Charlotte Roth - Als wir unsterblich waren

Es gibt 7 Antworten in diesem Thema, welches 8.229 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Dreamworx.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Die Geschichte beginnt am 9. November des Jahres 1989. Es ist der Tag an dem die Mauer in Berlin geöffnet wurde. Die Studentin Alexandra gerät mitten in den Strudel der Menschen. In diesem Durcheinander lernt sie Oliver kennen und lieben. Doch irgendetwas scheint nicht zu stimmen. Ihre Momi ist entsetz als sie den Namen des Mannes erfährt und verbietet Alexandra den Umgang mit ihm.
    Dann geht es weiter im Jahre 1912 mit Paula Thomas und ihrer Familie. Es ist kurz vor dem 1.Weltkrieg und Paula und ihre Freunde müssen sich dem Leben stellen. Paula setzt sich für die Frauen- und Arbeiterrechte ein. Clemens, ein junger Student, kämpft mit Leidenschaft und Hingabe für die Rechte der Arbeiter.


    Beide Handlungsstränge scheinen auf den ersten Blick nicht zu einander passen zu wollen, doch es gibt eine Verbindung, die sich dem Leser erst nach und nach erschließt. Eindrucksvoll erfährt der Leser von dem Leben dieser Zeit. Von den Schwierigkeiten der Menschen, von ihren Ängsten und Nöten. Paula ist ganz ein Kind dieser Zeit, aber sie muss schnell erwachsen werden und lernen zu überleben. Charlotte Roth schildert eindrucksvoll und gleichzeitig gefühlvoll von dem Leben vor dem ersten WK. Der vielschichtige Erzählstil der Autorin entführt den Leser in die Zeit von 1912 und in die 20iger Jahre. Sie nimmt ihn mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Frau Roth schafft es scheinbar mühelos die Stimmung der Zeit einzufangen, fast ist es als könnte man Paula und ihre Freunde am Wannsee baden sehen. Ihre Lebenslust ist greifbar. In leisen Tönen erzählt sie aber auch von den Schrecken dieser Zeit, von der Armut der Menschen. Von der Ungerechtigkeit gegenüber der Arbeiterklasse. Von dem Kampf der Studenten gegen die Oberschicht und gegen die Kriegstreiber, und nicht zu Letzt auch von den Schrecken des Krieges.


    Die Charaktere könnten unterschiedlicher und vielschichtiger kaum sein. Da ist die Lebenslustige Paula, die nichts klein zu kriegen scheint. Clemens, der so gut reden kann, dass man einfach zuhören muss. Paulas Bruder Manfred, der seinen Kampf scheinbar allein auszufechten scheint. Und noch viele Freunde und Verwandte mehr der Protagonisten, die einem irgendwie alle beim Lesen ans Herz wachsen. Frau Roth erzählt von der Liebe, und von dem Leid der Menschen in diesen schweren Jahren, aber auch von der Hoffnung und vor allem von den Menschen, die nicht aufgegeben haben und bis zu Letzt um ihre und damit auch unsere Freiheit gekämpft haben.


    „Als wir unsterblich waren“ erzählt nicht nur einfach eine Geschichte von Krieg und Leid, von Menschen die verzweifelt dagegen an gekämpft haben.Sie erzählt auch unsere Geschichte, wie aus dem deutschen Kaiserreich letztendlich eine Republik und Demokratie wurde. Die Höhen und Tiefen und vor allem das Schicksal dieser Menschen sind so gut wiedergegeben, dass es schwer fällt überhaupt mal mit dem Lesen innezuhalten. Am Ende bleibt dem Leser nur sich die Tränen aus den Augen zu wischen und die Hoffnung, dass sich solche Schicksale nicht wiederholen.
    Das Pseudonym Charlotte Roth werde ich mir merken und ich hoffe, es kommen noch einige Geschichten aus der Feder dieser Autorin. Für mich war „Als wir unsterblich waren“ ein absolutes Lesehighlight dieses Jahres.


    5ratten

  • Paula Thomas ist sechzehn, als sie sich in den besten Freund ihres Bruders verliebt - damals am Wannsee, im Jahre 1912. Auch Clemens, der aus guten Hause kommt und dennoch für die Ideen der Arbeiterbewegung steht, erkennt schon bald, dass er ohne Paula nicht sein kann… Doch dann zieht der I. Weltkrieg auf, vertreibt schöne, unbeschwerte Tage und fordert einiges von den jungen Leuten.
    77 Jahre später erfährt Alexandra zuhause, dass die Berliner Mauer offen sein soll und möchte daraufhin mit Meike, ihrer besten Freundin, losziehen und sich diesen historischen Moment mit eigenen Augen ansehen. Es ist nicht verwunderlich, dass sie in der Menge Meike aus den Augen verliert und in die Arme von Oliver läuft, einem jungen Mann, in den sie sich buchstäblich auf den ersten Blick verliebt.
    Die Geschichte erzählt nun aus dem Leben beider Frauen: wie Paula die schweren Jahre des Krieges erlebt, die Ausrufung der Weimarer Republik und - während sie stetig für die Rechte der Arbeiter kämpft - den Aufstieg der Nazis und damit den Untergang alles Menschlichen. Und auf der anderen Seite Alex, die mit ihrer frischen Liebe Oliver die Zeit der Wende erlebt und immer mehr über sich selbst erfährt… Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Frauen? Diese Geschichte wird ebenso erzählt, wie auch die der deutschen Geschichte - vom Ende des Kaiserreiches über die allerfinstersten Stunden bis hin zur Wiedervereinigung. Dabei schafft es die Autorin Charlotte Roth, ihre Figuren so zu erschaffen, dass sie mich wirklich bewegt haben. Sie sind jung und verliebt, haben das ganze Leben vor sich - bis ihnen die Geschichte einen Strich durch die Rechnung macht und ihnen sehr viel abverlangt. Wer jetzt eine Liebesgeschichte vor sich wähnt, dürfte sich getäuscht fühlen, denn auch wenn die großen Themen Liebe, Freundschaft, Eifersucht und Schuld nicht außen vor bleiben, bindet die Autorin hier noch deutlich mehr ein: sie erzählt die Rolle der Sozialdemokratie und der Arbeiterbewegungen in den Zeiten größter Umbrüche. Deshalb ist das Buch in meinen Augen durchaus auch etwas für den politisch-historisch interessierten Leser und nicht nur etwas für Liebesroman-Leserinnen - was man beim Anblick des Covers vielleicht vermuten könnte.
    Charlotte Roth erzählt überaus fesselnd und in einer gut lesbaren Sprache ein Stück deutscher Geschichte und mit den Figuren verknüpfen sich auch persönliche Schicksale mit dem Lauf der letzten 100 Jahre. "Als wir unsterblich waren" ging mir sehr nahe, weil ich die Figuren ins Herz geschlossen habe und mit ihnen einiges erleben durfte. Dass dies nicht nur Gutes sein konnte, ahnt man natürlich - umso bemerkenswerter, wie sich der Kreis zum Ende schließt.


    Dieses Buch ist definitiv ein echter Lesetipp - auch an mich selbst, denn ich möchte "Als wir unsterblich waren" irgendwann noch einmal lesen!


    5ratten und ein :tipp:

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Meine Meinung zum Buch:


    Titel: Wie viel Leid verkraftet ein Leben?


    Diesen Roman hatte ich mir ausgesucht, weil er hauptsächlich in einer Zeit spielt, nämlich vor dem 1. Weltkrieg, die mich brennend interessiert und ich muss sagen, dass Romangeschehen und wirklich geschehene Geschichte perfekt miteinander verknüpft worden sind.


    Dieser historische Roman beschreibt das Leben zweier Frauen aus unterschiedlichen Welten, die aber eng miteinander verbunden sind, da sie Großmutter und Enkelin sind. Enkelin Alexandra ist sehr schüchtern und tut sich schwer mit dem Neuanfang im wieder vereinten Deutschland. Umso mehr ist sie getroffen als ihre alles geliebte Großmutter ins Krankenhaus muss. Sie wird doch wohl nicht sterben müssen?


    Die Haupthandlung nimmt das Leben der Großmutter ein, beginnend erzählt im Jahre 1912 als Paula alias Momi eine junge Frau ist. Sie setzt sich für die Rechte der Frau ein, kämpft für die Arbeiterbewegung und möchte ein Land, in dem alle friedlich miteinander leben können, nur leider befindet sich das Land im Umbruch.


    Charlotte Roth hat diesen historischen Roman mit so viel Geschichtswissen angereichert, dass er nicht nur der Unterhaltung dient, sondern man auch noch viel über das eigene Land erfährt und die politischen Umbrüche, die es erleben musste.


    Paula ist hier die Hauptperson, mit der man mitfühlt und leidet, mitbangt und Freude empfindet. Alexandra und die Zeit um 1989 wird immer wieder nur am Rande erwähnt, denn vielmehr dient dieser neue Umbruch (der Mauerfall) dazu, Momi zu motivieren ihre Lebensgeschichte zu erzählen.


    Gefallen hat mir, dass zum Ende hin alle Geheimnisse gelüftet werden und alle Handlungsstränge in ein schlüssiges Ende führen. Das Ende hat mich mit vor Staunen offenem Mund zurückgelassen.


    Fazit: Auch wenn ich mir mehr Handlung im Jahr 1989 gewünscht habe, weil ich diese Zeit selber miterlebt habe, fand ich diesen Roman einfach großartig. Ich kann ihn nur jedem empfehlen, der auch nur minimal etwas für deutsche Geschichte übrig hat. Klasse Lektüre, ein Lese Must- Have!


    Bewertung: 5ratten und :tipp:

    &WCF_AMPERSAND"Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende&WCF_AMPERSAND" (H.M. Enzensberger)

  • Diese seltsame, wilde, überbordende Zeit


    November, 1989, Ost-Berlin. Alex wird von ihrer Freundin Meike mit auf die Straße hinausgezogen, mitten hinein in den unglaublichen Taumel der fallenden Mauer. Im Gedränge werden die beiden getrennt, Alex stürzt beinahe, doch gerade noch rechtzeitig fängt sie ein junger Mann auf und kämpft sich mit ihr hinaus aus der feiernden Menge. Für die beiden ist es Liebe auf den ersten Blick, obwohl die zurückhaltende Alexanda mit so etwas nie gerechnet hätte.


    Doch als sie Oliver ihrer Großmutter Momi, mit der sie zusammenlebt, vorstellen will, reagiert die alte Frau voller Entsetzen und erleidet einen Herzinfarkt. Alex kann nicht verstehen, was passiert ist, warum Olivers Anblick so etwas Schreckliches auslösen konnte, doch sie ist voller Furcht, den einzigen Menschen zu verlieren, der für ihre ganze Familie ist. Erst nach und nach kann der behandelnde Arzt Momi und Alexandra überzeugen, dass sie sich der Vergangenheit stellen müssen, die Momi so lange in sich vergraben hat.
    Dies ist die Rahmenhandlung in der bewegenden Zeit des Mauerfalls und der Wende.


    Doch noch viel fesselnder ist die Geschichte, die sich dazwischen langsam aufbaut und auf der eindeutig der Fokus des Buches liegt. Sie beginnt im Jahre 1912, natürlich auch in Berlin. Paula ist immer mit ihrem älteren Bruder Manfred und dessen Freunden unterwegs. Sie ist verliebt in seinen Freund Clemens, doch der sieht in ihr lange nur die kleine Schwester seines Freundes. Harry hingegen, ein weiteres Mitglied der Clique, ist verliebt in Paula, er erkennt jedoch, dass sie seine Gefühle nicht erwidert. Diese Gruppe junger Leute ist so voller Leben, voller Träume und Ideale, sie treten der SPD bei und wollen die Welt verändern. Insbesondere Clemens ist trotz seiner wohlhabenden Herkunft ein vehementer Unterstützer der Arbeiterbewegung, was in seinem Elternhaus gar nicht gern gesehen wird.


    Doch verhindern können sie den aufziehenden Weltenbrand nicht, der Strudel der Ereignisse ergreift sie alle und reißt sie mit sich, treibt sie zusammen und weiter auseinander, als sie es sich in den sorglosen Sommern am Wannsee je hätten vorstellen können.


    Ich habe viele Bücher gelesen, die in der Zeit des Ersten Weltkriegs spielen und auch viele, die schildern, wie es zum Zweiten kommen konnte, doch selten hat mich eines so berührt wie „Als wir unsterblich waren“. Diese Gruppe junger Menschen, die eine bessere Welt für alle wollen, die dabei so viele Illusionen und Hoffnungen verlieren und Träume aufgeben müssen, so viele Verluste erleiden… es ist kein heiteres Buch, es zeigt, was Menschen sich im Großen und Kleinen antun können. Ich habe beim Lesen mitgelitten und geweint, nicht nur mit Paula und Clemens, sondern auch mit den vielen anderen Figuren, die so echt und lebensnah wirken, dass sie allesamt in meiner Vorstellung ganz deutlich vor mir standen. Ihre unbedingte Freundschaft und Treue zueinander, trotz aller Umstände und unterschiedlicher Ansichten, hat mich wirklich tief bewegt.


    :tipp:

    LG, Dani


    **kein Forums-Support per PN - bei Fragen/Problemen bitte im Hilfebereich melden**

  • Inhalt


    Der Roman „Als wir unsterblich waren“ verbindet das wunderbarste Kapitel innerdeutscher Geschichte, der Fall der Mauer mit den Erlebnissen der jungen Paula aus Berlin von 1912 bis 1933.


    Paula stammt aus einer eher wohlhabenden Intellektuellenfamilie. Der Vater ist Journalist und legt viel Wert auf Bücher. Paulas älterer Bruder Manfred studiert Philosophie und Paulas größter Wunsch ist es, ebenfalls zu studieren und Rosa Luxemburg nachzueifern, deren Engagement sie zutiefst bewundert. Doch es kommt anders. Der Vater verliert seine gut bezahlte Position bei der Zeitung, so dass er das Schulgeld für Paula nicht mehr aufbringen kann. Er vermittelt Paula eine Stelle bei der Zeitung als Schreibkraft. Paula ist sehr traurig darüber, schickt sich aber in ihr Schicksal. Zusammen mit Manfred trifft sie sich im Sommer täglich im Strandbad Wannsee mit einer Gruppe Jugendlicher, wo sie auch Manfreds besten Freund Clemens kennen lernt. Clemens entstammt einem sehr wohlhabenden Elternhaus, sein Herz schlägt aber für die Arbeiterbewegung. Er wird zusammen mit Manfred Mitglied bei den Sozialdemokraten, wo er sich als begnadeter Redner aber auch durch seine mutigen Taten schnell Respekt verschafft. Paula bewundert Clemens und verliebt sich in ihn.


    Der Ausbruch des 1. Weltkriegs ändert alles. Clemens meldet sich zur Front. Manfred, der aufgrund einer Erkrankung an Kinderlähmung nicht eingezogen wird, arbeitet als Journalist und schreibt für eine Zeitung. Paula lernt die Sorgen und Nöte der Arbeiterfrauen kennen. Viele Arbeiter leben in großer Armut und in ihrer Verzweiflung greifen sie zu Alkohol und verprügeln ihre Frauen. Paula richtet Wohnungen ein, wo Frauen mit ihren Kindern Unterschlupf finden.


    In einem anderen Erzählstrang lernen wir Alexandra Liebermann kennen. Sie lebt mir ihrer betagten Großmutter ein sehr zurückgezogenes Leben in Ostberlin. Ihre Freundin Meike versucht, sie öfters aus der bedrückenden, kleinen Wohnung heraus zu locken, um unter junge Menschen zu kommen. So auch an diesem Abend. Es ist der 9. November. Aus dem Fernsehen erfahren die jungen Frauen, dass die Grenze geöffnet ist. Meike will sich das nicht entgehen lassen und überredet Alex, mit ihr zum Grenzübergang zu gehen. Unter den Tausenden von Menschen verlieren sich die beiden Freundinnen. Alex, die sich in großen Menschenmassen unwohl fühlt, findet sich alleine wieder in Westberlin. Sie trifft auf Oliver, einen jungen Mann, der ihr hilft und sie in seine Wohnung bringt. Eine Liebe auf den ersten Blick. Alex bleibt einige Tage bei Oliver und ist überwältigt vom Leben im Westen. Als sie mit Oliver zu ihrer Oma zurückkehrt, erleidet diese bei Olivers Anblick einen Zusammenbruch. Tagelang bangt Alex um ihr Leben. Die Oma beginnt von ihrem Leben zu erzählen und füllt damit endlich das Vakuum, das Alex schon lange gequält hat, weil sie nichts von ihrer Familie wusste.




    Meine Meinung


    Mir hat dieser Roman, der einen Bogen spannt vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zur Wiedervereinigung, sehr gut gefallen. In diesem Buch habe ich sehr viele Informationen, die ich bis jetzt nur als Einzelsätze in Geschichtsbüchern kannte, auf anschauliche und klare Weise gefunden. Die Arbeiterbewegung, die Entwicklungen innerhalb der SPD, die zur Abspaltung des Spartakusbundes geführt hat, aber auch das Leben unter großer Knappheit hat die Autorin sehr klar und miterlebbar dargestellt. Auch im Zusammenhang mit dem zunehmenden Erfolg der NSDAP ist mir manches erst jetzt so richtig bewusst geworden.


    Die Figuren sind sehr interessant angelegt. Sie machen es einem nicht immer leicht, ihre Handlungen und ihre Beweggründe gut zu heißen. Aber man kann dennoch sehr gut mit ihnen mitfühlen, weil sie so widersprüchlich sind, wie richtige Menschen. Die Liebe zwischen Paula und Clemens ist das rote Band, das sich durch das Buch zieht. Es ist auf jeden Fall eine Liebesgeschichte, aber da auch noch viele andere Personen eine wichtige Rolle spielen, ist es für mich eher ein Buch über Freundschaften, die sich über ausgesprochen schwierige Lebensphasen erhalten haben. Auch wenn die Protagonisten Zeiten voller großer Unsicherheit, Angst und Entbehrungen durchleben müssen, gibt es immer wieder versöhnliche Situationen, in denen man sie fast beneidet und die es im tatsächlichen Leben wahrscheinlich überhaupt ermöglicht haben, solche Zeiten einigermaßen gesund an Leib und Seele zu überstehen.


    Ich habe dieses Buch innerhalb weniger Tage gelesen und wirklich sehr genossen, obwohl ich nicht der Freund von großen Liebesgeschichten bin. Man darf sich bei diesem Buch nicht davon abschrecken lassen, dass es auf den ersten Blick eher als romantischer Frauenroman erscheint. Das präzise historische Bild, das Charlotte Roth zeichnet und mit so vielen gefühlvollen Menschen bevölkert, erweckt Geschichte zum Leben und wahrt dennoch die nötige Distanz.



    Von mir seltene 5ratten

  • In der Nacht, in der die Mauer fällt, zieht die schüchterne Alexandra eher widerwillig mit ihrer besten Freundin hinaus in den Trubel von Berlin, um den historischen Moment hautnah mitzuerleben, und stolpert prompt im Gedränge Oliver in die Arme, in den sie sich auf den ersten Blick verliebt. So etwas hätte Alexandra nie für möglich gehalten, doch sie genießt dieses verrückte neue Gefühl. Aufgewachsen ist Alexandra in einfachen Verhältnissen bei Momi, ihrer Großmutter, die ihr Mutter und Vater zu ersetzen versucht hat und ansonsten ein stilles, zurückgezogenes Leben führte.


    Was Alexandra nicht weiß: Paula, wie Momi eigentlich heißt, hatte ein bewegtes Leben, vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Durch den Freundeskreis ihres Bruders hat Paula, die davon träumt, zu studieren und Journalistin zu werden, die Arbeiterbewegung kennengelernt, deren Ziele sie mit glühendem Eifer verfolgt, und sie hat Clemens kennengelernt, einen attraktiven, gescheiten Industriellensohn, der sich ebenfalls dem Kampf für die Arbeiter verschrieben hat und der spießigen Welt seines Elternhauses den Rücken kehrt. Gemeinsam mit Paulas Bruder Manfred und einigen weiteren Freunden träumen die beiden von einer besseren, gerechteren Welt, und der redegewandte Clemens scheint geradezu prädestiniert für eine glänzende Zukunft in der Politik.


    Doch dann bricht der erste Weltkrieg aus, und alles andere tritt in den Hintergrund, bis vier lange Jahre voller Tod und Angst endlich vorbei sind und man wieder vage zu hoffen wagt, es könne doch noch alles gut werden, bis die Wirtschaftskrise erneut alles zunichte macht und rechte Gruppierungen immer stärker werden.


    Auch Paula und Clemens bleiben nicht ewig das junge, idealistische Liebespaar, ebensowenig wie die eingeschworene Clique, die sich immer noch im Sommer am Wannsee zum Baden (und zum Kaffeetrinken an einer ganz besonderen Bude) trifft, so ein sorgloses Häuflein Freunde bleibt. Es gibt Konflikte, Verluste, Niederlagen, aber zwischendurch dennoch auch Erfolge und Freuden zu verzeichnen und hier und da einen kleinen Lohn für all die Mühen um das Wohl der Armen und der Arbeiterklasse zu ernten.


    Charlotte Roth verbindet hier sehr gelungen die persönlichen Lebenswege einer Handvoll fiktiver Figuren mit dem realen historischen Hintergrund. Während man mit Paula, Clemens und ihren Freunden und Familien mitfiebert, kann man so ganz nebenbei ziemlich viel über die politischen und sozialen Verhältnisse in Deutschland zwischen dem Ende der Kaiserzeit und dem zweiten Weltkrieg lernen. Historische Ereignisse sind nahtlos in die Romanhandlung eingebettet, so dass das Kunststück, gleichzeitig zu unterhalten und Wissen zu vermitteln, tatsächlich gelingt. Anhand eines breiten Spektrums an Figuren, die einem immer mehr ans Herz wachsen, deckt die Autorin eine Fülle an Themen, politischen Gesinnungen und zeittypischen Schicksalen ab, ohne dass es konstruiert wirkt, und erweckt die damalige Zeit mit vielen kleinen, liebevoll ausgearbeiteten Details zum Leben.


    Den Handlungsstrang um Alexandra in der Gegenwart habe ich allerdings als eher überflüssig empfunden. Zwar gefiel es mir gut, anfangs in die allgemeine Begeisterung und gleichzeitige Verwirrung angesichts des Mauerfalls eintauchen zu können, doch da Alexandras Part im wesentlichen als erzählerischer Überbau zu Paulas Lebensgeschichte dient, die den Löwenanteil des Buches ausmacht, hätte ich auch gut darauf verzichten können, zumal mir hier ein bisschen zu viele Zufälle und Vorhersehbares im Spiel waren.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • Es ist der 9. November 1989. Die 23-jährige Alexandra lebt in Ost-Berlin bei ihrer Großmutter (Momi ) und lernt in jener historischen Nacht in den Wirren des Mauerfalls den Westberliner Oliver Schramm kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Als sie ihn ihrer Momi vorstellt, reagiert diese jedoch völlig anders als erwartet.


    In dieser in der jüngsten Vergangenheit angesiedelten Rahmenhandlung wird in einer zweiten Zeitebene die Geschichte von Paula, Clemens und Manfred erzählt.
    Sie beginnt im Jahr 1912 und wird bis 1933 fortgeschrieben.
    Es ist eine Geschichte von Freundschaft und Liebe, vom unbeschwerten Leben in Friedenszeiten und vom Überlebenskampf im Ersten Weltkrieg.
    Es wird von Idealen und vom Scheitern, von Auf- und Umbrüchen erzählt, aber in erster Linie steht über allem eine große Hoffnung.


    Charlotte Roth erzählt diesen Roman in zwischen den beiden Zeitebenen wechselnden Perspektiven. Dabei gelingt es ihr auf intelligente Weise, mit dem ersten Satz der im Jahr 1989 angesiedelten Abschnitte an die Handlung in der Vergangenheit anzuknüpfen.
    In diesem Roman agieren eine Vielzahl von Personen. Alle haben eigene Charaktere, Stärken und Schwächen, sie handeln nicht immer klug aber sie sind sehr menschlich in ihren Handlungen.
    Und gerade das ist es, was diesen Roman so lebendig wirken und zu einen beeindruckenden Zeitbild werden lässt.
    Wie ein roter Faden ziehen sich die Ereignisse, die an einem 9. November in der deutschen Geschichte bedeutungsvoll waren durch diesen gut recherchierten Roman, der nicht nur aufgrund des sich zum 100. Mal jährenden Beginn des Ersten Weltkrieges von großer Aktualität ist.
    Er ist auch ein Stück SPD-Parteigeschichte. Davon sollte sich aber kein Leser abschrecken lassen.
    "Als wir unsterblich waren“ ist ein sehr interessanter Roman, der die Zeitgeschichte vor dem inneren Auge des Lesers lebendig werden lässt.
    Aber auch sprachlich hat dieser Roman vollkommen überzeugt. Die in ihm vorkommenden Liebesgeschichten sind frei von Kitsch, sondern einfach nur glaubhaft, lebensnah und schön beschrieben. Er spiegelt die ganze Bandbreite von Liebe und Schmerz, Krieg und Frieden, Hoffnung und Enttäuschung wieder, die man sich vorstellen kann.
    Man wünscht sich mehr solcher Romanen, die so faszinierend, fesselnd und informativ sind.
    „Als wir unsterblich waren“ ist ein historischer Roman, der neben den Geschehnissen im November 1989 Einblick in die Zeit des Ersten Weltkrieges und die wilden 20-er Jahre gibt.
    Es ist eine Geschichte von Freundschaft und Liebe, von Freude und Leid im alltäglichen Leben, vom Entstehen und Sterben von Idealen, von persönlichen und gesellschaftlichen Wendepunkten, aber in erster Linie ist es eine wunderbare, äußerst unterhaltsame Familiengeschichte.

  • Unsterbliche Paula - Deutsche Geschichte wunderbar erzählt


    „Und über uns im schönen Sommerhimmel war eine Wolke, die ich lange sah. Sie war sehr weiß und ungeheuer oben, und als ich aufsah, war sie nimmer da.“
    Bertold Brecht, „Erinnerungen an die Marie A.“


    Die schüchterne und zurückhaltende Alexandra lebt allein mit ihrer 93-jährigen Großmutter Momi in Ostberlin, als am 9. November 1989 die Mauer fällt. Mit ihrer Freundin Meike macht sie sich nach dieser Nachricht auf, um die offene Grenze auszuprobieren und verliert in dem Menschengetümmel zwar Meike, trifft aber auf Oliver. Zwischen den beiden ist ein Erkennen, eine tiefe Verbindung – die Liebe auf den ersten Blick. Meike bleibt für einige Tage bei Oliver am Leopoldplatz im Wedding, die beiden lernen sich immer mehr kennen und wollen sich gar nicht trennen. Als Oliver sie zu ihrer Großmutter nach Hause begleitet, um diese kennenzulernen, erschrickt Momi bei seinem Anblick und seinem Namen zu Tode, bricht zusammen und liegt kurz darauf auf der Intensivstation. Alexandra ist völlig am Boden zerstört und will Oliver nicht wiedersehen, zu groß ist die Angst, Momi zu verlieren, denn sie ist ihre einzige Familie, von der sie so gut wie nichts weiß. Bei Nachforschungen in Momis Schlafzimmer entdeckt sie eine alte Kiste mit Fotos und Zeitungsausschnitten. Als ihre Großmutter wieder bei Bewusstsein ist, drängt Alexandra sie, ihr von der Vergangenheit zu erzählen, denn sie möchte mehr über ihre Familie wissen und vor allem herausfinden, warum Momi so ablehnend Oliver gegenüber ist. Dann beginnt Momi Stück für Stück, ihrer Enkelin von ihrem Leben zu erzählen:
    Es ist einer der letzten schönen Tage im Strandbad Wannsee im August 1912…


    „Als wir unsterblich waren“ von Charlotte (Lyne) Roth erzählt zum einen die Rahmenhandlung von Alexandra in der Gegenwart des Jahres 1989 und zum anderen die Hauptgeschichte von Paula und Clemens von August 1912 bis Januar 1933. Der Leser wird sowohl in Deutschlands jüngste Vergangenheit entführt, aber das Hauptaugenmerk richtet sich auf die Zeit der Weimarer Republik, in denen Paula, Clemens, Manfred, Harry, Kutte und ihre Freunde aufwachsen und sich gegen die Ausbeutung der Arbeiter und die Misshandlung von Frauen durch ihre Ehemänner auflehnen und sich politisch engagieren. Man erfährt von knappen Lebensmitteln, vielen Entbehrungen, den täglichen Kampf ums Überleben mit sehr wenig Geld, dem Ausbruch des ersten Weltkriegs und die politischen Hintergründe, die bald zum Aufstreben der NSDAP führten. Aber auch den einfachen schönen Dingen wie einem Tag im Strandbad mit einem Picknick oder der engen Freundschaft untereinander wird Platz eingeräumt. Charlotte Roth schafft es mit ihrem außergewöhnlichen Talent, Geschichten zu erzählen, und einem wunderbaren Schreibstil auf sehr eindrucksvolle Weise, den Leser in die Vergangenheit zu entführen. Man hat das Gefühl, Teil von Paulas Freundeskreis zu sein und sie bei ihrem täglichen Leben zu begleiten. Auch der geschichtliche Hintergrund ist akribisch recherchiert und sehr gut in die Handlung eingebettet.


    Die Charaktere der einzelnen Protagonisten sind so vielschichtig, individuell und authentisch angelegt, wie man es selten in Romanen findet. Dabei ist Paula der Star unter ihnen, sie ist lebenshungrig, aufopfernd, mitfühlend und einfach zum Verlieben. Sie glaubt an die Liebe und an das Gute im Menschen. Clemens hat ein ausgesprochenes Talent zu reden und zu überzeugen, dabei ist er tief im Inneren ein Zweifler, ein Suchender, eine zerrissene Seele. Paulas Bruder Manfred ist der ewig Kämpfende, Unerbittliche. Oder Kutte: er ist ein Bär von einem Mann, der für seine Freunde durch die Hölle geht und immer zu Hilfe eilt. In jedem von ihnen findet man ein Stück von sich selbst, deshalb wirken sie so vertraut, wie Freunde eben, die man gut kennt.


    Charlotte Roth schreibt so authentisch, warmherzig, liebevoll und mit einer Prise Humor, dass man als Leser gar nicht anders kann, als sich von ihrer Geschichte einfangen und hinwegtragen zu lassen. Man findet die Liebe ebenso wie großes Leid, die unendliche Hoffnung auf bessere Zeiten, die Trauer um geliebte Menschen und den Kampf für eine lebenswertere Zukunft. Die Gefühle spielen Achterbahn und sind doch sehr real. In diesem Roman wird deutsche Geschichte wieder lebendig und ganz präsent. Einmal mehr wird einem vor Augen geführt, was unsere Vorfahren für uns getan haben, dass wir heute in Frieden und Freiheit leben können. All das sollte man von einem guten historischen Roman erwarten und genau dies wird hier über alle Maßen erfüllt.


    Besser als Charlotte Roth mit „Als wir unsterblich waren“ kann man es nicht machen. Absolute Leseempfehlung für das Highlight 2014. Chapeau!!!


    5ratten