Volker Kutscher - Die Akte Vaterland

Es gibt 43 Antworten in diesem Thema, welches 8.679 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von odenwaldcollies.

  • Schöne Diskussion. Ich sehe es ähnlich wie dubh und Heimfinderin und finde sowohl den politischen Rahmen, in dem das Buch steht, als auch Gereon Raths Unpolitisch-sein recht gelungen und glaubhaft. Damals wußte man schließlich noch nicht, was in den nächsten Jahren kommen würde. Sorry miss-mesmerized, aber Gereon als Nazi zu bezeichnen, ist absurd und sehr von heutiger politisch-korrekter Warte aus gesehen, ebenso wie deine Meinung zu Charly:



    Einerseits würde sie gerne große Kommissarin spielen, gleichzeitig verfügt sie über gar kein Rückgrat, und beste Anlagen das Heimchen am Herd zu werden.


    Beim Lesen dieses Satzes dachte ich auch, ich habe wohl ein anderes Buch gelesen als miss mesmerized.
    Ist jede Frau, die nicht total karrieregeil ist, sondern gern heiraten würde und Kinder hätte, und für diese dann auch die Verantwortung übernehmen möchte, dann gleich ein Heimchen am Herd? Für mich ist das eher soziales Denken und Loyalität gegenüber anderen. (Schließlich gibt es sogar Berufe wie Erzieher oder Lehrer - sind die dann alle nix wert?) Was hat das mit mangelnder Emanzipation zu tun?
    Abgesehen davon empfinde ich die Bezeichnung Heimchen am Herd als abwertend und verächtlich, gerade wenn sie von jemandem kommt, der sich so empfindlich daran stößt, daß Gereon Rath verachtend mit den Menschen in Masuren umgeht.



    Ich finde schon, dass sie sich am Ende des Buchs dahingehend entwickelt. Ich bin jetzt nicht so der große Romantiker, vielleicht fand ich deshalb so. Ihr Geheule (z.B. S. 503) und er muss sie immer trösten, auf der Seite danach heißt es, dass sie Anlehnungsbedürfnis hat, Angst vor Streit und schon ziemlich harmoiniebedürftig ist und sich gar nciht traut, ihre eigene Theorie zu formulieren. Dafür, dass sie zu Beginn des Buchs so forsch ist, ordnet sie sich am Ende ziemlich stark unter und folgt Gereon. Auf S. 531 ärgert sie sich dann über sich selbst, weil sie "Haus und Hund hütet" und wollte eigentlich mit ihm ins Grüne fahren und bedauert schon einsame Wochenenden im Ehealltag. Das sind für mich Gedanken, die in eine andere Richtung gehen als die der emanzipierten Frau, die zu Beginn des Buchs präsentiert wurde.


    Finde ich nicht. Gerade am Ende hat sie doch diese Theorie mit Dettmann und vertritt sie auch. Außerdem macht sie die ganze Zeit ganz normal ihre Arbeit im Rahmen der Ermittlungen.
    Und daß man sich über einsame Wochenenden ärgert, ist das nicht ganz normal? Tun Männer das nicht?
    Offenbar ist Wahrnehmung wirklich selektiv und wir werden da nie auf einen Nenner kommen. Nach wie vor verstehe ich deine Auffassung von Emanzipation nicht.

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

    Einmal editiert, zuletzt von kaluma ()

  • Emanzipation geht für mich einher mit einer gewissen Freiheit und Wunsch nach Selbstverwirklichung. Charly vertrat das zu Beginn des Buchs, als sie diesen wirklich furchtbaren Heiratsantrag eben nicht freudenstrahlend angenommen hat, sondern sich erst einmal Zeit herausgenommen hat, das zu überdenken. Am Ende hütet sie Haus und Hund, wartet nur noch darauf, dass der Mann heimkommt, plant schon das klassische Eheleben, nimmt sofort seine Theorien an ohne ihre eigenen laut zu äußern und merkt das sogar selbst. Da war für mich ein Rückschritt erkennbar, der möglicherweise zeitbedingt auch nicht anders möglich war.


    Wenn Frauen eine Arbeit haben, sind sie nicht zwingend karrieregeil. Ich erachte in der Tat das Dasein als Hausfrau und Mutter, bei dem man sich in jeder Form der völligen Abhängigkeit von einem Partner hingibt, nicht als besonders erstrebenswert, schon gar nicht mehr heute. Darin zeigt sich für mich keine besondere Loyalität oder soziales Denken - sind Frauen ohne Kinder dann unsozial?


    Ich denke aber auch, dass diese beiden Lebensmodelle nicht unter einen Hut zu bekommen sind und man hier nur entweder die eine oder die andere Position vertreten kann. Diese Diskussion hat auch nichts mit dem Buch im engeren Sinn zu tun.


  • Ich habe mir das Buch jetzt nocheinmal genommen und nur zwei Stellen rausgesucht, die mich zu dieser Empfindung bringen: S. 191 verweist er darrauf, dass er schon einmal mit ostpreußischen Kollegen zusammengearbeitet hat. Warum? Sind die irgendwie so anders, dass man das extra betonen muss?


