Kazuo Ishiguro - Never let me go/Alles, was wir geben mussten

Es gibt 56 Antworten in diesem Thema, welches 27.662 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kirsten.

  • Hm, finsbury, mach vielleicht mal einen Spoiler über das

    , das weiß man ja so nicht. :winken:

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • Ich habe diese Woche in London abends durch BBC gezappt und bin doch tatsächlich auf diesen Film gestoßen, der gerade lief. Ich fand ihn sehr gut gemacht, aber ich musste feststellen, dass ich gewisse Einzelheiten gar nicht mehr so genau im Kopf hatte. Ich glaube ich muss dieses Buch noch einmal lesen. Leider habe ich es verliehen und nie wieder zurückbekommen. :grmpf:

  • Hallo ihr Lieben!


    Der SLW beginnt für mich wieder mit tollen Büchern. Kazuo Ishiguro kannte ich bisher nur von Was vom Tage übrig blieb. Damit hat er mich so begeistert, dass ich natürlich gleich ein weiteres Buch von ihm lesen musste.


    Meine Meinung:
    Kathy H. erinnert sich als 31-Jährige an ihre Kindheit in der Schule Hailsham. Was zuerst wie Internatserinnerungen anmutet, die eine fast ganz normale Kindheit erzählen, blüht langsam auf und entfaltet sich. Als Leser weiß man schon relativ früh, dass Hailsham eben doch keine normale Schule ist und dass es einen Grund gibt, warum die Kinder dort keine vollen Familiennamen haben oder jemals von ihren Eltern reden. Ich würde das nicht als Spoiler ansehen, halte aber trotzdem jetzt den Mund. :breitgrins:


    Was mich fasziniert hat - ob man das Geheimnis nun früher oder später lüftet - war, wie wichtig die Kleinigkeiten von Kathys Kinderleben erscheinen. Als sie ihre Lieblings-Musikkassette verliert, bricht für sie heimlich eine kleine Welt zusammen. Und genau dieses Gefühl hat Ishiguro so toll in Worte gefasst, dass ich mich selbst an ähnliche Momente in meiner Kindheit erinnert habe. Wenn der liebsten Barbie der Kopf abfällt oder die Lieblings-CD einen Kratzer hat... sicher, heute zuckt man darüber die Schultern und kauft sich schlimmstenfalls eine neue CD. Aber als Kind war jeder Besitz eine Kostbarkeit.
    Ebenso erzählt der Autor eine wunderbare Geschichte von Freundschaft. Kathy, Ruth und Tommy sind, nachdem sie sich erstmal gefunden haben, unzertrennlich und verbringen ihre gesamte Kindheit und Jugend miteinander. Dass in der Pubertät auch Romantik ins Spiel kommt und nicht immer alles glatt läuft, ist vorherprogrammiert. Aber Kathys ruhige Art, Ruths impulsive Natur und Tommys Einfach-Dasein passen so gut zueinander, dass sie trotz Streits ein perfektes Trio bleiben.


    Ich muss einfach die Science Fiction Aspekte ansprechen, halte mich aber vage.
    Gerade weil Ishiguro Kathys Kindheit so lebendig beschreibt, weil ich mich so in sie hineinfühlen konnte, hat es mich umso mehr getroffen, in welcher Welt sie lebt. Wer komplett ohne Vorwissen an das Buch herangeht, wird sich dasselbe denken. Man liest von liebenswerten, wenn auch nicht perfekten, Menschen. Ruth konnte ich absolut nicht ausstehen, dennoch gönne ich ihr die Chance auf ein glückliches Leben, die Freiheit ihre Fehler gutzumachen.


    Das Ende hält ein paar kleine Überraschungen bereit und obwohl es für die Geschichte unheimlich passend war, bin ich damit nicht glücklich.


    4ratten


    Der Film
    Nur ganz kurz. Ich hab den Film auch gleich gesehen und fand die drei Hauptcharaktere alle fantastisch dargestellt. Keira Knightly verleith Ruth für meinen Geschmack eine etwas zu bösartige Seite. Als böse habe ich Ruth im Buch nicht empfunden. Ein bisschen hinterlistig, ein bisschen verlogen und sehr selbstverliebt ja - aber nicht grausam. Ansonsten fand ich den Film sehr schön gemacht, vor allem weil man das titelgebende Lied zu hören bekommt.

