Alina Bronsky - Baba Dunjas letzte Liebe

Es gibt 17 Antworten in diesem Thema, welches 4.232 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Maria Braig.

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    Klappentext:
    Baba Dunja ist eine Tschernobyl-Heimkehrerin. Wo der Rest der Welt nach dem Reaktorunglück die tickenden Geigerzähler und die strahlenden Waldfrüchte fürchtet, baut sich die ehemalige Krankenschwester mit Gleichgesinnten ein neues Leben auf. Wasser gibt es aus dem Brunnen, Elektrizität an guten Tagen und Gemüse aus dem eigenen Garten. Die Vögel rufen im Niemandsland so laut wie nirgends sonst, die Spinnen weben verrückte Netze, und manchmal kommt sogar ein Toter auf einen Plausch vorbei. Während der sterbenskranke Petrov in der Hängematte Liebesgedichte liest, die Gavrilovs im Garten Schach spielen und die Melkerin Marja mit dem fast hundertjährigen Sidorow anbandelt, schreibt Baba Dunja Briefe an ihre Tochter Irina, die Chirurgin bei der deutschen Bundeswehr ist. Und an ihre Enkelin Laura. Doch dann kommen Fremde ins Dorf – und die Gemeinschaft steht erneut vor der Auflösung.


    Ich stimme Tomke zu: Nett, aber nicht herausragend.
    Ich habe das Buch gerne gelesen und war während des Lesens ziemlich angetan davon, aber nun, am nächsten Tag, frage ich mich doch, wo die Substanz ist. Man hätte aus dem Thema der Heimkehrer in die "Todeszone" um Tschernobyl herum so viel mehr machen können. Die Alltags- und Naturbeschreibungen sind als Basis nicht schlecht, aber es fehlt der weitere Ausbau. Statt dessen werden die Personen immer skurriler und schließlich kommen nicht nur Fremde ins Dorf sondern auch "action" ins Buch, die dort nichts zu suchen hat.


    3ratten

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Saltanah, Du bringst es auf dne Punkt. Dem ist nichts hinzuzufügen! :winken:

  • Tschernowo ist ein kleines Dorf in der Nähe des Kernreaktors Tschernobyl. Hier lebt niemand freiwillig, sollte man denken. Weit gefehlt. Baba Dunja, eine einfache Frau, bedeutet die Heimat so viel, dass sie dort den Rest ihres Lebens verbringen will. Die Nähe zum Kernreaktor macht ihr nichts aus. Denn sie hat nichts mehr zu verlieren. Sie ist alt, über neunzig, und das Gute für sie am Alter ist, dass sie niemand mehr um Erlaubnis fragen muss. Zum Beispiel, ob sie in ihrem alten Haus wohnen kann und ob sie Spinnennetze hängen lassen darf. Baba Dunja hat alles gesehen und vor nichts mehr Angst. „Der Tod kann kommen, aber bitte höflich.“ (Seite 12)


    Für sie ist Tschernowo das Paradies, wenn auch ein verstrahltes. Besonders im Winter ist es stiller als still. "Wenn eine Schneedecke über allem liegt, sind sogar die Träume gedämpft, und nur die Dompfaffen springen durch das Gestrüpp und sorgen für Farbe in der weißen Landschaft." (Seite 32)


    Hier läuft das Leben in ruhigen Bahnen ab. Für Baba Dunjas Nachbarin Marja, deren Hahn Konstantin gleich im Kochtopf landet. Sidorow, der noch mit hundert Jahren auf der Suche nach einer Frau ist. Lenotschka, die einen endlos langen Schal strickt und lächelt, wenn man sie anspricht, jedoch nicht antwortet. Das gebildete Ehepaar Gavrilov, das nicht auf Annehmlichkeiten verzichten muss. In Tschernowo verlangt niemand etwas von den Bewohnern. Es zählt das Heute, nicht das Morgen. Die Alten leben von der Selbstversorgung, das Gemüse wächst üppig in ihren Gärten. Nur nicht bei Petrow, der als letzter ein Häuschen im Dorf bezog und der seinen Krebs, von dem sein Körper komplett durchsetzt ist, nicht füttern will. Die Öfen werden mit Holz befeuert, Wasser spenden Brunnen, und an manchen Tagen gibt es auch Strom.


    Baba Dunjas Kontakte zur Außenwelt bestehen aus gelegentlichen Busfahrten nach Malyschi. Dann erzählt ihr Boris, der Busfahrer, was er im Fernsehen gesehen hat. Viel über Politik. Die ist natürlich wichtig, doch Baba Dunja ist da pragmatisch, denn „es bleibt trotzdem immer an einem selbst hängen, die Kartoffeln zu düngen, wenn man irgendwann Püree essen will.“ (Seite 46)


    Ab und an bekommt Baba Dunja Pakete von ihrer Tochter Irina. Diese ist Ärztin und lebt mit Enkelin Laura in Deutschland. Wenn Baba Dunja daran denkt, dass sie Laura (außer auf Fotos) noch nie gesehen hat, kommt Wehmut auf. Gut, dass gelegentlich Ehemann Jegor vorbeischaut, der aber nicht wirklich stört. Baba Dunja plaudert gern mit ihm. Seit er nämlich tot ist, ist er sehr höflich. Als er noch lebte, war das leider nicht so.


    In die Idylle kommt Unruhe, als eines Tages ein Mann seine Tochter mitbringt. Recht schnell wird klar, dass das Kind als Spielball zwischen den getrennten Eltern steht. Das ist für Baba Dunja unhaltbar. Ein Kind hat in Tschernowo nichts zu suchen. Zwar ist Tschernowo ein schöner und guter Ort für seine Bewohner. Niemand wird fortgejagt. Nur wenn jemand noch jung und gesund ist, sollte er sich ein anderes Heim wählen. Schon gar nicht sollte ein kleines Kind aus Rache dem Tode geweiht werden.


    Und daher dauert es nicht lange, das liegt der Mann tot auf der Erde, und Baba Dunja nimmt alle Schuld auf sich...


    Mit viel Verständnis und Geradlinigkeit lässt Alina Bronsky Baba Dunja erzählen. Die im Grunde kleine Geschichte entfaltet eine große Wirkung. Sie ist poetisch, lebendig, weise und ehrlich, manchmal verschmitzt, dann wieder traurig und anrührend.


    Baba Dunja "strahlt" - im wahrsten Sinne des Wortes - eine Lebensfreude aus, die zu Herzen gehend ist. Mit Klugheit und Nachsicht schaut sie auf ihre Mitmenschen und ist der Mittelpunkt der eigenwilligen, schrulligen, sturen und manchmal auch exzentrischen Dorfbewohner, die trotzdem allesamt liebenswert in ihrer Gelassenheit, mit der sie ihr Dasein verbringen, erscheinen.


    Man möchte sie in den Arm nehmen und fest drücken. Und auf jeden Fall ein langes Leben wünschen.


    5ratten

    Das Leben ist das schönste Märchen. Hans Christian Andersen

    Einmal editiert, zuletzt von Svanvithe ()

  • Mir hat es sehr gut gefallen und ich empfinde es auch als "große" Literatur - sehr beeindruckend geschrieben. Hier meine Rezi:



    Wo meine Wiege stand - da ist mein Heimatland! Oder doch nicht?

    Heimat - das ist ein ganz subjektiver Begriff. Die meinige befindet sich in Riga in Lettland. Ich habe dort nie eine Wohnung gehabt und mich dort nicht länger als zwei Monate am Stück aufgehalten, aber das ändert nichts daran, dass ich mich dort am meisten zu Hause, am meisten bei mir fühle.


    Für Baba Dunja, Alina Bronskys Heldin - und zwar eine Heldin im allerwahrsten Sinne des Wortes - ist die Heimat an einem Ort, an dem kaum jemand sein will, nämlich in Tschernowo. Das liegt in der Todeszone rund um Tschernobyl, die nach dem Reaktorunglück geräumt und nie wieder besiedelt wurde - aber einige wenige sind aus freiem Willen zurückgekehrt und leben hier so vor sich hin.


    Die Sache ist die, dass sie überhaupt nirgendwo anders hin wollen, es genügt ihnen das, was sie hier haben. Das kann zwar kaum jemand von außen verstehen, aber solange niemand diese Heimat abspenstig machen will, stört sie das nicht weiter.


    Genau - solange! Denn auf einmal passiert etwas und die Polizei ist da. Und es entwickelt sich eine Solidarität, die vor allem Baba Dunja ganz tief in ihrem Herzen empfindet und die sie für die anderen einstehen lässt - ob diese es nun wollen oder auch nicht.


    Baba Dunja ist eine Wahnsinnsfrau - sie ist auf ihre eigene Art tollkühn, ja wahnsinnig und will einfach ihr Leben so leben, wie es ihr passt. Nicht so, wie ihre Tochter Irina, Ärztin im fernen Deutschland, sich das vorstellt und auch nicht so, wie es die Menschen in der Stadt sich für sie ausmalen.


    Und irgendwann wird klar: auch anderswo kocht man nur mit Wasser und zwar in vielerlei Hinsicht. Und es ist nicht einmal immer Minze drin, wie es bei Baba Dunja stets der Fall ist!


    Ein kleines Buch mit großem Inhalt: Alina Bronsky schreibt spritzig, tragikomisch - und vor allem unglaublich originell. Sie ist die einzige mir bekannte Autorin, die es vermag, aus wenigen Worten einen blumigen, ja wilden Stil zu kreieren und das ist eine Kunst, die man nicht lernen kann - sie ist tief in einem drin verwurzelt sowie Baba Dunja es in der Gegend um Tschernowo ist.


    Ein Buch, das auf besondere, spezielle Weise in sich ruht, mit sich in einem ist - obwohl es lebhaft, überraschend und aufwühlend wirkt. Aber auch auf eigenartige Art und Weise beruhigend. Auf mich jedenfalls, denn es bringt mich - zumindest in Gedanken - dahin, wo ich hingehöre und damit zur Ruhe. Heimat ist ein Gefühl, das jeder für sich entwickelt und das keiner ihm nehmen kann. Eine unbedingte Leseempfehlung von mir!
    5ratten

  • Ob ich das Buch lesen will, weiß ich noch nicht so genau, aber Eure beiden Rezis, TochterAlice und Svanvithe, fand ich richtig klasse :daumen:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Zufällig hat mein Mann, der bevorzugt Krimis und Thriller liest, das Buch am Wochenende entdeckt und es nun gelesen. Sein Fazit nach der Lektüre gebe ich hier gerne wieder:


    Um das Buch "Baba Dunjas letzte Liebe" zu mögen, muss man ein bisschen die russische Seele kennen und lieben. Man muss das sozialistische System und dessen Untergang miterlebt haben und natürlich über Tschernobyl Bescheid wissen. Und man sollte auf dem Land aufgewachsen sein.

    Ewig hab ich gewartet und wollte zu gerne wissen,



    Umsonst gewartet? Keinesfalls.

    Denn in der Zwischenzeit wurde großartig beschrieben,



    Ich glaube, im Frühjahr werde ich auch mal unsere Birken anzapfen.* Ab heute sind es für mich die Baba-Dunja-Birken. Unser kleines Grundstück sehe ich jetzt auch mit anderen Augen. Und plötzlich habe ich auch gar nicht mehr so ein großes Interesse an dem Überangebot im Supermarkt. Ein wenig bescheidener leben und aus den Dingen, die uns die Natur schenkt, etwas machen, danach steht mir der Sinn. Zumindest im Moment.

    Für mich DAS Buch des Jahres. Ich konnte herrlich runterfahren beim Lesen. Alles hatte ich vor Augen. Die dicke Nachbarin und den Hahn und auch die Katze. Und natürlich ihren Garten.


    Es war für mich ein ungewohntes Lesevergnügen der besonderen Art. Dafür herzlichen Dank... gerne mehr davon. Thriller war gestern.


    * Vor unserem Haus stehen zwei Birken.

    Das Leben ist das schönste Märchen. Hans Christian Andersen

  • Meine Meinung zum Buch:


    Titel: Wie lebt es sich in der Todeszone?


    Ich hatte schon so viel Positives über dieses kleine Büchlein gehört, dass ich mir einfach selbst eine Meinung bilden wollte und ich bin doch recht positiv angetan.


    In der Geschichte geht es um Baba Dunja, die nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl wieder heimkehrt, egal ob ihre Umgebung verstrahlt ist oder nicht, denn was hat sie als alte Frau schon zu befürchten?


    Der Autorin gelingt es sehr gut mit einfachen Worten die Umgebung von Tschernowo und den Alltag dort zu beschreiben, der gar nicht so viel anders ist als der Leser ihn kennt. Die Bewohner müssen mit gewissen Einschränkungen leben wie: kein Telefon, kein fließend Wasser und der nächste Bus fährt einen Zwei-Stunden-Fußmarsch entfernt. Dennoch kommen die Menschen dort zurecht und leben.


    Baba Dunja agiert in dem Roman als Ich-Erzählerin und so lernen wir die Bewohner des Ortes aus ihrer Sichtweise kennen. Da gibt es doch schon sehr spezielle Charaktere, die einen aber dennoch berühren und mitreißen. Alle Bewohner haben schon ein recht hohes Alter erreicht und wissen noch was helfen heißt.


    Außer Baba Dunja war mein Liebling Marja, da sie so eine unverblümt offene Art hat.


    Nicht so gut gefallen hat mir die kleine, eingestreute Episode mit den Neuzugängen im Ort, die dann doch nicht lange bleiben und die Auswirkungen danach. Ich fand, das passte nicht so richtig in die Geschichte.


    Sehr gut gefallen haben mir hingegen die Briefe, die Baba Dunja an ihre Tochter und ihre Enkelin schreibt, denn gerade die haben gezeigt, was für ein besonderer Mensch sie ist.


    Fazit: Wer mal etwas völlig anderes lesen will, der ist bei diesem Buch goldrichtig. Mir hat es gut gefallen und gern empfehle ich es weiter.


    Bewertung: 4ratten


    P.S.: Auf das Buch bin ich durch den Literaturschock- Newsletter aufmerksam geworden, sonst wäre es mir wohl entgangen, daher danke Suse. :bussi:

    &WCF_AMPERSAND"Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende&WCF_AMPERSAND" (H.M. Enzensberger)

  • Baba Dunjas letzte Liebe..... Ein dünnes Büchlein, das ich in einem Tag durchgelesen habe. Was bleibt hängen? Für mich am eindrücklichsten war der bescheidene und dennoch zufriedene Lebenstil der alten Leute in Tschernowo. Ich interessiere mich seit vielen Jahren für das Reaktorunglück in Tschernobyl und habe auch schon einiges dazu gelesen. Daher habe ich mich sehr auf dieses Buch gefreut. Tja, aber konnte es meine Erwartungen erfüllen? Ich schließe mich da Salatanah an, das Buch ist nett, aber das war es auch schon. Auf weiten Teilen vermag es, eine angenehme Stimmung zu verbreiten, allerdings fehlt mir dennoch die Substanz. Ich empfinde es irgendwie "unfertig". Auch hätte ich mir mehr Hintergrund zu dem Reaktorunglück gewünscht. Das ist so schade, das Thema hätte so vieles hergegeben... Irgendwie fühle ich mich, als ob ich auf der Hälfte des Weges am Straßenrand liegen geblieben wäre. Da ich kürzlich "Altes Land" von Dörte Hansen gelesen habe, geistert mir im Kopf rum: Dieses Thema gepaart mit Dörte Hansens Art zu schreiben... Das wärs gewesen ;)


    3ratten

  • 4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Baba Dunja, die nun wirklich keine 82 Jahre mehr ist :zwinker: kehrt zurück in ihr Heimatdorf Tschernowo, das in der Todeszone von Tschernobyl liegt. Sie ist die Erste, die sich dort, in ihrem alten Haus, wieder niederlässt, doch nach und nach steigt die Zahl der BewohnerInnen. Es sind meist Alte, die Jüngsten um die 60 Jahre, zum Teil schwer krank, die nichts fürchten, auch nicht den Tod. Jede/r lebt dort sein Leben, eine wirkliche Gemeinschaft gibt es nicht. Gemüse und Obst werden im eigenen Garten angebaut, was man sonst so braucht und nicht selbst herstellen kann, wird von der kärglichen Rente im nächsten Städtchen Malyschi gekauft. Es könnte ein Idyll sein, doch Baba Dunja, die Ich-Erzählerin, ist sich der prekären Situation durchaus bewusst: Sie (wie auch der Rest in Tschernowo) strahlt mittlerweile selbst wie ein kleines Atomkraftwerk und ein Happy End ist bestimmt nicht zu erwarten. Wie sollte es in ihrem Alter auch aussehen? Denn eines ist gewiss: der Tod. Und diesem in Tschernowo zu begegnen, ist das Schlechteste nicht.
    Baba Dunja erzählt nicht nur von ihrem Leben im Dorf, sie erinnert sich auch an ihr Leben davor, das voller Mühsal war und darin bestand, für andere da zu sein: ihre Kinder Irina und Alexej; ihren Mann Jegor; die Kranken, die sie als medizinische Hilfsschwester behandelt hat. Nun kann sie zum erstem Mal in ihrem Leben das tun, was sie will: leben und sterben in Tschernowo. Ihrer Tochter Irina, die als Chirurgin in Deutschland lebt, ein Kind hat und nicht verstehen kann, weshalb ihre Mutter dorthin zurückgekehrt ist, schreibt sie beruhigende Briefe.
    Zitat: "Mädchen", sagte ich, "guck mich an. Siehst Du, wie alt ich bin? Und das alles ohne Vitamine und Operationen und Vorsorgeuntersuchungen. Wenn sich jetzt irgendetwas Schlechtes in mir einnistet, dann lasse ich es in Ruhe. Niemand soll mich mehr anfassen und mit Nadeln pieksen, wenigstens das habe ich mir verdient."
    Alina Bronskys Schreibstil trifft den Tonfall dieser alten Baba Dunja wunderbar: gelassen, durch nichts zu erschüttern und immer noch voller Lebensfreude. Sie weiß um die guten und schlechten Seiten der Menschen, verurteilt niemanden und nimmt das Leben wie es kommt - doch ohne sich sagen zu lassen, was sie zu tun hat. Zufälligerweise habe ich gerade zuvor das Buch Eierlikörtage: Das geheime Tagebuch des Hendrik Groen, 83 1/4 Jahre gelesen - das genaue Gegenteil eines Lebens im Alter. Dort wohl versorgt im Altenheim, alles läuft nach Plan: Essen, Trinken, Unterhaltungsprogramm, sofern es eines gibt. Ohne Eigeninitiative (die nicht unbedingt gerne gesehen wird) nichts als gepflegte Langeweile. Wie erfrischend hingegen das Leben in der Todeszone, ohne dass es verklärt wird. Wenn man mich fragen würde, wo ich lieber meine letzten Tage verbringen möchte, wäre die Antwort klar: Tschernowo :breitgrins:

    Je mehr sich unsere Bekanntschaft mit guten Büchern vergrößert, desto geringer wird der Kreis von Menschen, an deren Umgang wir Geschmack finden.    Ludwig Feuerbach (1804 - 1872)

  • Ich stimme Tomke zu: Nett, aber nicht herausragend.
    Ich habe das Buch gerne gelesen und war während des Lesens ziemlich angetan davon, aber nun, am nächsten Tag, frage ich mich doch, wo die Substanz ist. Man hätte aus dem Thema der Heimkehrer in die "Todeszone" um Tschernobyl herum so viel mehr machen können. Die Alltags- und Naturbeschreibungen sind als Basis nicht schlecht, aber es fehlt der weitere Ausbau. Statt dessen werden die Personen immer skurriler und schließlich kommen nicht nur Fremde ins Dorf sondern auch "action" ins Buch, die dort nichts zu suchen hat.


    3ratten


    Das trifft es auch bei mir ziemlich genau. Ich mochte Baba Dunja wirklich, auch diese kleine Gemeinschaft im Dorf Tschernowo, die Naturbeschreibung, die Stimmung, den Pragmatismus von Baba Dunja und die Schrullen der anderen, diesen Grundgedanken dort zu leben wo man zuhause ist, auch wenn dort sonst niemand mehr leben kann, darf und möchte.

    Aber auch mir fehlts was, schwer zu sagen was ich erwartet habe. Ich mochte das Buch und hab auch nicht bereut es gelesen zu haben, aber es hinterläßt eine gewisse Leere, eine evtl. vertane Möglichkeit. Der "Action"-Anteil hätte mich nicht so gestört, aber was da genau geschehen war fand ich ziemlich seltsam, unpassend und wirkte reingezwungen.

    Trotzdem, allein dafür daß ich dieses Dorf mit seinen Bewohnern und den Duft der Wiesen und Blumen, das sommerliche Licht glitzernd auf den Spinnweben so plastisch vor mir sehen tendiert meine Bewertung irgendwo zwischen 3 und 4 Ratten.

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



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    Über das Buch:

    Das Buch zählt 160 Seiten und wurde im April 2017 herausgegeben.


    Klappentext gemäß Amazon:

    "Baba Dunja ist eine Tschernobyl-Heimkehrerin. Wo der Rest der Welt nach dem Reaktorunglück die strahlenden Waldfrüchte fürchtet, baut sie sich mit Gleichgesinnten ein neues Leben auf. Mitten im Niemandsland, wo die Vögel so laut rufen wie nirgends sonst und manchmal ein Toter auf einen Plausch vorbeikommt. Während der sterbenskranke Petrov in der Hängematte Liebesgedichte liest und die Melkerin Marja mit dem fast hundertjährigen Sidorow anbandelt, schreibt Baba Dunja Briefe nach Deutschland, an ihre Tochter. Doch dann kommen Fremde ins Dorf – und die Gemeinschaft steht erneut vor der Auflösung. Voller Kraft und Poesie, voller Herz und Witz lässt Alina Bronsky eine untergegangene Welt wiederauferstehen und erzählt die Geschichte einer außergewöhnlichen Frau, die im hohen Alter ihr selbstbestimmtes Paradies findet."


    Inhalt und Stil:

    In einem ruhigen Erzählstil aus Sicht der Protagonistin Baba Dunja wird das Leben der alten Frau in einem Dorf dargestellt. Das Dorf, Tschernowo, liegt innerhalb der Todeszone des Tschernobyl-Unglücks und gilt als unbewohnbar, gefährlich. Doch Baba Dunja kehrte als erste zurück, ein paar andere Menschen folgten ihr. Sie leben zurückgezogen und größtenteils autark, sie gelten alle als alt oder ohnehin dem Tod nah ("Der Tod kann kommen, aber bitte höflich", S. 12).


    Baba Dunjas Alltag ist geprägt von Gartenpflege, Gespräche mit ihrer Nachbarin Marja und dem kranken Petrow und dem Lesen von Briefen, die sie von ihrer in Deutschland lebenden Tochter erhält. Hin und wieder tritt sie eine Reise in die nächste Stadt Malyschi an.


    Der Alltag wird eines Tages von Neuankömmlingen gestört, die nicht nach Tschernowo gehören. Die Ankömmlinge könnten den Anfang vom Ende bedeuten.


    Die Erzählweise passt sehr zum ruhigen Inhalt, Baba Dunjas Charakter wird durch das Erzählen aus ihrer Perspektive sehr deutlich und greifbar. Die Worte sind charaktertreu, weise, manchmal gnadenlos ehrlich, aber auch poetisch.


    Meine Meinung:

    Dieses Buch ist für mich ein Kleinod, ich habe schon sehr lange nicht mehr etwas in dieser Art gelesen. Es passiert nicht besonders viel, und trotzdem hat die Geschichte einen starken Eindruck bei mir hinterlassen. Ich stimme nicht mit allem von Baba Dunjas Gedanken überein, und doch empfinde ich viel Respekt für die alte Frau, finde sie beinahe schon liebenswert. Sie und die anderen Figuren des Buches fand ich wunderbar dargestellt.


    Ich habe mich sehr wohl gefühlt in der kleinen Nachbarschaft des Tschernobyl-Dorfes, und fand es beinahe schade, dass diese - eigentlich auf Dauer tödliche - Idylle gestört wurde. Trotzdem fand ich es gelungen, als der sanfte Bruch kam.


    Gerne gebe ich 5 Ratten.


    5ratten

  • (So interessant, die doch sehr verschiedenen Meinungen, dass ich das Buch jetzt doch auf meine Wunschliste gesetzt hab.. :))

  • Ja, da gibt es definitiv verschiedene Pole.

    Ich denke, vor einigen Jahren hätte mir das Buch beispielsweise nicht so gefallen. Aber heutzutage finde ich es großartig :)

  • Bei mir ist es jetzt schon ein paar Jahre her, aber das Buch ist mir nachhaltig in Erinnerung geblieben. Mich hat die stille Geschichte rund um die alte Baba Dunja beeindruckt.

  • Kann ich gut verstehen dodo !

  • Hardcover-Taschenbuch: 184 Seiten

    Verlag: KiWi-Taschenbuch (5. März 2020)

    ISBN-13: 978-3462054729

    Preis: 10,00 €

    auch als großes Hardcover, als großes Taschenbuch, als E-Book und als Hörbuch erhältlich


    Was für eine herzerwärmende kleine Story


    Inhalt:

    Baba Dunjas Heimat ist das kleine Dörfchen Tschernowo. Es liegt in der sogenannten Todeszone des Reaktors Tschernobyl. Irgendwann hat Baba Dunja beschlossen, dass sie auf ihre Heimat nicht verzichten will, und wieder von ihrem Häuschen Besitz ergriffen, Reaktor hin - Reaktor her. Und nach ihr ziehen noch ein paar weitere alte Leute wieder in das Dorf, um sich dort ihrem Lebensabend zu widmen. Als ein Fremder mit seiner Tochter ins Dorf kommt, stört das die Ruhe nachhaltig …


    Meine Meinung:

    Es ist eine kleine, aber sehr feine Geschichte, die Alina Bronsky zu erzählen hat. Mit viel Humor und Herzenswärme stellt sie uns eine Anzahl mehr oder weniger schrulliger Charaktere vor, die einem schnell ans Herz wachsen, allen voran natürlich Baba Dunja, die als Ich-Erzählerin fungiert. Die etwas mürrisch erscheinende Alte wirkt zunächst ein bisschen ungehobelt, doch merkt man schon bald, dass sie das Herz am rechten Fleck trägt. Sie ist es, die im Dorf das Sagen hat, obwohl sie es gar nicht darauf anlegt. Und so ist auch sie es, die das Problem mit dem Fremden lösen muss. Und das tut sie auf ihre ganz eigene pragmatische Art.


    Baba Dunja zeigt uns, dass es gar nicht viel braucht, um ein zufriedenes Leben zu führen.


    Ich mochte diese Geschichte sehr gern und wünsche ihr noch viele Leser, die für sich einen Nutzen daraus ziehen können.


    ★★★★★

  • Ich mochte diese Geschichte sehr gern und wünsche ihr noch viele Leser, die für sich einen Nutzen daraus ziehen können.


    Geht mir genauso :)

    Ich denke immer mal wieder an diese Geschichte, sie hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen.

  • Bei mir ist es jetzt schon ein paar Jahre her, aber das Buch ist mir nachhaltig in Erinnerung geblieben. Mich hat die stille Geschichte rund um die alte Baba Dunja beeindruckt.

    So geht's mir auch damit