Dara-Lynn Weiss: Wonneproppen. Diät mit sieben? Wie ich um die Gesundheit meiner Tochter kämpfte
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amazon-Klappentext:
ZitatDara-Lynn Weiss’ Tochter Bea ist sieben, als die Kinderärztin die Diagnose Adipositas stellt. Für die Mutter zweier Kinder ist klar, dass sie handeln muss – dabei hadert sie selbst mit ihrem Körper und pflegt einige bedenkliche Essgewohnheiten. Wie soll sie ihrer Tochter da erfolgreich im Kampf gegen das Übergewicht helfen?
In ihrem heiß diskutierten Buch beschreibt Dara-Lynn Weiss ihr Ringen um die Gesundheit ihrer Tochter. Schonungslos offen schildert sie den beschwerlichen Weg zu Beas Normalgewicht, ihre erstaunlichen Strategien im Kampf gegen die Fettleibigkeit, ihre Frustration und ihre Selbstvorwürfe. Nicht zuletzt enthüllt sie auch die Scheinheiligkeit, mit der das Thema Essen in der Öffentlichkeit diskutiert wird: Es geht um Fertigsnacks und Biolebensmittel, um Diäten, Essstörungen und umstrittene Erziehungsmethoden.
Wonneproppen ist ein mutiges Buch, das einen frischen Blick auf ein brisantes und hochaktuelles Thema wirft: Übergewicht bei Kindern. Vor allem aber ist es die berührende Geschichte einer Mutter, die aus Liebe zu ihrem Kind eine schwierige Entscheidung trifft und sich damit unbeliebt macht
Meine Meinung:
Das Buch hat mich an vielen Stellen überrascht.
Ich hatte vorab viele Berichte darüber gelesen und die Vorstellung gewonnen, dass die Mutter grausam war und die Diät v.a. mit Fastfoodprodukten stattfand.
Nach dem Lesen des Buches revidiere ich diese Meinung dahingehend, dass die Mutter auf jeden Fall ein Problem hat und oft gedankenlos ist, die Diät zwar ernährungsphysiologisch okay war aber psychologisch falsch aufgezogen wurde.
Das Kind war mMn am Ende der Diät bzw. des beschriebenen Jahres "kaputt" fürs Leben.
Die Diät wird nur nach Kalorien aufgezoegen und die Mutter berechnet diese für jeden Tag, jede Mahlzeit, jedes Lebensmittel exakt.
Die Mutter ist nur am Rechnen.
Egal, wie gesund oder ungesund Sachen sind, es kommt auf die Kalorienzahl an.
So gibt es unter anderem Cola Light statt Orangensaft und "Cool Whip" ("künstliche Schlagsahne") als Nascherei. Die hat nämlich fast keine Kalorien.
Schlimmer als die Rechnerei ist die mMn völlig falsche Herangehensweise der Mutter unter Missachtung der Psyche ihrer 7jährigen Tochter.
Ein paar Beispiele:
Essen, dass sie schon in der Hand hat, wird ihr vor Freunden weggenommen.
Der Bruder (jünger, und auch ein schwieriger Esser, da er v.a. Nudeln isst und nur wenig anders) bekommt grundsätzlich größere Portionen am gemeinsamen Esstisch.
Immer wieder muss Bea hören, was sie essen darf und was nicht, dass sie übergewichtig ist, dass sie abnehmen muss.
Immer wieder muss Bea berichten, was sie so alles gegessen hat (erstaunlich, dass sie dabei nicht lügt).
Am schlimmsten fand ich die Ungleichbehandlung der Geschwister.
Ich kenne die Situation.
Mein Bruder war geistig behindert und auf einer Sonderschule; die meisten Mitschüler wohnten weiter weg und so waren Besuche selten.
Einmal kamen drei Kinder zu Besuch für einen Nachmittag, er war vielleicht 12 (aber emotional und intellektuell eher 6), ich 16. Die Kinder verbrachten einen schönen Nachmittag, abends gab es für alle Abendbrot und danach, weil Besuch da war, Nachtisch.
Eine der Besucherinnen, die sich nicht sonderlich gut ausdrücken konnte, sagte beim Nachtisch selbstverständlich "Björn darf nicht mehr!"
Fragen Blicke unsererseits.
Die Lehrerin in der Schule hatte beschlossen, dass er abnehmen muss und das einfach mal so umgesetzt, indem sie ihm vor anderen das Essen (Nachnehmen) verbot. Die Kinder nahmen diese Mahnungen schnell auf.
Ich war ziemlich geschockt.
Ich kann nicht sagen, dass ich meinem Bruder zu der Zeit besonders nahe war, aber diese Behandlung schloss ihn aus und erhob die anderen über ihn: SElbst vor seinen Eltern war es selbstverständlcih, dass sie über ihn entscheiden konnten und er musste das - in der Schule zumindest - hinnehmen.
Bea passiert so etwas nun täglich am Esstisch durch v.a. die Mutter.
Vieles an dem Buch erinnert mich am Amy Chuas Buch "Die Mutter des Erfolgs".
Eine Mutter, die genau weiß, was für ihre Kinder gut ist und das umsetzt, indem sie ihren Tagesablauf minutiös plant und überwacht. Eine Mutter, die ihre verpassten Träumen auf die Kinder projiziert und diese zwingt, sie umzusetzen.
Eine Mutter, die nicht mitbekommt, was sie da eigentlcih ihrer Tochter antut.
Eine Mutter, der es hinterher oft Leid tut.
Das fällt auf: An einigen Stellen am Buch wird erst eine Handlung beschrieben, etwa der Tochter auf der Geburtstagsfeier vor anderen Kindern den Keks aus der Hand zu reißen, und hinterher Gewissensbisse zu haben, die aber in der Zukunft nicht das gleiche Verhalten verhindern.