    Jahresziel: 2/52<br />SLW 2018: 1/10<br />Mein Blog

  • Never let me go der fiktionalen Judy Bridgewater gibt den Roman im Original nicht nur seinen Namen, sondern zieht sich für mich auch als roter Faden durch das Buch.


    Auf der einen Seite ist dieses leidenschaftliche ans kitschig schwüle grenzende Lied das absolute Gegenteil von Ishiguros auffallend kühler Erzählstimme, mit der er die Ich-Erzählerin Kathy H. über ihre Erinnerung an Hailsham, Ruth und Tommy sprechen lässt. Auf der anderen Seite verrät es dem Leser Kathys eigentlich sehr leidenschaftliche Persönlichkeit, die im Lauf der Jahre durch ihre Erziehung, ihre Erlebnisse und der Akzeptanz des eigenen Schicksals abhanden gekommen ist. Zugleich symbolisiert es auch Kathys Festhalten an den Ort ihrer Kindheit und der sie prägenden Personen. So lange sie noch lebt, werden weder Hailsham noch Ruth oder Tommy vergessen sein, weil sie sie in ihrem Herzen hält und damit nicht gehen lässt.


    Ishiguro erzählt und erzählt doch nicht in seiner Novelle. Viele Antworten auf beim Lesen aufgeworfenen Fragen sind von Anfang an da, was aber erst in der Rückschau offensichtlich wird. Auf diese Weise bekommt man die Gewissheit von ungeheuerlichen Ahnungen häppchenweise serviert, bis sich das eigene Grauen zum Finale bis an die Schmerzgrenze verdichtet hat.


    :tipp:

  • Den Film kann man gerade noch auf youtube sehen.
    Die "farblose" Verfilmung passt mMn sehr gut zum Thema. Die Schüler/ Spender sind auch irgendwie "farblos" für die "normalen" Menschen.


    LG von
    Keshia

    Ich sammele Kochbücher, Foodfotos und Zitate.


    <3 Aktuelle Lieblingsbücher: "The good people" von Hannah Kent, "Plate to pixel" von Hélène Dujardin und "The elegance of the hedgehog" von Muriel Barbery.

  • Ich würde nicht sagen, dass die Schüler "farblos" für die "normalen" Menschen sind. Sie sind für sie einfach nicht existent, weil es so bequemer ist. Für mich wirkte die Verfilmung wie ein Nebeldunst, der auf den Akteure liegt. Dadurch verwischen die Konturen und sind so leichter zu übersehen. Aber vielleicht meinen wir dasselbe nur in anderen Worten.


    Edit: Grammatikfehler korrigiert.

    Einmal editiert, zuletzt von dodo ()

  • Ich hab das Buch grade beendet. Langsam habe ich keine Lust mehr zu lesen - die letzten Bücher waren irgendwie alle nicht so doll.


    Und von Dystopien hab ich jetzt richtig die Nase voll. Leider muss ich wegen meinem Lesekreis die nächste anfangen. Das wird dann aber ganz sicher die letzte meines Lebens sein. :grmpf:


    Hier war es so - gute Idee - Umsetzung des Themas voll daneben.



    Mir ist es ein Rätsel wie es ein Autor eines Buches was ich sehr mag schafft so ein einerseits lanweiliges und anderesseit unbefriedigendes Buch zu schreiben.


    :marypipeshalbeprivatmaus::flop:

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


  • Ich lese gar ja die nächste Dystopie (Die Entbehrlichen) und die hat auch

    zum Thema, greift es aber viel besser auf udn ganz ohne Hanni und Nanni :breitgrins:


    Spoilermarkierung ergänzt. LG, Valentine

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • Kathy H. wächst in den 90er Jahren in England auf - jedoch nicht in dem England, wie wir es kennen, sondern in einer fiktiven Version davon. Kathy und ihre Freunde leben in Hailsham, einem wunderschön ländlich gelegenen Heim, wo sie eine gute Schulausbildung erhalten und in bescheidenem Rahmen alles haben, was sie zum Leben brauchen. Es gibt Sportanlagen, Spielplätze, Kreativität wird sehr gefördert, es bilden sich die üblichen Cliquen und später entwickeln sich auch erste Liebeleien. Hailsham sieht aus wie eine ganz normale Schule, doch die Schüler wissen gerüchteweise, dass das nicht stimmt.


