Christos Tsiolkas - Barrakuda

Es gibt 6 Antworten in diesem Thema, welches 1.658 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • Daniel Kelly hat nur ein Ziel: Die Olympischen Spiele 2000 in Sydney. Er ist Schwimmer und ehrgeizig, gibt sich nur mit Platz 1 zufrieden und will nach ganz oben. Doch auf dem Weg dorthin scheitert er. Frustriert verlässt er das Schwimmteam und versucht, mit dieser Niederlage klar zu kommen. Doch der angestaute Frust und die Aggressionen kann Daniel nicht mehr länger zurück halten und als er sie an einem ehemaligen Teamkameraden auslässt, ändert sich sein Leben für immer. Daniel muss neu beginnen und seinen Weg finden.


    Die Inhaltsangabe sprach mich nicht wirklich an, aber "Nur eine Ohrfeige" von Tsiolkas gefiel mir so gut, dass ich "Barrakuda" schließlich doch auslieh. Und nach einigen Anlaufschwierigkeiten habe ich das Buch dann schließlich doch fast ohne Unterbrechung durchgelesen.


    Daniels Geschichte wird, vereinfacht gesagt, von zwei Standpunkten aus erzählt: Was vor seinem Ausraster geschah und was danach geschah. Aber auch diese beiden Perspektiven wechseln sich nicht nur ab, es gibt in beiden "Bereichen" viele Zeitsprünge. So muss man als Leser zu Beginn eines jeden Kapitels sich immer erst zurecht finden, herausfinden, wo man gerade ist, wobei man Daniel begleitet. Zumal es nicht zu jedem Kapitel eine Datumsangabe gibt, fand ich diese Erzählweise manchmal schon etwas verwirrend. Andererseits gefiel es mir aber auch, dass sich so beim Lesen erst allmählich ein Bild von Daniels Leben zusammensetzte. Die Eckpunkte (das Schwimmen, der Wendepunkt, das Leben danach) sind zwar recht schnell klar, aber was genau passierte, das erfährt man erst allmählich. Und die fast 500 Seiten nutzt der Autor, um Daniels Leben sehr genau zu schildern.
    Dazu muss ich sagen, dass ich Daniel vor allem während seiner Zeit als Schwimmer äußerst unsympathisch und sehr undankbar fand. Seine Mutter fuhr ihn zum Training, seine Geschwister mussten ständig auf ihn und seine Termine Rücksicht nehmen, er bekam ein Stipendium für eine gute Schule, hat sich aber außerhalb des Schwimmbeckens nie wirklich bemüht, doch Daniel denkt nur an sich, gönnt keinem anderen den Erfolg und hält sich für den Besten. Mit Kritik und Misserfolg kommt er überhaupt nicht klar.
    Doch obwohl mir Daniel die meiste Zeit nun nicht sympathisch war und ich sein Handeln nicht nachvollziehen konnte, hat mir "Barrakuda" gefallen. Ich mag es, wie der Autor ausführlich Daniels Leben und seine Gedanken beschreibt.


    4ratten


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  • Ich habe das Buch gekauft, weil ich eigentlich "The slap" gesucht habe, das ich nach der TV-Serie gern lesen wollte. Das hier klang aber auch reizvoll, obwohl ich eigentlich etwas komplett anderes erwartet hätte anhand des (englischen) Klappentextes. Da klang es so für mich, als würde Dan nach seinem Scheitern durchdrehen und Rache nehmen wollen an allen, von denen er sich zurückgesetzt fühlte.


    Nichts könnte ferner der Wahrheit liegen. Ja, sein Scheitern zerstört ihn und er tut etwas schreckliches. Aber er bezahlt und danach geht es für ihn hauptsächlich darum, herauszufinden, wer er ist und ob er ein guter Mann sein kann. Kann er? Ich habe in vielen Rezensionen gelesen, was für ein schrecklich unsympathischer Mensch er nicht ist. Ich fand das überhaupt nicht, ich fand ihn, weder den Jungen Danny noch den Mann Dan, einfach nur menschlich und war begeistert, wie gut es Tsiolkas gelungen ist, ihn als menschlichen und fehlbaren Mann zu zeigen, der sich für mich nicht wie eine Romanfigur, sondern eben wie ein Mensch angefühlt hat. Ich mag meine Romanfiguren allerdings auch aus genau diesem Grund mit Ecken und Kanten, von denen Danny/Dan eine Menge hat.


    Sehr gut gefallen hat mir auch die Erzählstruktur, dass man wie ein Puzzle so nach und nach alle wichtigen Teile aus seinem Leben bekommt und immer erst mal grübeln muss, an welchem Punkt in seinem Leben man sich gerade befindet. Man findet auch bald heraus, dass die Abfolge einen Sinn ergibt, wenn zB der erwachsene Dan etwas ankreidet, was sich in der folgenden Szene aus dem Leben des jugendlichen Danny als nicht so ganz korrekt erweist. Ich hatte es so verstanden, dass uns Tsiolkas immer das mitteilt, was wir wissen müssen, um vor allem Dan ein wenig besser zu verstehen.


    Ist er ein guter Mensch? Ich denke, er ist ein Mensch. "Barracuda" ist für mich auf jeden Fall ein sehr gutes Buch. Außer den o.a. Punkten kann ich das immer auch daran festmachen, wenn ich absolut gefesselt bin von einem Buch, obwohl die Handlung nicht immer gerade nervenzerfetzend ist. Oder zumindest nicht auf herkömmliche Weise.


    5ratten


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  • Daniel hat eigentlich nur einen einzigen Lebensinhalt: das Schwimmen. Schwimmen ist sein großes Talent, sein Hobby und sein Schlüssel zum Erfolg. Es hat ihm einen Stipendiumsplatz an einer Privatschule gesichert und soll ihn schließlich zu den Olympischen Spielen führen. Unter den meist reichen und verwöhnten Schulkameraden ist er ein Außenseiter, man zollt seiner Leistung aber widerwillig Respekt und nennt ihn irgendwann "Barrakuda", wenn er konzentriert mit Höchstgeschwindigkeit und perfekter Technik durchs Becken pflügt.


    Doch dann verhaut er ein wichtiges Rennen, und von da an ist sein Leben praktisch im freien Fall. Er sieht keinen Sinn mehr in Schule oder Training, gibt sich mit Aushilfsjobs zufrieden, vernachlässigt alles, was ihm einmal wichtig war, und schließlich kommt es, wie es kommen muss, und er wird in eine unschöne Auseinandersetzung mit schwerwiegenden Folgen verwickelt ...


    Christos Tsiolkas beleuchtet Daniels Leben von zwei Seiten her: in der Ich-Perspektive aus Sicht des erwachsenen Mannes um die dreißig, der so halbwegs seinen Platz im Leben gefunden hat und in einer Beziehung mit einem Mann lebt, dem er jedoch nie alles über sich erzählt hat, und als Erzähler in der dritten Person, wenn es um Daniels Vergangenheit geht, bis die beiden Erzählstränge irgendwann ineinander münden.


    Daniels Geschichte zeigt sehr schön, was geschehen kann, wenn man sein ganzes Leben und seine ganze Identität auf einer einzigen Sache aufbaut. Nach der großen Enttäuschung verliert er völlig jeglichen Mut, von vorn anzufangen, hat keinen Biss und kein Selbstvertrauen mehr, steht völlig neben sich. Er lässt niemanden so recht an sich heran, lässt sich abgestumpft durchs Leben treiben und muss erst ganz unten landen, bis er die Dinge wieder ganz allmählich in den Griff zu kriegen beginnt.


    Daniels Passivität und Fatalismus sind über weite Strecken extrem nervtötend, und so ganz schlüssig war es für mich auch nicht, dass ein verlorener Wettkampf ihn so komplett aus der Bahn wirft, auch wenn es ein wichtiger war, aber dennoch hat mich das Buch zu fesseln verstanden und ich war sehr gespannt, ob er doch noch irgendwann die Kurve kriegt.


    Gut gefallen hat mir, wie selbstverständlich Migrationshintergründe (Daniels Mutter ist Griechin, seine Eltern waren irische Einwanderer in Australien und seine beste Freundin ist Türkin) und Homosexualität eingeflochten wurden, ohne die Themen künstlich zu problematisieren.


    Was mir allerdings sehr auf die Nerven gegangen ist, war die vulgäre Ausdrucksweise, wenn es um (meist männliche) Geschlechtsteile oder sexuelle Handlungen ging. Ich kann mit Kraftausdrücken normalerweise gut leben, aber das klang hier immer unnötig grob für meine Ohren und hat den guten Gesamteindruck von Stil und Sprache deutlich getrübt. Ohne die vielen "Schwänze", "Eier" und ähnliches hätte es noch ein Mäuschen mehr gegeben.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich habe in vielen Rezensionen gelesen, was für ein schrecklich unsympathischer Mensch er nicht ist.

    Obwohl er mich streckenweise, wie oben zu lesen ist, unglaublich genervt hat und ich ihm gerne mal den Kopf zurechtgerückt hätte, fand ich ihn unterm Strich auch nicht unsympathisch. Dass ein Sportler seinem großen Ziel alles unterordnet, ist ja nichts Ungewöhnliches. Muss man nicht toll finden, ist aber realistisch.


    Und ich finde, das Buch zeigt einfach sehr schön, wie lange es einem im Leben nachhängen kann, wenn in der Jugend etwas schiefläuft. Muss ja, wie man sieht, auch gar nichts Riesengroßes sein.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich habe in vielen Rezensionen gelesen, was für ein schrecklich unsympathischer Mensch er nicht ist.

    Obwohl er mich streckenweise, wie oben zu lesen ist, unglaublich genervt hat und ich ihm gerne mal den Kopf zurechtgerückt hätte, fand ich ihn unterm Strich auch nicht unsympathisch. Dass ein Sportler seinem großen Ziel alles unterordnet, ist ja nichts Ungewöhnliches. Muss man nicht toll finden, ist aber realistisch.


    Und ich finde, das Buch zeigt einfach sehr schön, wie lange es einem im Leben nachhängen kann, wenn in der Jugend etwas schiefläuft. Muss ja, wie man sieht, auch gar nichts Riesengroßes sein.

    Bei mir ist es für Details schon wieder ein bisschen zu lange her, aber ich denke, das war halt einfach sein gesamter Lebensinhalt und ohne das war er verloren. Mich hat er offenbar auch nicht genervt, da ich sichtlich begeistert von dem Buch war.


    Wunderschöner Endsatz Deiner Rezension. :D

    Was diese Ausdrücke betrifft, ich vermute, Du hast auf Deutsch gelesen? Vielleicht liegt es an der "Sprach-Barriere", aber ich finde, sowas klingt auf Englisch einfach weniger brutal als auf Deutsch, eben gerade, weil Deutsch unsere Muttersprache ist. Gibt das irgendwie Sinn?

  • Was diese Ausdrücke betrifft, ich vermute, Du hast auf Deutsch gelesen? Vielleicht liegt es an der "Sprach-Barriere", aber ich finde, sowas klingt auf Englisch einfach weniger brutal als auf Deutsch, eben gerade, weil Deutsch unsere Muttersprache ist. Gibt das irgendwie Sinn?

    Könnte gut sein, das es (zumindest teilweise) an der deutschen Übersetzung lag, dass es mich so gestört hat.

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