Hannah Kent - Das Seelenhaus

Es gibt 16 Antworten in diesem Thema, welches 3.104 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Keshia.

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    Hannah Kent - Das Seelenhaus


    Klappentext:


    "Sie sagen, ich soll sterben. Sie sagen, ich hätte Männern den Atem gestohlen und jetzt müssten sie mir den meinen stehlen."


    Island 1828. Agnes ist eine selbstbewusste und verschlossene Frau. Sie wird als hart ­arbeitende Magd respektiert, was sie denkt und fühlt, behält sie für sich. Als sie des Mordes an zwei Männern angeklagt wird, ist sie allein. Die Zeit bis zur Hinrichtung soll sie auf dem Hof eines Beamten verbringen. Die Familie ist außer sich, eine Mörderin beherbergen zu müssen – bis Agnes Stück um Stück die Geschichte ihres Lebens preisgibt.


    Die Tat war grausam: zwei Männer erschlagen, erstochen und verbrannt. Die angeblichen Täter, neben Agnes Magnúsdóttir ein junges Paar, werden zum Tode verurteilt. Vor allem an Agnes will der zuständige Landrat ein Exempel statuieren.
    Scheinbar ungerührt nimmt Agnes das Urteil hin, ebenso wie die Ablehnung der Familie. Erleichtert, dem Kerker entkommen zu sein, kann sie bei der Arbeit manchmal ihr Schicksal vergessen. Vieles hier ist ihr vertraut: die schroffe Landschaft, die ärmliche Torfbehausung, der harsche Ton der Hausherrin. Ihr ganzes Leben war davon bestimmt – bis sie einen Mann kennenlernte und sich nach langer Zeit erlaubte, sich ihre Sehnsucht nach Liebe und Zugehörig­keit einzugestehen. Der Schmerz über seinen Tod, der ihr nun angelastet wird, überlagert alles, auch die Angst vor dem eigenen Tod. Schließlich vertraut sich Agnes einem jungen Vikar an, der sie auf den Weg der Reue und Buße führen soll. Während der langen Gespräche, die die ganze Familie mithört, ist es vor allem
    Margrét, die Hausherrin, die ahnt, dass die offizielle Wahrheit über Agnes vielleicht falsch sein könnte.



    Meine Meinung:


    In Burial Rites (dt. Titel: Das Seelenhaus) erzählt Autorin Hannah Kent ihre eigene Interpretation der letzten Hinrichtung in Island. Diesen Roman hat sie ihm Rahmen der Erlangung eines Ph.D.’s geschrieben und dafür auch vor Ort recherchiert. Aus den gesammelten Materialien hat sie schließlich diese Geschichte geschrieben.
    Hier geht es um Agnes Magnúsdóttir, die für die Beteiligung am grausamen Mord von Natan Ketilsson und Petur Jónsson zum Tode verurteilt wurde. Bis zum Tag der Hinrichtung soll sie ihre Zeit bei der Familie des Beamten Jón Jónsson in Kornsá verbringen. So kann sie zwar dem Kerker entfliehen, in dem sie ausgehungert und vollkommen vernachlässigt ausharren musste, wird aber in der Familie mit dem gleichen Hass begrüßt, der ihr im ganzen Land entgegen schlägt.


    Hannah Kent gibt der verurteilten Agnes ihre eigene Stimme, gleichzeitig berichten auch noch die Menschen aus ihrem neuen Umfeld von ihrem Leben in der Nähe der Mörderin. Natürlich ist die Familie zunächst vollkommen entsetzt, dass gerade sie diese gefährliche Frau, über die man in letzter Zeit so viele schreckliche Dinge gehört hat, beherbergen soll. Auch der Pastor Tóti, der Agnes zugewiesen wurde, um sie wieder auf den Weg Gottes zu führen, kommt zu Wort. Schnell wird deutlich, dass in den Erzählungen um den Mord an Natan und Petur natürlich nur eine Seite der Medaille beleuchtet wurde. Agnes erscheint nämlich gar nicht als grausame Frau, sondern verhält sich stets ruhig, akzeptiert alles und erfüllt auf Kornsá fleißig alle Arbeiten, die ihr aufgetragen werden.


    Mit einem poetischen Erzählstil taucht Hannah Kent ganz tief in die Köpfe der Personen ein und entfaltet langsam die wahre Geschichte von Agnes. An den Stil sowie an die sehr fremd klingenden Namen musste ich mich zwar erst gewöhnen, dann allerdings hat mich die Geschichte ganz fest eingesogen. Die Atmosphäre war genau durch diesen Schreibstil immer greifbar und damit auch unglaublich bedrückend. Das Schicksal von Agnes, mit der ich sofort Mitleid hatte, ging mir dabei so richtig nahe. Zwar erfährt man zu Beginn der Geschichte aus eher trockenen offiziellen Briefen von der verurteilten Mörderin, aber sobald man zum ersten Mal in Agnes’ Blickwinkel eintauchen darf, kommt gleich das Gefühl auf, dass nicht alles schwarz und weiß ist. Der Tod von Natan hat eine unglaubliche Trauer ausgelöst und gleichzeitig brodelt in Agnes eine unterschwellige Angst.


    Nach und nach vertraut Agnes sich dem Pastor Tóti an, erzählt ihm von ihrer schweren und traurigen Vergangenheit. Die Familie, die aus Platzgründen immer in der Nähe sitzen muss, ist fast gezwungen zuzuhören, obwohl in ihnen natürlich ein Widerspruch wütet: Wollen sie das schwere Schicksal ihrer Gefangenen wirklich hören und eventuell Mitleid mit ihr bekommen? Wollen sie Agnes nicht lieber weiterhin ignorieren, sogar schneiden? Besonders deutlich und eindringlich präsentiert sich hier auch, wie unterschiedlich die Menschen auf Agnes reagieren. Während die Hausherrin Margrét ihr zwar zunächst mit Hass begegnet, zeigt sie auch Menschlichkeit und Mitgefühl, hilft ihr sogar den Schmutz der vielen Wochen Gefangenschaft abzuwaschen. Ihr Mann Jón hingegen beachtet Agnes einfach gar nicht, tut so, als wäre sie überhaupt nicht da. Auch die Töchter Steina und Lauga erleben die Anwesenheit der Gefangenen vollkommen gegensätzlich: Während Lauga sich fast terrorisiert fühlt, will Steina sie sogar näher kennenlernen. Mitreißend und bewegend wird hier nicht nur Agnes Lebensgeschichte bis zum Mord aufgedeckt, sondern auch die Entwicklung der Menschen um sie herum gezeigt.


    Hannah Kent hat sich mit Burial Rites ein interessantes Thema vorgenommen und wunderbar umgesetzt: Es geht nicht nur um den Mord an Natan und Petur, sondern auch um den Unterschied zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was die Betreffenden denken und sagen wollen, aber bisher nicht zu Wort kommen durften. Ich konnte in dieser Geschichte ganz tief in die Substanz der Menschen eintauchen und wollte gar nicht mehr hervorkommen. Mit einem Kloß im Hals, mit Aufregung und Angst habe ich langsam die Wahrheit um Agnes herausfinden dürfen, und das war eine einmalige Erfahrung.


    5ratten

  • Danke für die Rezension, das Buch subt bei mir auch schon eine Weile. Ich fand die Beschreibung total ansprechend, hab mich dann aber aufgrund einer eher negativer Meinungen erstmal davon abbringen lassen, jetzt wandert es im SUB wieder nach oben :zwinker:

    LG, Dani


    **kein Forums-Support per PN - bei Fragen/Problemen bitte im Hilfebereich melden**

  • Ich habe es auch gestern beendet, wenn es mal wieder kühler ist, gibts von mit auch noch einen positiven Beitrag.

  • @Dani: Freut mich, dass ich dich wieder neugierig machen konnte! Es ist allerdings natürlich schon ziemlich düster und passt deshalb vielleicht nicht zu dieser Hitze (oder passt deshalb gerade doch? :D ).


    illy: Dann hoffe ich ja fast, dass es bald wieder kühler wird, und ich deine Meinung lesen darf. ;)


    Ich war nämlich schon ziemlich überrascht, dass es hier noch keinen Beitrag zum Buch gab, dabei ist es ja doch nicht ganz unbekannt...

  • Originaltitel: Burial Rites


    Die australische Autorin hat einen Schüleraustausch in Island verbracht und dort von Agnes Geschichte erfahren.


    Island 1828. Agnes ist eine Mörderin, so wurde es im Prozess entscheiden, die Magd hat gemeinsam mit einer anderen Magd und einem Bauernsohn ihren Herren und einen Besucher ermordet und danach verbrannt. Sie als die älteste der Drei bekommt auch die größte Schuld für das Geschehen aufgebürdet. Die letzten Monate bis zur Vollstreckung des Todesurteils soll sie nun bei der Familie eines Dienstmannes untergebracht werden. Zunächst misstrauisch beäugt, wird Agnes aber mit der Zeit immer mehr zu einer „normalen Magd“ für die Hausherrin Margrét und in Gesprächen mit dem Vikar, der sie zur Buße führen soll, erzählt sie ihr Leben und was in der Nacht der Morde tatsächlich geschah.


    Die Kälte ist fast allgegenwärtig in Island – mich schauerte es immer wieder, wenn von Eis oder gefrorenem Atem innerhalb des Hauses berichtet wurde - und alt wird wohl kaum jemand. Der Leser sieht Margréts Dauerhusten dann auch von Anfang an mit einer gewissen Besorgnis, sie wird die todgeweihte Agnes wohl nicht sonderlich lange überleben, auch wenn ihr selbst das wohl nicht so bewusst ist. Das Buch beschert einem jede Menge Dankbarkeit für unsere zivilisatorischen Errungenschaften wie eine Zentralheizung, Ärzte und Krankenhäuser und genügend zu essen. Hier wird auch deutlich, wie rückständig Island zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Vergleich zu den Städten Mitteleuropas war.


    So lebte das Buch für mich vor allem von seiner Stimmung, das heißt aber nicht, dass die Figuren schlecht gezeichnet waren. Vor allem beschreibt die Autorin sehr treffend, welche Diskrepanzen zum Teil zwischen der Handlung und den wahren Wünschen der Figuren liegen, nur war ihrer aller Zukunft so eingeschränkt, so fernab jeder möglichen Veränderung, dass es eher betrüblich war, sich stärker auf sie einzulassen.


    Hannah Kent erzählt eine auf Fakten beruhende Geschichte sehr interessant nach, ich freue mich in diesem Fall auch darüber, dass das Buch verfilmt werden soll und hoffe auf viele eindrucksvolle Bilder.


    4ratten

  • Meine etwas kurze Meinung:
    Das Seelenhaus hat mich sehr berührt, denn Agnes Geschichte wird aufwühlend erzählt. Die Autorin beschönigt nichts und zeigt auf das auch Gerechtigkeit einen schalen, bitteren Beigeschmack haben kann. An manchen Stellen hätte ich mir noch etwas mehr Tiefe gewünscht, vor allem Figuren wie Blöndel hätte ich noch gerne näher beleuchtet gesehen. Auch andere Figuren kommen etwas kurz. Agnes ist es eben, die von der Autorin dafür umso eindringlicher beleuchtet wird.
    Schade fand ich das Hannah Kent in ihrem Nachwort etwas wage bleibt, wenn man den Mordfall - wie ich - nur aus dem Roman kennt, weiß man das alles nicht so ganz ein zu ordnen. Hier habe ich mir dann aber selbst weiter geholfen.


    Von mir gibt es solide: 3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Meine Meinung

    Ich war mir lange nicht sicher, ob Agnes wirklich eine Mörderin war oder nur das Opfer der Umstände. War sie nur dabei, als die Morde passierten oder hat sie Natan wirklich getötet? Diese Fragen wurden mir erst im Verlauf der Geschichte beantwortet.


    Sicher war allerdings, dass Agnes von vielen nicht mehr als menschliches Wesen angesehen wurde. In ihrer ersten Unterkunft wurde sie weggesperrt und auch auf der Reise zum Kornsáhof bekam sie nicht einmal etwas zu trinken. Auf dem Hof wird sie zwar besser behandelt, aber lange ist sie für die Familie nur die Mörderin.


    Erst langsam findet sie ihren Platz. Plötzlich stellt die Familie fest, dass Agnes auch ein Leben vor dem Mord hatte. Von diesem Leben hatte man natürlich schon gehört, aber es gab viele Gerüchte. In ihren Gesprächen mit Tóti kommt vieles anders ans Licht, als es schon erzählt wurde.


    Agnes ist eine intelligente Frau, die aus mehr aus ihrem Leben machen wollte und das macht sie in dieser Gesellschaft schon zu einer Außenseiterin. Die Frauen auf den andere Höfen finden, dass sie wegen ihres Wunschs, aus dem ihr bestimmten Leben auszubrechen, ihr Schicksal verdient hat. Bei Blöndel habe ich das Gefühl, dass er sie einfach nur loswerden will. Ihn interessiert ihre Rolle bei den Morden nicht wirklich. Sie war dabei, das reicht.


    Hannah Kent hat es geschafft, mich von der ersten Seite an in Agnes' Welt mitzunehmen. Der Schreibstil von Das Seelenhaus passt hervorragend zur kalten, rauen Umgebung. Wie HoldenCaulfield fehlen mir bei einigen Personen die Details, trotzdem hat mich das Buch sehr berührt.

    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Danke, Kirsten für die Rezi. Ich habe wie üblich, wenn ich das Buch noch nicht gelesen habe, Nut das Fazit und die Rattenzahl angeschaut. Und auch die Bewertungen der anderen Leser. Ich denke, ich werde das Buch heute noch bestellen. Interessiert mich auf jeden Fall.

  • Ein Aspekt, der mich an dem Buch faszinierte, ist die ganz ruhige Stimmung trotz des deprimierenden Themas und oft wird die Landschaft ganz subtil gelobt, obwohl weder die Landschaft noch das Klima im Winter sonderlich attraktiv klingen. Man möchte sich nach der Lektüre mit Island und seiner Geschichte befassen. Auch sehr schön, wie Agnes begeistert von ihrem recht einfachen Beruf als Magd spricht, obwohl stark betont wird, dass sie eine hohe Intelligenz besitzt. Insgesamt scheint keiner der Charaktere mit seinem Leben unzufrieden zu sein, außer in kleinen Aspekten, die in jedem Leben mal vorkommen (Eifersucht, unerfüllte Liebe etc.). Dabei wird objektiv nichts Erstrebenswertes gezeigt, aber der Leser fühlt, dass die meisten Personen mit ihrem sehr einfachen Leben gut zufrieden sind. Bei Agnes merkt man allerdings den Zwiespalt - einerseits liebt sie den Hof, auf den sie gekommen ist, andererseits fällt ihr dessen Verfall auf.

    Aus meiner Sicht sind Blöndal etc. so oberflächlich gezeichnet, weil der Hauptteil der Geschichte von Agnes erzählt wird und die anderen Personen eben nur am Rande vorkommen.

    Interessant fand ich, dass auch hochrangige Personen einfachste Kost - Skyr - angeboten bekommen und ins Gemeinschaftsschlafzimmer als einzigem Wohnraum gebeten werden und das auch als normal empfinden, obwohl sich jeder Mühe gibt, sich extrem vornehm zu verhalten (bei Besuch hochrangiger Personen wie Blöndal).

    Ich sammele Kochbücher, Foodfotos und Zitate.


    <3 Aktuelle Lieblingsbücher: "The good people" von Hannah Kent, "Plate to pixel" von Hélène Dujardin und "The elegance of the hedgehog" von Muriel Barbery.

  • Sodele, ich bin ungefähr an der Stelle, wo der junge Pfarrer Toti Agnes den zweiten Besuch abstattet.

    Obwohl das Buch bisher gar keine grausigen Stelle hatte, habe ich heute Nacht sehr lebhafte Albträume gehabt und ich glaube, irgendwie hing das mit diesem Buch zusammen. Verrückt. Vielleicht sollte ich nicht mehr bis nachts um 2 lesen. Ich bin wahrlich eine Nachteule.


    Grüße,

    Marypipe

  • Grausig ist Das Seelenhaus sicher nicht. Aber es ist ein düsteres Buch und von daher kann ich deine Albträume schon verstehen.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Oh, das ist auch etwas für mich. Hab es gleich auf meine WuLi gestellt, Weihnachten kommt ja bald^^

    &quot; Bücher lesen heißt, wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben , über die Sterne&quot;<br />- Thomas Carlyle

  • Puh, ich habe soeben das Buch fertig gelesen. Ich konnte mich in den vergangenen 4 Tagen, in denen ich das Buch von Anfang bis Ende gelesen habe, kaum trennen und las eigentlich fast in jeder freien Minute. Ich muss das nun erst einmal setzen lassen, bevor ich meine abschließende Rezension darüber schreibe. Aber ich kann schon mal sagen, dass es mich sehr beschäftigt und bewegt hat. Ein großartiges Buch!

  • @Marypipe


    Komisch, mir ging es genau umgekehrt: Obwohl das Thema eigentlich kein schönes ist, habe ich es stellenweise sogar als Wohlfühlbuch wahrgenommen. Bei der letzten Szene musste ich allerdings weinen; der Autorin soll es beim Schreiben ähnlich gegangen sein. Da hat sie in sehr einfachen Worten etwas beschrieben, über das wohl viele mal nachgedacht haben, aber vermutlich nicht wirklich in der Tiefe.

    LG von

    Keshia

    Ich sammele Kochbücher, Foodfotos und Zitate.


    <3 Aktuelle Lieblingsbücher: "The good people" von Hannah Kent, "Plate to pixel" von Hélène Dujardin und "The elegance of the hedgehog" von Muriel Barbery.