    Warum? Den Kontext gibt es zwei Sätze zuvor: Eine knappe Stunde mochte es schon her sein, seit sie in der Stresemannstraße in den Wagen gestiegen waren, und keiner von ihnen hatte seither ein Wort gesprochen. Das war mehr, als ein Rheinländer zu ertragen bereit war, und Rath beschloss, dem Schweigen endlich ein Ende zu setzen. Um das Eis zwischen dem ostpreußischen Kollegen und sich selbst zu brechen, sagt er dann den Satz, auf den Du anspielst: "In Berlin habe ich auch schon mit ostpreußischen Kollegen zusammengearbeitet." Seine Intention zu dieser Aussage erkennt man zwei, drei Sätze später: Ihm war eingefallen, dass Stephan Jänicke tot war und Helmut Grabowski im Gefängnis saß, die Schicksale dieser beiden ostpreußischen Kollegen also wenig geeignet waren, um eine lockere Unterhaltung in Gang zu bringen.
    So etwas bezeichne ich als Versuch für ein unbefangenes Gespräch - ein bißchen persönlicher als über das Wetter zu plaudern, aber dennoch unverfänglich. Mir geht es beispielsweise häufiger so, wenn ich Leute hier im Norden kennenlerne, die nicht glauben können, dass ich aus Süddeutschland komme. Die kommen dann gerne mit Schwaben, die sie kennen und ganz anders reden...


    Zitat

    Auf S. 199 heißt es "Er fühlte sich wie ein Missionar, dem ein gastfreundlicher Eingeborenenstamm Affenaugen in Aspik kredenzt oder sonstwas Ekelhaftes". Den Vergleich empfinde ich jetzt beispielsweise nicht so super weltoffen und tolerant, sondern ziemlich despektierlich dem masurischen Essen und der Kultur gegenüber. Man kann sicherlich drüber diskutieren, welche Konnotationen bei "Eingeborenenstamm" mitschwingen, aber ich würde auch ohne fundiertes (historisches) Wissen behaupten, dass man in den Masuren in den 30er Jahren einen anderen Lebensstil pflegte als in Zentralafrika zur selben Zeit und dieser Vergleich ist für mich schon eher negativ. Dass er sich als Missionar sieht, spricht meiner Ansicht nach für sich.


    Geschmackssache. Dicke Leberwurstscheiben mit Senf bestrichen und auf einem großen Doppelkornglas balancierend, sind eben auch nicht jedermanns Sache. Das Wort "Eingeborenenstamm" ist sicherlich kein schönes, aber ebenso wie "Neger" eine damals leider sehr übliche Bezeichnung... Zu denken, dass die Masuren einen "besseren" Lebensstil und leckerere Küche pflegten als Menschen in Zentralafrika in den 1930ern, das finde ich fragwürdig!



    Ich finde schon, dass sie sich am Ende des Buchs dahingehend entwickelt. Ich bin jetzt nicht so der große Romantiker, vielleicht fand ich deshalb so.


    Entschuldige, aber müsstest Du als emanzipierte Frau jetzt nicht Romantikerin schreiben? :zwinker:


    Zitat

    Ihr Geheule (z.B. S. 503) und er muss sie immer trösten, auf der Seite danach heißt es, dass sie Anlehnungsbedürfnis hat, Angst vor Streit und schon ziemlich harmoiniebedürftig ist und sich gar nciht traut, ihre eigene Theorie zu formulieren. Dafür, dass sie zu Beginn des Buchs so forsch ist, ordnet sie sich am Ende ziemlich stark unter und folgt Gereon. Auf S. 531 ärgert sie sich dann über sich selbst, weil sie "Haus und Hund hütet" und wollte eigentlich mit ihm ins Grüne fahren und bedauert schon einsame Wochenenden im Ehealltag. Das sind für mich Gedanken, die in eine andere Richtung gehen als die der emanzipierten Frau, die zu Beginn des Buchs präsentiert wurde.


    Aber zum sogenannten "Geheule" gibt es auch noch zwei Sätze, die die Chose vielleicht ein bißchen ins rechte Licht rücken: So kannte er sie gar nicht, das war schon das zweite Mal innerhalb weniger Wochen, dass sie in seiner Gegenwart weinte. Normalerweise verkniff sie sich so etwas unter allen Umständen. Da würde ich jetzt nicht behaupten, dass er sie "immer" trösten muss. Dass sie nach den letzten Wochen und ihren Erlebnissen mit Gereon und auch auf der Arbeit wünscht, dass sie sich nicht streiten, kann ich nur allzu gut verstehen. Und ihre Theorie ist eben auch gewagt und kann schnell falsch verstanden werden... Mehr dazu nicht, sonst verrate ich denen, die das Buch noch lesen möchten, womöglich zu viel. Und ja, Charly hat Haus und Kirie gehütet, aber doch nur zwangsweise, weil Gereon sich spontan aus dem Staub gemacht hat. Und darüber ärgert sie sich zur Genüge. Ich weiß also immer noch nicht, was Du mit Deiner unschönen Bezeichnung vom "Heimchen am Herd" meinen könntest!



