John Boyne - Der freundliche Mr. Crippen

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    Im Sommer 1910 läuft die "Montrose" von Antwerpen aus in Richtung Kanada. An Bord befindet sich die übliche bunte Mischung von Passagieren, darunter die standesbewusste Mrs. Drake mit ihrer Tochter, der stille Mr. Robinson mit seinem Sohn, ein aufmüpfiger, jüngst verwaister Teenager mit seinem Onkel und die schweigsame Martha Hayes, die alleine unterwegs ist.


    Kapitän Henry Kendall ist derweil unglücklich, weil sein langjähriger Weggefährte und Erste Offizier aufgrund einer plötzlichen Erkrankung durch den jungen Billy Carter ersetzt worden ist, der ihm ein bisschen zu gutgelaunt und zu sorglos unterwegs ist, um sofort sein Vertrauen zu gewinnen. Doch was diese Überfahrt unvergesslich werden lässt, ist etwas ganz anderes: mitten auf dem Ozean keimt der Verdacht auf, es könne ein Mörder an Bord sein.


    Bei diesem handelt es sich angeblich um Hawley Crippen, der verdächtigt wird, seine Frau getötet zu haben. Zwar hieß es, Cora Crippen sei verreist, aber eine ihrer Freundinnen ist überzeugt, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, auch wenn sie dafür noch keine stichhaltigen Beweise hat, und schaltet die Londoner Polizei ein.


    Auf zwei Zeitebenen erzählt John Boyne diese an einen wahren Kriminalfall angelehnte, fesselnde Geschichte. Zum einen gelingt ihm eine wunderbare Darstellung der langen Atlantiküberquerung der "S.S. Montrose" mit gelungenen kleinen Porträts der Reisenden und der Stimmung an Bord; zum anderen zeichnet er den Lebensweg des eigenbrötlerischen Hawley Crippen nach. Der hat schon als Jugendlicher davon geträumt, Arzt zu werden, doch so einfach ließ sich dieser Traum nicht umsetzen. Auch sonst lief in seinem Leben nicht alles nach Plan, bis ein trauriger Höhepunkt erreicht ist, als er unter Mordverdacht gerät.


    Ein klassischer Krimi ist das nicht, aber das heißt nicht, dass es an Spannung mangelt. Im Gegenteil. Dass wir die Geschehnisse aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln erleben, trägt das Seine dazu bei, es spannend zu machen. Wir sehen Crippens eigene Perspektive und die des ermittelnden Polizeibeamten, der spürnasigen Freundin von Cora Crippen und verschiedener Passagiere und Besatzungsmitglieder. Es gibt keinen allwissenden Erzähler, so dass sich erst nach und nach die gesamte Wahrheit zusammensetzt wie ein Puzzlespiel, während man als Leser rätselt und mutmaßt und immer wieder überrascht wird.


    Ein klein bisschen störend empfand ich die relativ einseitige Darstellung von Cora Crippens Charakter. Sonst aber bis hin zu den liebevoll ausgearbeiteten Nebenfiguren und dem beiläufig einfließenden Humor eine ungewöhnliche und lesenswerte Kriminalgeschichte, die mir sehr gut gefallen hat.


    4ratten


    Danke auch an die Leserunden-Mädels für die unterhaltsame und nette Spekulations- und Diskussionsrunde!

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • In diesem Buch wird die Geschichte um Hawley Crippen beschrieben und seine eher traurige Lebensgeschichte näher beleuchtet.
    Seine Kindheit, seine Ausbildung, selbst seine Wahl der Ehefrauen beschreiben einen unterwürfigen Mann ohne Durchsetzungsvermögen. Umso erstaunter war ich, dass es sich bei diesem Mann um einen mutmaßlichen Mörder seiner Ehefrau handeln soll.


    John Boyne schafft es durch viele verschiedene Hinweise, dass man zweifelt und dann wieder vollkommen überzeugt ist, dass Crippen ein kaltherziger Mörder ist.
    Doch auch neben Crippen gibt es viele spannende Nebencharaktere: Mrs. Drake und ihre Tochter Victoria beispielsweise, die dem Geheimnis um Hawley Crippen sehr nahe kommen. Aber auch Matthieu Zela oder der Kapitän Henry Kendall.


    Das Buch behandelt zwei Handlungsstränge: einerseits die Vergangeheit von Hawley Crippen und die Gegenwart, die sich auf der "S.S. Montrose" abspielt.
    Besonders schön fand ich hierbei, dass man in jedem Kapitel etwas Neues über die Charaktere erfahren hat. Neben schauerlichen Details gab es aber auch einige Stellen, wo ich schmunzeln musste, weil die Situation einfach sehr amüsant dargestellt wurde.


    4ratten

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    John Boyne - Der freundliche Mr Crippen


    Zum Inhalt:


    Es ist Anfang des 20. Jahrhunderts als von Antwerpen ein Passagierschiff von Antwerpen nach Kanada aufbricht. An Bord sind eine Reihe von Leuten, die alle in Kanada ein neues Leben beginnen wollen. Ein paar Monate zuvor meldet eine Frau in London ihre Freundin Cora Crippen als vermisst und verdächtigt den Ehemann Hawley Crippen ihrer Freundin Cora ermordet zu haben. Zunächst wird diesem Verdacht keine Aufmerksamkeit geschenkt, da der Verdächtige einen freundlichen und harmlosen Eindruck gemacht hat. Erst auf Druck von der obersten Polizeibehörde wird dem Verdacht Beachtung geschenkt.


