Ellen Marie Wiseman - Die dunklen Mauern von Willard State

Es gibt 34 Antworten in diesem Thema, welches 7.337 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.


  • Respekt, da liest du aber flott! Ich brauche da etwas länger. :redface:
    Trotz der beklemmenden Handlung gefällt mir das Buch gut.


    Das ist mehr wie nur Flott :zwinker: so schnell bin ich leider nicht .......................................... Kompliment :daumen:

  • In diesem Buch geht es in zwei unterschiedlichen Handlungssträngen um zwei junge Frauen. In der Gegenwart begegnen wir Izzy, deren Mutter vor vielen Jahren ihren Vater erschoss. Seit dem lebte Izzy in verschiedenen Pflegefamilien, ohne zu wissen, was damals geschah.


    Als Izzy mit ihrer Pflegemutter in einer stillgelegten psychiatrischen Einrichtung nach interessanten Dingen für ein Museum sucht, stößt sie auf das Tagebuch von Clara, einer Insassin von Willard State. Neugierig geworden beschließt Izzy Claras Geschichte in Erfahrung zu bringen.


    Was wir über Clara erfahren ist erschrecken und beklemmend. Sie wächst in der Zeit um 1930 als Tochter einer reichen Familie auf. Sie genießt ihr Leben und erschleicht sich die ein oder andere Freiheit. Doch als sie gegen ihre Eltern aufbegehrt und einen armen Mann heiraten will, lassen diese sie kurzerhand in die Psychiatrie einweisen. Claras Kampf und Leidensweg beginnt und ich war entsetzt und habe mit ihr gelitten und auch mit den anderen Schicksalsgenossinnen, die Clara in Willard State begegnen. Es ist erstaunlich wie einfach es damals war einen Menschen für immer wegsperren zu lassen.


    Auch Izzys Leben ist nicht immer einfach. Sie kommt auf eine neue Schule und wird hier vom ersten Tag an gemobbt. Halt gibt ihr ihre neue Pflegefamilie. Doch die Angst diese zu enttäuschen sorgt dafür, dass Izzy ihre Ängste und Sorgen für sich behält und versucht alles alleine durchzustehen. Zudem glaubt Izzy dass ihre Mutter geisteskrank ist und hat Angst, dass das auch in ihr steckt. Das macht für sie die Besuche in der alten Psychiatrie nicht gerade einfach.
    Während Izzy mit ihrer Angst kämpft, dass auch sie psychisch krank ist, erlebt Clara die Schrecken einer Einweisung am eigenen Leib, obwohl sie gesund ist.


    Die Geschichte ist sehr spannend geschrieben und liest sich flott. Allerdings fand ich vor allem Claras Teil manchmal so beklemmend, dass mir das Weiterlesen nicht immer leicht gefallen ist. Zum Glück hat die Autorin die Schrecken nicht bis ins letzte Detail geschildert und manches nur vage angedeutet.


    Auch bei Izzy gab es einen Moment, bei dem mir der Atem gestockt hat und ich musste unbedingt weiterlesen. Ich hätte das Buch nicht weglegen können ohne zu wissen, wie sich diese Situation
    auflöst.


    Das Ende ließ mich zur Ruhe kommen und auch wenn es sehr harmonisch war, ist das Buch kein Wohlfühlroman, sondern die spannende Geschichte zweier junger Frauen, die in unterschiedlichen Zeiten mit ihren Problemen kämpfen und sich nicht unterkriegen lassen.


    Im Anhang gibt es Anmerkungen der Autorin zu den historischen Gegebenheiten und den Büchern auf die sie sich stützt. Außerdem beantwortet sie auf einigen Seiten Fragen zum Buch und ihrer Inspiration dazu.


    Fazit: Die spannende, aber teilweise auch beklemmende Geschichte zweier junger Frauen, die mit Willard State in Berührung kommen.


