Kazuo Ishiguro - Was vom Tage übrigblieb/The Remains of the Day

Es gibt 53 Antworten in diesem Thema, welches 14.946 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kirsten.

  • Hier kommt unser Leserundenthread!


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    Stevens dient als Butler auf Darlington Hall. Er sorgt für einen tadellosen Haushalt und ist die Verschwiegenheit in Person: Niemals würde er auch nur ein Wort über die merkwürdigen Vorgänge im Herrenhaus verlieren. Er stellt sein Leben voll und ganz in den Dienst seines Herrn. Auch die vorsichtigen Annäherungsversuche von Miss Kenton, der Haushälterin, weist er brüsk zurück. Die Jahre vergehen, Stevens lebt ergeben in seiner Welt, bis ihn eines Tages die Vergangenheit einholt. »Was vom Tage übrigblieb« ist ein gesellschaftskritischer Roman, erzählt von jemandem, der sich eine solche Kritik nie erlauben würde, und eine wunderschöne, traurige Liebesgeschichte, erzählt von einem, der nie auch nur ahnte, dass er geliebt hat.


    Wie immer die Bitte, auf Postings à la "ich fange jetzt gleich an" zu verzichten und ggf. an Spoilermarkierungen zu denken, da wir ja nur diesen einen Thread fürs komplette Buch haben.


    Ich freu' mich auf den Austausch mit Euch und wünsche Euch/uns ganz viel Spaß.


    Teilnehmer:


    Kiba
    Kirsten
    Mrs. Dalloway
    Tammy1982
    Tina
    Valentine

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • Ich habe gestern nur den Prolog geschafft, aber davon war ich schon sehr angetan.


    Die ein wenig gedrechselte Ausdrucksweise, der sich Stevens beim Erzählen seiner Geschichte bedient, passt ungemein gut ins Bild, wie ich finde, sie entspricht Stevens' Charakter, der mir wie der geborene Butler vorkommt - sich stets seiner Rolle und seines Status bewusst, ständig eingedenk, dass alles, was er tut, entweder weitreichende Folgen für die Abläufe im Haus hat oder aber seinen Arbeitgeber in einem bestimmten Licht dastehen lässt oder beides. So wird selbst die Wahl der Klamotten für eine simple Autofahrt in den Urlaub zum Objekt längerer Überlegungen zu Stil und Knigge.


    Er fühlt sich wohl auch ein bisschen wie ein Relikt aus alter Zeit, hat er doch über Jahrzehnte den Wandel der Gesellschaft miterlebt, in der es inzwischen selbst für wohlhabende Familien nicht mehr selbstverständlich ist, viel Personal zu haben und ein großes Haus zu bewirtschaften, und er wirkt schutzlos und verlassen ohne dieses stützende Korsett aus Anstandsregeln und Konventionen und Rollenverteilung, wenn er den flapsigen Sprüchen seines neuen (amerikanischen) Chefs hilflos und ein bisschen abgestoßen gegenübersteht und sich nicht traut, sich auf ein bisschen lustiges Geplänkel einzulassen.


    Ich bin gespannt, was seine Reise mit sich bringt, und vor allem, was es mit Miss Kenton auf sich hat. Mit ihr scheint ihn ja etwas mehr als nur die Tatsache zu verbinden, dass sie vor Jahren Arbeitskollegen waren.


