Diskussionsrunde: Anthony Doerr - Alles Licht, das wir nicht sehen

Es gibt 47 Antworten in diesem Thema, welches 11.098 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • Für Etienne muss es sich schrecklich angefühlt haben, als er endlich sein Zimmer verließ und seine geliebten Radios verschwunden waren. Aber noch schlimmer wäre es für ihn gewesen, Stück für Stück entschwinden zu sehen.
    Diese vielen Radios haben mich fasziniert. Man stelle sich das vor: Da sitzt man in seinem Sessel und aus so vielen Geräten erklingt das gleiche Stück. Heute nennt man das Dolby Surround. :breitgrins:


    Wir haben hier auch noch zwei dieser alten Geräte stehen mit den Städtenamen in der Skala. Diese alten Röhrenradios haben schon was.


    Ja stimmt, das war schon so ein Surroundvorgänger. Vielleicht ist ja auch genauso die Surround-Idee entstanden. :breitgrins:


    Schlimm ist vor allem, dass Menschen die erwachsen sind, denen Respekt gebührt solch einer Willkür unterworfen werden und einfach ihr eigenerer Besitz entwendet wird.
    Noch viel schlimmer fand ich es ja, als erwähnt wurde, das Frederikes Familie jetzt ein Stock höher wohnt. Da weiß wohl jeder warum. :sauer:


  • Schlimm ist vor allem, dass Menschen die erwachsen sind, denen Respekt gebührt solch einer Willkür unterworfen werden und einfach ihr eigenerer Besitz entwendet wird.


    Ja, furchtbar. Ganz schlimm fand ich auch, dass alle Männer ins Fort National gesperrt und die Stadttore verschlossen wurden :entsetzt:


    Zitat

    Noch viel schlimmer fand ich es ja, als erwähnt wurde, das Frederikes Familie jetzt ein Stock höher wohnt. Da weiß wohl jeder warum. :sauer:


    Der Geist der jüdischen Nachbarin wurde doch auch noch mal kurz angesprochen. Das fand ich auch sehr traurig. Fredericks Mutter scheint ja auch zumindest anfangs recht linientreu gewesen zu sein. Interessant, dass sich gerade ihr Sohn gegen das Regime stellt, mit seinen kleinen, bescheidenen Mitteln. Ich finde es immer noch furchtbar, dass das für ihn so ausgegangen ist :traurig: Er hat zwar überlebt, aber um welchen Preis? :heul:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Fredericks Mutter scheint ja auch zumindest anfangs recht linientreu gewesen zu sein. Interessant, dass sich gerade ihr Sohn gegen das Regime stellt, mit seinen kleinen, bescheidenen Mitteln. Ich finde es immer noch furchtbar, dass das für ihn so ausgegangen ist :traurig: Er hat zwar überlebt, aber um welchen Preis? :heul:


    Das war heftig - vor allem weil er an nichts mehr Interesse hat und das, was ihn als Mensch ausgemacht hat, völlig zerstört wurde. Er ist wie eine lebende Leiche. :sauer:


  • Die Situation der beiden nach den Bombenangriffen ist gleichermaßen beklemmend. Ich weiß nicht, wessen Lage schlimmer ist - das blinde Mädchen, das ganz allein im Haus ist, den Eindringling hört, sich irgendwie retten will, oder Werner, im Keller verschüttet, der nicht weiß, ob er jemals wieder Tageslicht sehen wird oder, wie sein Vater im Bergwerk, dort unten zugrunde gehen wird.


    An Werners verschütteten Vater hatte ich gar nicht mehr gedacht. Jetzt habe ich im Nachhinein noch Mitleid mit ihm, Wie fürchterlich. Genau darum ist er doch auch weg vom Waisenhaus, weil sein größte Befürchtung war, eines Tage unter Tage zu müssen.
    Für Marie war es gleichermassen schlimm. Natürlich hat sie sich an ihre Blindheit adaptiert und andere Fähigkeiten ausgebildet, damit umzugehen, aber dennoch wäre sie auf Grund ihrer Erblindung im Nachteil gewesen.
    [/quote]


    ja, das waren schon beklemmende situationen. allerdings fand ich es fast zuviel, dass werner plötzlich erst mal nicht mehr hören konnte. klar ist das bei so einem knall verständlich, aber irgendwie störte mich da die offensichtlichkeit der parallele zu marie-laure.


    ähnlich ging es mir mit dem verwandtschaftsverhältnis von henry und marie-laure, was ihr auch sch erwähnt habt. vor allem da es von anfang an schnell klar war, dass da eine verbindung besteht. an manchen stellen merkte man doch, dass die geschichte etwas konstruiert ist. das ist etwas schade, denn es hätte manche kniffe nicht bedurft. dem dritten erzählstrang stehe ich deswegen auch etwas zwiegespalten gegenüber. bei den kapiteln war ich auch immer sehr froh, dass sie nur kurz waren.


    (entschuldigt bitte meine kleinschreibung. mein laptop ist kaputt und ich bin die ganze woche unterwegs, so dass ich keine externe tastatur benutzen kann. und da ich nicht zuhause bin, habe ich auch gerade nicht so die zeit und möglichkeit hier täglich reinzuschauen)

  • Ja, ein paar Dinge kann man schon als konstruiert empfinden. Mich hat es hier allerdings gar nicht gestört. Es gibt ja im Leben auch manchmal die tollsten Zufälle, die man in einem Roman als sehr gewollt betrachtet hätte.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Diese Überkonstruktion an ein paar Stellen, ist es auch was mir nicht immer so gefallen hat. Werner z.B für mich wäre es realistischer geblieben, wenn er eben mit dem Grauen und seinen Gefühlen hätte weiter leben müssen - wie viele viele andere auch. So "darf" er praktisch sterben um ihm das als Figur zu ersparen... Andererseits ist ja selbst das Zusammentreffen von ihm und Marie Laure innerhalb der Handlung auch etwas konstruiert, passt aber in den ganzen größeren Verlauf den Doerr hier spinnt und dem er Bedeutungen zuschreibt. Nur das Zusammentreffen macht ja auch plausibel weshalb er überhaupt vorher auch von Werner so vieles erzählt hat.
    In solchen Situationen treffen eben Menschen mit verschiedensten Hintergründen auf einander um sich dann wieder zu trennen - manchmal haben sie sich dabei bleibend beeinflusst für immer. Werner z.B in dem er Marie Laure das Leben gerettet hat.


  • In solchen Situationen treffen eben Menschen mit verschiedensten Hintergründen auf einander um sich dann wieder zu trennen - manchmal haben sie sich dabei bleibend beeinflusst für immer. Werner z.B in dem er Marie Laure das Leben gerettet hat.


    Genau das hat mir gefallen, dass sich ihre Wege für ganz kurze Zeit gekreuzt haben. Die Begegnung war ja für beide bedeutungsvoll, auch wenn Werner nicht mehr lang zu leben hatte. Dafür konnte Marie-Laure dank seines Eingreifens ein langes erfülltes Leben führen.


    Ich habe noch mal meine Notizzettel hervorgekramt, auf denen ich mir ein paar Stellen notiert hatte, die mir besonders gut gefallen haben oder anderweitig eindrucksvoll waren.


    Zum einen war da die Rede des Napola-Vorturners (Seite 142), die mit den Worten endet:

    Zitat

    Ihr alle werdet in die gleiche Richtung marschieren, im gleichen Tempo, aufs gleiche Ziel zu. Bequemlichkeiten werdet ihr aufgeben, ihr werdet allein für die Pflicht leben. Ihr werdet Heimat essen und Nation atmen.


    Da ist mir ganz anders geworden. Alles vereinheitlicht, alles entpersönlicht, alle nur Mittel zu einem großen, schrecklichen Zweck. Grauenhaft!


    Ein paarmal musste ich auch durchaus lachen (auch wenn es mir irgendwie gleichzeitig im Hals steckenblieb). Das Schwein namens Goebbels war so ein Fall, oder Neumann Eins' Spruch "Der wahre Arier ist blond wie Hitler, dünn wie Göring, groß wie Goebbels ..."


    Und es gab einige Stellen, die mir unheimlich die Tränen in die Augen getrieben haben. Zum Beispiel über die verlassene stille Stadt: "Als wäre die Stadt zu einer Bibliothek voller Bücher in einer unbekannten Sprache geworden, was auf den riesigen Regalen steht, unlesbar, das Licht verloschen." Oder auch "Jetzt ist die Welt grau. Graue Gesichter, graue Stille und eine nervöse graue Furcht durchsetzen die Schlange vor der Bäckerei." Saint-Malo ist an sich schon eine "graue" Stadt mit den Granithäusern und -stadtmauern und dem Kopfsteinpflaster, ein passender Kontrast zum bunteren (Vorkriegs)Paris. Oder als Marie-Laure zu Etienne sagt: "Ich könnte dir vorlesen (...) Wir sind dem Ende so nahe." Natürlich meint sie das Ende des Buchs, aber als Leser weiß man, dass für viele Menschen die Bombardierung ein ganz anderes Ende bedeutet.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich habe jetzt in der Kategorie "Urlaub" ein paar Bilder in die Galerie gestellt, falls Ihr mal gucken mögt :smile:


    Falls es mich (hoffentlich) mal wieder nach Saint-Malo verschlägt, schaue ich mir natürlich auch die Rue Vauborel 4 an.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen