Yaşar Kemal - Das Lied der tausend Stiere

  • Yaşar Kemal: Das Lied der tausend Stiere


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Inhalt: (Buchrückseite)


    Seit Jahrhunderten ziehen die türkischen Nomaden vom Stamm der Karaçullu aus den Bergen hinunter in die Ebene, um sich ein Winterquartier zu suchen. Aber wo sie einst mit Hunderten von Zelten in glänzendem Reichtum die Ebene überschwemmten, erstrecken sich jetzt Reisfelder und Baumwollplantagen bis an den Horizont. Wo einst ihre Herden weideten, bebauen jetzt seßhafte Bauern den Boden, dröhnen Lastwagen auf asphaltierten Straßen. Mit Steinhagel und Flintensalven werden sie empfangen. Großgrundbesitzer und korrupte Dorfpolizisten pressen ihnen täglich neue Tribute ab. Noch für die steinigsten Rastplätze müssen sie bezahlen, bis sie schließlich nichts mehr zu verkaufen haben als ihre kostbaren Teppiche, den jahrhundertealten Schmuck ihrer Frauen und schließlich ihren letzten Besitz - ihr Vieh.


    "Yaşar Kemals Epos ist ein Gesang, kraftvoll und elegisch zugleich, märchenhaft auch und durchsetzt mit Anklängen an so viele alte Sagen, die an den Lagerfeuern gesungen wurden - als es diese Feuer noch gab." (Tages-Anzeiger, Zürich)


    Meine Meinung:


    Als ich begann, dieses Buch zu lesen, hielt ich es zunächst für nahezu unlesbar. Auf den ersten Seiten häufen sich Halbsätze, die in drei Punkten enden, und viel blumiges Gerede. Ich konnte nicht unterscheiden, was Realität und was Vision ist und worauf der Text überhaupt hinausläuft. Ich brauchte ca. die ersten drei Kapitel, also rund 60-70 Seiten, um mich einigermaßen in das Buch einzulesen und zu verstehen, worum es geht. Doch dann entfaltete das Buch seine Stärke.


    Die Nomaden vom Karaçullu-Stamm haben ein Problem: ihre angestammten Winter-Quartierplätze wurden während ihrer Abwesenheit von seßhaften Bauern okkupiert und die Böden werden nun bearbeitet. Es gibt keinen Platz mehr für sie und ihre Herden. In den Bergen können sie während des Winters nicht bleiben.


    Ihre Versuche, ein Winterquartier zu ergattern, reichen von mystischen Beschwörungen über Kauf- bzw. Mietversuchen bis hin zu dem Versuch, ein Mädchen des Stammes an einen Großgrundbesitzer zu verheiraten und damit ein Duldungsrecht auf dessen Land zu erwerben. Doch es scheint weder Gesetze, noch eine funktionierende staatliche Gewalt zu geben. Zudem scheinen die Strukturen, nach denen das Leben der seßhaften Ebenenbewohner verläuft, den Nomaden unbekannt zu sein. Wann immer sie glauben, ein Stück Land vom Besitzer für viel Geld gepachtet zu haben, kommt am nächsten Morgen jemand anders daher, behauptet es sei sein Land und vertreibt sie wieder oder fordert erneut Geld. Es scheint die reine Gesetzlosigkeit zu herrschen. Die Gendarmerie hilft nicht, sondern ist korrupt. Auch der Versuch, einen angesehehen Aga aus der Stadt zu bitten, sich der Probleme des Stammes anzunehmen, schlägt fehl, da dieser in der modernen Welt keine Autorität mehr hat.


    Hier prallen Welten aufeinander: die alte der Nomaden und die neue, moderne Welt, in der es Traktoren, Lastwagen und große Städte gibt. Für uns als Mitteleuropäer erscheint es unglaublich, daß es niemanden gibt, der sich der Probleme der Nomaden annimmt, die mit ein bißchen gutem Willen und Kooperationsbereitschaft ja leicht zu lösen wären. Nein, jeder denkt nur rücksichtslos an sich selbst und seinen Vorteil und die Stammesmitglieder sind völlig hilflos. Mit der Zeit wird klar, daß es für sie nur die Möglichkeit gibt, vom Antlitz der Erde zu verschwinden. Der Stamm wird mehr und mehr dezimiert, weil einzelne Familien sich in Dörfern niederlassen und als letzten Ausweg ein seßhaftes Leben beginnen, und auch weil viele Stammesmitglieder sterben.


    Mit dem Fortschreiten der Handlung lernt man die einzelnen Stammesmitglieder genauer kennen und erfährt die Lebensgeschichte von etlichen von ihnen. Hier entfaltet das Buch seine Kraft und Eindringlichkeit, in der Beschreibung der Verzweiflung dieser Menschen und des Leides, das sie erleben. Ebenso gelungen sind die Beschreibungen der Landschaft in der Ebene Çukurova in der Türkei (ich mußte erst nachschlagen, wo das überhaupt ist) und in den Bergen. Diese Landschaften erstanden beim Lesen lebendig vor meinen Augen. Yaşar Kemal scheibt einen beeindruckenden, kraftvollen und bildreichen Stil, der in der Tat an Märchen oder Sagen erinnert.


    Was dennoch nach dem Lesen bei mir zurückbleibt, ist das Gefühl einer großen Verständnislosigkeit. Die Kultur der Nomaden ist mir so fremd, daß ich die Denk- und Handlungsweise dieser Menschen wohl nie werde nachvollziehen können. Des öfteren las ich staunend, wie die Gedanken eines der Nomaden während weniger Zeilen von einem Extrem ins andere schlugen: ein Gast, der zunächst mit ausgesprochender Höflichkeit und Ehrerbietung behandelt wurde, wurde im Kopf eines Nomaden nach ein paar Gedankensprüngen zum bösen Feind, den man hassen muß... Auch die Stimmung gegen das Mädchen, das den Großgrundbesitzer heiraten soll und nicht will, schlägt von einem Extrem (keiner spricht mehr mit ihr, weil sie stur ist, denn das könnte sie doch wirklich für den Stamm tun um ihn zu retten) ins andere um (soweit kommt es noch, daß der Stamm sein schönstes Mädchen an solch einen Laffen verschachert!). Solche Wendungen konnte ich nicht nachvollziehen und so blieb das Buch für mich ein bißchen schwierig zu lesen, ich spürte deutlich den kulturellen Unterschied, fand es aber andererseits auch interessant, daß das Buch solche Einblicke in eine fremde Kultur und Denkweise bietet.


    Daher fällt es mir auch schwer, eine Bewertung vorzunehmen und ich verzichte mal darauf, Leseratten zu verteilen.

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.