    [Frage an die Downton-Abbey-Gucker: sehe nur ich Carson vor mir oder geht es Euch genauso? :breitgrins: ]

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich habe soeben den Prolog beendet und fand ihn hervorragend geschrieben. Da ich das Buch auf deutsch lese muss man wohl auch dem Übersetzer ein Kompliment machen.
    Stevens schreibt genauso, wie ich es mir bei einem englischen Butler vorstelle. Diesbezüglich geht es mir so wie dir Valentine aber Ich sehe immer das Gesicht von Sir Anthony Hopkins vor mir, was mich aber nicht wirklich stört. Aber Carson würde natürlich auch sehr gut passen, wobei der sich wohl keine Gedanken darüber machen würde ob er eine humorvolle Antwort geben soll. Ich bin nur froh, dass es schon sehr lange her ist, dass ich den Film gesehen habe, so dass es kaum Erinnerungen gibt und ich das Gefühl habe, dass ich die Geschichte neu lese.
    Ich habe erst beim Beenden des Kapitels den Titel gesehen und festgestellt, dass dieser Teil im Jahre 1956 spielt. So wie sich allerdings Stevens ausdrückt, dachte ich zuerst, dass die Geschichte Anfang des Jahrhunderts stattfindet. Ich denke, dass Stevens für das Jahr 1956 doch sehr antiquiert ist. Da kann ich mir lebhaft vorstellen, wie sehr er von der Art des Amerikaners verwirrt ist. Allerdings kann ich mir auch sehr gut vorstellen, dass sich jener ein wenig über den stocksteifen Butler amüsiert.
    Dieser Prolog war schon sehr schön geschrieben und so freue ich mich darauf weiterzulesen.


    Viele Grüße Tina

  • Ich habe jetzt noch das Kapitel Erster Tag Abend - Salisbury gelesen.
    Steven beschreibt das Berufsbild eines Butler, bzw. was einen hervorragenden Butler ausmacht. Das fand ich sehr faszinierend. Zumal es anscheinend wirklich so ist, dass der Beruf eines Butlers wirklich nur in England existiert. Ich selbst habe noch nie in solchen hohen Kreisen verkehrt, dass es mir vergönnt gewesen wäre einen leibhaftigen Butler kennenzulernen. Ich denke mal das wird den meisten von uns so ergehen und ich kenne sie nur aus den Filmen, aber sie machten auch mich immer einen sehr arroganten Eindruck. Betrachtet man das ganze allerdings unter dem Aspekt der Würde, dann bekommt das ganz auf einmal eine ganz andere Bedeutung. Ich glaube mal gehört zu haben, dass Butler erstens sehr stolz auf ihren Beruf sind und sie auch von der Gesellschaft sehr geschätzt werden. Wenn das für uns nicht nachvollziehbar ist, so liegt das ganz gewiss daran, dass wir allgemein mit diesem Berufsbild, das Bild des Dienen verbinden, dem einer eher niederen Arbeit. Das ist aber anscheinend nicht so. Sie würde wohl heute den Titel Manager erhalten. :breitgrins:
    Ausserdem hat mir dieses Kapitel klar gemacht, dass Butler zu sein kein Job ist, sondern wirklich ein Beruf für welchen man berufen sein muss, sonst funktioniert es nicht. Die Geschichte mit dem Tiger hat mir sehr gut gefallen, auch wenn mir der Tiger ein wenig leid tat.


    Auch nach diesem Kapitel kann ich nur sagen: Ein schönes Buch. Ich mag Stevens, weil er mit Leib und Seele hinter dem steht, was er tut. Ich denke er sich selbst gegenüber sehr treu und authentisch, auch wenn er für uns sehr fremd erscheinen mag.

  • Ich lese eine Sonderausgabe von 2002 mit 286 Seiten. Ich hoffe, dass das nicht gekürzt ist. Mein Buch:

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    Somit ist klar, wie mein Stevens aussieht, obwohl ich den Film nicht gesehen habe.


    Heute habe ich den Prolog gelesen. Die Sprache ist gepflegt und recht trocken und schafft eine ganz eigene Atmosphäre. Ich bin gespannt, ob Stevens im Urlaub ein bisschen auftaut.

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Ich kann dich beruhigen. Mein Buch hat genauso viele Seiten. Es ist also nicht gekürzt. Ich bin auch gespannt, was er noch so erleben wird bei seinem Abenteuer, denn das ist es für ihn.