    Erster Satz:


    Sie war über einhundertfünfundsiebzig Meter lang und fast ein Achtel so breit.


    Meine Meinung:


    Bisher hatte ich noch nicht das Vergnügen ein Buch von John Boyne zu gelesen zu haben und konnte dies glücklicherweise mit diesem Buch ändern. Boyne versteht sich darauf vergangene Ereignisse spannend zu schildern. Hierfür hat er einen Kriminalfall aus dem Jahr 1910 genommen, der die damalige Bevölkerung erschüttert hat. Die Geschichte von Der freundliche Mr Crippen ist angelehnt an einen wahren Kriminalfall und daher sollte man sich selbst den Gefallen tun und die Geschichte vorher nicht recherchieren. Dies könnte ansonsten dazu führen, dass man etwas von dem Lesevergnügen einbüßt.


    Geschickt zeigt Boyne aus verschiedenen persönlichen als auch zeitlichen Perspektiven was sich ereignet hat bzw. was die Beteiligten glauben, was sich ereignet habe. Hierbei verwendet er einen leicht lesbaren Schreibstil, der den jeweiligen Personen angepasst ist. Einer der Erzählstränge begleitet Hawley Crippen von seiner Kindheit an bis zu den aktuellen Ereignissen. Dadurch kommt man ihm näher. Wobei mich seine Charakterzüge an vielen Stellen eher überrascht haben. Die anderen Personen bleiben für meinen Geschmack etwas konturlos, bei einigen hätte ich mir mehr Tiefgang bzw mehr Informationen über deren Leben gewünscht. Vieles wurde angedeutet, jedoch nicht ausgesprochen.


    Der Kriminalfall an sich ist sehr spannend geschildert. Ich habe von Anfang an mitgefiebert und konnte mich gar nicht entscheiden, ob ich für den Inspektor oder für den Verdächtigen mitfiebern soll :breitgrins: Zum Schluss kam es für mich jedoch anders als gedacht, sodass ich positiv von John Boynes Erzählstruktur überrascht war.


    Zusammenfassend ist zu sagen, dass John Boyne mit diesem Buch einen spannenden Kriminalroman geschrieben hat, der so manche Überraschung birgt. Ich war mir erst kurz vor Schluss sicher, was wirklich passiert ist und konnte daher die ganze Zeit mitfiebern. Auch, dass er so geschickt vergangene Ereignisse mit dem aktuellen Geschehen verbunden hat, hat der Geschichte das gewisse Etwas gegeben. Dies und die Tatsache, dass ich dieses Buch in einer wunderbaren Leserunde, die manche schöne Diskussion und Spekulationen ins Leben gerufen hat, zu einem tollen Leseerlebnis gemacht.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

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    Inhalt:
    Im Juli 1910 verlässt das Passagierschiff S.S. Montrose den Hafen von Antwerpen in Richtung Quebec, an Bord sind Menschen unterschiedlichster Herkunft, die in Kanada ihr Glück zu finden hoffen, darunter die überhebliche, ganz von sich und ihrem Stand eingenommene Mrs. Drake mit ihrer Tochter, der ruhige Mr. Robinson mit seinem Sohn und die junge Martha Hayes, die eine unglückliche Liebe hinter sich lassen will.


    In London wird zur selben Zeit die im Keller verscharrte Leiche von Cora Crippen entdeckt, deren Mann und dessen Geliebte spurlos verschwunden scheinen. Als der Kapitän der Montrose Scotland Yard seinen Verdacht mitteilt, der Mörder könnte sich auf seinem Schiff befinden, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, denn Crippen muss gefasst werden bevor er kanadischen Boden betritt.


    Meine Meinung:
    Von der ersten Seite hat John Boyne mich mit seiner Geschichte gefesselt, egal ob er über das gesellschaftliche Leben an Bord der S.S. Montrose berichtet oder Hawley Crippens Leben schildert. Am Ende hat der Autor es geschafft, mich komplett an der Nase herumzuführen und der Geschichte, die ja auf eine wahre Begebenheit gründet, eine Wendung zu geben, die so nicht in den Geschichtsbüchern steht, aber durchaus so hätte passieren können. So ist Crippen bei Boyne nicht der kaltblütige Killer und dem Leser bleibt es selbst überlassen, ihn zu verurteilen oder ihm Verständnis entgegenzubringen.


    Der einzige kleine Kritikpunkt sind die manchmal etwas zu einseitig gezeichneten Figuren wie die Furie Cora Crippen oder die Nervensäge Mrs. Drake. Diese hätten vielleicht - ebenso wie Crippen - einen differenzierteren Charakter verdient gehabt. Deshalb ziehe ich eine Mäuschen ab und vergebe


    4ratten und :marypipeshalbeprivatmaus:


    P.S. Ich würde davon abraten, sich vor der Lektüre mit dem wahren Fall Crippen zu beschäftigen. Ich glaube, so ist es spannender!