    Emanzipation geht für mich einher mit einer gewissen Freiheit und Wunsch nach Selbstverwirklichung. Charly vertrat das zu Beginn des Buchs, als sie diesen wirklich furchtbaren Heiratsantrag eben nicht freudenstrahlend angenommen hat, sondern sich erst einmal Zeit herausgenommen hat, das zu überdenken.


    Weil sie - wie auch erwähnt wird - schon länger auf diesen Antrag gewartet hat und er nun ziemlich spät kommt - in einer Situation, in der sie Pläne hat und überdenken möchte, ob sie mit einer Zusage vereinbar sind.


    Zitat

    Am Ende hütet sie Haus und Hund, wartet nur noch darauf, dass der Mann heimkommt, plant schon das klassische Eheleben, nimmt sofort seine Theorien an ohne ihre eigenen laut zu äußern und merkt das sogar selbst.


    Nein, sie arbeitet nach wie vor in der Burg! Aber sie hütet einmal Kirie und hält sich dabei in der Cramerstraße auf. Sie wartet auf Gereon, weil sie nichts von ihm hört und nicht weiß, was er macht und wie es ihm geht. Sie traut sich nicht, ihre eigene gewagte Theorie anzusprechen, weil sie sich unsicher ist. Wo ich da einen Rückschritt erkennen soll, ist mir immer noch unbegreiflich. Und die Stelle, als sie das klassische Eheleben plant, finde ich auch nicht.
    Würde sie den Hund alleine in der Wohnung zurücklassen - ohne Fressen und Wasser und Ausgehmöglichkeit... ich frage mich gerade, ob das erstrebenswert emanzipatorisch ist.


    Zitat

    Ich erachte in der Tat das Dasein als Hausfrau und Mutter, bei dem man sich in jeder Form der völligen Abhängigkeit von einem Partner hingibt, nicht als besonders erstrebenswert, schon gar nicht mehr heute.


    Aber das tut Charly doch gar nicht! Und selbst wenn, dann wäre es 1932 kein Grund gewesen, sie für ein Heimchen zu halten.

    Liebe Grüße

    Tabea


  • Die Spur führt in die Vergangenheit und in die Masuren.



    Er beleidigt die SA burschen in den Masuren [...]


    Ich persönlich empfand sein Auftreten in den Masuren [...]


    Sorry, das ist jetzt vielleicht ein wenig korinthenkackermäßig, aber da es mir schon ein paar Male aufgefallen ist: woher kommt eigentlich immer dieser Artikel vor Masuren? Schreibt man das bei dieser Region so?

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Wahrscheinlich, weil's so nach Plural klingt: Die Blessuren, die Suren, die Kenta-uren, die H...


    Aber ich habe extra nachgeschaut, weil auch ich immer Mehrzahl verwendet habe: Auch Siegfried Lenz spricht immer von "Masuren" bzw. "mein Masuren" - Neutrum Singular ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Vielen Dank, sandhofer - aber das meinte ich nicht exakt. Meine Frage war, ob man den Artikel wirklich voranstellt? Heißt es Ich fahre in die Masuren oder Ich fahre nach Masuren? Heißt es Die Menschen in den Masuren sind wortkarg. oder Die Menschen Masurens sind wortkarg.?
    Wobei man in solch einem Fall bei einem Neutrum immer den Artikel weglässt, richtig? Korrekt wäre: Er fährt nach Holland. oder Er fährt in die Niederlande. Mist, mein Gehirn hat gerade einen dicken, fetten Knoten produziert.

    Liebe Grüße

    Tabea


  • Vielen Dank, sandhofer - aber das meinte ich nicht exakt. Meine Frage war, ob man den Artikel wirklich voranstellt? Heißt es Ich fahre in die Masuren oder Ich fahre nach Masuren? Heißt es Die Menschen in den Masuren sind wortkarg. oder Die Menschen Masurens sind wortkarg.?
    Wobei man in solch einem Fall bei einem Neutrum immer den Artikel weglässt, richtig? Korrekt wäre: Er fährt nach Holland. oder Er fährt in die Niederlande. Mist, mein Gehirn hat gerade einen dicken, fetten Knoten produziert.


    Neutrum Singular = also Einzahl. Also fährst du korrekterweise nach Masuren, wie du nach Holland fährst. Und es sind die Menschen Masurens (oder in Masuren). Immer: kein Artikel. Ich gebe zu, dass ich ihn fälschlicherweise auch ständig benutzt habe, weil ich dachte, Masuren wäre Mehrzahl. Ist es aber offenbar nicht. Danke also für den Hinweis.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Wobei die Menschen Masurens - zumindest die Originalbevölkerung - dann tatsächlich die Masuren sind. Ein Masure, zwei Masuren, viele Masuren. Ein Deutscher, zwei Deutsche, viele Deutsche. Aber in diese Masuren fährt man wohl normalerweise nicht ... :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Inhalt:
    Berlin 1932: Kommissar Gereon Rath wird zu einem mysteriösen Todesfall in dem Vergnügungspalast Haus Vaterland gerufen, die Leiche eines Spirituosen-Lieferanten wurde im Aufzug gefunden, augenscheinlich ertränkt. Die ersten Ermittlungen deuten in Richtung Schnapspanscherei und führen Rath nach Masuren.


    Meine Meinung:
    "Die Akte Vaterland" ist der vierte Fall für den Berliner Kommissar Gereon Rath, Band 1 und 2 hatte ich bis dahin bereits gelesen. Sicherlich kann man dieses Buch auch ohne Kenntnisse der Vorgängerbände lesen, aber ich finde es dennoch von Vorteil, wenn man sie kennt, da zum einen öfters auf frühere Fälle angespielt und zum anderen z.B. die Entwicklung der Beziehung zwischen Gereon und Charly Ritter verständlicher wird.


    Das Buch beginnt mit einem Prolog, der im Jahr 1920 spielt und eine Tat beschreibt, die man als Leser zunächst nicht in die Handlung im Berlin 1932 einordnen kann. Im Laufe des Buches ahnt man jedoch, wie das alles zu dem Berliner Todesfall passt. Auch wenn ich recht früh geahnt habe, wer der Täter ist, tat das meinem Lesevergnügen keinen Abbruch, zumal Rath zu dem Zeitpunkt noch ziemlich im Dunkeln tappt. Außerdem gab es dennoch die eine oder andere überraschende Wendung in dem Buch. Ein paar kleinere Handlungsstränge hätten meinem Geschmack nach noch aufgelöst werden können, aber evtl. kommt der Autor darauf auch im nächsten Band noch zurück.


    Die Charaktere sind genauso vielschichtig beschrieben, wie schon in den Vorgängerbänden. Gereon Rath ist nicht der einfachste Charakter: er ist zwar ein sehr guter Kriminaler, aber leider hapert es bei ihm an der Teamfähigkeit, mit seinen Alleingängen kam er schon öfters mit Kollegen und Vorgesetzten in Konflikt. Von seinen dubiosen Beziehungen zur Berliner Unterwelt sollten diese besser auch nichts erfahren. Auch in seiner Beziehung zu Charlotte Ritter steht er sich immer wieder mit seiner Eifersucht und seiner Sprachlosigkeit selbst im Weg. Ich finde aber gerade diesen Gegensatz spannend - und in diesem Band lassen sich auch durchaus Entwicklungen in eine positivere Richtung bei ihm erkennen :breitgrins:


    Was mir sehr gut an den Romanen von Volker Kutscher gefällt, ist seine historische Detailtreue: nicht nur Schauplätze und bekannte Persönlichkeiten sind genauestens recherchiert, teilweise erscheinen sogar Nebenpersonen, die es tatsächlich so gegeben hat. Spannend finde ich auch, die politische Situation und ihre Veränderungen aus Sicht der Hauptcharaktere zu erleben; im Gegensatz zu den Romanfiguren weiß man als Leser um die dunklen Jahre, die Deutschland damals noch bevorstanden.


    Mir hat dieser 4. Band wieder sehr gut gefallen und ich freue mich schon auf den nächsten Fall von Gereon Rath, der dann sicherlich im Jahre 1933 spielen wird. Ich bin gespannt, wie die Figuren diese Zeit erleben werden und welche persönliche Entwicklung sie weiterhin durchlaufen.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Liebe Grüße

    Karin

  • Berlin, Frühsommer 1932. Im Haus Vaterland, einem Amüsiertempel am Potsdamer Platz, findet sich eine Leiche: der Spirituosenunternehmer Lamkau liegt tot im Lastenaufzug, ertrunken - obwohl weit und breit keine Pfütze oder gar größeres Gewässer zu finden ist.
    Gereon Rath kommt dieser seltsame Fall im Grunde gerade recht, denn er tritt bei seiner Suche nach einem Serienmörder, der Berlin schon länger in Atem hält, weiter auf der Stelle, und dazu kehrt Charly Ritter, seine große Liebe, aus Frankreich zurück und der Kommissar ist deshalb doch etwas nervös.
    Während Charly die Antwort auf eine wichtige Frage überdenkt und gleichzeitig ihre neue Arbeitsstelle als Kommissaranwärterin am Alex antritt, findet Gereon heraus, dass der Mord an Lamkau mit zwei anderen Morden in Preußen zusammenhängt und weit nach Osten führt: nach Treuburg in Masuren.
    So dauert es auch nicht lange, bis Gereon nach Ostpreußen fährt um dort zu ermitteln und Charly, kurzfristig der Ermittlergruppe "Vaterland" innerhalb der Mordkommission zugeteilt, sich "undercover" als Küchengehilfin im Haus Vaterland wiederfindet. Während sie mit Zwiebelbergen kämpft, schlägt sich Gereon bei den wortkargen Bewohnern Masurens, einem befremdlichen Patriarchen der Kleinstadt Treuburg und jede Menge illegalem Gepansche so durch - aber er merkt schon bald, dass die meisten Menschen es ihm nicht leicht machen, denn er rührt an einem für einige sehr unangenehmen Thema, dass einige Jahre zurückliegt und das nahezu alle auch mit dem Mantel das Schweigens bedeckt lassen wollen. Doch Gereon wäre nicht Gereon, wenn er dann nicht erst recht zu bohren beginnt. Mit fatalen Folgen - nicht nur für ihn...


    Der vierte Fall um Gereon Rath ist - wie gewohnt - in die historischen Ereignisse der damaligen Zeit eingebettet und so merkt selbst der unpolitische Rheinpreuße Gereon die Veränderungen in der Hauptstadt schon bald. Die Toten auf Berlins Straßen nehmen zu, die Straßenschlachten zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten werden immer gewalttätiger. Und spätestens mit dem Altonaer Blutsonntag und dem darauf folgenden "Preußenschlag" durch Franz von Papen werden die Weichen gestellt: die Staatsgewalt des föderalistischen Staates geht an einen Reichskommissar über und erleichtert somit auch Adolf Hitler die Machtergreifung. Dazu gehört die Entmachtung der Spitze des Berliner Polizeiappartes: der sozialdemokratische Polizeipräsident Grzesinski und sein Vize Weiß, ein Jude, werden verhaftet und erst wieder entlassen als sie zustimmen, sämtliche Amtshandlungen zukünftig zu unterlassen. Diese Entwicklungen haben auch auf Gereon Raths Arbeit in Ostpreußen direkten Einfluss. Nicht nur deshalb entwickeln sich die Gedanken Gereons zu den Nationalsozialisten immer weiter... Hier bleibt es weiterhin sehr spannend, denn ob der Zeichen der Zeit wird sich der Kommissar immer klarer werden müssen, wie er zu den künftigen Machthabern steht!


    Dem Autor Volker Kutscher ist wieder einmal ein sehr gut recherchierter Kriminalroman zu einer für mich sehr interessanten Zeit gelungen. Vor allem die Entwicklung der Figur Gereon Rath und seiner großen Liebe Charly Ritter, ist für mich weiterhin sehr packend und das zusätzlich zu einem eh schon spannenden Kriminalfall. Der unpolitische Gereon steht für mich für einen Teil der Bevölkerung, die sich nicht wirklich Gedanken um die politischen Wirren der Weimarer Republik gemacht haben und die sich dann mit den Nationalsozialisten arrangiert haben, so sie es denn konnten. Auch in diesem Fall zeigt sich die Abneigung Gereons gegen die Nazis - von daher steht mit seiner Entwicklung nach der Machtergreifung Hitlers die allergrößte Spannung noch bevor!


    Dieses Mal macht Gereon seinen ersten großen "Ausflug" über die Berliner Stadtgrenzen hinaus und ermittelt in Ostpreußen, genauer in Masuren. Hier hat mir besonders gefallen, dass man viel über die politischen Entwicklungen in diesem Landstrich erfährt: eine Region, die schon sehr früh Adolf Hitler als ihren Retter feierte, da die Masuren sich von der Regierung der Weimarer Republik im Stich gelassen gefühlt haben. Es ist ein Hohn der Geschichte, dass dieser "Retter" letzten Endes der Untergang für Ostpreußen bedeutet hat. Dass aus Treuburg, die Kleinstadt, die sich nach der Zugehörigkeitsabstimmung im Jahre 1920 in Treuburg umbenannte, weil nur zwei von über 28.000 Stimmen für Polen votierten, der Rest für den Verbleib bei Ostpreußen und somit beim Deutschen Reich, 1945 zum polnischen Olecko wurde. So kann man durch das Buch Volker Kutschers eine Menge über die Menschen Masurens und die verschiedenen Probleme - wie Antikatholizismus, den Hass auf die weit entfernte Regierung Preußens, der immer stärker offen auftretende Antisemitismus, die krasse Ablehnung alles Polnischen - der der damaligen Zeit erfahren.


    Aber auch der Fall selbst ist - wie gesagt - sehr spannend. Die Zusammenhänge der Morde in Berlin und Dortmund und die Verstrickungen der Schwarzbrenner Jahre zuvor lassen zwar manches Mal ein paar Vorahnungen auf die Lösung des Falls zu, aber alle Fäden führen letztlich erst am Ende zusammen. Und auch Charly bringt mal wieder einen anderen Blickwinkel in die Geschichte: sie kämpft mit den Vorurteilen so manches Kollegen in der Burg und muss sich als Frau, mit einer zur damaligen Zeit sehr ungewöhnlichen Berufswahl, immer wieder die ein oder andere dümmliche Bemerkung oder frauenfeindliche Entscheidung schlucken. Vermutlich wird dies nicht mehr lange nötig sein - leider.


    Zu guter Letzt kann ich nur sagen, dass mir der flüssige Stil des Autors, die für mich perfekt eingefangene Atmosphäre der untergehenden Weimarer Republik, die sehr gut eingebauten und zahlreichen historischen Fakten, sowie der ganz und gar nicht eindimensionale Charakter von Gereon Rath, mal wieder ausgesprochen gut gefallen! Ich weiß noch, dass für mich schon "Der nasse Fisch" eine glasklare Leseempfehlung war - "Die Akte Vaterland" hat für mich als viertes Buch Volker Kutschers noch einmal eine kleine Steigerung hingelegt! Ich bin echt gespannt, wie der Autor das beim nächsten Mal toppen will; aber ich bin mir fast sicher, dass er es erneut schafft!


    5ratten und definitiv ein :tipp:

    Liebe Grüße

    Tabea

    Einmal editiert, zuletzt von dubh ()

  • Inhalt
    Berlin 1932: Im Vergnügunspalast „Haus Vaterland“ wird die Leiche eines Spirituosenlieferanten gefunden. Kommissar Gereon Rath wird die Ermittlung im Fall übertragen und aufgrund der Todesart ergibt sich eine Verbindung zu anderen Mordfällen, die Rath aus Berlin heraus- und weit nach Ostpreußen hineinführen, genauer in den Ort Treuburg in Masuren. Während der Kommissar sich dort als Großstädter mit dem Misstrauen der Landbevölkerung und eigenen Befremdlichkeiten herumschlagen muss, versucht seine Freundin Charly direkt im Haus Vaterland den Hinweisen auf Schnapspanscherei und Erpressung nachzugehen. Und Rath kommt trotz der dörflichen Mauer des Schweigens immer mehr Hinweisen auf die Spur, die ihn auch diesmal wieder zu gefährlichen Alleingängen treiben.


    Meine Meinung
    Ich habe bisher alle Krimis dieser Reihe gelesen und auch, wenn man die einzelnen Fälle für sich alleine lesen kann, so empfehle ich doch, die Vorgänger "Der nasse Fisch, "Der stumme Tod" und "Goldstein" ebenfalls zu lesen, um die Entwicklung der Figuren, einige Anspielungen auf vorherige Fälle und die fortschreitenden politischen Veränderungen mitzuerleben. Für den Krimi selbst ist die Hintergrundgeschichte vielleicht nicht so wichtig, aber sie erklärt schon das ein oder andere Verhalten Gereons oder Charlys während ihrer Ermittlungen. Was die politischen Veränderungen betrifft, ist es gerade deshalb so spannend, die Bücher in der Reihenfolge zu lesen, da man dann besonders gut spürt, wie sich von Jahr zu Jahr die Stimmung verändert und sich zuspitzt und sich dies auch mehr und mehr auf die Polizeiarbeit und das Privatleben auswirkt, nicht nur durch die verstärkten Straßenschlachten zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten.


    Denn das ist eine große Stärke der Krimireihe. Detailliert recherchiert, versteht es der Autor, die Stimmung der damaligen Zeit eindringlich dem Leser rüberzubringen. Es gruselt einen regelrecht, wenn man beobachtet, wie sehr das Erstarken der Nazis noch auf die leichte Schulter genommen wird, wie ein unangenehmes Übel, das man "ja einfach nicht zu wählen braucht", während man aber wie Gereon schon länger aus politischem Desinteresse nicht mehr zur Wahl geht. Beim Lesen verstärkt sich da sehr das Unbehagen, da man ja die kommenden Geschehnisse kennt. Andererseits macht gerade dieses gedankenlose Verhalten vieler neben den mehr und mehr aufkommenden Nazisprüchen anderer, die Figuren besonders authentisch, denn wir im Nachhinein können leicht schlauer sein. Diese so gut eingefangene Atmosphäre lässt mich besonders bangen, was die Zukunft wohl für jeden Einzelnen erwarten lässt. Denn gerade in den noch folgenden Jahren wird sich auch Gereon mit den drohenden politischen Ereignissen wohl ernsthafter auseinandersetzen müssen, als nur seinen Widerwillen zu zeigen.


    Der Fall selbst ist wieder sehr spannend zu lesen. Inhaltlich will ich gar nicht ins Detail gehen, um nicht zu viel zu verraten. Auf jeden Fall gibt für uns Leser viele Puzzleteile zusammenzuführen, bis man die Zusammenhänge der aktuellen Morde in die Vergangenheit zurückverfolgt hat. Denn Rath gräbt seinem Instinkt folgend in Masuren, dem verbissenen Schweigen der Einwohner zum Trotz, weit in den Tiefen der dort lieber für immer vergrabenen früheren Geschehnisse, auch wenn er sich selbst damit in Gefahr begibt. Und auch wenn ich schnell einen berechtigten Verdacht hatte, konnte ich sehr gut bis zum Ende über die Zusammenhänge und Hintergründe miträtseln. Mir gefiel hier sehr gut, dass Gereon mal aus Berlin herausgezogen wurde und in Masuren mit ihm als Großstädter zwei Mentalitäten aufeinanderprallten und man als Leser ganz nebenbei zudem noch ein paar politische Hintergründe über die Region in Ostpreußen mitgeliefert bekam. Trotzdem konnte man durch Charlys verdeckten Einsatz im "Haus Vaterland" in Berlin auch dort die weiteren Ermittlungen und Entwicklungen zum Fall mitverfolgen. Hier bekam man auch sehr gut die oft frauenfeindlichen Begegnungen im Zusammenhang mit Charlys Berufswahl mit.


    Das Verhältnis zwischen Gereon und Charly war und ist nicht einfach, auch wenn Charly bisher schon Einfluss auf Gereons Charakter ausüben konnte. Gereon ist einfach ein schwieriger Mensch mit Ecken und Kanten und gerade sein Mangel an Teamgeist, seine zwischenmenschlichen Schwierigkeiten und seine oft fehlende Sensibilität, die doch für eine Partnerschaft so wichtig sind, verursachen bei mir während des Lesens öfter das Gefühl, ihn mal kräftig schütteln zu wollen. Er steht sich einfach selbst sehr oft im Weg, trotzdem erkennt man seinen guten Kern und seinen Sinn für Gerechtigkeit, der ihn immer wieder in seinen Fällen erfolgreich vorantreibt. Ich bin sehr gespannt, wie er sich in Zukunft als bisher politisch Desinteressierter, aber mit einer großen Abneigung gegen das Gebaren der Nazigruppierungen, die er auch gerne mal öffentlich äußert, weiter verhalten wird. Denn sein Beruf als Polizist ist ihm wichtig, sein Gerechtigkeitssinn aber wohl dabei nicht in eine Schublade zu packen.


    5ratten

  • Und zur Abwechslung jetzt mal wieder eine neue Meinung zum Buch :breitgrins: (Auf die Verfilmung freu ich mich aber trotzdem *gg*)


    Meine Meinung:
    Ich liebe die Gereon Rath Bücher, vor allem weil es Volker Kutscher immer wieder perfekt gelingt mich in diese schwierige Zeit der späten Weimarer Republik zu führen. Schon jetzt bin ich sehr gespannt was Rath nach 1933 tun wird. Gerade dieses ganze Klima das hier im Hintergrund immer wieder aufflammt, das ist auch die Stärke von "Die Akte Vaterland"- ein schönes Wortspiel das einerseits direkt mit dem Fall zu tun hat, andererseits aber auf einige weitere Verwicklungen anspielt. Gewohnt sperrig kommen natürlich die beiden Figuren Gereon und Charly daher. Charly, mit der ich zugegebener Maßen nie so richtig warm werde, im Gegensatz zu Gereon den ich nach wie vor vor allem deshalb mag weil er unbequem ist und doch auch mit sich hadert. Für mich eine absolut realistische Figur seiner Zeit. Außerdem gefällt es mir auch das Kutscher verschiedene Menschen zeigt, die alle in dieser Zeit leben könnten und die auch für den Leser vielleicht nicht immer angenehm sind. Raths Privatleben hat mich aber dieses Mal irgendwie gestört, sicher auch weil ich eben Charly nicht so mag, aber auch irgendwie... ich fand es hat ein paar Mal einfach die Handlung gehemmt. Am liebsten habe ich es einfach wenn Gereon alleine ermittelt und von nichts und niemandem dabei gehindert wird. ;) Charly's Erzähltstrang fand ich zum Teil etwas überflüssig, auch wenn ich es gut fand das man ihre Probleme am Arbeitsplatz miterleben konnte. Gerade bei der Polizei immer noch ein Thema das nicht vom Tisch ist.


    Der Fall selbst war dann auch einfach spannend erzählt und vor allem auch sehr clever konstruiert. Gerade die Verbindung ins das damalige Ostpreußen war sehr interessant, da gerade dort auch die politische Stimmung im kleinen schon deutlich spürbar war - und gleichzeitig auch durch Rath die Überzeugung das auch dieses Buschfeuer bald wieder erlöschen würde. Das man sich da geirrt hat, konnte man 1932 noch nicht absehen. Das Thema der damaligen deutschen Ostgebiete ist ja auch ein sehr Schwieriges, Kutscher ist es aber hier gelungen es im richtigen Tonfall mit einzubeziehen. Überhaupt, die ganze Wahrheit hinter den Morden, da wurde mir schon ganz anders. Als Leser weiß man auf einmal nicht mehr so genau auf welcher Seite man sich stellen soll. Ich mag es wenn man auch selbst dazu angehalten wird über die Lektüre nach zu denken ohne das man moralisch in die Eckte gedrängt wird.


    Ich könnte jetzt sicher noch Stunden.... Seiten weise Lobhymnen schwingen ;) Bei Volker Kutscher weiß ich jedenfalls immer das ich nicht enttäuscht werde.
    5ratten von meiner Seite sind daher sicher keine soo große Überraschung. ;)

  • Juli 1932: Kommissar Gereon Rath ist überglücklich, dass seine Freundin Charly endlich wieder in der Stadt ist, auch wenn sie sich auf der Arbeit ignorieren müssen. Allerdings verbringt er sowieso die Hälfte des Buchs in Masuren, hier scheint nämlich die Ursache für mehrere Morde begründet zu sein. Die dort herrschende NS-Vorherrschaft irritiert ihn allerdings, in Berlin wird die SA (zumindest in seinem Umfeld) eher als Schlägertruppe denn als gute Mitglieder der Gesellschaft betrachtet.


    Mit „Akte Vaterland“ ergeht es mir ähnlich wie mit den Vorgängerbänden, ich schwanke jedes Mal zwischen begeistert und genervt, doch wenn der Abstand zwischen den Bänden groß genug ist, vergesse ich immer wieder, was mir an der Reihe so missfällt: Die Hauptfigur. Gereon Rath ist arrogant, voreingenommen, lässt nur seine Meinung gelten und ich würde ihn in jedem Buch mehrere Male gerne so richtig zusammenstauchen. Nur seine schützende Haltung gegenüber denen, die er als schwach oder gefährdet empfindet, verschafft ihm immer wieder doch noch ein paar Sympathiepunkte. Die anderen Figuren verblassen ein wenig neben ihm, nur Charly ist eine echte (und zudem sympathische) Persönlichkeit.


    Andererseits finde ich die Darstellung der historischen bzw. gesellschaftlichen Gegebenheiten jedes Mal erneut äußerst gelungen. Diesmal konzentriert sich der Autor ziemlich auf die Stimmung in Masuren/ Ostpreußen und seine schwierige Existenz zwischen Deutschland und Polen. Hier ist die politische Grundhaltung eine ganz andere als im aufgeklärten, modernen Berlin und Kutscher gelingt es gut, die dortige Begeisterung für die Nationalsozialisten nachvollziehbar zu machen.


    Mit jedem Band rückt die Machtübernahme der Nationalsozialisten näher und als Leser sieht man die Gefahren, in die sich die Figuren mit ihrer eher kritischen Haltung manövrieren würden, wenn sie sie beibehalten. Diese Entwicklung zu beobachten, macht einen besonderen Reiz der Reihe aus, dem ich mich nicht entziehen kann. Das nächste Buch spielt 1933 und ich schaue ihm gespannt entgegen.


    4ratten

  • Gereon Rath, der gerade eigentlich in einer ganz anderen Ermittlungssache steckt, wird zum Vergnügungspalast "Haus Vaterland" am Potsdamer Platz gerufen. In einem Lastenaufzug liegt ein Toter, und es sieht aus, als sei der Mann ertrunken - doch nass sind nur Kopf und Schultern.


    Der Direktion des Touristenmagneten scheint hauptsächlich daran gelegen zu sein, den unappetitlichen Fund aus den Schlagzeilen herauszuhalten, und man hofft auf schnelle Aufklärung, doch es dauert nicht lange, bis es den nächsten Toten gibt und Rath den bösen Verdacht hat, es könne einen Zusammenhang geben und der Täter womöglich weitere Morde planen.


    Während sich Charly, die aus dem Ausland zurückgekehrt ist und nun als Kommissaranwärterin wieder in der "Burg" arbeitet, inkognito ins "Vaterland" einschleicht, um unauffällig hinter die Kulissen zu gucken, führt die Fährte des Mörders Rath nach Ostpreußen, ins kürzlich so benannte Treuburg, das schon stark vom deutschnationalen Geist durchdrungen ist, und auf die Spur eines Jahre zurückliegenden und nie aufgeklärten Todesfalles. Keine einfache Mission für den Kommissar, der immer noch zu oft sein Herz auf der Zunge trägt.


    Bisher hat es die Reihe immer wieder geschafft, sich von Band zu Band zu steigern. So ging es mir auch mit diesem 4. Band, der für mich bisher das Highlight der Serie war, nicht zuletzt dank der Ausweitung der Schauplätze nach Masuren, wo es mich literarisch zuvor kaum einmal hin verschlagen hatte. Ich mag es einfach, wie Kutscher ganz souverän den historischen Background einfließen lässt und die Szenerie mit zahlreichen winzigen Details ausmalt, ohne dass es gezwungen oder erklärbärhaft wirkt.


    Der Mordfall ist wie immer spannend und kompliziert, die politische Entwicklung des Landes spielt erneut eine wichtige Rolle (und bereitet beim Lesen einige Bauchschmerzen, weil man weiß, was nach dem Sommer 1932 kommt), die Charaktere sind nach wie vor schön ausgearbeitet und in all ihrer Unvollkommenheit sympathisch und glaubwürdig, auch wenn die Beziehung zwischen Gereon und Charly mal ein bisschen mehr Ruhe vertragen könnte. Aber da treffen eben zwei Charakterköpfe aufeinander.


    Neben den mitreißenden Ermittlungen mit zahlreichen Twists mochte ich auch diesmal wieder den Einblick ins Räderwerk der "Burg" ungemein: Raths Dauerzwist mit Böhm, "Buddha" Gennat, der immer wieder für eine Überraschung gut ist und vor allem Charlys oft unschöne Erfahrungen als eine der ersten Frauen bei der Mordkommission (einigen reizenden "Kollegen" hätte ich gerne mal gezeigt, wo der Hammer hängt ...)


    Kurz, es bestätigt sich erneut mein Eindruck, dass die Rath-Reihe zur Zeit mit das Beste auf dem deutschen Markt ist, intelligente und gut recherchierte zeitgeschichtliche Krimiunterhaltung mit tollen Figuren, auf deren nächsten Fall ich mich jetzt schon freue.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

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    Leonard Cohen