Phase II
Bei Hardys Beschreibung von Tess' misslicher Lage schwankte meine Auffassung hin und her. Mal hatte ich den Eindruck Tess selbst presse sich in die Schablone der "Sünderin", während ihre Umwelt sich gar nicht so sehr daran stoße, wie sie glaubt. Dann wieder lässt Hardy durch eine oder mehrere Personnen mit geringschätzig, boshaften Blicken und Bemerkungen einen anderen Blickwinkel durchklingen.
Tess' Seelennot in der Nacht als ihr Kind starb, ist sehr eindrücklich beschrieben. Auch ihre Erkenntnis am nächsten Morgen, dass sie sich nachts zu sehr hineingesteigert hat in ihre Angst.
Ich hatte schon befürchtet, der Priester würde ihr erklären, dass ihre Nottaufe keine Gültigkeit hat. Durch die Aussage dieses Mann sah ich ihren Vater in einem noch weniger positiven Licht. Wie konnte er nur so grausam sein!
Ihre Bemühungen von Marlott wegzukommen sind verständlich. Ein Neuanfang ist nur möglich, wenn keiner ihre Vergangenheit kennt. Wie beschrieben, war es gar nicht nötig übermässig weit zu reisen, um diese Voraussetzung zu gewährleisten. Hoffentlich verirrt sich Kunde ihrer Schande nicht versehentlich dorthin.
Dass sie dort den jungen Mann vom Maifest wiedertrifft, lässt so einiges an zukünftigen Ereignissen vermuten. Mal sehen, ob er sich ihrer wirklich nicht erinnert. Oder womöglich mit den falschen d'Urbervilles bekannt ist.
Ja, diese Stelle hat mir auch gut gefallen. Ich finde insgesamt, dass Hardy, obwohl der Roman absolut keine lustige Handlung hat, dennoch die Geschichte mit viel Humor erzählt, oft natürlich mehr sarkastisch als humorig.
Dazu fällt mir eine Stelle aus dem Vorwort Hardys ein, wo er schreibt, dass er die Wirklichkeit aufzeigen wolle, aber nicht beurteilen.
ZitatMan lasse mich wiederholen, daß ein Roman Eindrücke von der Wirklichkeit vermittelt und nicht Auseinandersetzungen mit ihr.