    4ratten

    Einmal editiert, zuletzt von Aurian ()

  • @Dani
    Mir ging es in vielen Punkten wie Dir. Vor allem die Rahmenhandlung fand ich zu übertrieben. Es gab ja dann auch diese vielen Parallelen zur Handlung in der Vergangenheit. Das fand ich etwas zu viel des guten. Allein die Handlung von Izzy wäre eigentlich ein eigener Roman gewesen. Mir kam dabei auch Shannons Geschichte gegen Ende zu kurz, es gab da irgendwie keine wirkliche Lösung mehr. Dafür das es so aufgebauscht wurde, war mir das etwas zu wenig.
    Außerdem fand ich die Handlung mit Bruno in der Vergangenheit schon sehr überdramatisch. Als ob nicht genug Schlimmes passiert wäre. Wobei ich insgesamt die Handlung trotzdem etwas gelungener fand. Sicher auch wegen der historischen Zusammenhänge.


    Meine Meinung:
    Eigentlich finde ich das Buch jetzt im Nachhinein etwas schlechter, als beim Lesen selbst. Das liegt sicher auch daran, das ich mir nach dem Lesen noch mehr Gedanken mache, weshalb mir etwas gefallen oder nicht gefallen hat.
    Man merkt das die Autorin recherchiert hat und versucht hat, die Zustände die in der von ihr beschriebenen Einrichtung herrschten, so wiederzugeben, das sie auch realistisch wirken. Mich haben daher die Kapitel in der Vergangenheit mehr überzeugt. Obwohl ich auch hier fand, das die Autorin an manchen Stellen übertrieben hat. Allerdings konnte ich mit der Figur der Clara Cartwright stärker mitfühlen, als mit Izzy. Ich fand Claras Blickwinkel überzeugender. Außerdem haben mich die Beschreibungen zum Teil doch auch mitgenommen.
    Aus unserer heutigen Sicht sind viele Ereignisse geradezu empörend. Allein die Tatsache das man in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts so einfach weggesperrt werden konnte. Das ist nach wie vor unfassbar. Ich habe mich mehr als einmal genauso hilflos gefühlt, wie Clara im Roman.
    Ich habe wirklich mit ihr mitgefühlt und war auch immer wieder wütend, über die Art und Weise wie vor allem Frauen hier behandelt wurden. Clara muss Schreckliches erleben und dabei übertreibt die Autorin es dann doch ein klein wenig. Sie lässt ihr so gar keine Ruhe und jede Hoffnung wird ihr genommen. Das fand ich manchmal schwer zu ertragen. Und ich fand es in der ganzen Fülle der Ereignisse - auch im Hinblick auf Izzys Geschichte - hi und da zu übertrieben.


    Izzys Geschichte wäre allein schon Stoff für einen Roman. Auch hier hat die Autorin eine Fülle an Ideen. Für sich genommen finde ich diese auch nicht zwingend schlecht. Aber ich fand das zu übertrieben war. Vor allem im Zusammenhang mit Claras Leben, waren das doch etwas viele Zufälle auf einmal.
    Der Roman ist nicht wirklich schlecht und ich habe gerne weiter gelesen. Trotzdem bleibt eben dieses Gefühl, das alles zu dramatisch und zum Teil zu vorhersehbar mit einander verwoben wurde. Mit etwas weniger Drama an der ein oder anderen Stelle, wäre die Autorin meiner Meinung nach besser bedient gewesen. Vor allem Izzys Handlung hätte davon profitieren können.


    Von mir gibt es aber immerhin noch: 3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:
    (was bei mir nach wie vor eine mittelmäßige Bewertung abgibt)

  • Meine Meinung
    Dies ist ein Roman der mich beim Lesen die ganze Gefühlspalette hat hoch- und runtergejagt, von Freude, über Angst zur Unfassbarkeit und Sinnlosigkeit, über Wut zur Trauer, aber auch zu kleinen Hoffnungsschimmern und wie stark die Liebe sein kann. Die Geschichte ist in zwei Erzählstränge aufgeteilt, die sich zum Ende hin wunderbar verbinden, das ist der Autorin sehr gut geglückt.Die Geschichte im "Damals" mit Clara hat mich sofort gepackt und in die damalige Zeit mitgenommen. Doch was dann geschieht, ist beim Lesen manchmal kaum auszuhalten. Mehr als einmal traten mir die Tränen in die Augen, als ich dachte, also schlimmer kann es doch nicht mehr werden, doch, wurde es. Ellen Marie Wiseman hat die Gabe Gefühle, Situationen, Begegnungen und die Zeit damals in einer Psychiatrie so lebhaft zu erzählen, das man sich selber irgendwann darin "gefangen" fühlt. Vor allem wenn man die Beschreibungen der verlassenen Anstalt im heute liest, sehr detailliert und anschaulich, so das ich dachte, oha, da möchte ich jetzt nicht sein. Verlassene Betten, als hätte gerade noch jemand darin gelegen, ein Speisesaal, so als hätten dort gerade noch Menschen gesessen und gegessen, ein Lost Place sozusagen.
    Einziger Kritikpunkt ist, das mich Izzy und die Teenie-Geschichte nicht so interessiert hat und ich diese manchmal als störend empfunden habe, als es bei der Clara-Geschichte gerade sehr spannend und emotional wurde. Klar, hat der Izzy-Erzählstrang eine gewisse Wichtigkeit für die Story an sich und deren Ende, aber das jugendliche Gehabe war mir etwas zu klischeehaft und übertrieben.
    Sehr interessant sind am Ende des Buches die Fragen und Antworten der Autorin zum Inhalt der Geschichte und das es die Psychiatrische Anstalt Willard State wirklich gab und wie sie recherchiert hat was dort alles vor sich ging. Wie schnell und vor allem wegen welchen Kleinigkeiten damals die Menschen (zum größten Teil Frauen) dort ohne triftigen Grund und vollkommen gesund untergebracht wurden und die meisten sind niemals wieder raus gekommen und in der Anstalt verstorben. Beängstigend, erschreckend und beklemmend einfach nur, wie damals mit den Menschen umgegangen wurde, heute, zum Glück, nicht mehr denkbar.

    **Der Umgang mit Büchern führt zum Wahnsinn**<br />Zitat von &quot;Erasmus von Rotterdam&quot;

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    New York im Jahr 1929. Die 18-jährige Clara soll einen jungen Mann heiraten, den ihre Eltern für sie ausgesucht haben. Sie ist allerdings von einem anderen Mann schwanger und weigert sich, in die Heirat einzuwilligen. Ihr Vater lässt sie kurzerhand in eine psychiatrische Anstalt einweisen und will sie dort offensichtlich vergessen. Knapp 70 Jahre später lebt die 17-jährige Izzy in Willard bei neuen Pflegeeltern und muss sich an ihrer neuen Schule gegen eine eingeschworene Klassengemeinschaft behaupten, was ihr nicht leicht fällt. In ihrer Freizeit hilft sie ihrer Pflegemutter, private Gegenstände von früheren Insassen der psychiatrischen Anstallt zu katalogisieren, und stößt dabei auf das Tagebuch von Clara.


    Der Handlungsstrang mit Clara hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Die junge Frau sitzt in dieser Anstalt unter Menschen, die im Gegensatz zu ihr tatsächlich psychische Probleme haben. Viel schlimmer ist aber, dass sie keinen Kontakt zu ihrer Familie hat und den Schikanen der Aufseherinnen und Aufseher ausgesetzt ist. Es gruselt mich bei dem Gedanken, dass sie keine Möglichkeit hat, sich zu wehren, weil sie dann sofort mit Medikamenten und Gurten ruhiggestellt wird.


    Bei Izzys Teil dauerte es etwas länger, bis ich mich dafür erwärmen konnte. Izzy hatte keine leichte Kindheit und fühlt sich sehr auf sich allein gestellt. Einer der Jungen scheint nicht ganz so grässlich zu sein wie der Rest der Klasse. Dumm ist nur, dass er ausgerechnet der Boyfriend des Mädchens ist, die den Ton angibt. Das gibt einigen Anlass für Gehässigkeiten und Mobbing. Claras Tagebuch hat Izzy schon gelesen, aber bisher haben sich die beiden Handlungsstränge noch nicht weiter verknüpft.