    :lesen: Anthony Powell - The Kindly Ones <br /><br />Mein SUB<br />Meine [URL=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/32348.msg763362.html#msg763362]Listen

  • John Boyne ist ein sprachliches Genie und außerdem ein Meister darin, eine Geschichte zu konstruieren.


    Die Geschichte beruht auf einer Tat, die sich wahrlich zugetragen hat. Den wahren Fall Crippen muss man als Leser nicht kennen - ich würde sogar behaupten, dies würde das Lesevergnügen schmälern. Aber nur geringfügig, denn: Boyne schafft es den Leser immer wieder geschickt zu verwirren, dass er das eigene Wissen in Frage stellt und auch die Lösung, die er am Ende liefert, ist überraschend und trotzdem nicht unglaubwürdig.


    Der Roman lebt von seinen Figuren. Diese sind allesamt skurril, haben in der Regel zwei Gesichter. Vor allem der titelgebende Mr Crippen lässt sich absolut nicht in ene Schublade stecken. Man möchte ihn hassen, aber es fällt schwer. Man findet ihn abstoßend und seltsam, hat aber Mitleid mit ihm.


    Viele der Nebenfiguren sind fast ebenso interessant wie die Hauptfiguren. Mathieu Zela und sein Neffe Tom, der sich unmöglich auf dem Schiff benimmt. Mrs Drake, die so impertinent ist, dass man permanent über sie lachen möchte. Und der liebenswerte Billy Carter, dessen Geschichte sicherlich Stoff für einen weiteren Roman geben würde.


    Für mich eines der Lesehighlights dieses Jahr.


    5ratten

  • Meine Meinung:


    Mit diesem Roman ist mir Boyne noch mehr ans Herz gewachsen. Er hat eine tolle Geschichte zusammengesponnen. Als ich dann noch erfuhr, dass es Crippen tatsächlich gab, war es für mich noch umso spannender. Ich hatte mir ein paar Fotos angesehen, dann aber meine Recherchen zurückgestellt. Zum Glück: So hatte ich noch einige Spannungsmomente :smile:
    Man wird von einer Mordphantasie in die nächste getrieben und weiß irgendwann überhaupt nicht mehr, wer was getan haben könnte.


    Die Charaktere sind alle klasse. Manche so überspitzt, aber immer noch glaubhaft, andere mysteriös oder brutal. Wirklich eine interessante Mischung. Mein Lieblingscharakter wurde der Kapitän Kendall. Er ist so unwirsch und dann doch wieder so liebenswert. Ein alter brummiger Seebär eben.


    Ich hätte im Nachwort gerne von Boyne noch mehr über den echten Fall Crippen erfahren. Da muss man dann aber leider selber auf Recherche gehen.


    Von mir gibt es 4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Pessimisten stehen im Regen, Optimisten duschen unter den Wolken.

  • Im Jahr 1910 macht ein Mordfall in London große Schlagzeilen: Dr. Hawley Crippen soll seine Frau Cora Crippen kaltblütig ermordet und ihre zerstückelte Leiche im Keller vergraben haben. Der Mord ist damals tatsächlich geschehen, jedoch gibt es wohl bis heute immer noch Unklarheiten, wie genau und wer den Mord tatsächlich begangen hat.


    John Boyne hat diesen alten Fall aufgegriffen und einen Roman darüber geschrieben. Die Geschichte in diesem Buch basiert also auf wahren Begebenheiten, jedoch wurde auch vieles ausgeschmückt und mit fiktiven Begebenheiten ergänzt.


    Wer also einen wirklichen Tatsachenroman erwartet, wird hier unweigerlich enttäuscht werden.


    Ich wurde keinesfalls enttäuscht, im Gegenteil! Ich habe dieses Buch von Anfang bis Ende genossen und war kaum fähig, es aus der Hand zu legen. Die Geschichte ist so spannend und interessant erzählt, und die Tatsache, dass sie auf einem wahren Mordfall basiert, hat sie für mich nur noch faszinierender werden lassen.


    Zudem hat John Boyne einen Schreibstil, der mich begeistern kann. Er hat einen sehr feinen Humor, so dass ich beim Lesen oft ein Lächeln im Gesicht hatte.


    Ich habe während der Lektüre des Buches parallel auch ein wenig über den wahren Fall des Dr. Crippen gelesen und dachte daher, ich wäre auf das Ende des Romans vorbereitet. Das erwies sich als Fehler, denn John Boyne hat es tatsächlich noch mal geschafft, mich mit dem Ausgang des Buches zu überraschen.


    Für mich war die Lektüre des Buches eine richtige Freude; ich hab es sehr genossen!


    5ratten

    Lesen aus Leidenschaft

  • Und dann kam Holden: :breitgrins:


    Meine Meinung ist eine vollkommen andere (auch wenn ich hier nicht so in die Tiefe gehen kann um nicht zu viel zu verraten). Ich hatte zum Teil sogar das Gefühl ein ganz anderes Buch zu lesen, als der Rest der Leserunde. Mag sein das mir auch meine Vorkenntnisse über den Wahren Fall im Weg standen, aber Boyne konnte mich nach und nach immer weniger überzeugen. Das ging so weit das ich das Buch am liebsten gar nicht beendet hätte.


    Im Allgemeinen ist Boynes Ansatz durchaus interessant, er möchte dem Leser einen neuen Blickwinkel auf den gesamten Fall Crippen bieten. Allerdings konnte mich seine Umsetzung nicht überzeugen. Eine der wichtigsten Schlüsselfiguren war viel zu überzogen dargestellt und rückte dafür Andere, in ein meiner Meinung nach zu verklärendes Licht.


    Die Verknüpfung von Tatsachen und Fiktion ist in einem Roman natürlich legitim, aber für mich ergab sich daraus bis zu letzt kein wirklich in sich Rundes Bild. Im Gegenteil, nach und nach war mir klar in welche Richtung die Handlung steuern würde und so konnte mich auch der Schluss nicht mehr überraschen, er war für mich klar voraussehbar. Boyne ist meiner Meinung nach viel zu sehr damit beschäftigt eine neue Wendung in den Fall zu bringen und das für meinen Geschmack nahezu krampfhaft. Das ist mit einer der Hauptgründe weshalb ich beim Lesen enttäuscht wurde.
    Lediglich die Passagier auf der Schiffshandlung fand ich ganz ansprechend, aber das allein konnte mich dann nicht über die Handlung hinwegsehen lassen. Zu dem finde ich das diese Rahmenhandlung zum Teil nicht so richtig zum restlichen Roman passt, das kam mir mehrmals nicht ganz Rund vor. Zudem kommt Boyne hier nicht ganz ohne Klischees aus, manchmal hatte ich den Eindruck das der Autor sich nicht zwischen Slapstick und Spannung entscheiden konnte. Diese Mischung ging mir jedenfalls zunehmend auf die Nerven. Daher kann es von meiner Seite nur diese Bewertung geben:
    :flop: :flop: :flop:

  • Im Sommer 1910 verlässt die SS Montrose den Hafen Antwerpen mit Ziel Kanada. An Bord ist eine bunte Mischung von verschiedensten Personen, unter anderem ein Mister Robinson mit seinem Sohn Edmund. Schnell wird klar, dass die beiden ein Geheimnis haben, aber die unterhaltsame Schilderung der anderen Mitreisenden lässt dies erstmal in den Hintergrund treten. Da sind zum einen die unausstehlich arrogante Mrs. Drake und ihre eingebildete Tochter Victoria, die glaubt, ausnahmslos jeden Mann um den Finger wickeln zu können, dann die eher unauffällige Miss Hayes sowie der wohlhabende und scharf beobachtende Mathieu Zela und sein unausstehlicher Neffe Tom. Nicht zu vergessen natürlich die Besatzung der Montrose selbst, allen voran der Kapitän Kendall und sein neuer erster Offizier Billy Drake, der das erste Mal auf der Montrose mitfährt. All dies gäbe wahrscheinlich schon genug Stoff für ein ganzes Buch, doch Boyne verknüpft die Handlung auf der Montrose geschickt mit Rückblenden in die Vergangenheit von Hawley Crippen, einem jungen Mann, der bei einer fanatisch religiösen Mutter aufwächst, sich sehr für Medizin interessiert, aber aus finanziellen Gründen kein richtiges Studium absolvieren kann und nach einigen Irrwegen in London landet, wo er eine homöopathische Apotheke leitet.


    Mir war zu Beginn der Lektüre nicht klar, dass Hawley Crippen die Hauptfigur in einem bekannten realen Kriminalfall gewesen ist. Wer dies noch nicht weiß, sollte sich während der Lektüre auch eher bremsen und nicht nachschlagen, was über den Fall so geschrieben wurde, man nimmt sich einiges an Spannung, auch wenn Boyne hier seine ganz eigene Auslegung der Fakten geschrieben hat.
    Ich habe das Buch gar nicht als Krimi angefangen, sondern eher an einen historischen Roman gedacht. Insofern habe ich wohl auch weniger mitgerätselt als ich es bei einem Kriminalroman getan hätte und so ist es dem Autor mehr als einmal gelungen, mich total zu überraschen.


    Die Figuren, die Boyne hier zeichnet, sind teilweise unglaublich überspitzt, aber gerade das macht einen Großteil des Lesevergnügens aus, man liest und mag es sich kaum vorstellen, aber kann gleichzeitig nicht ausschließen, dass es solche Personen wirklich gegeben hat und gibt.


    Im Nachwort hätte ich mir allerdings gewünscht, dass der Autor etwas mehr darauf eingeht, was nun Fakten waren und was seiner Phantasie entsprungen ist, hier muss man dann doch eher selbst recherchieren, wenn man es genauer wissen will.


    Insgesamt habe ich mich aber sehr gut unterhalten gefühlt und Boynes Schreibstil überzeugt mich einfach jedes Mal, egal um welches Thema es geht!


    4ratten

    LG, Dani


    **kein Forums-Support per PN - bei Fragen/Problemen bitte im Hilfebereich melden**

  • Hallo Ihr Lieben,


    so, dann will ich hier auch endlich meine Meinung schreiben:


    In dem Buch "Der freundliche Mr Crippen" hat John Boyne den wahren Fall des Mr Crippen aufgerollt und einige interessante Sichtweisen mit einfließen lassen. Dabei lässt er das Buch zuerst sehr entspannt auf dem Schiff "Montrose" starten, auf dem einige interessante Passagiere sich zusammenfinden und ich schon gleich zu Beginn über einige eigenwillige Charaktere schmunzeln bzw. den Kopf schütteln musste.


    In Rückblenden wird dann das Leben von Hawley Crippen erzählt. Von seiner Jugend, hin zu seinem verzweifelten Wunsch Arzt zu werden, über seine nicht glücklichen Ehen.
    Dabei war mir einige Zeit erstmal nicht klar, wo der Zusammenhang zwischen der "Montrose" und Hawley Crippen besteht. Erst nach und nach wird Stück für Stück aufgedeckt, inwiefern das zusammenhängt und die gesamte Dramatik der Geschichte sich aufbaut.


    Dies hat John Boyne für mich wieder sehr gut gemacht und mich dabei auch noch mit seinem sprachlichen Können erneut aufs Neue überzeugt. Wie nebenbei lässt er manche Dinge einfließen oder legt sie seinen Figuren in den Mund und teilweise habe ich so versteckte Seitenhiebe zuerst überlesen, um dann doch wieder zu ihnen zurück zu kehren und mir ein Lächeln nicht verkneifen zu können.


    Ich habe mich absichtlich vorab nicht mit dem wahren Fall von Mr Crippen beschäftigt und kann auch nur jedem raten es auch so zu halten. John Boyne hat sich eine Variante ausgedacht, die so hätte stattfinden können, aber nicht historisch belegt ist. Leider hat er auch kein Nachwort verfasst und so bleibt der Leser im Dunkeln, was von der Geschichte auf Tatsachen beruht und was reine Fiktion ist.


    Dieser Punkt ist für mich auch der einzige Negativpunkt, den ansonsten hat mich das Buch sehr gut unterhalten und vor allem durchgehend gefesselt. Alles in allem gibt es dafür 4ratten


    Liebe Grüße
    Tammy :winken:

    &WCF_AMPERSAND"Jeder der sich die Fähigkeit erhält, Schönheit zu erkennen, wird nie alt werden.&WCF_AMPERSAND" (Franz Kafka)

  • INHALT
    Am 20. Juli 1910 verlässt das Passagierschiff S.S. Montrose den Hafen von Antwerpen und steuert mit rund 1.400 Fahrgästen in Richtung Quebec. Unter ihnen aus London ein Vater mit seinem Sohn. Im März desselben Jahres meldet im Londoner Büro von Scotland Yard eine Frau ihre Freundin Cora Crippen als vermisst und äußert einen ungeheuerlichen Verdacht: Coras Ehemann, der Arzt Hawley Crippen, soll seine Frau ermordet haben. Inspektor Walter Drew schenkt diesem Hinweis jedoch keinerlei Glauben, denn Mr Crippen gilt als überaus freundlich, sympathisch und harmlos. Doch auch Mr Crippen scheint wie vom Erdboden verschluckt, und dann macht Scotland Yard eines Tages einen grausigen Fund.
    In Vor- und Rückblenden zwischen den Ereignissen in London und auf der S.S. Montrose erzählt John Boyne von der spannenden Jagd nach einem Mörder und seiner Komplizin, die sich im Jahr 1910 wirklich so zugetragen hat. (Klappentext)


    MEINE MEINUNG
    Mit „Der freundliche Mr. Crippen“ hat William Boyne äußerst unterhaltsamer historischer Roman geschrieben, der mich sehr begeistern konnte.
    Basierend auf den realen historischen Ereignissen und Begebenheiten des Kriminalfalls Crippen im Jahr 1910, der damals um die ganze Welt ging und die Menschen erschütterte, ist es dem Autor hervorragend gelungen, die Fakten mit den fiktiven Elementen zu verweben und uns eine sehr fesselnde Kriminalgeschichte zu erzählen.
    Es sei an dieser Stelle allerdings schon darauf hingewiesen, dass es sich trotz der vielen eingestreuten, realen Fakten um einen rein fiktiven Roman handelt, der keinen Anspruch auf historische Korrektheit erhebt. Um sich ganz unvoreingenommen auf den Roman einlassen zu können, empfiehlt es sich aber, mit der Recherche der historischen Details bis nach der Lektüre zu warten, um das Lesevergnügen nicht zu schmälern.
    Erstaunlich raffiniert und komplex ist die Geschichte mit den unterschiedlichen Handlungssträngen angelegt, so dass das Miträtseln ausgesprochen viel Spaß macht. Doch schon bald merkt man, dass es sich mit einigen Dingen nicht so verhält, wie man zunächst dachte und erlebt so manche Überraschung während des Lesens – sogar, wenn man bereits die historischen Hintergründe zu kennen glaubt.
    Hervorragend gelungen sind Boyne vor allem seine liebevoll ausgearbeiteten, herrlich skurrilen Charaktere, wie beispielsweise die überhebliche Mrs. Louise Smythson oder auch die bornierte Victoria mit ihrer durchtriebenen etwas einfältigen Mutter. Sehr gekonnt eingefangen fand ich auch die besondere Atmosphäre an Bord der S.S. Montrose und Stimmung unter den Reisenden während der Schiffspassage. Boynes Schilderungen zeigen einen interessanten Mikrokosmos auf und spiegeln die englische Gesellschaft jener Zeit auf sehr gelungen Weise. Schon bekommt man bald das Gefühl, dass fast alle Passagiere irgendetwas zu verbergen haben, vor allem natürlich der übernervöse Mr. Robinson und sein "Sohn" Edmund, die zurückhaltende Martha Hayes oder der sehr undurchsichtige Matthieu Zela mit seinem pubertierenden Neffen Tom. Boyne hat hier sehr spannende, vielschichtige Charaktere portraitiert, hinter deren Fassade man nur zu gern schauen möchte, um ihre Geheimnisse zu ergründen.
    Sehr gelungen ist auch der Erzählstränge, in dem Boyne die Kindheit und Jugend von Hawley Crippen und seine charakterlichen Besonderheiten herausarbeitet. So lernen wir ihn als einen äußerst zielstrebigen jungen Mann kennen, der großes Interesse an der Wissenschaft hatte und dessen größter Wunsch war, Arzt zu werden.
    Als etwas zu überzeichnet empfand ich teilweise aber seine zweite Ehefrau, die Möchtegern-Sängerin Cora, in ihrem grenzenlosen Egoismus und ihren Gewalttätigkeiten.
    Herausragend ist auch der angenehme, flüssige Schreibstil Boynes, dessen besonderer Humor mir sehr gefallen hat.


    Insgesamt hat Boyne seine eigene Darstellung des Fall Crippens bis zum Ende sehr stimmig ausgearbeitet, mich mit den vielen überraschenden Wendungen fesseln können und nachdenklich gestimmt.
    Im Nachwort erwähnt der Autor zwar noch einige Begebenheiten zum wahren historischen Fall Crippen, wer aber die vollständigen Details nachlesen möchte und mit dem Roman vergleichen möchte, ist auf eine eigene Recherche im Internet angewiesen.


    FAZIT
    Ein äußerst fesselnder Kriminalroman, der mich begeistern und sehr gut unterhalten konnte!


    4ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

  • Im Sommer des Jahres 1910 sticht in Antwerpen ein kanadisches Schiff in See: es ist die SS Montrose auf ihrem Weg nach Nordamerika, genauer in den Hafen von Québec. An Bord sind sehr viele Menschen, die die Überfahrt aus unterschiedlichsten Gründen machen: unter anderem sind da Mrs Drake und ihre Tochter, die sich beide an Nervigkeit schier überbieten, der französische Geschäftsmann Zéla, die alleine reisende Miss Hayes und Mr Philo Robinson, der mit seinem Sohn reist. Während das Vater-Sohn-Gespann schon bald auffällt, weil nur wenige Passagiere überhaupt in den besseren Kajüten untergebracht sind, erzählt der Autor John Boyne die Geschichte in verschiedenen Zeitebenen, so dass die Rückblenden immer mehr Details über das Leben und den Charakter des mysteriösen Mr Crippen, einem US-amerikanischer Arzt, der seit etlichen Jahren eine Praxis im Norden Londons hat, enthüllen. Nebenbei erfährt der Leser aber auch einiges über die großen Zeiten der Passagierschifffahrt und die neuesten technischen Errungenschaften…
    So entpuppt sich langsam ein wichtiger historischer Kriminalfall, der in England weitaus bekannter ist als hier in Deutschland.


    John Boyne verarbeitet gerne interessante geschichtliche Geschehnisse zu Romanen - dennoch würde ich bei diesem Buch dazu raten, vor der Lektüre nicht allzu viel zu den realen Figuren zu recherchieren, denn das könnte das Leseerlebnis erheblich schmälern. Gerade die Erzählweise des Autoren lässt es nämlich zu, dass sich "Der freundliche Mr Crippen" wie eine Zwiebel schälen lässt und erst nach und nach alle Details und Rätsel frei gibt, während die Dramatik stetig zunimmt.
    Wie auch schon bei "Der Junge im gestreiften Pyjama" und "Das Haus zur besonderen Verwendung" wählt John Boyne eine tolle Sprache, die den Figuren regelrecht Leben einhaucht, so dass man bei den einzelnen Charakteren ihre Entwicklung, ihre Probleme und ihre Gefühlswelt zu begreifen meint. Besonders gefällt mir aber der Witz, den Boyne perfekt beherrscht und der fein dosiert immer wieder in den Sätzen mit schwingt - überhaupt sind seine Sätze häufig kleine Kunstwerke, in denen mehr steckt als die bloße Beschreibung einer Situation oder Person.


    Am Ende des Buches wird man feststellten, dass der Autor die unterschiedlichen Zeiten und Geschehnisse perfekt miteinander verwoben hat und so ein stimmiges Bild entstanden ist - aber natürlich ist nichts davon mit knallharten Fakten belegt. So wie der eigentliche Fall bis heute noch an der ein oder anderen Stelle Fragen aufwirft, so muss man hierbei dem Schriftsteller seine künstlerische Freiheit zugestehen, denn immerhin ist "Der freundliche Mr Crippen" kein Sachbuch, sondern ein Roman, der auf wahren Begebenheiten beruht. Einzig und alleine ein Nachwort, eine Chronologie der Fakten oder ein paar erklärende Worte in einer Danksagung habe ich einwenig vermisst - auch die Motivation des Autors, sich dieses Falles anzunehmen, hätte mich wirklich interessiert...


    Fazit: Wirklich eine sehr gute Unterhaltung, bei der mich vor allem die schönen Sätze und der charmante Sprachwitz beeindruckt haben. Aber wie gesagt: es empfiehlt sich sehr, den Roman unvoreingenommen (durch vorherige Informationen zum Fall) zu lesen, denn dann macht er sicherlich noch einen Tick mehr Spaß!


    4ratten

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Während sich das Passagierschiff "Montrose" auf der Fahrt von Antwerpen nach Kanada befindet, sucht in London Scotland Yard fieberhaft nach einem Mordverdächtigen, nämlich nach Dr. Harry Harvey Crippen. Er soll seine Frau auf brutale Art und Weise umgebracht, zerstückelt und im Keller vergraben haben.... Doch was steckt wirklich hinter diesem Verbrechen? Und was haben die Passagiere der "Montrose" damit zu tun?


    Auf raffinierte Weise beleuchtet der Autor den Kriminalfall aus mehreren Perspektiven, so dass sich nach und nach ein kaleidoskopartiges Bild heraus arbeitet. Ich fand es ganz schön anspruchsvoll, die einzelnen Zeitebenen richtig zuzuordnen; schließlich beginnnt die Geschichte mit dem Ablegen der "Montrose" von Antwerpen nach Kanada, schließt aber auch den kompletten Lebensweg des Harry Harvey Crippen mit ein und springt immer wieder um einige Monate zurück, um die Entstehung des Verbrechens zu skizzieren. Da ist aufmerksames Lesen gefragt, um den Überblick nicht zu verlieren.


    Am besten gefiel mir die Schilderung der Atlantiküberquerung. Durch eine bunt zusammen gewürfelte Reisegesellschaft und einen neuen ersten Offizier ist für reichlich Abwechslung gesorgt, wenn auch der Fall wenig damit zu tun hat. Aber durch witzige Verwicklungen und eine Prise Titanic-Stimmung fühlte ich mich damit bestens unterhalten.


    Eher mühsam fand ich die eingestreuten Rückblenden über Dr. Crippens Leben. Es ist über die ganzen Jahre hinweg deprimierend und bestürzend, und damit soll wohl das Verständnis für den Verdächtigen geweckt werden. Nach und nach erreicht dieser Erzählstrang dann die Gegenwart und den markanten Punkt von Cora Crippens Verschwinden, womit der Beginn des eigentlichen Kriminalfalls zeitlich zu verorten ist. Ab diesem Moment kommt durch eine aufmerksame Freundin auch noch Scotland Yard mit ins Spiel und bietet einen weiteren Blickwinkel auf den Fall.


    Sehr gut gefiel mir die Darstellung des Zeitgeistes des anfänglichen 20. Jahrhundert mit seinen gesellschaftlichen Zwängen und den strengen Einteilungen der Klassen, worauf besonders die versnobte Upper-Class viel Wert legte. Dies wird in kleinen Begebenheiten und wortwitzigen Auseinandersetzungen geschildert und ich hatte durchaus meinen Spaß damit, wohl wissend, dass es für die Menschen damals gar nicht so spassig war, einer unteren Schicht anzugehören. Auch Dr. Crippen kämpft letztendlich sein Leben lang dagegen an, dass ihm bestimmte Ziele versagt bleiben.


    Durch diesen Mix entsteht ein historischer Kriminalroman, der an vielen Stellen einfach nur so dahin plätschert und eine kontinuierlichen Spannungsbogen vermissen lässt. Aufregend wird es vor allem am Ende, und obwohl der Fall tatsächlich passiert ist und kundige LeserInnen durchaus um den Ausgang wissen, konnte mich der Autor mit einer raffinierten und glaubwürdigen Auflösung überraschen. Seine Version der Geschehnisse ist allerdings unter dem Gesichtspunkt der künstlerischen Freiheit zu sehen, denn wie die Sache tatsächlich ausgegangen ist, darüber gibt es auch über 100 Jahre später noch unterschiedliche Ansichten.


    Für klassische KrimileserInnen ist das sicher zu wenig, aber wer sich gerne auf eine ruhig erzählte und langsam sich entwickelnde Geschichte einlässt, die durchaus ihre kriminalistischen Höhepunkte hat, der wird nicht enttäuscht werden.


    4ratten

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Das Buch ist für meine Begriffe auch kein Krimi, sondern eher ein Unterhaltungsroman mit ein paar kriminalistischen Elementen. Ich überlege gerade, ob der Thread nicht sogar besser zur Unterhaltungsliteratur passt (obwohl ich ihn damals selber hier eröffnet habe).

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich glaube, da befördere ich ihn jetzt auch hin. 1910 ist ja durchaus schon historisch.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Worum es geht

    Am 20. Juli 1910 verlässt das Passagierschiff Montrose den Hafen von Antwerpen, und nimmt Kurs auf Quebec. In der ersten Klasse mit an Bord sind der liebenswürdige Mr. John Robinson und sein Sohn Edmund, unkomplizierte Passagiere, die niemandem auffallen, bis Kapitän Kendall eines Abends eine äußerst merkwürdige Entdeckung macht. Ein im Kapitän aufkeimender Verdacht veranlasst ihn, an Scotland Yard zu telegrafieren.
    In London hat sich Mrs. Louise Smython ebenfalls an die Polizei gewandt, findet sie doch das sang- und klanglose Verschwinden ihrer Freundin Cora Crippen, das so gar nicht zum temperamentvollen Charakter der Sängerin passt, äußerst seltsam. Ohne sich zu verabschieden, sei sie zu einem kranken Verwandten nach Amerika aufgebrochen und dort verstorben, behauptet zumindest ihr Ehemann.
    Wenig später trifft die Nachricht von der Montrose ein, und ein spektakulärer Kriminalfall kommt ans Tageslicht.


    Meine Meinung
    Vom realen historischen Hintergrund des Mordes an Cora Crippen nichts wissend, bin ich völlig unbelastet an die Lektüre herangegangen. Erst im Anschluss habe ich mich kundig gemacht und erfahren, dass es im tatsächlichen Mordfall viele Ungereimtheiten und offene Fragen gab. Diesen Umständen ist es wohl zu verdanken, dass der Autor seine eigene Version der Vorkommnisse niedergeschrieben, und diese Aufgabe meiner Meinung nach ganz hervorragend gemeistert hat.
    Sehr gut fand ich den Lebensweg von Harvey Crippen geschildert, und auch seine sich häufig wie eine Furie gebärdende Ehefrau Cora konnte ich mir bildhaft vorstellen. Sie träumt von einer großen Karriere als Sängerin, ohne zu erkennen, dass ihr dafür das nötige Talent fehlt. Die frustrierte Cora lässt ihre Wut am armen Harvey aus, der von seiner Angetrauten sogar verprügelt wird.
    Der brillante Erzähler und scharfsichtige Beobachter John Boyne hat aber nicht nur seinen Hauptfiguren Leben einzuhauchen vermocht, sondern auch seinen Nebenakteuren viel Aufmerksamkeit zuteil werden lassen. Besonders gut fand ich die redselige und dünkelhafte Mrs. Antoinette Drake charakterisiert, während ich mit der Darstellung der puritanischen Mutter des Harvey Crippen irischen Humor kennen und schätzen gelernt habe.
    In Vor- und Rückblenden rollt der Autor eine äußerst dramatische Geschichte auf, die mich von der ersten bis zur letzten Seite völlig in ihren Bann gezogen hat. Der Leser begleitet Harvey von seiner Kindheit, seinem beruflichen Werdegang und seiner unglücklichen Ehe bis zur Flucht mit seiner Geliebten Ethel LeNeve. Keinen Augenblick kam Langeweile auf, in atemloser Spannung habe ich das Leben des Protagonisten verfolgt, oder wollte wissen, wie es auf der Montrose weitergeht. Selten ist mir ein so rasant geschriebener, leicht und flüssig zu lesender Roman auf hohem sprachlichen Niveau in die Hände gefallen, der mich auch noch glänzend unterhalten hat.
    Bewundernswert fand ich die fantasievolle Variation des realen Mordfalles, die John Boyne in seinem Buch vorlegt. Dass es so gewesen sein könnte, möchte ich trotz aller Begeisterung für das Werk bezweifeln, doch hat mir die überraschende Wende am Ende des Romans so gut gefallen, dass ich sie als dichterische Freiheit gerne akzeptiere.


    5ratten


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    Einmal editiert, zuletzt von Herzblatt ()

  • John Boyne hat es in diesem Roman geschafft, dass ich zum Schluss keinen seiner Charaktere gemocht habe. Jeder von ihnen hat Eigenschaften, die sie oder ihn mir anfangs sympathisch gemacht haben. Aber im Verlauf der Handlung habe ich meine Meinung geändert. Die einzige Ausnahme war vielleicht Billy Carter, auch wenn der mir mit seiner jugendlichen Arroganz manchmal ein wenig auf die Nerven gegangen ist.


    Was dem Autor aber gut gelungen ist: er hat mir einen Blick ins Seelenleben seiner Protagonisten gewährt, so dass ich zumindest verstehen konnte, was sie zu ihrem Handeln gebracht hat. Gerade bei Dr. Crippen hat er mich ein paar Mal überraschen können, denn so, wie er ihn anfangs beschrieben hat, hätte ich die spätere Entwicklung nicht erwartet. Besonders, was die Ehe mit Cora betrifft, hat sich die Geschichte in eine ganz andere Richtung entwickelt, als ich anfangs vermutet habe.


    Trotzdem hat mir Hawley Crippen als Protagonist mit seiner Mischung aus Schwäche und Selbstmitleid nicht gefallen. Sicher waren die seiner Erziehung geschuldet, aber ich hätte mir gewünscht, dass er sein Schicksal nicht nur erträgt, sondern in seine eigenen Hände nimmt.


    Dass der Roman mir trotz der Abneigung gegen die meisten Personen, die mir darin begegnet sind, trotzdem gut gefallen hat, ist eine Kunst, die nur wenige Autoren für mich beherrschen.

    4ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Crippen ist mir als Kotzbrocken auch Jahre nach der Lektüre noch im Gedächtnis geblieben. Ich fand ihn dermaßen unsympathisch, das ganze Buch hindurch und dann noch mehr, als ich den realen Fall recherchiert hatte.


    Aber mir ging es wie Dir, Kirsten , ich fand das Buch dennoch spannend und lesenswert.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen