Ian McEwan - The Children Act / Kindeswohl

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    Kurzbeschreibung lt. Amazon:


    Fiona Maye is a leading High Court judge, presiding over cases in the family court. She is renowned for her fierce intelligence, exactitude and sensitivity. But her professional success belies private sorrow and domestic strife. There is the lingering regret of her childlessness, and now, her marriage of thirty years is in crisis.


    At the same time, she is called on to try an urgent case: for religious reasons, a beautiful seventeen-year-old boy, Adam, is refusing the medical treatment that could save his life, and his devout parents share his wishes. Time is running out. Should the secular court overrule sincerely held faith? In the course of reaching a decision Fiona visits Adam in hospital - an encounter which stirs long-buried feelings in her and powerful new emotions in the boy. Her judgment has momentous consequences for them both.


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    Familienrecht ist das Spezialgebiet der Richterin Fiona Maye: Scheidungen, Sorgerecht, Fragen des Kindeswohls. In ihrer eigenen Ehe ist sie seit über dreißig Jahren glücklich. Da unterbreitet ihr Mann ihr einen schockierenden Vorschlag. Und zugleich muss sie einen dringlichen Gerichtsfall entscheiden, in dem es um den Widerstreit zwischen Religion und Medizin geht – und um Leben und Tod eines siebzehnjährigen Jungen.



    Meine Meinung:


    Fiona, 59, Richterin im Bereich Familienangelegenheiten, verheiratet mit Jack, 60. “The Children Act” befasst sich mit ihrem alltäglichen Leben, das für die meisten überhaupt nicht alltäglich ist. Ihr Beruf als Richterin ist kein einfacher, immer wieder muss sie sich mit schwierigen Fällen auseinandersetzen, die man kaum entscheiden kann - so muss sie beispielsweise darüber entscheiden, ob siamesische Zwillinge getrennt werden sollen; eine Entscheidung um Leben und Tod. Diese schweren Entscheidungen färben natürlich auch auf ihr Privatleben ab. Jack empfindet, dass sie sich voneinander entfernt haben und setzt ihr das Messer auf die Brust: Er möchte eine Affäre anfangen und sie muss damit einverstanden sein. Gleichzeitig flattert ein neuer und dringender Fall ins Haus: Der siebzehnjährige Adam, der den Zeugen Jehovas angehört, hat Leukämie und lehnt lebensrettende Bluttransfusionen ab. Fiona muss nun über seine weitere ärztliche Behandlung entscheiden, möchte aber - was sonst ungewöhnlich ist - zunächst persönlich mit Adam sprechen und so entspinnt sich eine ebenso ungewöhnliche Verbindung.


    Ian McEwan hat einen ganz besonderen Schreibstil, der jeder Szene seine eigene Atmosphäre gibt. Auf jeder Seite war ich so mitten im Geschehen, ob wir nun bei Fiona Zuhause, im Gerichtssaal oder im Krankenhaus waren. Auch die Charaktere wurden plastisch gezeigt. Der Autor nimmt sich an vielen Stellen ein Thema, beschreibt den Umgang eines Charakters mit diesem Thema und schon sieht man das Innerste dieser Person. Musik ist beispielsweise eines dieser Themen, allerdings auch Fionas Beruf als Richterin. Wir erfahren hier nicht nur von Adams Fall, sondern auch andere Fälle aus ihrem täglichen Berufsleben werden - egal ob groß oder klein - erläutert. Durch Fionas Umgang damit zeigt sich immer mehr ihr Charakter. Auch die Fälle an sich sind ein sehr toller und interessanter Einblick in ein Berufsfeld, über das ich noch überhaupt nicht viel wusste. Adams Fall bildet an dieser Stelle eine Ausnahme, bei der Fiona ganz anders zu handeln scheint..
    Insgesamt werden auf den knapp über 200 Seiten eine ganze Reihe schwieriger Themen behandelt und McEwan schafft es hier stets, diese logisch und nachvollziehbar begründet zu lösen. Trotzdem habe ich das Buch ziemlich langsam gelesen, da eben diese Themen ziemlich wuchtig sind und es viel zu verdauen gibt. Doch es lohnt sich: Diese Geschichte wird mich lange nicht mehr loslassen und das soll sie auch gar nicht.


    Auf Englisch lesen? Ja, wenn deine Englischkenntnisse sehr gut sind, da die Sprache an sich und besonders Vokabular aus der Rechtssprache recht anspruchsvoll sind. Mit Schulenglisch von vor einigen Jahren könnte es recht mühsam werden, aber glücklicherweise wird die Übersetzung im Januar 2015 unter dem Namen "Kindeswohl" im Diogenes Verlag erscheinen.


    5ratten

  • Ich habe es auf Deutsch gelesen (zu faul, zu schwaches Vokabular, auch wenn es mit dem Kindle sicher einfacher ist) und war sehr begeistert. Ich fand es sprachlich sehr schön, die Geschichte hat mich in beiden Teilen (die Ehe und der Junge) bewegt und bislang ist es mein liebstes unter den 2015er-Erscheinungen. Oft lassen mich so kurze Bücher (und teuer ist es ja noch dazu, 20 Euro für ein, zwei Tage lesen) zudem bissl unbefriedigt zurück, das hier fand ich aber sehr rund.


    Ich habe bisher 2-3 McEwans gelesen (Abbitte und Saturday waren sicher dabei), die ich gut fand, die mich aber nicht so gepackt hatten. Überlege schon, sie nochmal zu lesen, vielleicht war ich noch nicht reif für McEwan? Oder ist Kindeswohl einfach besser?

  • Ich fand es absolut grandios, wobei mein Lieblingsbuch von McEwan immer noch "Unschuldige" ist. Das spielt in Berlin unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg und ist sicher auch was für Leser, die sich bspw. für "Nachtauge" von Titus Müller begeistern konnten.


    "Kindeswohl" habe ich zunächst auf Englisch gelesen, weil ich als echter Fan nicht abwarten konnte, aber ein kleines bisschen habe ich mich damit übernommen und habe dann zu gegebener Zeit auf Deutsch nachgeschoben.

  • Hier meine Rezi zu "Kindeswohl":


    Recht und Unrecht
    sind nicht immer klar voneinander zu trennen, vor allem dann, wenn es um Entscheidungen des Familiengerichts und damit oftmals nicht um kriminelle, sondern um soziale oder gar ethische Konflikte geht. Ein solcher steht Richterin Fiona Maye ins Haus: diesmal hat sie zu entscheiden über Adam, einen jungen Zeugen Jehovas, der an Leukämie erkrankt ist und - unterstützt von Eltern und Kirche - die lebensnotwendige Medikation verweigern will. Kurz vor seinem 18. Geburtstag obliegt dem Gericht die Entscheidung, mit der es sich Fiona als oberste Instanz nicht einfach macht: sie nimmt sich die Zeit, Adam im Krankenhaus aufzusuchen und trifft auf einen ganz besonderen Menschen.


    Doch es ist nicht der einzige ethische Konflikt, mit dem sie zu kämpfen hat: ein weiterer, wesentlich persönlicherer geht von Jack, ihrem Ehemann seit mehreren Jahrzehnten, aus, der sie mit etwas Unglaublichem konfrontiert. Es geht hier nicht nur um Recht und Unrecht, nein, es geht auch um Schuld und deren subjektive Wahrnehmung bzw. Vermittlung - und zwar innerhalb ihrer Beziehung. Wer hat an etwas Schuld, wem wird diese zugesprochen, von wem und in welcher Situation. Fiona jedenfalls hat mit diesem Gefühl an allen beschriebenen Fronten zu kämpfen. Und wie so oft bei McEwan spielt auch Besessenheit eine Rolle, diese wird - wie bisher jedes Mal - in einem ganz eigenen, individuellen, absolut unnachahmlichen Modus transportiert.


    Diese beiden Stränge sind wie so oft bei McEwan eng verknüpft mit Musik, diesmal ist es gar der Aufbau eines Stückes, an dem er die Handlung dieses zwar kurzen, aber umso inhaltsreicheren Romans ausrichtet - und endet in einem eher stillen Finale Furioso, das nichtsdestotrotz eines ist - eben eines auf die unnachahmliche Art McEwans. Mit diesem, ich versteige mich dazu, ihn als seinen bisher weisesten, kontroversesten zu bezeichnen - Roman zeigt er wieder einmal, was für ein Ausnahmeliterat er doch ist - ohne weiteres eines Nobelpreises würdig - so empfinde zumindest ich es: sind doch Themen, die die den Leser noch lange verfolgen, eine bis ins Mark treffende Sprache und ein eindringlicher Stil, der die Handlung noch unterstreicht, ganz klar Kriterien, die einer solchen Beurteilung zugrunde liegen sollten - und alle diese erfüllt er hier aufs Trefflichste! Das stille Finale Furioso ist aus meiner Sicht eines der besten Enden in McEwans bisherigen Romanen - und es ist kein schlechtes darunter! Ein elegantes, kraftvolles Buch zu zwei eher stillen, doch eklatant wichtigen Themen! Wenn das die Richtung ist, in die McEwan nun weiter zu gehen beabsichtigt - wir können nach bereits Großem Unglaubliches von ihm erwarten!
    5ratten

  • Das Urteil gibt es gleich vorweg: Wow! Was für ein Buch.


    Fiona, 59 Jahre alt, erfolgreiche Richterin, attraktiv, wohlhabend, und in ihrer Freizeit äußerst musikalisch am Klavier ist die Protagonistin dieses 222 Seiten langen Romans von McEwan. Sie ist verheiratet mit dem 60jährigen Jack, Professor für klassische Literatur. Ein Leben wie im amerikanischen Spielfilm mit der High Society, obwohl das Buch in England spielt. Es macht einfach Spaß, diesen Figuren in ihrem scheinbar sorgenlosen Leben zu folgen.


    Fiona muss als Richterin jeden Tag schwere Entscheidungen treffen. Keine juristische Vorlesung und auch keine formal-logische Entscheidungstheorie wie man sie aus der Betriebswirtschaftslehre kennt, würden ihr dabei letztlich helfen können. Es geht um Werte und Moral. Sie ist Familienrichterin und muss so schwerwiegende Dinge entscheiden, wie die Erlaubnis zur Trennung siamesischer Zwillinge, wenn von vornherin klar ist, dass einer der beiden dabei sterben wird. Oder eben, ob man einem krebskranken Jungen die notwendige Bluttransfusion zwangsweise verabreichen darf, obwohl seine Eltern und der fast volljährige intelligente Junge dies aus religiösen Motiven heraus ablehnen. Und in dieses aufreibende Berufsleben platzt der Ehemann mit der Frage hinein, ob er seine Frau betrügen dürfe, da er zu wenig Sex bekommt. Siebeneinhalb Wochen ohne Sex. Die junge Geliebte wartet bereits. Fiona soll sich entscheiden. Das ist das Feld, welches der Autor hier aufzieht. Man liest es mit Spannung, der Autor trifft das richtige Tempo, geht in die Tiefe, wo ich als Leser jedes Detail wissen will und bleibt oberflächlich, wo wenige Sätze reichen, um die Phantasie weiterspinnen zu lassen.


    Nach 139 Seiten ist das Urteil im Transfusionsprozess gesprochen und auch die Erzähllinie um den Ehemann kommt zu einem vorläufigen Ende. Bis hierhin atemlose Literatur. McEwan hätte das Buch hier enden lassen können, vielleicht noch einen kurzen Ausblick auf díe Zeit danach und fünf Sterne wären von mir sicher vergeben. Für einen Roman waren aber noch fast 100 weitere Seiten zu füllen und in Kapitel 4 überdreht die Geschichte ein klein wenig, das kostet einen Stern Abzug. Doch McEwan schafft es ím abschließenden Kapitel 5 das Blatt noch einmal zu wenden, auch dem "Durchatmen"-Kapitel 4 einen Sinn zu verleihen. Er endet furios. Nein, kein Nobelpreisbuch. Aber: Große Melancholie, großes Kino. Leicht, beschwingt, nachdenklich verlässt man das Buch. Am Ende dann doch:


    5ratten


    Schöne Grüße, Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()


  • Ich habe bisher 2-3 McEwans gelesen (Abbitte und Saturday waren sicher dabei), die ich gut fand, die mich aber nicht so gepackt hatten. Überlege schon, sie nochmal zu lesen, vielleicht war ich noch nicht reif für McEwan? Oder ist Kindeswohl einfach besser?


    Ich habe Abbitte und Saturday auch gelesen, auch den Zementgarten, und besonders Saturday hat mich nicht vom Hocker gerissen. Ich finde Kindeswohl in der Tat deutlich besser als all diese.


    Ich kann mich Klassikfreund nur anschließen: ein gutes Buch! Sonst stört mich ja immer das sehr theatralisch-überdramatisierte Setting, das McEwan für seine Geschichten wählt. Hier passte das.