  • Mein erster Eindruck von Stevens war ein kleines bisschen negativ. Er wirkte auf mich umständlich, sentimental, ein wenig traurig und vor allem einsam. Die Pflichten eines Butlers lassen nicht viel Platz für echte Freundschaften und jetzt, wo es nur noch wenige Bedienstete in Darlington Hall gibt, hat er nur noch wenige Menschen mit denen er sich unterhalten kann oder will. Sein neuer Dienstherr scheint auch nicht das zu sein, was er von ihm erwartet. Die lockere (amerikanische) Art gefällt ihm nicht und er muss seinen Dienstherrn manchmal richtiggehend vor sich selbst rechtfertigen.


    Seine Reise scheint für ihn ein großes Abenteuer zu sein. Er muss Darlington Hall alleine lassen, was seit hundert Jahren nicht mehr vorgekommen ist. Die Leute, die er trifft, gefallen ihm auf den ersten Blick nicht. Aber auch er wirkt auf sein Umfeld wohl ein bisschen einschüchternd, wie die Begegnung mit seiner Landlady in Salisbury zeigt. Oder ist es nur der große Name? Darlington Hall scheint bekannt zu sein.


    Bis jetzt gefällt mir das Buch sehr gut und auch Stevens ist mir im Verlauf der Geschichte nicht unsympathisch. Er kann einfach nicht aus seiner Haut, aber das passt zu ihm.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.


  • Bis jetzt gefällt mir das Buch sehr gut und auch Stevens ist mir im Verlauf der Geschichte nicht unsympathisch. Er kann einfach nicht aus seiner Haut, aber das passt zu ihm.


    Das geht mir genauso. Seine Denkweise ist mir zwar von meinem Naturell her völlig fremd, aber seine Gedankenwelt ist so gut dargestellt, dass ich seine Gefühle und sein Verhalten trotzdem gut nachvollziehen kann.


    Ich bin jetzt am Anfang des 2. Kapitels angelangt und werde heute abend noch etwas mehr dazu schreiben, wenn ich das Buch zur Hand habe.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Valentine: das hast du recht. Ich habe manchmal fast ein bisschen das Gefühl, ihm in den Kopf schauen zu können. Dabei würde ich doch viel lieber wissen, was in seinem Herzen so passiert :zwinker:


    Stevens erinnert mich übrigens ein bisschen an Hudson aus "Das Haus am Eaton Place". Weiß jemand, wen ich meine?

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ich stecke gerade im zweiten Tag/Salisbury.


    So langsam werde ich neugierig auf Miss (!) Kenton.


    Seinen Vater irgendwann im Leben als Untergebenen zu haben, ist sicher nicht ganz leicht. Und das Verhältnis zwischen Stevens junior und senior scheint ja sowieso etwas gespannt zu sein, wieso auch immer. Merkwürdig, dass Junior Senior in der 3. Person anspricht.


    Ob Senior mit über 70 nicht in den Ruhestand gehen wollte oder konnte?

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Hallo Ihr Lieben,


    endlich kann ich mich hier auch melden! :redface: :winken:



    Ich habe soeben den Prolog beendet und fand ihn hervorragend geschrieben. Da ich das Buch auf deutsch lese muss man wohl auch dem Übersetzer ein Kompliment machen.
    Stevens schreibt genauso, wie ich es mir bei einem englischen Butler vorstelle. Diesbezüglich geht es mir so wie dir Valentine aber Ich sehe immer das Gesicht von Sir Anthony Hopkins vor mir, was mich aber nicht wirklich stört.


    Ich habe bis jetzt auch den Prolog beendet und bin auch sehr begeistert von dem Schreibstil. Da ich auch die deutsche Version lese, kann ich mich dem Kompliment für den Übersetzer nur anschließen. Die Ausdruckweise von Stevens passt für mich genau zu dem Bild von einem Butler. Er wirkt sehr antiquiriert, aber genauso stelle ich mir das vor. Schmunzeln musste ich gerade bei seinen Ausführungen dazu, dass er nicht weiß, wie er auf die lockere Art seines neuen Dienstherrn eingehen soll. Auch das stelle ich mir so richtig schwierig vor, wenn du dich nach so langer Zeit auf etwas doch völlig anderes einstellen musst. Etwas was auch noch komplett gegen deine Natur eigentlich ist. Interessant fand ich auch, dass der Austausch mit anderen Butlern erwähnt wird. Irgendwie ja nur klar, dass die sich auch austauschen möchten, aber so richtig habe ich mir dann darüber doch noch nie Gedanken gemacht.


    Also den Einstieg finde ich schon sehr gelungen und bin sehr gespannt, was die Reise jetzt bringen wird. Auf die Miss Kenton bin ich ja auch schon sehr gespannt. :breitgrins:


    Ich habe übrigens den Film mit Anthony Hopkins nicht gesehen, aber ich kann ihn mir so richtig gut als Butler vorstellen!


    Liebe Grüße
    Tammy :winken:

    &WCF_AMPERSAND"Jeder der sich die Fähigkeit erhält, Schönheit zu erkennen, wird nie alt werden.&WCF_AMPERSAND" (Franz Kafka)

  • Merkwürdig, dass Junior Senior in der 3. Person anspricht.


    Das fand ich auch sehr merkwürdig. Auch Stevens Unfähigkeit, die zunehmende Schwäche seines Vaters zu erkennen. Er scheint ein Meister des Verdrängens zu sein, was seine eigenen Gefühle angeht. Das wird später noch einmal sehr deutlich, als sich sein Vater von ihm verabschieden will und Stevens das mehr oder weniger ignoriert. Trotzdem schaut er auf diesen Tag mit Stolz zurück- aber nur, weil er seine Pflichten nicht verletzt hat. Das finde ich traurig.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ich stecke jetzt auch mitten in Day 2 - Morning.
    Die Anrede in der 3. Person fand ich auch merkwürdig, aber ich habe sowieso das Gefühl, dass Stevens - vielleicht gerade, weil sein Vater ebenfalls Butler war - nie gelernt hat, mit seinen Gefühlen anders umzugehen als sie zu unterdrücken. Womöglich fällt es ihm leichter, seinem Vater die schlechte Nachricht zu überbringen, wenn er ihn nicht direkt mit "Du" anredet.


    Stevens senior scheint ja die Würde und Ruhe in Person gewesen zu sein, stets bedacht darauf, seine Pflicht zu tun und seine eigenen Emotionen hinten anzustellen, selbst als er den General bedienen muss, der seinen älteren Sohn auf dem Gewissen hat. In den Erinnerungen seines anderen Sohnes schwingt immer ein enormer Respekt für dessen berufliche Leistungen mit, aber es kommt mir vor, als hätten Gefühle auch bei der Erziehung der eigenen Kinder nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Ob wir noch etwas über die Mutter erfahren?


    Stevens jr. - zumindest sein jüngeres Selbst - kommt mir inzwischen ganz schön steif vor, wie er etwa so gar nicht damit umgehen kann, dass Miss Kenton seinen Vater beim Vornamen nennt, weil sie das nun mal mit all ihren Untergebenen tut. Andererseits war er in der Szene vielleicht auch mit der Situation überfordert, dass sie ihm mit den Blumen in seinem Zimmer eine Freude machen möchte. Persönliche Zuwendung ist er sicher nicht gewohnt.


    Die dezenten Hinweise auf die besorgniserregenden Aussetzer seines Vaters verdrängt er dann ziemlich erfolgreich und wird erneut böse auf Miss Kenton. Sicher ist es schwer, sich eingestehen zu müssen, dass der Vater, das große Vorbild, der Butler wie aus dem Lehrbuch, offenbar krank oder dement oder beides ist, aber ewig kann er die Augen doch nicht vor der Realität verschließen.


    Wie der Vater dann geübt hat, die Gartentreppe rauf und runter zu gehen, fand ich ganz herzzerreißend zu lesen, dieser verzweifelte Versuch, an seinem Beruf, der sein Leben ist/war, festzuhalten, sich zu beweisen, dass er es immer noch kann. Für mich ist er einer dieser Menschen, die einfach nicht in Rente gehen können, weil ihr Beruf ihnen so sehr zur zweiten Natur geworden ist.


    Diese Konferenz, die auf Darlington Hall stattfinden soll, klingt ja interessant. Ich würde mal gerne wissen, ob es etwas Ähnliches tatsächlich gegeben hat (und was das im Erfolgsfalle wohl für Folgen gehabt hätte ...)


    Über den Spezialauftrag seines Dienstherrn, den jungen Cardinal aufzuklären, musste ich schmunzeln, gleichzeitig tat mir Stevens aber auch leid, der sowieso schon so unlocker ist und sich jetzt ständig den Kopf zerbricht, wie er die Sache anpacken soll. Ob sich Lord Darlington da einen doofen Scherz erlaubt hat?


    Bei Miss Kenton ist Stevens nach seinen Kontrollversuchen ja ziemlich unten durch. Ihre Verweigerung mündlicher Kommunikation ist schon eine heftige Reaktion!


    Die Szene in der Gegenwart mit dem Huhn auf der Straße und seiner Besitzerin fand ich übrigens sehr süß, wie auch die anderen Begegnungen mit der "richtigen" Welt.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Wie der Vater dann geübt hat, die Gartentreppe rauf und runter zu gehen, fand ich ganz herzzerreißend zu lesen, dieser verzweifelte Versuch, an seinem Beruf, der sein Leben ist/war, festzuhalten, sich zu beweisen, dass er es immer noch kann.


    Das war wirklich eine sehr berührende Szene. Ich habe sowieso beim Vater das Gefühl, dass er der Menschlichere von beiden ist. Leider kann er seinem Sohn keine Reaktion entlocken :sauer:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Zweiter Tag - Morgen


    Ich fand es sehr bestürzend wie "professionell" Stevens auf den Tod seines Vaters reagierte und in keiner Weise seine Pflichten vernachlässigte. (Gegen Ende des Kapitel ist er ja geradezu stolz darauf, was ich sehr traurig fand). Das passt allerdings wiederum zu der Art, wie Stevens mit seinem Vater kommunizierte und die Euch ebenso wie mir sehr befremdlich vorkam, vor allem was die Ansprache anbelangte. Mir tat der Vater leid, der spürte, dass er im Sterben lag und nun am Ende seine Lebens ein Feedback von seinem Sohn wollte, ob er denn ein guter Vater gewesen sei, aber Stevens Verbindung zu seinem Vater scheint er im Laufe der Jahre auf eine rein berufliche beschränkt zu haben. Anfänglich wurde ja auch erwähnt, dass sich die beiden entfremdet hatten.
    Ich fand Miss Keatons Reaktion auf die Zurechtweisung zwar heftig, aber auch nicht verkehrt, denn sie hat für die damalige Zeit eher ungewöhnlich, ein Zeichen gesetzt, wo ihre persönlichen Grenzen sind, in Bezug auf dessen, was sie toleriert und was nicht. Sie vertritt ihren Standpunkt mit allem Nachdruck und das macht sie für mich zu einer Frau, die ein gesundes Selbstbewusstsein hat und ihre Eigenständigkeit und Professionalität vehement verteidigt. Sie ist aber dennoch sensibel und emphatisch, was ihre Reaktion beim Tod von Mr. Stevens sen. zeigte.


    Das mit dem Huhn fand ich auch eine nette Geschichte.


    Ich bin übrigens gespannt, ob wir den "Gentlemen" von dem Kongress noch einmal begegnen werden. Wenn da mal nicht vielleicht ein paar böse Seelen dabei waren. Nun, lassen wir uns überraschen.


    Viele Grüße Tina


  • Ich fand es sehr bestürzend wie "professionell" Stevens auf den Tod seines Vaters reagierte und in keiner Weise seine Pflichten vernachlässigte. (Gegen Ende des Kapitel ist er ja geradezu stolz darauf, was ich sehr traurig fand).


    Das ging mir genauso. Ich frage mich schon die ganze Zeit, wie er so geworden ist und bin gespannt, ob wir das noch erfahren. Wie ein kalter Mensch erscheint er mir nämlich trotz allem nicht, nur wie einer, der seine beruflichen Pflichten und die Loyalität zu seinem Arbeitgeber über alles stellt.


    Dass es nicht mehr zu einer Aussprache zwischen Vater und Sohn kam, fand ich schade - aber auch nicht unrealistisch.


    Zitat

    Ich fand Miss Keatons Reaktion auf die Zurechtweisung zwar heftig, aber auch nicht verkehrt, denn sie hat für die damalige Zeit eher ungewöhnlich, ein Zeichen gesetzt, wo ihre persönlichen Grenzen sind, in Bezug auf dessen, was sie toleriert und was nicht. Sie vertritt ihren Standpunkt mit allem Nachdruck und das macht sie für mich zu einer Frau, die ein gesundes Selbstbewusstsein hat und ihre Eigenständigkeit und Professionalität vehement verteidigt. Sie ist aber dennoch sensibel und emphatisch, was ihre Reaktion beim Tod von Mr. Stevens sen. zeigte.


    Das stimmt. Falsch fand ich ihre Reaktion überhaupt nicht, nur sehr deutlich und ziemlich ungewöhnlich für eine Frau in dieser Zeit und diesem Beruf. Sie hätte sich damit ja auch ein ordentliches Eigentor schießen können (wobei die Kommunikation über Zettel oder Boten im Notfall offenbar funktioniert hat).


    Ihren Umgang mit dem Tod von Stevens sen. fand ich auch sehr schön, sehr menschlich.


    Mit den Herren von der Konferenz sind wir mit dem Ende derselben sicher noch nicht durch.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • (bis Day Three, Morning)


    Interessant finde ich, wie Stevens seine Butler-Generation mit der seines Vaters vergleicht und meint, dass die ältere Generation mehr Wert darauf gelegt hat, einem "echten" alten Adelsgeschlecht und nicht irgendeinem Neureichen zu dienen, während seiner Generation wichtiger war, einen moralisch hoch stehenden Arbeitgeber zu haben, jemanden, der etwas bewirkt und der Welt etwas Gutes tut.


    Nachdem er stets in so hohen Tönen von Lord Darlington gesprochen hatte, war ich doch einigermaßen überrascht, als Stevens gleich zweimal abgestritten hat, für ihn gearbeitet zu haben (zweimal gegenüber Menschen, die nicht aus "seiner" Welt stammen, wie mir gerade auffällt - dem Ex-Soldaten, der nun als "Mädchen für alles" arbeitet, und den amerikanischen Ehepaar, das Mr. Farraday besucht hat).


    Im darauffolgenden Kapitel wird dann das Geheimnis gelüftet - wegen seiner Verbindungen zu den Deutschen vor dem 2. Weltkrieg ist Darlington offenbar ins Gerede gekommen. Hoffentlich hat Stevens recht, wenn er sagt, Darlington habe sich nicht mit der Sache der Nazis gemein gemacht. Dass es auch in England rechte Tendenzen gab oder "Verbündete" der Nazis, ist ein Aspekt, über den ich irgendwie noch nie nachgedacht habe :gruebel: Und auch hier das Übliche: nach dem Krieg versuchen alle ihre Hände in Unschuld zu waschen.


    Stevens' "kleine Fehler", die er kurz vor seinem Urlaub im Dienst gemacht hat, erinnern sicher nicht nur mich an den beginnenden geistigen Verfall seines Vaters. Bahnt sich da bei ihm tatsächlich Ähnliches an, oder hat er nur Angst davor und es ist Überarbeitung und Stress?

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo Ihr Lieben,


    ich habe mittlerweile bis einschließlich Dritter Tag, Morgen gelesen.


    Das ging mir genauso. Ich frage mich schon die ganze Zeit, wie er so geworden ist und bin gespannt, ob wir das noch erfahren. Wie ein kalter Mensch erscheint er mir nämlich trotz allem nicht, nur wie einer, der seine beruflichen Pflichten und die Loyalität zu seinem Arbeitgeber über alles stellt.


    Dass es nicht mehr zu einer Aussprache zwischen Vater und Sohn kam, fand ich schade - aber auch nicht unrealistisch.


    Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn hat mich einerseits auch erschreckt, aber andererseits ist Stevens genauso, wie sein Vater gewirkt hat und wie er denkt, dass sein Vater wollte, dass er ist. Die ganzen Beschreibungen zum Vater zeigen ja ganz deutlich, dass dieser die hohe Kunst perfektioniert hat, sich durch nichts aus der Ruhe zu bringen und alles ohne Emotionen hinzunehmen. Ich weiß nicht, inwiefern man dafür auch geeignet sein muss und wieviel man sich antrainieren kann, aber sein Vater war Stevens Vorbild und sein Ziel genauso zu werden. Von daher bin ich mir auch nicht sicher, ob sein Vater überhaupt wollte, dass sein Sohn mehr oder anders mit ihm redet. Aus unserer Sicht ist das alles furchtbar, aber ich bin fast der Meinung, dass der Vater sehr stolz auf seinen Sohn war und deswegen Stevens auch Stolz auf sich ist, dass er so viel "Würde" gezeigt hat, obwohl sein Vater gerade eben gestorben ist.
    Insgesamt, je weiter ich lese, desto mehr erscheint mir Stevens wie jemand, der komplett in der Rolle des "Butlers" aufgegangen ist und irgendwie keine eigenständige Person, sondern immer zuerst der Butler ist. Hinein versetzen kann ich mich da auch nicht, aber ich denke, dass genau das für ihn auch einen großen Butler ausmacht und ich habe so das Gefühl, dass Stevens zu den großen Butlern gerechnet wird!


    Sehr berührt war ich auch von der Szene, als Stevens' Senior im Garten die Treppen wieder und wieder hinauf und hinunter steigt. Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob er geübt hat oder ob er nachprüfen wollte, ob nicht irgendwo eine versteckte Stolperfalle ist, über die er eigentlich gestolpert ist. Gerade da ja Miss Kenton meint, er sehe aus "als hätte er einen Edelstein verloren". Das hört sich für mich so an, als würde er verzweifelt nach einer Erklärung suchen, wieso er gestürtz ist.


    Außerdem habe ich mich auch gefragt, ob denn ein Butler es sich erlauben konnte in Rente zu gehen? Habe die denn Rente bekommen? Ich vermute ja fast eher, dass die auch einfach bis zu ihrem Lebensende arbeiten mussten?


    Das stimmt. Falsch fand ich ihre Reaktion überhaupt nicht, nur sehr deutlich und ziemlich ungewöhnlich für eine Frau in dieser Zeit und diesem Beruf. Sie hätte sich damit ja auch ein ordentliches Eigentor schießen können (wobei die Kommunikation über Zettel oder Boten im Notfall offenbar funktioniert hat).


    Die Reaktion von Miss Kenton hat mich auch sehr überrascht und bei mir für sehr viel Respekt für sie gesorgt. Die Reaktion empfand ich auch als keineswegs falsch, aber ich hätte es von einer Frau in ihrer Zeit und in dieser Position auch nicht erwartet. Vor allem habe ich mich gefragt, ob das nicht auch gefährlich ist? War sie denn als Haushälterin dem Butler unterstellt? Denn wenn ja, kann er ja auch Beschwerde gegen sie beim Hausherrn einreichen, oder?


    Die Beschreibung der Konferenz mit den Vertretern aus Europa und Mr. Lewis fand ich sehr spannend. Fast schon amüsant fand ich dann den Schlagabtausch zwischen dem Franzosen, Mr. Lewis und Mr. Darlington. Herrlich, wie sie sich äußerst gestelzt gegenseitig die Leviten lesen. Auch wenn das Thema natürlich nicht so amüsant ist, sondern bitterernst.


    So weit es Stevens jetzt im Kapitel Dritter Tag, Morgen dargestellt hat, hat Mr. Darlington wohl tatsächlich mit Nazis verkehrt, aber nur so lange er keine Ahnung hatte, welche Gesinnung sie vertreten. So bald offenbar wurde, dass sie rechten Ideengut anhängen, hat er sich ja anscheinend von ihnen distanziert. Trotzdem muss da wohl ein ziemlich übles Gerede aufgekommen sein.



    Nachdem er stets in so hohen Tönen von Lord Darlington gesprochen hatte, war ich doch einigermaßen überrascht, als Stevens gleich zweimal abgestritten hat, für ihn gearbeitet zu haben (zweimal gegenüber Menschen, die nicht aus "seiner" Welt stammen, wie mir gerade auffällt - dem Ex-Soldaten, der nun als "Mädchen für alles" arbeitet, und den amerikanischen Ehepaar, das Mr. Farraday besucht hat).


    Das hat mich auch sehr überrascht, dass Stevens bei Nachfrage immer abstreitet, dass er der Butler für Darlington war. Eigentlich ist er ja Stolz darauf Darlington gedient zu haben, aber anscheinend schwingt da doch etwas die Angst mit, dass er dann auch verurteilt wird? Sich selber gibt er das zwar nicht zu, aber irgendwie habe ich schon das Gefühl, dass er zumindest vor den Reaktionen der Leute Angst hat...


    Gespannt bin ich ja jetzt wirklich auf das Treffen zwischen Stevens und Miss Kenton. In der Vergangenheit habe sie ja doch ganz schöne Konflikte ausgetragen. Da bin ich ja jetzt echt neugierig, wie das Aufeinandertreffen nach so langer Zeit sich gestalten wird! :smile:


    Die Begegnungen, die Stevens während seiner Fahrt in der Gegenwart hat, finde ich ja einfach immer herzerwärmend. :herz:


    Liebe Grüße
    Tammy :winken:

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  • Wie ihr auch fand ich Stevens´ Verhalten sehr befremdlich, als sein Vater im Sterben lag, richtiggehend verstörend. Aber Tammy trifft es wohl sehr genau

    Insgesamt, je weiter ich lese, desto mehr erscheint mir Stevens wie jemand, der komplett in der Rolle des "Butlers" aufgegangen ist und irgendwie keine eigenständige Person, sondern immer zuerst der Butler ist.


    Ich denke schon, dass Miss Kenton dem Butler unterstellt ist. Aber sie hat trotzdem Grenzen gesetzt und es halt drauf ankommen lassen.

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  • So weit es Stevens jetzt im Kapitel Dritter Tag, Morgen dargestellt hat, hat Mr. Darlington wohl tatsächlich mit Nazis verkehrt, aber nur so lange er keine Ahnung hatte, welche Gesinnung sie vertreten. So bald offenbar wurde, dass sie rechten Ideengut anhängen, hat er sich ja anscheinend von ihnen distanziert. Trotzdem muss da wohl ein ziemlich übles Gerede aufgekommen sein.


    Dieser Antisemitismus scheint sich ja auf die Zeit zu beschränken, als Darlington Kontakt zu der attraktiven Witwe hatte. Wobei Stevens diesen Punkt eigentlich für meinen Geschmack etwas zu vehement abstreitet.

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