Helen Oyeyemi - Boy, Snow, Bird

Es gibt 8 Antworten in diesem Thema, welches 1.759 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Wendy.

  • Hallo ihr Lieben,


    ich starte hochmotiviert in diese Monatsrunde, denn mein erstes Buch ist gleich richtig vielversprechend.


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    Inhalt:
    Im Winter 1953 landet Boy Novak zufällig in einem kleinen Dorf in Massachusetts auf der Suche nach - so denkt sie - Schönheit, dem Gegenteil von dem Leben, das sie in New York hinter sich gelassen hat. Sie heiratet einen Witwer und wird Stiefmutter seiner hübschen Tochter, Snow Whitman.


    Eine böse Stiefmutter zu werden ist das letzte, was Boy erwartet hätte. Doch es schleicht sich immer mehr eine Besessenheit von Ästhetik in ihr Leben, als Boys Tochter Bird geboren wird. Bird ist dunkelhäutig und entpuppt die Whitmans als sehr hellhäutige Afroamerikaner. Boy, Snow und Bird konfrontieren die Tyrranei des Spiegels und müssen in Frage stellen, wie viel Macht er wirklich über sie hat.


    Erste Eindrücke:
    Ich bin etwas vorsichtig an mein erstes Oyeyemi-Buch herangegangen. Gehört hatte ich von der Autorin nur, dass sie nicht ganz leicht zu lesen ist und eher literarische Fantasy schreibt, die auch als Mainstream durchgehen könnte. Nach dem ersten Kapitel bin ich aber schon voll begeistert von ihrem Stil.


    Boy Novak flieht vor ihrem tyrannischen Vater, einem Rattenfänger mit Hang zur Gewalttätigkeit, ins Nirgendwo. Die bedrückte Stimmung und Boys leichte Paranoia sind beim Lesen so spürbar, dass ich richtig erleichtert war, als sie endlich im Bus saß und weg von ihrem Vater konnte. Ich war etwas verwirrt was Boys Alter anbelangt. Zu Beginn wirkt sie eher wie ein verschrecktes Kind, als sie erst einmal weg von zuhause ist, stellt sich heraus, dass sie wohl doch schon erwachsen ist. Genau weiß ich es immer noch nicht, aber zumindest ist sie alt genug um zu arbeiten.
    Sie hat auch Herrn Whitman schon kennen gelernt und - das gefällt mir besonders gut - die beiden können sich "auf den Tod nicht ausstehen". Ich erlebe also gerade eine zickige Streit-Romanze, die irgendwie an die Kindergartenzeit erinnert. Wenn er dich an den Haaren zieht, heißt es, er mag dich. :breitgrins:


    Ich habe erst ein paar Kapitel gelesen, aber es ist beeindruckent wie dicht sie geschrieben sind. Obwohl es sich um kein allzu dickes Buch handelt, schafft die Autorin es, viele Ereignisse in ihre Kapitel zu stecken. Trotzdem passiert alles genau in der richtigen Geschwindigkeit. Mal fließt die Zeit schneller, mal langsamer, aber immer so, dass ein Kapitel schön abgerundet ist.
    Auch spannend ist, wie oft aber vorsichtig von Schönheit die Rede ist. Boys Freundin schreibt etwa einen Artikel über Blondinen (und die geheime Welt, in der diese angeblich leben) und Boy stellt ihr eigenes Äußeres in Frage bzw. vergleicht sich mit anderen Frauen. Die Entwicklung zur bösen Schneewittchen-Stiefmutter sieht man also schon ein bisschen kommen.


    Heute Abend geht's weiter und ich freue mich schon richtig aufs Lesen.

    Jahresziel: 2/52<br />SLW 2018: 1/10<br />Mein Blog

  • Ah, also praktisch eine Schneewittchen-Variante aus Sicht der bösen Stiefmutter? Die Boy heißt? Klingt schon mal spanned.
    Ich mach es mir mal bequem ;):popcorn:

    Even when reading is impossible, the presence of books acquired produces such an ecstasy that the buying of more books than one can read is nothing less than the soul reaching towards infinity... - We cherish books even if unread, their mere presence exudes comfort, their ready access reassurance.

  • Dein Buch klingt wirklich interessant, Wendy. Deine Eindrücke werde ich aufmerksam verfolgen. :smile:
    Ich habe von ihr auch ein Buch auf dem SuB liegen.

  • Ich habe auch noch Mr. Fox auf dem SUB, weil es verrückt und witzig und verwirrend klingt. Bisher habe ich mich aber nicht heran getraut, eben wegen der Dinge, die ich über Oyeyemi gehört habe. Andererseits wird sie von China Miéville empfohlen und das hätte mir schon einen Hinweis geben können, dass sie mir gefallen wird.



    Boy arbeitet inzwischen in einem kleinen Buchladen, dessen Besitzerin es afroamerikanischen Teenagern erlaubt, Bücher zu lesen ohne sie zu kaufen. Das Buch spielt im Jahr 1956, weswegen Boy etwas überrascht ist, dass ihre neue Chefin so ein Verhalten durchgehen lässt, vor allem weil sie sonst sehr streng ist. Vorurteile und Rassismus werden eher am Rande erwähnt, aber man bekommt doch ein gutes Gefühl für die Zeit und die Einstellung der Menschen - zu diesem Zeitpunkt hatten Afroamerikaner noch nicht mal Wahlrecht. :entsetzt:


    Auf ihrem Weg zur Arbeit trifft Boy fast täglich Arturo Whitman, weil der auf genau dieser Strecke joggt. Und hier bin ich nicht sicher, ob ich etwas überlesen habe oder ob die Autorin es absichtlich macht. Ein bisschen aus dem Nichts kommt nämlich ein Kuss zwischen den beiden - aber ganz toll erzählt. Ich habe das Gefühl, dass im Hintergrund einfach Dinge passiert sind, die uns die Autorin vorenthält. Boys Verhalten ist aber trotzdem glaubhaft und nachvollziehbar.
    Die beiden dürften also jetzt ein Paar sein. Arturos Tochter Snow habe ich noch nicht getroffen, aber Boy beschäftigt sich immer mehr mit Schönheit und welchen Einfluss das Aussehen auf das eigene Leben hat. Ich freue mich schon (ein bisschen bösartig) darauf, wenn Boy entdeckt, dass die Whitmans eigentlich gar nicht weiß sind... ich glaube sie wird ausflippen!


    Das Buch bleibt jedenfalls faszinierend. In der Zwischenzeit habe ich ein paar Interviews mit der Autorin auf Youtube angesehen. Was für eine sympathische Frau. Sie hat eine ganz sanfte, hohe Stimme und wirkt fast ein bisschen schüchtern. Ich würde aber sofort eine Tasse Tee mit ihr trinken und über Gott und die Welt reden. :breitgrins:

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  • Dank Wochenende konnte ich endlich wieder mal weiterlesen (der heimlich eingeschobene Terry Pratchett hatte nichts mit der Verzögerung zu tun... :verlegen:) und kaum sind zwei Seiten gelesen, bin ich schon wieder gefangen in Boys Geschichte.


    Boy und Artura haben geheiratet und gerade ist auch Boys erstes Kind, Bird, zur Welt gekommen. Da der Klappentext schon verrät, was es mit Bird auf sich hat, kann ich ja getrost darüber sprechen. Denn Bird hat dunkle Haut und entpuppt die Whitmans als sehr hellhäutige Afroamerikaner.
    Schlimm fand ich vor allem, dass die Ärzte sofort angenommen haben, dass Boy ihren Mann betrogen und ein Kuckuckskind geboren hat. :entsetzt: Da werden ihr im Krankenhaus schiefe Blicke zugeworfen, dabei hat sie ihr Baby einfach nur lieb und findet die Situation fast zum Lachen.


    Arturo selbst liebt Bird auch und macht sich wenig aus der dunklen Hautfarbe. Allerdings erfährt Boy auf diese Weise, wie die Whitmans ins Dasein als Weiße hineingerutscht sind. Und bei den Erzählungen der Schwiegermutter kriegt man schon Gänsehaut. Natürlich wollen sie behandelt werden, wie Menschen. Man kann es den Whitmans absolut nicht vorwerfen, dass sie ihren familiären Hintergrund geheim halten. Ich würde genau dasselbe tun, wenn ich die Wahl hätte, wie ein vollwertiger Mensch oder wie ein minderwertiges Wesen behandelt zu werden.


    Ich bin jetzt vor allem gespannt, wie sich die Geburt von Bird auf den Rest der Familie auswirkt. Wenn sie den Schein aufrecht erhalten wollen, müssen sie entweder so tun, als hätte Boy ihren Mann betrogen oder sie müssen Bird komplett von der Welt abschotten und geheim halten. So oder so ist die Vorstellung schrecklick.
    Die dritte Möglichkeit ist, dass die Wahrheit rauskommt. Dass die Whitmans eben doch Afroamerikaner sind, die zufällig sehr helle Haut haben.

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  • Gestern im Zug bin ich ein ordentliches Stück weitergekommen.


    Ich hatte ganz vergessen zu erwähnen, dass das Buch in drei Teile unterteilt ist. Das wurde jetzt im zweiten Teil interessant, weil nun nämlich nicht mehr Boy, sondern ihre Tochter Bird erzählt. Und Bird ist sowas von liebenswert! Sie möchte Journalistin werden, hat aber in der Schule oft schlechte Noten und muss nachsitzen. Ihre große Schwester Snow kennt sie gar nicht. Als sie jedoch eines Tages einen Brief von Snow findet, der an Bird adressiert ist, beginnt eine Art Brieffreundschaft zwischen den beiden.
    In ihren teils wirren Briefen steckt so viel Ehrlichkeit und Liebe und Neugier, dass sie mir beide nochmal sympathischer geworden sind. Mehr verrate ich aber bewusst nicht, weil mir dieser Teil bisher am meisten Spaß macht und ich euch diesen nicht nehmen will.


    Das Buch wird also immer besser und ich überlege, mein zweites Monatsbuch einfach frech dazwischen zu schieben, damit mir noch ein bisschen was von Boy, Snow, Bird bleibt. :breitgrins:

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  • Eine zweite Zugfahrt und ein paar Minuten auf der Couch und schon bin ich fertig.


    Meine Meinung:
    Boy, Snow, Bird beginnt mit einer Bemerkung über Spiegel, doch erst ganz am Ende wird klar, welche Macht Spiegel wirklich über Menschen haben können.


    Helen Oyeyemi erforscht in ihrem Roman viele Dinge. Rassismus, Lügen, Gewalt, Schönheit, Geschwisterliebe, Familien und wie diese sich selbst zerstören können, aber ich könnte nicht sagen, dass eines dieser Themen die Überhand nimmt. Eine Neuerzählung von Schneewittchen ist das Buch nur während der ersten Hälfte. Boy heiratet den erfolgreichen Schmuckmacher Arturo Whitman, der aus erster Ehe eine bildhübsche Tochter mitbringt, die Boy immer wieder daran erinnert, dass sie selbst vor dem Älterwerden nicht gefeit ist. Die Macht, die Snows Schönheit ausübt, ist spürbar, nicht nur an den Reaktionen der Großeltern, sondern auch an Boy selbst. Als sie selbst eine Tochter - Bird - bekommt, wird Snow zu ihrer Tante abgeschoben, aber nicht aus Neid oder Bosheit, sondern weil Boy es nicht erträgt, wie die Großeltern auf Bird herabblicken. Birds etwas dunklere Hautfarbe ist ein wichtiger Faktor in ihrem Leben, bestimmt aber absolut nicht, wer sie ist.


    Am schönsten Fand ich an dem Buch, dass ich alle drei Protagonisten lieb gewinnen konnte. Boy mag den Schein der bösen Stiefmutter erwecken, aber da zwei der drei Teile des Romans aus ihrer Sicht erzählt werden, wissen wir als Leser, dass sie keinesfalls böse ist. Sie ist menschlich und damit sind eben Gefühle wie Eifersucht verbunden. Boys Entwicklung vom misshandelten Kind zu einer erwachsenen und reifen Frau war einfach nur schön zu lesen. Und sogar ihr Vater, der sie jahrelang geschlagen hat, ist kein typischer Bösewicht. Seine Geschichte erfahren wir erst ganz zum Ende - und was für Ende das ist! :entsetzt:
    Der zweite Teil wird aus Birds Sicht erzählt und, obwohl natürlich anders als die Kapitel aus Boys Sicht, hat mir ebenso viel Spaß gemacht. Bird ist einerseits eine normale Jugendliche, die in ihren besten Freund verliebt ist und sich Gedanken um ihre Zukunft macht. Andererseits weiß sie auch, dass sie irgendwo im Norden des Landes eine ältere Schwester hat, deren Schönheit berüchtigt ist. In Briefen nähern sich die beiden an und ihre so entstehende Freundschaft kennt keine Hautfarbe.


    Was mir noch sehr gut gefallen hat, ist dass die Dialoge realistisch wirkten. Nicht alles, was gesagt wird, hat für die Handlung Bedeutung. Manchmal spinnen die Charaktere einfach Geschichten und erzählen sich Dinge, die später nicht mehr wichtig werden, sondern die ihnen eben grade eingefallen sind. Abgesehen davon, schafft es die Autorin, mit wenigen aber treffenden Worten ihre Charaktere zum Leben zu erwecken, ihnen eine Vergangenheit und Wünsche und Träume zu geben, die sie nicht nur liebenswert machen, sondern auch zutiefst menschlich.


    Ich würde sagen, mein erstes Buch von Helen Oyeyemi war ein voller Erfolg und ich kann es kaum erwarten, mich auf das nächste zu stürzen.


    5ratten

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