  • Ich bin inzwischen richtig gefangen von Claras Erlebnissen in der Anstalt. Es wird nicht so ausführlich beschrieben wie ich es erhofft hatte, aber doch so, dass man einen guten Eindruck davon bekommt, wie hilflos Menschen sind, über die andere entscheiden. Wenn ich überlege, dass es bestimmt auch heute noch vorkommt, dass Leute in die Psychiatrie eingewiesen werden, die eigentlich ganz andere Probleme haben :entsetzt:. Wenigstens ist man inzwischen so weit, dass man die Ursachen für auffälliges Verhalten besser einschätzen kann. Aber ich weiß aus anderen Büchern, dass es früher fast leicht war, sich auf diese Weise unliebsamer Mitmenschen zu entledigen. Clara geht es eigentlich gut, denn durch ihr kooperatives Verhalten entgeht sie meistens fragwürdigen Therapien. Auf der anderen Seite ist sie schlechter dran als echte "Verrückte", denn sie ist sich über ihre ausweglose Situation im Klaren.


    Izzys parallel verlaufende Geschichte ist nach wie vor nicht so spannend. Die üblichen Probleme der Eingliederung neuer Schüler in feste Klassengemeinschaften, unsichere Situation mit den Pflegeeltern und generelle Unsicherheit wegen ihrer eigenen Vergangenheit. Im Vergleich zu Clara eine fast normale Geschichte. Zunehmend spannend wird es durch meine ständigen Mutmaßungen, worin die Beziehung zu Clara besteht. Sie könnte vom Alter her Izzys Urgroßmutter gewesen sein.


    Vom Stil her gefällt mir das Buch. Vom Ausdruck her ist es kein Highlight, aber es bleibt angenehm sachlich.

  • Wer einmal hinter den dunklen Mauern von Willard State gelandet ist, kommt nicht so einfach wieder heraus. Diese Erfahrung muss die junge Clara Cartwright machen. Ihr Vater ließ sie einweisen, weil sie sich geweigert hat, den von ihm ausgesuchten zukünftigen Ehemann zu akzeptieren. Clara hat einen guten Grund: Sie ist von einem anderen Mann, den sie liebt schwanger. Clara ist noch minderjährig, doch auch als ältere Frau hätte sie wenig gegen ihren Vater ausrichten können. Nun steht sie unter der Aufsicht eines Arztes, ohne dessen Segen sie die psychiatrische Anstalt nicht mehr verlassen kann. Viele Jahre später stößt die 17-jährige Izzy bei der Sichtung von Hinterlassenschaften aus der Anstalt in einem alten Koffer auf das Tagebuch von Clara und ist von deren Geschichte fasziniert. Sie wohnt nicht weit weg von Willard State und versucht herauszufinden, was aus Clara, ihrem Geliebten und dem Baby geworden ist. Auch Izzy hat es als junge Frau nicht einfach. Während ihre Mutter im Gefängnis sitzt, wächst sie bei verschiedenen Pflegefamilien auf und an ihrer neuen Schule wird sie von Mitschülern gemobbt. Bei der Arbeit mit den Koffern trifft sie ausgerechnet den Freund ihrer größten Widersacherin aus der Schule.


    Die Geschichte bewegt sich kapitelweise zwischen den beiden Handlungssträngen hin und her und verknüpft sich dabei an einigen Stellen, und so mancher Cliffhänger sorgt für Spannung. Zunehmend interessant wird es bei der Frage, ob und wie weit die beiden Schicksale miteinander zu tun haben. Die beiden Hauptcharaktere werden gut beschrieben, wobei es mir erstaunlicherweise leichter fiel, mich in Clara hineinzuversetzen als in Izzy. Obwohl Letztere mir als Zeitgenossin näher steht, konnte ich die beklemmende Atmosphäre um Clara besser nachempfinden.


    Da es das Willard State tatsächlich gab, findet sich einiges an informativem Material zum Nachlesen. Über die Entdeckung der Koffer wurde ein Buch herausgegeben, das die Ellen Marie Wiseman dazu inspirierte, ihren Roman über die psychiatrische Einrichtung zu schreiben. Leider ist die Handlung oft recht klischeebehaftet, doch die Geschehnisse entsprechen alle den Tatsachen. Es ist erschreckend zu lesen, wie einfach es war, Familienangehörige einliefern zu lassen und wie mit den Insassen umgegangen wurde. Die Erkenntnisse über psychisch beeinträchtige Menschen waren damals mehr als dürftig, daher wurde dort kaum mehr mit ihnen gemacht, als sie unter Anwendung von fragwürdigen Therapien unter Verschluss zu halten. Die Autorin hat das mit einer Mischung aus Emotion und Sachlichkeit gut beschrieben, wobei mir Claras Teil der Handlung besser gefallen und mich auch weitaus mehr berührt hat.


    Informativ ist auch der Anhang des Buches mit einem Interview mit der Autorin, das noch mehr Details zur Historie der Psychiatrie aufzeigt. Nach meiner Einschätzung ist Ellen Marie Wiseman im Fall von Clara nahe an den Tatsachen geblieben, daher ist der Roman eine Empfehlung für alle, die sich für dieses Thema interessieren.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:



    Danke nochmals an Aurian, die mir das Buch überlassen hat. Ich würde es gerne ebenfalls weitergeben, am liebsten an eine Leserin, die auch eine Rezi schreibt. Wer Interesse hat, möge sich bei mir melden.

    Einmal editiert, zuletzt von Doris ()

  • Wenn sich nicht schon jemand gemeldet hat, würde ich das Buch sehr gerne adoptieren. Alles Weitere am besten per PN :smile:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Danke nochmals an Aurian, die mir das Buch überlassen hat. Ich würde es gerne ebenfalls weitergeben, am liebsten an eine Leserin, die auch eine Rezi schreibt. Wer Interesse hat, möge sich bei mir melden.


    Es freut mich, dass dir das Buch so gut gefallen hat. :smile:

  • Da dieser Roman für mich einer der besten war, die ich vor ca. 2 Jahren gelesen habe, stelle ich (da die Meinungen hier interessanterweise sehr auseinandergehen) noch meine Rezi ein - für mich ein sehr authentischer Roman über eine Nervenheilanstalt anno 1929, die es tatsächlich gab - und auch deren Insassen.....


    Ellen Marie Wiseman - Die dunklen Mauern von Willard State


    Dieser (für mich sehr außergewöhnliche) Roman ist als TB im Piper Verlag, November 2015, erschienen. Der Titel der Originalausgabe lautet "What she left behind" (Kensington, 2014); wobei man unter "what they left behind" zahlreiche weitere reale Dokus und Informationen im Internet zum Thema Nervenheilanstalten im vorigen Jhd. findet, die diesem Roman einen sehr realen Hintergrund gibt.... Das Cover ziert das Hauptgebäude von Willard State (Staat N.Y.); die Umzäunung steht symbolisch für die Situation, in der sich die insgesamt 54.000 Insassen bzw. "Patienten" (von 1869-1995) in Wahrheit befanden....


    Inhalt:


    Willard, 1995. Zehn Jahre ist es her, dass eine schicksalhafte Nacht für Izzy Stone alles veränderte. Seitdem lebt die 17-Jährige bei wechselnden Pflegefamilien, die Wunden ihrer Vergangenheit sitzen tief. Izzys Pflegemutter bittet sie, bei der Katalogisierung von Koffern und deren Inhalten aus einer leerstehenden psychiatrischen Anstalt zu helfen. Dabei stößt Izzy auf das Tagebuch einer gewissen Clara Cartwright.
    New York, 1929. Die 18-jährige Clara Cartwright wurde einem Sprössling aus gutem Hause versprochen. Als sie sich weigert, die arrangierte Ehe einzugehen, schickt ihr Vater sie in ein Heim für Nervenleidende - und ein Albtraum nimmt seinen Lauf.
    Claras Geschichte holt Izzy mehr und mehr in ihre eigene Vergangenheit zurück, und je mehr sie über Claras Leben in Erfahrung bringt, desto mehr klären sich auch die Rätsel ihres eigenen Lebens..... (Quelle: Klappentext)


    Meine Meinung:



    Die einzelnen Kapitel dieses unglaublich brillant und mit Authentizität sowie großer emotionaler Tiefe geschriebenen Romans von Ellen Marie Wiseman wechseln sich immer wieder in den beiden Handlungssträngen ab und auf für mich äußerst spannende, flüssig und teils poetisch beschriebene Weise, die von einer excellenten atmosphärischen Dichte begleitet wird, wird der Leser in die Lebenswege und das Schicksal von Clara (in den 1930er Jahren) und Izzy (ab 1995) , die miteinander kunstvoll verwoben sind, literarisch entführt: Die Charaktere, deren Gedanken und ihre Gefühlswelt sind von großer Sensibilität gezeichnet; besitzen Intelligenz und persönliche Stärke, die sowohl auf Clara als auch auf Izzy zutreffen. Während Clara ihr Schicksal, vom eigenen Vater zuerst nach Long Island und später nach Willard State (Asylum for Insane) als völlig gesunde junge Frau eingewiesen wird, nicht mehr verändern kann, hat Izzy durch das Auffinden des Tagebuchs von Clara und der Schließung von Willard (im Jahre 1995!) die Chance, ihre Beziehung zu ihrer Mutter, die im Gefängnis sitzt, zu überdenken und die Motive für deren Handeln herauszufinden, sich damit ihrer eigenen Vergangenheit zu stellen...
    Die beiden Hauptprotagonistinnen wie auch die Nebenfiguren sind sehr authentisch beschrieben, der Roman ist durchsetzt von großer Spannung und gleichermaßen einer ungewöhnlich starken Gefühlstiefe: Der Leser erhält einen Einblick in die teils inhumanen und grausamen früheren "Heilmethoden" in Nervenheilanstalten, deren Insassen - viele von ihnen nicht chronisch psychisch krank, sondern von Familienangehörigen oder sogar Arbeitgebern eingewiesen, da diese sich ihrer oftmals damit "entledigen" wollten - einmal eingewiesen, aus der "Mühle", dem Räderwerk dieser Anstalten teils bis zu ihrem Lebensende nicht mehr herauskamen. Clara teilt hier exemplarisch das Schicksal vieler Insassen, die oftmals keine Chance mehr hatten, zu einem normalen Leben zurückzufinden und entlassen zu werden....
    Ebendies hat mich zutiefst erschüttert, erreicht, betroffen gemacht und mich bestürzt! (Auch wenn mir dies nicht unbekannt war). Der Schreibstil, den ich brillant finde, die große Spannung und Authentizität taten das Übrige: Clara ist zwar eine fiktive Person, steht jedoch exemplarisch für viele, die ein solches Schicksal tatsächlich ereilt hat! Somit stellt dieser Roman ein dunkles und inhumanes Kapitel der Psychiatrie dar (den früheren Nervenheilanstalten) und hält sich dabei (mit Ausnahme kleiner schriftstellerischer Freiheiten, die die Autorin auch im Nachwort benennt); er knüpft an die realen Bedingungen an, unter denen Menschen sich bis vor ca. 50 Jahren in diesen Anstalten mit mehr als fragwürdigen "Heilmethoden" wiederfanden, in dieser Zeit auch ausgebeutet wurden (interne Arbeitseinsätze) und oftmals zeitlebens diese Hospitale nicht mehr verlassen konnten, sogar anonym dort beerdigt wurden.
    Unsere Geschichte von Clara und der Tochter, die sie in Willard geboren hat, endet jedoch eher tröstlich und für Izzy besonders schön - ohne dabei trivial oder seicht zu wirken, ganz im Gegenteil: Das Romanende unterstreicht eher die Dramatik, die dem Leser (der, so hoffe ich, starke Nerven besitzt!) die Tränen in die Augen treibt - und dies alles andere als grundlos!


    Fazit:


    Ein sehr berührender, emotional tiefer und authentisch sowie brillant geschriebener Roman, der den Opfern psychiatrischer Einrichtungen, hier exemplarisch das Willard State im Staat New York, eine Stimme gibt! Menschen, die der Macht und der Willkür von Medizinern ausgesetzt waren (Psychologen gab es erst ab ca. 1960 in diesen Anstalten); Menschen, die aufgrund eines Schocks, eines Traumas, einer depressiven Phase o.a. eingewiesen wurden, bis sie dann oftmals das waren, was "geheilt" werden sollte: "verrückt zu sein"!
    Dies ist kein Roman mit "Wohlfühlfaktor", eher ein Buch, das aufklärt, fasziniert, verstört, hoffen lässt, den Leser teilhaben lässt an einer Welt, die nicht so war, wie sie es vorgab, zu sein ("Wir wollen Ihnen nur helfen" - Dr. Roach). Für mich ein überaus tolles, ergreifendes, außergewöhnliches Buch, das ich unbedingt weiterempfehlen möchte und ein Lesehighlight 2015 für mich darstellt, das ich mit 100° und 5 Sternen (plus) bewerte und der Meinung bin: Es hätte nicht besser geschrieben werden können!


    P.S.:


    Noch einen Tipp für Interessierte: Zu Willard gibt es viele Infos im Netz; zu den Koffern (427 an der Zahl, die auf dem Dachboden von Willard gefunden wurden!) bei http://www.travelbook.de (Die-Koffer-der-vergessenen-Seelen-von Willard). Dort kann man durch die Fotografien von Jon Crispin die Inhalte der Koffer sehen - und findet sogar eine reale Person, die auch im Buch genannt wurde - und Clara sehr geholfen hat! (Mr. Lawrence) - damit erhalten frühere "Patienten" eine Geschichte und: ein Gesicht!


    5ratten :tipp:

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

    Einmal editiert, zuletzt von Sagota ()

  • Wow, da spricht die Leidenschaft! Eine eindrucksvolle Rezi, Sagota. Würde ich das Buch nicht schon kennen, würde ich es jetzt mit Sicherheit lesen wollen.


    Ich stehe immer noch unter dem Eindruck dieser zum Glück nur literarischen Erfahrung. Im Internet gibt es einige empfehlenswerte und informative Seiten über Willard State, und die Fotos bleiben im Kopf haften. Wenn man das Mobiliar sieht und überlegt, dass die Anstalt bis 1995 noch betrieben wurde, ist es kaum vorstellbar, dass dort wirklich psychisch kranke Menschen lebten.

  • Doris:


    Danke für Dein Lob :smile: erstmal; dieser Roman hat mich sehr dazu verleitet, genauer zu recherchieren - das Thema Psychiatrie und mein Interesse daran begleiten mich schon seit sehr langer Zeit (hätte fast mal den Fachbereich gewechselt und Psychologie studieren wollen, habe es dann aber gelassen, was auch gut war :zwinker:).


    Wiseman bringt für mich dieses Thema so rüber wie kaum ein/e andere/r Schriftsteller/in - daher wurde es auch ein Lesehighlight für mich... :winken:

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Mir hat das Buch ja auch so gut gefallen und ich finde das Thema an sich sehr interessant. Zu dieser Zeit hätten auch wir leicht in so einer Einrichtung landen können.

  • Izzy ist gerade zum x-ten Mal in eine neue Pflegefamilie gekommen und wagt kaum zu hoffen, dass sie kurz vor ihrem 18. Geburtstag noch mal einen Glücksgriff mit den Pflegeeltern getan haben könnte. Lieber erst einmal vorsichtig abwarten. Um ihrer Pflegemutter einen Gefallen zu tun, hilft sie bei deren Geschichtsprojekt mit: die Archive einer längst geschlossenen Nervenheilanstalt in der Nähe zu sichten. Dort warten nicht nur verstaubte Akten auf die Hobbyforscher, sondern jede Menge Koffer mit den Habseligkeiten wahrscheinlich längst verstorbener Insassen. Diese Funde berühren Izzy sehr, insbesondere der Koffer einer jungen Frau namens Clara Cartwright.


    70 Jahre zuvor war Clara eine lebenslustige junge Frau in New York, die, so oft es nur ging, heimlich ihrem freudlosen, strengen Elternhaus entfloh, um mit ihren Freundinnen tanzen zu gehen und in ihrem Lieblingstanzlokal den sympathischen Bruno kennenlernte. Als Sohn italienischer Einwanderer wäre Bruno alles andere als standesgemäß und für Claras spießige Eltern nicht nur keine gute Partie, sondern völlig undenkbar als Schwiegersohn. Natürlich fliegt die Liaison eines Tages auf, und als Clara sich weigert, Bruno aufzugeben und stattdessen den von den Eltern ausgewählten Mann zu heiraten, lässt ihr Vater sie kaltschnäuzig als unzurechnungsfähig in die Psychiatrie einweisen. Ihre Hoffnung, dass man dort schon feststellen wird, dass sie nicht verrückt ist, erweist sich leider als Trugschluss.


    Die unfassbaren Zustände in psychiatrischen Einrichtungen der Vergangenheit und insbesondere die Bereitschaft, irgendwie auffällig gewordene oder auch nur unliebsame Frauen als Hysterikerinnen ohne eingehende objektive Beurteilung des Falles in Anstalten verschwinden zu lassen, waren mir schon vor diesem Buch bekannt und machen mich immer wieder fassungslos, auch wenn wohl ein Großteil der Ärzte und des Pflegepersonals auf Basis des damaligen Kenntnisstandes nach bestem Wissen und Gewissen handelten.


    Clara trifft in diesem Roman auf ein besonders hartleibiges Exemplar von Arzt und kämpft gegen Windmühlen. Es liest sich ziemlich deprimierend, wie sie immer und immer wieder versucht, sich Gehör zu verschaffen, und immer wieder gegen die Wand läuft, wohl wissend, wie anders ihr Leben hätte verlaufen können, wäre ihr Vater nicht so hartherzig gewesen. Allerdings war ichdoch irgendwann ein wenig hin- und hergerissen, wie viel von all dem Drama ich tatsächlich noch als glaubwürdig empfinden kann und was mir dann doch ein wenig übertrieben dargestellt erschien. Weniger wäre vielleicht durchaus mehr gewesen.


    Izzys Lebensweg, der kapitelweise abwechselnd mit Claras Geschichte erzählt wird, ist ebenfalls kein leichter gewesen. Zu Beginn wissen wir nur, dass Izzy keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter hatte, seit die aus heiterem Himmel ihren Vater erschossen hat und in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Die Hintergründe kristallisieren sich erst nach heraus, während Izzy wieder einmal versucht, sich an einer neuen Schule einzuleben und dort mit den üblichen High-School-Typen aneinandergerät (als da wären: die zickige Anführerin einer Mädchenclique, ihre Anhängerinnen, die nie etwas hinterfragen, der etwas geheimnisvolle hübsche Typ und ein paar im Geiste eher ärmliche Sportskanonen). Auch hier war mir die Entwicklung teilweise ein bisschen "too much".


    Nichtsdestotrotz ein Roman, der sich schnell und spannend liest und vor allem mit dem Part in der Vergangenheit zu berühren versteht. Die Einrichtung Willard State hat es übrigens wirklich gegeben, und auch das Projekt mit den Koffern der Insassen beruht auf Tatsachen.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen