4 - Sodom und Gomorrha

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  • Proust macht einige Bemerkungen, die mir ein Schmunzeln ins Gesicht trieben, z. B. die Beschreibung der vulgären Frau, die sich als die Fürstin Scherbatow entpuppt,


    Beim Lesen des Wortes "Puffmutter" musste ich laut auflachen - solche Begriffe erwartet man ja nicht gerade von Proust bzw. Marcel.



    oder der Moment, als irgendjemandem (ich weiß nicht mehr, wem :redface:) das Stricken empfohlen wurde.


    Na Marcel! :breitgrins: Er ist doch so über die Maßen gerührt, dass die Verdurins die Gäste am Bahnhof abholen ließen, woraufhin Cottard sagt "...ich lasse mich zu sehr von Gefühlen beherrschen und es würde mir gut tun, Beruhigungsmittel einzunehmen und mich mit Stricken zu beschäftigen."


    Die letzten Tage bin ich wenig zum Lesen gekommen und habe schon befürchtet, ich hinke hinterher, aber scheinbar sind wir gleichauf. Der Abend bei den Verdurins hat gerade begonnen und noch bin ich nicht gelangweilt.


  • Beim Lesen des Wortes "Puffmutter" musste ich laut auflachen - solche Begriffe erwartet man ja nicht gerade von Proust bzw. Marcel.


    Allerdings! Es unterstreicht auch den Eindruck, dass Proust in diesem Band ganz anders schreibt, viel offener. Spätestens an dieser Stelle muss es jedem Leser auffallen.



    Mein Wunsch nach Abwechslung ist auf fruchtbaren Boden gefallen, denn schon wenige Seiten später löste sich die Gesellschaft auf und das 3. Kapitel begann. Da machte mich schon am Anfang etwas stutzig, als von der Schwester des Pagen die Rede war, die so großzügig ist, dass sie nach Hotelaufenthalten den Zimmermädchen "ein duftendes Andenken" hinterlässt. Ich dachte automatisch an ein Tuch oder einen Schal, der nach ihrem Parfüm riecht, doch gleich im nächsten Satz war mir klar, dass es sich bei dem Andenken um etwas ganz anderes handeln muss, denn der Kutscher, dem ein ebensolches Andenken in seinem Gefährt hinterlassen wurde, tobte vor Ärger. Was ist der tiefere Sinn dahinter?


    Es gibt auch wieder eine längere Ausführung über den Schlaf, die mir den Titel des Zyklus wieder stark ins Bewusstsein gerufen hat. Für jemanden wie mich, die lieber weniger schläft, um länger zu lesen, ist zu viel Schlaf verlorene Zeit. Proust sieht den Schlaf aber eher positiv, weil man mitunter in ein ganz anderes Leben eintaucht, so als ob man eine Reise antritt.



    Ganz klar ist mit nicht, woher dieses große Aufheben um seine Person kommt. Ist es einfach, weil er bereits das zweite Mal in Balbec ist und in der Zwischenzeit wichtige Bekanntschaften gemacht hat?


    In einem Gespräch mit seiner Mutter wird erwähnt, dass die Familie gewisse Verbindungen hat. Das würde schon ausreichen, um hofiert zu werden. Leider finde ich die entsprechende Stelle nicht mehr.

  • Marcel trifft sich nun häufig mit Albertine, fährt täglich mit ihr durch die Gegend und genießt das Zusammensein. Er verspürt sogar Eifersucht, wenn er sie allzu eifrig im Gespräch mit anderen Männern sieht, ist sich aber trotzdem nicht sicher, ob er sie wirklich liebt. Eigentlich kein Wunder nach seinen Beobachtungen von Albertine und Andrée. Er kann sich ihrer Gefühle nie ganz sicher sein, da ist es nicht erstaunlich, dass er sich zumindest unbewusst zurückhält. Nach außen hin sieht es aber aus wie die ganz normale Beziehung eines jungen Mannes.


    Seine sich vertiefende Freundschaft mit dem Chauffeur des Autos stößt auf Protest seitens seiner Mutter, die sich unter einem Herrn-Dienstboten-Verhältnis etwas anderes vorstellt. Ob Proust in dem Chauffeur seine große Liebe Agostinelli versteckt hat? Als der Chauffeur bald darauf entlassen wird, hat Marcel einen Traum oder eine Vision von einem Aeroplan, das nach einigem Kreisen senkrecht zum Himmel emporsteigt, "als kehre er in seine Heimat zurück". Auch eine Parallele zu Agostinelli, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.


    Ich bin unterdessen schon mitten in der Beziehung zwischen Charlus und Morel. Von Homosexualität unter dem Deckmantel kann man mittlerweile mehr sprechen. Mir scheint, als wüssten alle über die beiden Bescheid, denn der Baron macht keine Anstrengungen, seine Bemühungen um den jungen Geiger zu vertuschen. Er zettelt sogar ein Duell an, um Morels schwindende Aufmerksamkeit zurückzuerlangen, ähnlich einem Menschen, der mit Selbstmord droht, um das Interesse seiner Mitmenschen auf sich zu ziehen. Er muss nur aufpassen, dass er es nicht zu weit treibt, denn solche Drohungen werden schnell durchschaut und verlieren ihre Wirkung. Andererseits ist aber Morel auch kein Kind von Traurigkeit. Es ist offensichtlich, dass er nur darauf aus ist, aus solchen Beziehungen Kapital zu schlagen. Wie ein Besuch im Grandhotel Palace zeigt, hat Charlus allen Grund, misstrauisch zu sein.


    Mein Bild von Charlus hat sich seit seinem ersten Auftritt stark gewandelt. Während er damals sehr selbstbewusst und stark erschien, zeigen sich jetzt Schwachpunkte.

  • Ich bin heute fertig geworden. Das Buch endet mit einem Marcel, der hin- und hergerissen ist von seiner Liebe zu Albertine. Nachdem seine Gefühle sich langsam abzukühlen schienen, ist er auf der letzten Seite fest entschlossen, sie doch zu heiraten. Seine Eifersucht macht ihm schwer zu schaffen. Ich denke, das ist gleichermaßen der Grund, warum er Albertine einmal will und ein andermal wieder nicht. Manchmal kommt es mir vor, als wolle er sie vor ihren Neigungen bewahren, indem er sie heiratet, aber was wäre das für eine Ehe, wenn er nicht nur in jedem Mann, sondern auch in jeder Frau eine Konkurrentin sieht? Er schafft es nicht, Klartext mit ihr zu reden und seine Versuche, sich zu erklären, verlaufen im Sand. Die Frage ist, wie weit Albertine das durchschaut und vielleicht auf seine Anspielungen bewusst nicht eingeht. Für ein junges Mädchen kommt sie mir schon sehr reif vor. Das wird noch spannend im nächsten Band.


    Dieses Buch las sich erstaunlich leicht im Vergleich mit den Vorgängern. Ich habe zwar so manche Beschreibung von Bildern, Zimmern oder Landschaften vermisst, aber es war trotzdem richtig abwechslungsreich und auch humorvoll. Eigentlich ein ganz anderer Proust als vorher.


  • Ich bin heute fertig geworden.


    Oje, da hinke ich ja noch gewaltig hinterher. Ich bin gerade mal an der Stelle angelangt, an der Marcel zur Mittwochsrunde zu den Verdurins fährt. Dieses Wochenende habe ich aber nichts anderes vor und das Wetter soll ja auch schlechter werden, ich hoffe also, das ich endlich mal weiter komme... :lesewetter:



    Mein Bild von Charlus hat sich seit seinem ersten Auftritt stark gewandelt. Während er damals sehr selbstbewusst und stark erschien, zeigen sich jetzt Schwachpunkte.


    In der Szene am Bahnhof wirkt Charlus wirklich eher mitleiderregend. Ein ältlicher, dicker Mann, der sich junge Männer "kauft". Anscheinend wird auf sein Verhältnis zu Morel noch näher eingegangen, ich bin gespannt...

    :lesen: Anthony Powell - The Kindly Ones <br /><br />Mein SUB<br />Meine [URL=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/32348.msg763362.html#msg763362]Listen

  • Seit dem letzten Wochenende bin ich auch durch. Vom Ende war ich überrascht - nun macht er also doch Ernst mit Albertine, oder doch nicht? Marcels Verhalten finde ich in der Hinsicht furchtbar nervtötend und unreif. Der Titel des nächsten Bandes "Die Gefangene" gibt ja schon einen Hinweis auf die künftige Entwicklung der Beziehung.


  • In der Szene am Bahnhof wirkt Charlus wirklich eher mitleiderregend. Ein ältlicher, dicker Mann, der sich junge Männer "kauft". Anscheinend wird auf sein Verhältnis zu Morel noch näher eingegangen, ich bin gespannt...


    Es kommen noch mehr Situationen, in denen er bedauernswert erscheint (zumindest mir), und es hat immer mit Morel zu tun. Das wird noch interessant für dich. Viel Spaß dann beim Lesen am Wochenende!



    Vom Ende war ich überrascht - nun macht er also doch Ernst mit Albertine, oder doch nicht? Marcels Verhalten finde ich in der Hinsicht furchtbar nervtötend und unreif.


    Nervtötend nicht, unreif auf jeden Fall, aber auch nicht unreifer als andere Männer seines Alters, die die ersten Erfahrungen mit Frauen gemacht haben. Ich glaube schon, dass er es im Moment ernst meint mit seinen Heiratsabsichten. Nur seine Beweggründe sind nicht leicht zu durchschauen. Eigentlich sollte er vorsichtig sein mit Albertine. Wenn sie es richtig anfinge, könnte sie ihn locker "in die Tasche stecken". Wie auch immer, mit seinen Vorstellungen und Befürchtungen dürfte er in einer Ehe mit ihr keine ruhige Minute haben. Vor diesem Hintergrund und mit dem Titel des nächsten Bandes kann man allerlei schöne Spekulationen betreiben.


  • Eigentlich sollte er vorsichtig sein mit Albertine. Wenn sie es richtig anfinge, könnte sie ihn locker "in die Tasche stecken". Wie auch immer, mit seinen Vorstellungen und Befürchtungen dürfte er in einer Ehe mit ihr keine ruhige Minute haben.


    Das sehe ich auch so. Sie führt ihn ja in diesem Band schon kräftig an der Nase herum - mit wem sie sich wann und wo trifft, ohne dass er ihr etwas nachweisen kann. Das stellt sie schon recht schlau an.

  • Leider bin ich immer noch nicht ganz durch mit diesem Band der Recherche, ich habe aber auch nur noch ca. 80 Seiten vor mir und bin ganz zuversichtlich, da sich dieser Teil wirklich leichter lesen lässt als z.B. der letzte Band.


    Mein Bild von Charlus hat sich mittlerweile komplett gewandelt, erschien er in den ersten Bänden als großer Mann von Welt wirkt er nun nur noch lächerlich mit seinen geschminkten Lippen und seinem naiven Glauben, er könne die wahre Beziehung zwischen Morel und ihm verschleiern.


    Ihr habt ja schon angedeutet, dass Marcel am Ende des Bandes vorhat, Albertine zu heiraten, ich bin nun sehr gespannt, wie es soweit kommt, denn im Moment ist er sich ja noch nicht mal sicher, ob er sie jetzt liebt oder nicht. Eifersüchtig ist er dafür auf jeden (und jede), mit dem (oder der) Albertine nur kurz spricht. Als fast schon krankhaft ist mir diese Eifersucht in der Szene aufgefallen, in der Marcel erzählt, dass er Albertine einen Schminkspiegel gekauft hat damit sie sich bei Madame Verdurin nicht von ihm entfernen muss um sich nochmal schön zu machen. Da kann man tatsächlich ahnen auf was der Titel des nächsten Bandes hinauswill...

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  • Endlich habe ich diesen Band nun auch beendet, leider hatte ich in den letzten Tagen ziemlich wenig Zeit zum Lesen und habe so jeden Abend nur ein paar Seiten geschafft bevor mir die Augen zufielen.

    Für jemanden wie mich, die lieber weniger schläft, um länger zu lesen, ist zu viel Schlaf verlorene Zeit.

    Für mich auch, aber ganz ohne Schlaf geht es ja leider auch nicht :zwinker:...


    Nun aber zum Ende dieses Bandes mit einem Marcel, der sich in einer Minute noch endgültig von Albertine trennen will, sie in der nächsten aber, nur weil sie ihm von der Bekanntschaft mit einer lesbischen Frau erzählt, sofort heiraten will. Ich muss hier Ophelia beipflichten, diese Wankelmütigkeit ging mir auch etwas auf die Nerven und lässt Marcel (wieder einmal) sehr unreif erscheinen. Wie alt schätzt ihr ihn eigentlich in "Sodom und Gomorra"? Ich hätte so auf Anfang 20 getippt, bin mir aber wie schon beim ersten Band nicht ganz sicher.
    Die Beweggründe für seine Heiratsabsichten sind mir auch nicht ganz klar, an einer Stelle behauptet er doch, André zu lieben, ist aber dann trotzdem auf alle Personen eifersüchtig, die mit Albertine sprechen könnten. Tatsächlich scheint es so, als wolle er Albertine vor dem "verderblichen" Einfluß der lesbischen Liebe retten. Ein seltsames Motiv...


    Eigentlich sollte er vorsichtig sein mit Albertine. Wenn sie es richtig anfinge, könnte sie ihn locker "in die Tasche stecken". Wie auch immer, mit seinen Vorstellungen und Befürchtungen dürfte er in einer Ehe mit ihr keine ruhige Minute haben.


    Das sehe ich genauso. Da es ja nie zu einer Aussprache zwischen den beiden gekommen ist, weiß Marcel eigentlich gar nichts über Albertine. Ich bin gespannt, ob es tatsächlich zu einer Hochzeit kommt. Der Titel des nächsten Bandes deutet für mich nicht darauf hin. Wobei, man kann natürlich auch in einer Ehe gefangen sein. Ich bin dieses Mal schon sehr gespannt, wie es weitergeht.

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  • Ich muss hier Ophelia beipflichten, diese Wankelmütigkeit ging mir auch etwas auf die Nerven und lässt Marcel (wieder einmal) sehr unreif erscheinen. Wie alt schätzt ihr ihn eigentlich in "Sodom und Gomorra"? Ich hätte so auf Anfang 20 getippt, bin mir aber wie schon beim ersten Band nicht ganz sicher.


    Stand nicht irgendwo geschrieben, dass er 18 oder 20 Jahre alt ist? Das Wankelmütige finde ich ganz normal bei einem jungen Mann seines Alters. So behütet, wie er die ersten Jahre seines Lebens war, muss er nun erst einmal eigene Erfahrungen sammeln und kann nicht auf die Hilfe seiner Eltern zurückgreifen. Verständlich, dass er zwischen Extremen hin- und herschwankt. Die Beziehung zu Albertine ein ganz wichtiger Abschnitt für ihn.



    Die Beweggründe für seine Heiratsabsichten sind mir auch nicht ganz klar, an einer Stelle behauptet er doch, André zu lieben, ist aber dann trotzdem auf alle Personen eifersüchtig, die mit Albertine sprechen könnten. Tatsächlich scheint es so, als wolle er Albertine vor dem "verderblichen" Einfluß der lesbischen Liebe retten. Ein seltsames Motiv...


    Da kann ich dir beipflichten, das erscheint auch mir am wahrscheinlichsten. Ich glaube, beziehungstechnisch wartet er eigentlich auf etwas ganz anderes, was ihm aber noch nicht bewusst ist. Albertine möchte er vor dem bewahren, was er als einen Fehler ansieht, nämlich die Beziehung zu einer Frau.


  • Das Wankelmütige finde ich ganz normal bei einem jungen Mann seines Alters.


    Das man in dem jungen Alter noch nicht genau weiß, wie es im Leben und in der Liebe laufen soll und deshalb überall mal hineinschnuppert, ist natürlich nachvollziehbar. Marcel erscheint mir aber manchmal schon sehr orientierungslos, die kleinsten Kleinigkeiten bringen ihn dazu alles in Frage zu stellen und das Gegenteil von dem zu tun was er sich vorgenommen hatte. Vielleicht sollte er es tatsächlich mal mit Stricken versuchen um ein bisschen ruhiger und klarer zu werden :zwinker:.
    Was mich noch beschäftigt ist die Frage, wie Marcel denn eigentlich eine Frau oder sogar Familie ernähren wollen würde? Sicher würde er Geld von seinen Eltern bekommen, aber dann würden diese doch bestimmt auch bei seiner Wahl mitreden wollen. Und Albertine scheint zumindest bei Marcels Mutter kein sehr hohes Ansehen zu genießen...

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  • Was mich noch beschäftigt ist die Frage, wie Marcel denn eigentlich eine Frau oder sogar Familie ernähren wollen würde? Sicher würde er Geld von seinen Eltern bekommen, aber dann würden diese doch bestimmt auch bei seiner Wahl mitreden wollen. Und Albertine scheint zumindest bei Marcels Mutter kein sehr hohes Ansehen zu genießen...


    Geld ist bei dieser Familie sicher kein Thema, sonst wäre Marcel schon irgendwo untergebracht, wo er einen Beruf erlernen würde. Seine jugendlichen Ambitionen, sich als Schriftsteller zu betätigen, stießen ja nicht gerade auf Widerstand. Was eine Braut anbelangt, werden die Eltern wohl versuchen, Einfluss zu nehmen. Eine bessere Gelegenheit, bestehende Verbindungen oder Freundschaften zu anderen wohlhabenden Familien zu vertiefen, gibt es ja kaum. Im Buch ist zwar wenig die Rede von solchen Verbindungen, aber im Normalfall dürften sie existieren.