Jahren seit Pauls Kindheit kein bisschen verändert hat und nur bruchstückhaft spricht, aber das Herz am rechten Fleck hat und auf seine eigene Weise durchaus clever ist, denn er wird nicht zur albernen Karikatur, sondern ist mit all seinen Unzulänglichkeiten und Besonderheiten liebevoll gezeichnet.


    Das einzige, was ich nicht gebraucht hätte, war der Handlungsstrang um einen russischen Hochstapler, der sich als aufstrebenden Maler ausgibt, um Frauen zu bezirzen, denn dessen Kapitel haben aus meiner Sicht gar nichts zum restlichen Buch beigetragen außer vielleicht leiser Kritik an der Kunstszene und waren auch nicht besonders witzig.


    Insgesamt aber ist das Buch eine schräge, ungewöhnliche und lesenswerte Auseinandersetzung mit der deutschen Zeitgeschichte, die mir sehr gut gefallen und viel Spaß gemacht hat.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Großartig! :freu:

    Gleich im Einkaufswagen gelandet!

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


  • zu spät :redface:

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


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  • Liebe Leute - lest dieses perfekte Buch! :D


    Ich weiss nicht, wann mich zum letzten Mal ein Buch so nachhaltig begeistert hat wie dieses hier.


    Valentine ich denke, dass diese Nebenhandlung auch für Peter dazu kam - passte einfach in seine Abwärtsspirale ("Paula"), aber immerhin hat er dadurch sein Häuschen mal aufgeräumt. :/:S

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


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    ~ IDLES ~


  • Ich fand das Buch nur mäßig interessant - bis auf die geniale Szene mit der zutiefst entsetzten Putzfrau. :putzen:

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Ich bin erst auf Seite 55 - aber was mir jetzt schon sehr gefällt, ist der spezielle Erzählton und die sehr lakonische aber trotzdem nicht lieblose Grundhaltung des Buches. <3

    (Ich stelle immer wieder fest, dass so ein überzeugend "echter" und konsistenter Erzählton sehr wichtig dafür ist, wie sehr ich mich in einem Buch "zu Hause" fühlen kann.)

  • Gefällt mir immer noch.

    Aber was ganz Anderes, helft mir mal:

    Wiegt eine lebensgroße Bronzestatue (Hohlguss) tatsächlich nur zwischen 85 u 100 kg? Bei einer ist sogar eine Wandstärke von 5 cm angegeben, ist das nicht sogar ungewöhnlich viel??

  • Ich hoffe, es gefällt Dir auch jetzt noch, ich mochte es ja sehr.


    Mit den technischen Details zum Bronzeguss kenne ich mich leider gar nicht aus.

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    Leonard Cohen





  • Ich hoffe, es gefällt Dir auch jetzt noch, ich mochte es ja sehr.

    Ausgelesen - und fand es am Ende dann eine runde Sache. Irgendwann zwischendrin dachte ich, es dreht sich ein wenig im Kreis - aber hatte am Ende alles seinen Sinn und seine Funktion. Ja, hat mir auch sehr gefallen, Valentine . :)

    (Nur der Titel.. hm..)

  • Der Titel hat mir auch nicht soo gut gefallen. Aber der Rest umso mehr - freut mich, dass es Dir genauso gegangen ist!

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