Im Laufe des Buches/ Jahres, wird die Mutter immer besessener und schafft es, dass der Vater in die gleiche Schiene rutscht.
Die größte Angst ist es, dass Bea Kalorien aufnimmt, von denen sie nichts weiß, etwas isst, bevor Dara-Lynn Weiss dessen Kalorien berechnet hat und bestimmt hat, ob es an diesem Tag noch gegessen werden darf.
Die Tochter macht relativ brav mit, meint sogar nach kurzer Zeit resignativ
Daran muss ich mich gewöhnen, das wird jetzt immer so weiter gehen.
Auch erschrickt die Mutter, zieht aber keine Konsequenzen.
Im Laufe des Buches werden alle immer paranoischer.
Das Ganze kulmininert in einem Kapitel über eine Reise ins Feriencamp.
Mama und Papa sind beim Anblick der Cafeteria
in Panik :sauer: - so viele Möglichkeiten, unbeaufsichtigt Kalorien aufzunehmen
und versuchen tatsächlich, den Betreuern einen Plan aufzudrücken
nachdem immer jemand bei Bea ist und ihr "hilft" in der Cafeteria die richtigen Entscheidungen zu treffen, nichts unbeobachtet zu essen, sich exakt an Mamas Speiseplan zu halten
und zudem
bitte am Ende der ersetn Woche den Speiseplan für die Folgewoche zu mailen, damit Mama die Mahlzeiten planen kann!
.
Es kommt dann aber ganz anders, Bea bekommt keine Sonderbehandlung und als die Eltern sie abholen, erleben sie eine Überraschung, denn Bea hat
sich beim Essen sehr zurück gehalten und wenn ihre Freunde geschlemmt haben, zugesehen und vielleicht mal "einen viertel Brownie" gegessen. Sie hat also verinnerlicht, dass sie sich immer beim Essen zurückhalten muss...
Stolz berichtet die Mutter, dass Bea nur "einmal beim Kochkurs" war.
Wäre das denn nicht eine Chance gewesen, selbst gesundes und Kalorienarmes Essen zuzubereiten?
Hier sieht man übrigens Bea "nach" der Diät.
Nach in Anführungszeichen, denn die Diät ist ja nie beendet und Bea hat erfolgreich verinnerlicht, dass sie fett ist und weiterhin jede Woche abnehmen muss.
Nicht ganz so schlimm wie in der veröffentlichten Berichten war:
Bea wurde nicht ständig etwas aus der Hand gerissen.
Sie bekam nicht nur Fastfood.
Sie wurde nicht ständig in der Öffentlichkeit gedemütigt.
Übel war allerdings:
ihre wurde die Angst vor Kalorien eingetrichtert.
Sie weiß jetzt evtl. dass sie weniger wert ist, als ihr Bruder, der nie in diesem Maße kontrolliert wurde.
Sie kasteit sich schon früh selbst.
Wenn sie etwas "falsch" machte, wurde ihr schon mal fast das ganze Abendessen gestrichen, damit die "Punkte stimmten". Sie erlebt früh, dass sie fast keine Kontrolle über ihr Leben hat (und kompensiert das dan evtl. später mit der antrainierten Kontrolle über ihr Essverhalten?).
Interessanterweise äußert sich die Autorin über diese Kritik im Buch (und auch andere Kritikpunkte).
Ihre Aussage dazu: Sie hat ja nur das Beste für ihr Kind getan, gegen Adipositias könne man nichts anders als rigide Kalorienkontrollereduktion machen und Sport sei erwiesenermaßen dazu nicht geeignet. Interessanterweise, weil man davon angeblich mehr Hunger bekommt. (Habt Ihr Hunger nach dem Sport? Eher doch Durst, oder?).
Es fällt auf, dass sich die Mutter sehr mit Bea identifiziert, immer wieder Gemeinsamkeiten findet oder auf die besondere Nähe zu ihr hinweist, aber den Bruder im Allgemeinen viel positiver sieht, ihm viel mehr Freiheiten lässt.
Dass der Bruder fast nur Nudeln isst, stört sie nicht, das ist kein Grund für eine Ernährungsumstellung.
Alles, was an Bea positiv beschrieben wird, kommt mit einem kleinen, manchmal gar nicht wirklich fassbaren "Aber" daher.
Man kann nur hoffen, dass Bea frühzeitig einen Menschen außerhalb ihrer Familie findet, der ihr Stabilität gibt und sie erkennen lässt, dass einen eigenen Wert hat und diesen nicht durch Wohlverhalten ihrer Familie oder sonstwem stets aufs Neue beweisen muss.
So lese ich jedenfalls einen Großteil des Buches.
Bewertung:
Fällt schwer.
Idee: Mies.
Inhalt: Bemitleidenswert.
Schreibstil: Na ja... an vielen Stellen ist, wie bei Chua, nicht klar, ob das nun Ironie oder einfach Gefühlskälte mangelnde Empathie ist.
Wenn man wissen will, ob das, was man über das Buch gelesen hat, wahr ist, ist es schon lesenswert:
Wenn man sich einfach für Biografien, Mutter-Tochter-Verhältnisse, Erziehungsstile oder Selbstreflektion interessiert, ist es eher traurig:
Mir scheint, dass es eine neue Generation von selbsternannten Übermüttern gibt, die Projekte gnadenlos auf dem Rücken ihrer Kinder austragen, dann darüber schreiben und am Ende immer noch nicht erkannt haben, dass ihre Kinder unter ihnen leiden.
Mal sehen, was als nächstes kommt....