Eric-Emmanuel Schmitt - Das Evangelium nach Pilatus

Es gibt 11 Antworten in diesem Thema, welches 6.164 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Annabas.

  • Die Geschehnisse der Evangelien in Romanform gab es ja schon häufig, mal mehr, mal weniger skandalös.


    Dieses Buch hat mich aber besonders berührt, weil die Darstellung etwas anders als üblich ist. Der erste Teil wird aus der Sicht von Jesus selbst erzählt, wie er sich als Junge zunächst wie alle Kinder für unsterblich hält, nach dem Tod seines Vaters Joseph aber begreift, dass Menschen sterben müssen. Erst spät entdeckt er seine Berufung und beginnt öffentlich zu lehren.


    Nach der Kreuzigung wechselt die Perspektive. Nun erzählt Pilatus, der römische Statthalter, der Jesus widerwillig zum Tod am Kreuz verurteilt hat, weil das Volk es so wollte. In Briefen an seinen Bruder in Rom berichtet er von diesem seltsamen "Magier", der so sehr den Zorn des Volkes auf sich gezogen hat, dass es seinen Tod forderte.


    Als drei Tage später die Leiche des Gekreuzigten aus dem Felsengrab verschwindet, glaubt Pilatus zunächst an eine Verschwörung, doch alle seine Aufklärungsversuche laufen ins Leere. Und überdies stellt sich heraus, dass seine über alles geliebte Frau Claudia heimlich eine Anhängerin dieses Jesus war.


    Schmitt erzählt ganz schlicht und sehr menschlich die Geschichten, die man aus der Bibel kennt, und erfüllt sie mit Leben, entstaubt sie, regt dabei zum Nachdenken an, zeigt aber auch viel Sinn für Humor und Zwischenmenschliches.


    Als kleines Bonbon gibt es noch einen Anhang über die Entstehungsgeschichte des Romans und Schmitts eigene Gedanken und Erfahrungen zum Christentum, eine sehr interessante Ergänzung.


    5ratten :tipp:


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    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Alfa_Romea ()

  • Hm, um dieses Buch bin ich schon herum geschlichen. Mal sehen, vielleicht schaffe ich es demnächst doch noch zur Kasse... Muss das Weihnachtsgeld abwarten.


    Liebe Grüße


    Kirsten :blume:

  • Hallo!


    JAAAA, dieses Buch, auf das habe ich es auch schon seit längerem abgesehen. Ich mag Schmitt und seinen Stil, und die Thematik interessiert mich ebenfalls.


    Doch leider sind die Schmitt-Bücher zwar sehr schön, doch vom Umfang her sehr gering, dafür aber unverschämt teuer! Ich muss wohl warten, bis es die Bibliothek hat!

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Zitat von "creative"

    Doch leider sind die Schmitt-Bücher zwar sehr schön, doch vom Umfang her sehr gering, dafür aber unverschämt teuer! Ich muss wohl warten, bis es die Bibliothek hat!


    Für einen Schmitt ist das hier mit ca. 300 Seiten regelrecht dick ;)


    Ich kann das Buch wirklich nur empfehlen. Schmitt ist selbst Christ, deshalb hat mich auch der Anhang sehr interessiert, in dem er über seinen persönlichen Bezug zum Thema schreibt.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Zitat von "Valentine"

    Für einen Schmitt ist das hier mit ca. 300 Seiten regelrecht dick ;)


    :entsetzt: das ist ja wirklich Schmitt-unüblich! Die Bücher, die ich bisher von ihm gelesen habe, waren kaum 100 Seiten und boten eine Beschäftigung für einen halben Nachmittag :zwinker: (und sind trotzdem verhältnismäßig teuer)


    Das ändert jedenfalls die Sachlage gewaltig! Mal sehen, ob vom Weihnachtsgeld was übrig bleibt :zwinker:

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Zitat von "creative"

    [:entsetzt: das ist ja wirklich Schmitt-unüblich! Die Bücher, die ich bisher von ihm gelesen habe, waren kaum 100 Seiten und boten eine Beschäftigung für einen halben Nachmittag :zwinker: (und sind trotzdem verhältnismäßig teuer)


    Stimmt, ich bin auch richtiggehend (freudig) erschrocken, als ich den Umfang gesehen habe :breitgrins:


    Aber die 18,90 Euren lohnen sich!

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich habe das Buch nunmehr auch ausgelesen und bin tief beeindruckt.


    Besonders gut gefallen hat mir das angehängte "Arbeitstagebuch", in dem E.E. Schmitt über die Entstehung des Romanes und seine eigene Haltung zum Christentum schreibt.
    Es ist wohl - so stellt es E.E. Schmitt auch in seinem "Arbeitstagebuch" dar - ein sehr persönliches Buch. Ich möchte folgende Textstelle aus dem Buch - genauer gesagt aus dem angehängten Arbeitstagebuch zitieren:



    Zitat


    Meine Rechtfertigung ist der Zweck meines Buches: Ich will diesen Jesus lebendig, nah, intim wiederaufleben lassen, weil seine Gestalt im Lauf der Jahrhunderte hinter den Bildern verblasst ist, weil seine Worte nach unzähligen mechanischen Wiederholungen nur noch wie ein abgedroschener Refrain klingen, weil seine Taten in so vielen berühmten Gemälden erstarrt sind, dass sie nicht mehr gesehen werden, und weil die Kirchen, die zur Erbauung des Volkes einen beruhigenden, selbstsicheren, seiner Bestimmung bewussten Gott präsentieren wollten, seine Schreie, seine Zweifel und seinen Mut ignoriert und erstickt haben.



    Und das ist ihm gelungen! Es werden die "Menschen" gezeigt, nicht der abgehobene, unerreichbare Sohn Gottes, und nicht der "Mörder" Pilatus. Auch für Judas bietet er eine durchaus menschliche Rehabilitation an


    Es wird das Christentum in seinen ureigensten Ideen dargestellt, die sich leider im Laufe der Zeit in Dogmen, Zwängen und zwischenkirchlichen Glaubensstreitereien verloren haben.


    5ratten

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

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    Amazon Kurzbeschreibung
    Ein Mann im Garten am Ölberg, allein, am Vorabend seiner Verhaftung. Die Worte der Mutter klingen ihm noch im Ohr: "Jemand, der liebt wie du, wird leiden müssen." Ein schlechter Jude, ein schlechter Zimmermann. Er wartet auf die Soldaten, die ihn holen und abführen werden. Er wartet auf seine Hinrichtung. Ein anderer Mann, ein anderer Ort. Vielleicht fünfzehn Verhaftungen, nur drei Kreuzigungen, es hätten geruhsame Feiertage für ihn werden können. Doch dann verschwindet die Leiche eines der gekreuzigten Männer. Ganz Jerusalem ist erschüttert, die Menschen sprechen von Wunder und Auferstehung, manche sagen, der Gekreuzigte sei ihnen erschienen, oder man habe zumindest davon gehört. Pilatus hat wenig Verständnis für die jüdischen Verrücktheiten, die Lage muß beruhigt, der Tote muß gefunden werden, die Ermittlungen beginnen. Judas, der Verräter, Pilatus, der Henker, und Jesus das Opferlamm? - vergessen wir diese Rollenfestschreibung. Schmitt befreit die Protagonisten der Passionsgeschichte von jeder Überhöhung oder Vorverurteilung, haucht ihnen mit frischer Feder neues Leben ein und erzählt uns eine sehr vertraute Geschichte so spannend und neu, als hörten wir sie zum ersten Mal.


    Meine Meinung
    Das Buch besteht eigentlich aus drei Teilen. Im ersten beschreibt Jesus sein Leben während er auf seine Gefangennahme wartet. Diese Beschreibung ist sehr lebendig. Sie zeigt eine real erscheinende Person auf einem Weg, den er so gar nicht gehen wollte. Der zweite Teil ist Pilatus gewidmet. Aus dessen Sicht erfahren wir mehr über die letzten Tage Jesus', seine Kreuzigung und die Zeit danach. Besonders die Auferstehung macht Pilatus zu schaffen. Er kann es nicht glauben und versucht rationalistische Erklärungen zu finden. Aber jeder Versuch einer Erklärung scheitert, und er widmet sich immer mehr dem Mysterium als solchem. Im Dritten Teil läßt uns Schmitt am Schreibprozeß teilhaben. Er erzählt über seine Gefühle und Bedenken.
    Alles in allem hat mir das Buch trotz, oder gerade wegen des religiösen Themas gefallen. Hier werden nicht alte Dogmen neu aufgewärmt, sondern es wird versucht, das Bild einer realen Person zu entwerfen. 4ratten

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Hallo BigBen!


    Mir hat das Buch auch sehr gut gefallen, hier gibts schon einen Thread, vielleicht kann das jemand von den Mods zusammenfügen? :smile:

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • creative: Danke, hatte ich übersehen. :winken:

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Hallo ihr,


    da Schmitt einer meiner Lieblingsautoren ist, musste ich natürlich auch dieses Buch lesen. Ich habe es nicht bereut :klatschen:


    Meine Meinung:
    Der Roman ist in zwei Teile geteilt, die beide fortlaufend zuerst aus der Sicht Jeshuas (Jesus) und dann Pilatus die Geschichte um den Mythos des Sohn Gottes erzählen. Die Gedanken von Jesus fand ich sehr interessant zu lesen. Er wächst als normaler junger Mann heran, voller Selbstzweifel, und doch wird er später zu einem einzigartigen Vorbild für die Menschen in Palästina. Nach seiner Kreuzigung beginnt Pilatus, aus seiner Sicht zu erzählen.
    Spannend wird die Geschichte, als die Leiche Jeshuas aus dem Grab verschwindet und die ersten Meldungen von der Sichtung des angelblich Toten laut werden. Pilatus versucht natürlich mit allen Mitteln, die Leiche zu finden, Jeshuas Glorifizierung zu unterbinden und damit einen Aufstand zu verhindern. Er sieht in Jeshua nur einen Betrüger und Magier, der nun mit einer inszenierten Auferstehung zum Messias erklärt werden soll. Doch je erfolgloser die Aufklärung des Falles wird, desto mehr beginnt auch er zu glauben, dass Jeshua mehr als „nur ein Mensch“ gewesen sein könnte.


    Ich habe mir Pilatus immer als selbstgerechten und um seine Macht fürchtenden Herrscher vorgestellt. Doch in Schmitts Roman nimmt er eine für mich neue, absolut menschliche Gestalt an, der seine Frau Claudia liebt und verehrt und der – vielleicht historisch fragwürdig – versucht, Jeshua zu retten und vor dem Tod zu bewahren. Mit diesem Buch, das auch viele Bezüge zu den bekannten Bibelgeschichten zeichnet, habe ich wieder richtig Lust bekommen, mich mehr mit Jesus als einen Mensch zu befassen und nicht nur als den unerreichbaren Sohn Gottes. Er war eben etwas ganz Besonderes.


    Die Geschichte ist bekannt, doch Schmitt gibt sie so wieder, wie wohl noch niemand unter uns sie gehört hat. Judas ist nicht der klassische Verräter, Pilatus nicht das Böse schlechthin. Damit erlangt der Leser eine neue Perspektive auf die Christusgeschichte, denn die Bibel reicht einfach nicht, um zu erfahren, welche M e n s c h e n Jesus und Pilatus eigentlich waren. Natürlich, historisch gesehen kann man das nicht oder nur teilweise beweisen, daher sollte man immer beachten, dass es sich hierbei lediglich um einen Roman handelt, in dem der Autor – so sagt Schmitt es in seinem Nachwort – bewusst Einzelheiten aus der Bibel verändert und hinzuerfunden hat. Zum Beispiel verbreitet Salome, die Tochter von Herodes und Herodias, die „frohe Botschaft“ nach der Aufstehung von Jesus und nicht (wenn ich mich recht entsinne) Maria Magdalena.


    Das Nachwort ist informativ und ausführlich und beschreibt ein bisschen, was „hinter den Kulissen“ los war. Schmitt musste das gesamte Buch aus dem Kopf neu schreiben, da ihm sein fertiges Manuskript mit allen Sicherheitskopien in Irland gestohlen wurde :entsetzt:


    Somit ist „Das Evangelium nach Pilatus“ ein rundum schönes Buch, das sich gerne auch mal Theologen ansehen dürfen. Ich zumindest werde es meiner Religionslehrerin schenken, wenn ich mit der Schule fertig bin (ansonsten wäre es ja ein glatter Bestechungsversuch :zwinker:).
    Die Länge meiner Rezension müsste ansonsten für meine Begeisterung sprechen. :breitgrins:
    Lest dieses Buch!


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.<br />10/10 - tatsächlich geschafft!

  • Eric-Emmanuel Schmitt – Das Evangelium nach Pilatus


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    Ein Buch, auf das ich über dieses Forum aufmerksam wurde.
    Auf die Inhaltsangabe verzichte ich, da sie in den Vorpostings schon beschrieben wurde.


    Der erste Satz:
    „In ein paar Stunden kommen sie mich holen.“


    Meine Meinung:
    Hier muss ich die drei Teile einzeln beschreiben:


    Der erste Teil (Geschichte von Jesus von ihm selbst erzählt) hat mich sofort aus dem Alltag herausgeholt und nach Judäa versetzt. Obwohl die Beschreibung der Landschaft und der Menschen nicht im Mittelpunkt steht, sondern eher beiläufig erwähnt wird, konnte ich mir sofort alles genau im Kopf ausmalen.
    Besonders eindrücklich ist die Entwicklung von Jesus vom Kind bis zum jungen Mann geschildert, seine Zweifel und seine Ängste. Dabei bleibt die Sprache wohltuend einfach und sachlich, ohne frömmelnd oder zu ehrerbietig zu werden.


    Der zweite Teil wird in Briefform erzählt – Pilatus schreibt seinem Bruder Titus die Geschehnisse vor und nach der Kreuzigung, und dabei ordnet er seine Gedanken. Es ist sehr schön nachvollziehbar, wie Pilatus zunächst fast kriminalistisch vorgeht und sämtliche rational möglichen Erklärungen für das Verschwinden von Jesus Leichnam konstruiert und dann aber verwerfen muss, bis am Ende das Mysterium bleibt.


    Im dritten Teil beschreibt Schmitt den Entstehungsprozess des Buches. Das finde ich eine sehr gute Idee, so habe ich das Gefühl bekommen, noch mehr Hintergrundinformationen zu bekommen. Denn seine Art des Herangehens an diese Geschichte ist doch sehr ungewöhnlich. Interessant sind auch die Beschreibungen der verschiedenen Reaktionen auf das Buch, von Applaus bis zur totalen Ablehnung.


    Alle Teile sind wunderbar lebendig geschrieben, ohne Pathos oder den Wunsch zu missionieren. In meinen Augen gehörte viel Mut dazu, dieses Buch zu schreiben. Schließlich kennt die Passionsgeschichte fast jedes Kind, und sie ist mit großen Tabus und Empfindlichkeiten behaftet. Schmitt aber gelingt das Kunststück, die Geschichte neu zu erzählen, so dass sowohl Christen als auch Andersgläubige (und dazu zähle ich auch Atheisten) sie mit Vergnügen lesen können.


    Ich gebe volle 5ratten


    Viele Grüße von Annabas :winken: