Georges Bernanos - Tagebuch eines Landpfarrers

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  • Inhalt
    Ein junger Pfarrer wird in eine abgelegene Gemeinde im Artois versetzt. Voller Elan über seine erste Pfarrei stürzt er sich in die Arbeit. Er hofft, die Menschen zu ihrem Glauben zurück führen zu können. Aber seine Träume zerschlagen sich schnell. Die Menschen ziehen sich von ihm zurück und je mehr er sich um sie bemüht, desto mehr erreicht er das Gegenteil.


    Weil er mit den Menschen in seinem Dorf so schlecht zurecht kommt, sucht er den Kontakt zu den Herrschaften im nahen Schloss. Aber auch hier stößt er auf Ablehnung. Die Familie leidet an ihrer eigenen Tragödie. Vor Jahren starb der Sohn und die Tochter Chantal ist völlig auf sich alleine gestellt. Der Vater hat kein Interesse an ihr und die Mutter ist immer noch mit ihrer Trauer beschäftigt. Chantal sucht die Hilfe des Pfarrers, aber der ist mit dieser Situation überfordert. Als die Mutter stirbt, verbreitet Chantal aus Rache Lügen über das letzte Gespräch zwischen ihrer Mutter und dem Pfarrer und isoliert ihn damit endgültig im Dorf.


    Meine Meinung
    Mein erster Eindruck der eines grauen, einsamen Dorfs in dem der junge Pfarrer verzweifelt gegen die Gleichgültigkeit der Menschen ankämpft. Eine der ersten Eintragungen in seinem Tagebuch beschreibt, wie er zu seinem Dorf zurück kommt und es als kleine, graue, einsame Ansammlung von Häusern sieht. Es wirkt auf mich nicht wie der Ort, zu dem er gerne zurückkommt. Kälte und Einsamkeit ziehen sich durch alle seine Eintragungen. Er erdet nur von Regen, Dunkelheit und Einsamkeit. Sowohl von der Einsamkeit in seinem Haus als auch der in seinem Herzen. Selten bekommt er Besuch und noch seltener kann er sich mit Menschen über seine Probleme aussprechen. Auch von seinen Freunden scheint er nur Kritik zu bekommen. Die ist zwar gut gemeint, aber die Bestätigung fehlt.


    Ich nehme ihm ab, dass er ehrlich bemüht ist, seinen Gemeindemitgliedern den Glauben wieder nahe zu bringen. Aber je länger er in seiner Gemeinde ist, desto dringlicher werden seine Bemühungen, bis sie etwas Fanatisches bekommen und die Menschen eher abschrecken. Je mehr sie sich zurückziehen, desto mehr bemüht er sich und erreicht nur das Gegenteil.


    Schon früh macht ihm seine Gesundheit zu schaffen. Er erträgt seine Leiden fast mit Stolz, denn er klagt nicht darüber. Insgeheim glaubt er zu wissen, was ihm fehlt. Als er endlich zu einem Arzt geht und der ihm nicht die erwartete Diagnose stellt, wirkt er fast schon verzweifelt.


    Tagebuch eines Landpfarrers ist die Geschichte eines zutiefst einsamen Menschen, dessen einziger Vertrauter die Zeilen zu sein scheinen, die er gerade schreibt.
    4ratten


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Oh je, jetzt weiß ich wieder, warum ich mich so lange vor diesem Buch drücke. Die Beschreibung klingt schon sehr niederschmetternd.


    Gibt es eigentlich auch etwas Positives zu berichten?

  • Es stimmt, die Beschreibung hört sich so ...depressiv an. Ich weiß nicht, ob ich mich aufraffen könnte es zu lesen.
    Schade, wenn es dann doch irgendwie schön ist.

    🐌

  • Kandida: es ist wirklich ein schönes und bewegendes Buch. Die Traurigkeit stört dabei nicht, eine andere Stimmung würde nicht passen.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Bernanos‘ Tagebuch eines Landpfarrers habe ich gestern, nach einigen Unterbrechungen und nicht ganz ohne Mühe, beendet. Ich las es teils auf Deutsch, teils Französisch, manchmal auch nebeneinander. Kirsten hat das Buch recht zutreffend charakterisiert. Auf die besorgte Frage, ob das Buch nicht zu deprimierend sei, hat Kirsten geantwortet, es sei durchaus schön und bewegend. Aber das schließt einander ja nicht aus. Lustig oder amüsant ist es aber nicht, keinen Augenblick. Jedenfalls trägt der junge Landpfarrer sein Unglück und Leiden mit einer Gelassenheit, die ohne seinen religiösen Glauben so wohl nicht möglich wäre.
    Bernanos‘ Tagebuch ist inzwischen in einer Neuübersetzung erschienen. Der Übersetzer, Veit Neumann, ist Theologieprofessor an einer österreichischen theologischen Hochschule und hat Bernanos auch ein umfangreiches wissenschaftliches Werk gewidmet. Man kann sein umfangreiches Vorwort in der Textvorschau lesen (z.B. bei jpc). Was ihn zu einer Neuübersetzung bewogen hat, wurde mir nicht recht deutlich, er sagt auch kaum etwas dazu und was er sagt, ist (mir) unverständlich. Jedenfalls weichen die Übersetzungen im Wortlaut, aber wahrscheinlich nicht sinngemäß, deutlich voneinander ab. Man kann Hegners alte Übersetzung – der Verleger hat sich zugleich als Übersetzer betätigt – auch heute noch erwerben. Die ca. 10 Euro teurere Neuübersetzung enthält auch einen ca. 50 seitigen Kommentarteil. (Welchen Wert dieser hat, kann ich nicht sagen, da ich nur die Hegnerausgabe (und die frz. Pleiade) gelesen habe.