    Den Teil mit den Gerichtsurteilen, die Fiona zu fällen hat, habe ich mit großem Interesse gelesen. Hier wird deutlich, wie schwierig es doch manchmal ist, ein Urteil mit gesundem Menschenverstand zu fällen, und gleichzeitig getreu nach dem Buchstaben des Gesetzes zu richten, bzw. den Spielraum, den die Gesetze bieten, auf die bestmögliche und humanste Art auszunutzen. Fiona erfüllt diese Aufgabe sehr gut und mit großem Verantwortungsbewusstsein und Mitgefühl für die Menschen, die von diesen Urteilen betroffen sind. Schon dieser Teil des Buches war sehr interessant. Ich hoffe mal, dass es viele Richter gibt, die so sind!


    So gesehen konnte sie bezüglich der Bluttransfusion für den schwerkranken Adam gar kein anderes Urteil fällen. Es hat mir auch gefallen, dass sie hier den persönlichen Kontakt gesucht hat, um die Sachlage richtig einschätzen zu können.


    Doch nach diesem Urteil geht die Dramatik erst richtig los, da Fiona persönlich stärker in den Fall verwickelt wird, als ihr lieb ist und sie bewältigen kann. Der Stoffel von Ehemann, der gerade nur an sich denkt, ist ihr genau dann keine Hilfe, als sie ihn wirklich gebraucht hätte. So begeht sie in einem kurzen Moment einen Fehler, dessen Folgen sie nicht absehen kann und der den Leser vor die Frage stellt, ob sie hier versagt hat und schuldig geworden ist, oder ob sie einfach nur machtlos war, egal was sie getan hätte. Es stellt sich auch die Frage, für den Leser, wo das rechte Maß zwischen religiöser Toleranz und dem Eintreten für die Wahrheit und eine aufgeklärte Weltsicht liegt.



    ob man einem krebskranken Jungen die notwendige Bluttransfusion zwangsweise verabreichen darf, obwohl seine Eltern und der fast volljährige intelligente Junge dies aus religiösen Motiven heraus ablehnen.


    Es wird immer wieder betont, wie intelligent der Junge doch ist. Als Leser darf man sich dann ein Urteil bilden, ob das ein Irrtum oder dramaturgischer Kunstgriff ist, oder ob selbst hohe Intelligenz vor Gehirnwäsche nicht schützt.



    Ein Leben wie im amerikanischen Spielfilm mit der High Society, obwohl das Buch in England spielt. Es macht einfach Spaß, diesen Figuren in ihrem scheinbar sorgenlosen Leben zu folgen.


    Ich finde es immer wieder bemerkenswert, wie McEwan es schafft, dass das Leben seiner Protagonisten, die alles zu haben scheinen: Geld, Luxus, hohen sozialen Status und eine interessante Tätigkeit, beim Lesen trotzdem einfach nur trist und trostlos erscheint.



    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

  • Ich habe ebenfalls schon ein paar Bücher von Ian McEwan gelesen; dieses Buch gefällt mir am besten.


    Fiona steckt bis zum Hals in ihrer Arbeit, die sie sehr ernst nimmt. Als ihr Mann von ihr die Absegnung eines Seitensprungs erwartet, fällt sie aus allen Wolken, obwohl ihre Ehe eigentlich an einem toten Punkt angelangt ist. Sie lieben sich noch, haben aber im Vergleich zu den frühen Ehejahren jetzt ganz unterschiedliche Erwartungen und Anforderungen an den Partner. Ihre Reaktion gefiel mir; es ist aber auch einfacher, mit einem gesicherten finanziellen Hintergrund so zu reagieren. Ablenkung von ihrer häuslichen Misere findet sie genug in ihren gerichtlichen Fällen. Eigentlich kurios, dass sie sich ausgerechnet auf Familienrecht spezialisiert hat, da sie selbst keine Kinder hat.


    Als sie im Fall des knapp 18-jährigen Adam über eine Bluttransfusion eine Entscheidung treffen muss, fällt ihr das nicht leicht. Sie besucht den jungen Mann im Krankenhaus, um sich selbst ein Bild von ihm zu machen, und ist sehr von ihm eingenommen. Dann fällt sie ihr Urteil, und damit ist der Fall für sie beendet. Doch nicht für Adam, der den Kontakt zu ihr sucht. Fiona lässt sich darauf ein und begeht einen folgenschweren Fehler.


    Fiona ist es nicht gewohnt, vor Problemen zu stehen. Als Richterin ist sie zwar diejenige, die Probleme lösen soll, aber eben die anderer Menschen. Die Krise mit ihrem Mann bewältigt sie gut, obwohl ihr offensichtlich noch nie bewusst war, dass sie vor einer Krise steht. Sich nach dem Urteil noch mit Adam abzugeben, hat sich ebenfalls zum Problem entwickelt, aber wahrscheinlich deshalb, weil sie wegen der wackeligen Beziehung zu ihrem Mann angeschlagen und labiler ist, als sie sich eingesteht.


    Im Verlauf der Handlung wird von mehreren Fällen erzählt, in denen Fiona Urteile sprechen musste, die zeigen, dass jeder Streit von zwei Seiten betrachtet werden muss. Es gibt immer wenigstens zwei Parteien, die das Recht auf ihrer Seite sehen. Manchmal ist keiner wirklich im Unrecht. Doch ohne Kompromissbereitschaft bleibt man an einem toten Punkt hängen und verliert möglicherweise viel mehr, als die trügerische Genugtuung, sich durchgesetzt zu haben, wert ist.



    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Fiona May ist Familienrichterin, der besondere Fall, um den es in diesem Buch geht, ist ein 17jähriger Zeuge Jehovas, der an Leukämie erkrankt ist und laut seiner Ärzte Transfusionen zur Behandlung benötigt – durch seinen Glauben ist ihm das aber strikt verboten. Fiona muss entscheiden, ob sein Leben gegen seinen Willen gerettet werden darf. Abgelenkt wird sie dabei von einer Ehekrise, ihr Mann findet ihre Ehe aktuell ziemlich trostlos und würde gerne eine Affäre beginnen.


    Soweit der grobe Überblick, das ist mehr oder weniger die Ausgangslage, die Folgen daraus ziehen sich dahin. Dementsprechend fand ich die Zeitsprünge im Buch zwar theoretisch vernünftig, fand es aber trotzdem etwas irritierend, dass zwischendurch mehrere Wochen bis Monate in wenigen Sätzen abgehandelt werden, weil in ihnen nun mal nichts Neues passiert.


    Gefallen hat mir der Roman allerdings gut, bsonders interessant fand ich die Abschnitte zu anderen Fällen Fionas, McEwan gelingt es in wenigen Sätzen, das Dilemma zwischen Recht, Gerechtigkeit und Vernunft aufzuzeigen, von dem jeder einzelne Fall betroffen ist. Fionas Entscheidungen, die sie zu treffen hat, charakterisieren sie ebenso, wie ihr Umgang damit, das Nachwirken hat mehr Einfluss auf sie, als sie sich einzugestehen bereit ist und ihr war gar nicht bewusst, welche Stütze ihr Mann ihr alleine durch seine stille Existenz gibt. Die einzigen Gefühle, die sie sich zugesteht, legt sie in die Musik, hier hätte ich mir mehr eigene Vorkenntnisse (Klassik) gewünscht, um Fionas Vorlieben etc. besser nachvollziehen zu können.


    Ich glaube, aus der Geschichte ließe sich beim wiederholten Lesen noch ein ganzes Stück mehr herausholen als bei der Erstlektüre, aber auch die war schon ziemlich eindrucksvoll.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Meine Meinung
    Als Familienrichterin muss Fiona tagtäglich schwere Entscheidungen treffen. Das macht sie meiner Meinung nach sehr gut. Sie ist besonnen, wägt alle Argumente gegeneinander ab und scheut sich auch nicht, sich unbeliebt zu machen. Manchmal kann sie nur hoffen, dass ihre Entscheidung die Richtige war.


    So auch bei dem 17jährigen Adam, bei dessen Fall sich Religion und Medizin gegenüber stehen. Ich fand ihr Urteil und die Begründung dazu beeindruckend. Was dieses Urteil allerdings nach sich zieht, hätte ich nicht erwartet. Aber Adam ist trotz seiner Reife auch ein Teenager und genau so verhält er sich auch, mit allen Konsequenzen.


    Die einzigen Gefühle, die sie sich zugesteht, legt sie in die Musik, hier hätte ich mir mehr eigene Vorkenntnisse (Klassik) gewünscht, um Fionas Vorlieben etc. besser nachvollziehen zu können.


    Wie Fiona in ihrer Musik aufgegangen ist und was sie ihr bedeutet hat, hat mir auch gut gefallen. Leider weiß ich von klassischer Musik auch nur das Allernötigste. Dafür kannte ich das Lied, das Adam auf der Geige gespielt hat, nur zu gut. Allerdings in der englischen Version Down by the Sally gardens.


    Ich kann den Büchern von Ian McEwan nicht immer etwas abgewinnen, aber Kindeswohl hat mich absolut überzeugt.
    5ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Richterin Fiona Maye steht an einem Tiefpunkt ihres Lebens - sie hat gerade herausgefunden, dass ihr Mann Jack, mit dem sie jahrzehntelang eine glückliche und erfüllte Ehe geführt hat, plötzlich fremdgeht und weiß gar nicht, ob sie verärgert, gekränkt oder enttäuscht ist oder alles auf einmal.


    Dabei hatte es gar nichts mit ihrer Beziehung zu tun, dass sie in den letzten Wochen so in sich gekehrt und Zärtlichkeiten eher abgeneigt war, vielmehr war es ein besonders belastender und große Medienaufmerksamkeit erregender Fall, den sie am Familiengericht zu verhandeln hatte, der sie auch außerhalb der Arbeit nicht mehr losgelassen hat. Und nun landet die nächste harte Nuss auf ihrem Tisch: ein Siebzehnjähriger mit einer Krebserkrankung verweigert aus religiösen Gründen die Bluttransfusionen, die seine einzige Chance aufs Überleben darstellen, nachdem alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind.


    Fiona ist hin- und hergerissen, wie der Fall zu beurteilen ist. Handelt es sich um Gehirnwäsche durch die Sekte, der Adams Familie angehört, oder ist er, der nur wenige Monate von der Volljährigkeit entfernt ist, sich der ganzen Tragweite seiner Entscheidung wirklich bewusst? Da Adam zu krank ist, um persönlich vor Gericht zu erscheinen, beschließt Fiona, ihn unüblicherweise im Krankenhaus zu besuchen, und setzt damit eine Kette von Ereignissen in Bewegung, die sie selbst nicht erwartet hätte.


    Nach dem in meinen Augen eher schwachen "Honig" läuft McEwan hier endlich wieder zu alter Form auf und bringt auf relativ wenigen Seiten (im Original nur gut 200) eine gleichermaßen mitreißende wie äußerst nachdenklich machende Geschichte über sehr lebensecht gezeichnete Charaktere in Ausnahmesituationen zu Papier, die sich so spannend liest wie ein Justizthriller, mit zwischenmenschlicher Dramatik berührt und überrascht und ohne zu werten moralisch-ethische Fragen aufwirft, über die man stundenlang diskutieren könnte. Da ist kein Wort zu viel und keines zu wenig und die Fäden sind am Ende sauber verknüpft, auch wenn lang nicht alle Fragen beantwortet werden.


    Hochinteressant fand ich neben der Haupthandlung auch die Einblicke in Fionas Arbeitsalltag in den altehrwürdigen Hallen des Londoner Gerichts, und ich mochte die große Rolle, die die Musik als Gegengewicht zur faktenbasierten Welt der Jusitz einnimmt. Gelungen dargestellt ist auch die intellektuelle und vielleicht sogar ein wenig elitäre Lebenswirklichkeit von Fiona und Jack, die oft einen starken Kontrast zu den Lebenumständen der Menschen bildet, deren Schicksale Fiona von ihrer Richterbank aus verhandelt.


    Dies ist eines der Bücher, die einen noch lange nach dem Lesen nicht loslassen und trotz geringen Umfangs sehr viel vermitteln können. Es darf sich getrost in die Reihe meiner Lieblinge von McEwan einreihen.


    5ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Diese Geschichte ist jedoch an den Haaren herbeigezogen.

    Der Artikel ist leider nicht mehr verfügbar, aber an den Haaren herbeigezogen fand ich die Geschichte in keinster Weise. Dick aufgetragen vielleicht an der einen oder anderen Stelle, aber, wie ich finde, absolut so denkbar.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Diese Geschichte ist jedoch an den Haaren herbeigezogen.

    Der Artikel ist leider nicht mehr verfügbar, aber an den Haaren herbeigezogen fand ich die Geschichte in keinster Weise. Dick aufgetragen vielleicht an der einen oder anderen Stelle, aber, wie ich finde, absolut so denkbar.

    An den Haaren herbei gezogen fand ich die Geschichte nicht und auch nicht dick aufgetragen. Bei dem Thema kochen die Emotionen hoch und mögen übertrieben wirken, aber das ist mir hier nicht aufgefallen.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.