T.C. Boyle - Das wilde Kind

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    Inhalt
    Mit dieser Erzählung greift T.C. Boyle die Geschichte von Victor von Averyon auf. Der Junge wurde Ende des 18. Jahrhunderts von Jägern gefunden. Es war offensichtlich, dass er schon lange im Wald gelebt hatte. Er war nackt, ernährte sich von Wurzeln und Nüssen und konnte nicht sprechen. Alle Versuche, das Kind in eine normalen Haushalt aufzunehmen, scheitern. Der junge wird in eine Pariser Anstalt für Taubstumme gebracht, wo sich der junge Arzt Jean Itard seiner annimmt. Der versucht, Victor zu einem zivilisierten Menschen zu machen.


    Meine Meinung
    Was ist ein zivilisierter Mensch? Diese Frage hat mich beim Lesen beschäftigt. Victor gilt als Wilder, der umgeformt werden soll. Aber ist es erstrebenswert, so zu werden wie die Menschen, die ihn gefangen genommen haben? Die ihn angegafft haben wie eine Zirkusattraktion? Anfangs hat niemand die nötige Geduld mit dem Jungen. Es werden zwar erste Versuche gemacht, mit ihm zu kommunizieren. Aber schnell siegt die Angst und Victor wird weitergereicht bis er schließlich bei Dr. Itard landet.


    Auch die Arbeit dessen ist nicht leicht, denn auch in Paris gilt Victor als gottloser Wilder. Er habe kein Schamgefühl, sagen die Menschen. Das stimmt auch, denn woher soll er gelernt haben, wie man sich "züchtig" verhält? Auf der anderen Seite habe ich bei Victor nicht wirklich den Willen gesehen, wirklich lernen zu wollen. Er lernte nur, was zu seinem täglichen Überleben wichtig war, der Rest war ihm egal. So blieb er auch für mich immer das wilde Kind, das er am Anfang war.
    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • "Das wilde Kind" ist eine sehr kurzweilige Novelle über ein Kind, das von seiner Mutter im Wald ausgesetzt wird. Sie schneidet ihm die Kehle durch, damit es stirbt und lässt es zum Verbluten zurück. Aber das Kind überlebt und schafft es, in der brutalen Wildnis des Waldes im 18. Jahrhundert zurechtzukommen.

    Victor kam mir dann vor wie ein Vogel im Käfig, der nicht mehr fliegen mag. Sein Lebensraum war der Wald, aber er war dort allein. Die Welt ist ihm fremd geblieben, er hat keine Sprachfähigkeiten und keine Nähe zu Menschen entwickelt. Dennoch ist er ein Mensch. Ich erinnere mich gelesen zu haben, dass Kinder, wenn sie in einem bestimmten Alter sind und keine fünfzig Wörter sprechen können, ihr Leben lang nicht richtig werden sprechen können. Dies scheint auf Victor zuzutreffen.

    So intensiv, wie T.C. Boyle mit der Erzählung über Victors Leben beginnt, so abrupt endet die kurze Geschichte über den Einzelgänger Victor. Er ist einzigartig, aber ich empfinde ihn als einsam und verlassen, auch wenn er irgendwann an Menschen geraten mag, die sich um ihn kümmern.

    In mir haben sich viele Gefühle geregt, als ich "Das wilde Kind" gelesen habe. Oft frage ich mich, was in Tieren vorgeht, wenn sie in beengtester Gefangenschaft gelebt haben und dann in eine größere Umwelt gelassen werden. Und ich habe immer angezweifelt, dass es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Tieren und Menschen gibt. T.C. Boyles Novelle bestätigt diese Idee, die von vielen Menschen als Unsinn abgetan wird.

    Ich bin sehr froh, dass ich "Das wilde Kind" gelesen habe, das war eine spannende Reise.


    5ratten

  • „Das wilde Kind“ ist eine Nacherzählung des Lebens von Victor von Aveyron, einem Jungen, der Ende des 18. Jahrhunderts im Alter von ca. 11 Jahren im Wald aufgegriffen wurde. Der „Wolfsjunge“ landete in einer „Anstalt für Taubstumme“, wo man versuchte ihn zu sozialisieren und zivilisieren. Wirklich glücklich wurde er aber nicht und als das Experiment nicht den erhofften Erfolg brachte wurde er bei der in dem Zug verrenteten Köchin untergebracht.


    Da es sich um die Nacherzählung wahrer Ereignisse handelt, hätte ich so manches Mal gerne gewusst, in wie weit der Autor sich Freiheiten nimmt und was wirklich geschah. Es war interessant, brachte die historische Geschichte gut rüber und für mich dominierte hier eine verfehlte Pädagogik und Psychologie, die dem Jungen keine Wahlfreiheiten ließ. Vielleicht wäre er im Wald zwar bald an Kälte und Unterernährung oder einer Verletzung gestorben, aber vielleicht bis dahin glücklicher gewesen als unter dem rigiden Erziehungsregiment.


    Warum der Autor aber überhaupt von Victors Leben erzählen wollte, kann ich nicht so ganz nachvollziehen.


    3ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

  • Da es sich um die Nacherzählung wahrer Ereignisse handelt, hätte ich so manches Mal gerne gewusst, in wie weit der Autor sich Freiheiten nimmt und was wirklich geschah.

    Das hätte mich auch interessiert. Schade, das Boyle nichts dazu geschrieben hat.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.