Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

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  • Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein


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    Anfang der 40er Jahre, die Quangels erhalten Nachricht vom Tod ihres Sohnes und damit auch die Gewissheit, dass sich etwas ändern muss. Bisher lebten die Eheleute angepasst und unauffällig in ihrer kleinen Berliner Wohnung. Hitler und der Krieg ging sie in ihrem tristen Alltag gewissermaßen nichts an. Sie wollten sich nur aus allem raus halten, doch das Telegramm bringt mit dem Verlust des einzigen Kindes auch die rohe Gegenwart in die Quangelsche Isolation.
    Das Ehepaar beginnt damit, eindeutige Botschaften gegen das Naziregime als auch gegen den Krieg auf Postkarten zu schreiben und in belebten Häuserkomplexen abzulegen. Anfangs noch mit viel Nervenkitzel und großer Vorsicht unterwegs, wird das Schreiben und Ablegen der Postkarten irgendwann zu gefährlicher Routine.
    Schon seit Monaten ist die Gestapo auf diesen Fall angesetzt und wartet mit beunruhigender Geduld nur auf einen einzigen Fehler der Quangels, der die Spur direkt zu ihnen führen wird.


    Das Berliner Ehepaar gab es wirklich, ihren Widerstand, die Postkarten, ihre Verhaftung mit anschließender Hinrichtung und Fallada schafft aus dieser wahren Begebenheit einen Spiegel für die kleinen Leute. Erzählungen und Romane über den Widerstand jener Zeit gibt es zahlreich, aber Falladas Werk ist so besonders einzigartig, weil es den Widerstand, das sich zur Wehr setzen gegen eine scheinbar unbesiegbare Sache in den Alltag der kleinen Leute integriert.
    Fallada macht den Widerstand endlich mal zu einer privaten Sache jedes Einzelnen und so hat man eben darüber noch nie gelesen. Es gibt keine Helden, es gibt keine großartig beeindruckenden Plan und selbst Anna Quangel zeigt sich enttäuscht, als ihr Mann ihr seine Idee nahe legt, denn sie hatte von ihrem Otto etwas viel Größeres erwartet als einfach nur Postkarten.
    Jede Figur in diesem Roman ist unauffällig, ein kleiner unbedeutender Fisch mitten in Berlin, genau jene Leute, von denen man immer wieder gern behauptet, sie hätten nur weg schauen können. Fallada besaß aber genug Spürsinn, um in seinem Roman den Widerstand auf bisher unbekannte Weise darzustellen.
    So ist es zum Beispiel auch als eine Form des Widerstandes annehmbar, wenn sich die Postbotin Eva Kluge zu ihrer Schwester aufs Land flüchtet, die Hergesells sich immer mehr in ihr privates Glück zurück ziehen oder der Kammergerichtsrat Fromm die alte Rosenthal versteckt.
    Fallada selbst haderte wohl oft mit seinem Alltag in Deutschland. Trotz Naziregime war er nicht bereit, seine Heimat zu verlassen und zog sich immer mehr in sein Privatleben zurück. Er litt darunter, dass er nicht frei schreiben konnte und schreiben musste, was er nicht schreiben wollte. Umso mehr hatte ich das Gefühl, dass ihm dieses Buch schon deshalb besonders am Herzen lag, da auch er sich zu seiner Rechtfertigung nur auf das Plädoyer „Widerstand beginnt im Kopf“ berufen konnte.
    Wo Widerstand ist, muss es auch einen Widersacher geben. In dem Roman stellt sich dieser zum einen in Form der Gestapo, zum anderen wiederum im Kleinbürgertum dar. Überaus interessant ist, dass Fallada auch hierbei nicht von seiner Betrachtungsweise abrückt. Komissar Escherich bemüht sich besonders um diesen Fall, um seine Aufstiegschancen und das eigene Ansehen zu nähren, der Kleinkriminelle Barkhausen gleicht einem Aasfresser, der gewissenlos sein Fähnchen nach dem Wind hängt und Baldur Persicke findet Befriedigung seines enormen Ehrgeizes in der Aufnahme in eine Napola. Letztendlich beginnt nicht nur der Widerstand, sondern eben auch das Mitmachen im Kopf.


    Dieser Roman entstand innerhalb weniger Wochen und aufgrund seines Umfangs ist das schon beachtlich. Andererseits hatte ich auch manchmal das Gefühl, dass Fallada zu viel auf zu wenigen Seiten schreiben wollte, so dass an manchen Stellen weniger mehr gewesen wäre. Die Personen an sich sind allesamt interessant und bieten so viel Erzählfläche, dass ich mir manchmal die Konzentration auf weniger Charaktere, dafür aber noch etwas ausführlicher gewünscht hätte.
    Insgesamt ist dieser Roman meiner Meinung nach aber trotzdem sehr gelungen, empfehlens- und lesenswert, wenn für mich persönlich auch nicht Falladas bestes Werk.


    4ratten

  • Meine Meinung

    Ich habe selten ein so bedrückendes Buch gelesen wie dieses. Ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen, wie Situation im Mietshaus der Quangels gewesen sein muss, wo man so darauf achten musste, was man sagte und wie man sich verhielt. Für mich war das Haus symbolisch für das Deutschland, in dem die Geschichte spielte.


    Die Geduld der ermittelnden Beamten, den Kartenschreiber endlich in die Hände zu bekommen, hatte etwas Unheimliches. Je länger das Warten dauerte, desto mehr Angst hatte ich um das Ehepaar. Wie sehr muss es den Stolz des Inspektors verletzt haben, von zwei einfachen Menschen so an der Nase herumgeführt worden zu sein?


    Dann die Zeit im Gefängnis, die so grausam war und so eindringlich beschrieben wurde. Da hätte ich manchmal am liebsten nicht mehr weitergelesen.


    Wenn ich mir vorstelle, dass der Autor das Buch in so kurzer Zeit geschrieben hat, steigt mein Respekt vor seinem Werk noch mehr.

    5ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Aus meinem Lesetagebuch:


    "Jeder stirbt für sich allein" war mein erstes Buch von Hans Fallada.


    Generell lese ich über den Zweiten Weltkrieg nicht gerne Romane. Lieber Dokumentationen.

    Und ich bin wieder entsetzt, zu was Menschen bereit und fähig sind, sobald sie die Macht dazu erhalten. Wie kaltherzig und menschenverachtend sie sich benehmen.

    Und mit was für einer Angst die Menschen leben, die mit dem System nicht einverstanden sind. Wie auf viele von den Mitmenschen Druck ausgeübt wird, der "Partei" beizutreten. Was mit ihnen geschieht, wenn sie austreten wollen.


    In den Dokumentationen, die ich bisher geschaut habe, kommen einem die Menschen nicht so nahe. Da geht es meist mehr um das große Ganze. Hier bei Fallada ist man ganz nah dran an den Menschen, an ihren Sorgen und Ängsten, an ihren üblen Taten.


    Erstmals erschien das Buch 1947 im Aufbau-Verlag. Fallada schrieb das Buch anhand der authentischen Geschichte des Ehepaars Otto und Elise Hampel. Sie hatten von 1940-42 in Berlin Postkarten gegen Hitler verteilt und wurden verraten. Allerdings wurde diese Ausgabe aus politischen Gründen stark gekürzt.


    Fallada hat sehr gut die Angst beschrieben, die die Menschen, die sich gegen das System auflehnten, gefangen hielt. So beklemmend habe ich das noch nie gelesen. Und die Darstellung der Machthaber, ich hatte das Gefühl, beim Lesen immer kleiner zu werden.


    Das Buch ist aufgeteilt in drei Bücher. Gerade im ersten Buch, als es hauptsächlich um die kleinen Ganoven Enno Kluge und Emil Barkhausen ging, habe ich das Buch kurz für einen Krimi abgebrochen und auch danach musste ich öfter Pausen einlegen. So einige Seiten habe ich nur quer gelesen, um dann doch wieder zurückzublättern und genau nachzulesen. Mit welcher Selbstverständlichkeit diese beiden Typen auf Kosten anderer gelebt, sich bereichert haben.


    Ich bin froh, dass das Buch, obwohl man es nicht erwarten kann, dann doch mit einem optimistischen Hauch endet.


    5ratten

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 91


    Gesamt seit März 2007: 1012

  • Mit welcher Selbstverständlichkeit diese beiden Typen auf Kosten anderer gelebt, sich bereichert haben.

    Ich fand nicht mal diese Selbstverständlichkeit schlimm, sondern dass sie damit durchgekommen sind. Und das, obwohl sie ihr Verhalten nicht versteckt haben.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.