    Kathys Freund Tommy, der auf den ersten Blick manchmal etwas naiv wirkt, beginnt eines Tages, unangenehme Fragen zu stellen, die nur zum Teil beantwortet werden, der Wahrheit aber gefährlich nahekommen, und es entwickelt sich eine explosive Dreiecksbeziehung zwischen Kathy, Tommy und der selbstbewussten und manchmal etwas herrischen Ruth.


    Jahre später blickt Kathy zurück auf ihre gemeinsame Schulzeit und ihre Freundschaft und auch darauf, wie sich die Lage von ihresgleichen seitdem verändert hat.


    Mit den Dystopien, wie sie vor allem im Young-Adult-Bereich derzeit so "in" sind, hat Ishiguros Roman nur den Grundgedanken gemeinsam. Hier gibt es keine plakativen Schockeffekte, keine blutigen Kämpfe und keinen dramatischen Showdown. Sehr ruhig, sehr gemächlich beginnt er mit Kathys Stimme zu erzählen, die mit Anfang 30 schon fast so etwas wie Altersweisheit an den Tag legt und mit melancholischer Distanz auf ihre jüngeren Jahre zurückblickt.


    Ganz allmählich, manchmal schon fast quälend langsam, wird dabei klar, dass Hailsham eben kein idyllisches Internat à la Hanni und Nanni ist und was es genau mit den Schülern dort (und in Pendants im ganzen Land) auf sich hat. Gerade weil das in so leisen, subtilen Tönen daherkommt, wirkt das Ungeheuerliche, was zwischen den Zeilen herauszulesen ist, umso eindrucksvoller und die Tatsache, dass die allermeisten Schüler die Situation einfach hinnehmen, umso bedrückender.


    Lesens- und nachdenkenswert, aber keine flotte Zwischendurch- und schon gar keine Wohlfühllektüre - ein Buch, für das man Zeit haben muss, nicht zuletzt, um über die ethischen Fragen nachzusinnen, die es aufwirft.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • Über dieses Buch wurde ja schon viel geschrieben. Ich reihe mich ein in die Liste der Beeindruckten. Sicherlich keine leichte Lektüre und weit entfernt von Wohlfühllektüre, aber eins der lange nachhallenden Bücher. Beim ersten Lesen fand ich es teilweise sogar langweilig, wenngleich die Gänsehautmomente schon von Anfang an da waren oder besser die Momente in denen sich die Nackenhaare aufstellen und man das untergründige Grauen erspürt, das unter der Internats-Fassade lauert. Im Grunde versuchen die jungen Menschen in dem Buch, das bisschen Leben das ihnen gegeben wurde, so gut und "normal" zu leben wie es ihnen möglich ist, wie ihre Erziehung in einem seltsamen "Nebel" der Wahrnahmung ihnen erlaubt. Gleichzeitig ist man fassunglos ob dieser "Ergebenheit" , daß niemand wirklich versucht dagegen aufzubegehen, wie scheinbar freiwillig sie sich in ihr Schicksal fügen .... - nichts davon ist wirklich nachvollziehbar, aber die Art wie es erzählt wird grandios.
    Definitiv eins der Bücher, die mich über einen langen Zeitraum gesehen beschäftigt und aus dem sich mir Bilder, Szenen und Stimmungen eingebrannt haben, diese Stille, das Hinnehmen, die Melancholie und das Gefühl als Leser, sie müßten doch endlich endlich aufbegehren und gerade an dem Moment an dem man denkt sie tun es, ergeben sie sich wieder in ihr anerzogenes Weltbild. Keine der großen, lauten, bluttriefenden Dystopien unserer Zeit hat bei mir ein derartig tiefgründiges Grauen erzeugt.


    Immer wenn ich an dieses Buch denke, seh ich am Ende Kathy vor dem riesigen Acker mit dem Stacheldraht stehen.... und fühle dabei diese unendliche Aussichtslosigkeit, der sie ausgeliefert ist.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    aber definitiv kein Buch das ich jedem einfach so empfehlen würde, man muß diese Stille (und das doch auch ziemlich Deprimierende) aushalten können. Je nach Stimmung hätts auch bei mir schiefgehen können, ich hätte mich nicht zu jedem Zeitpunkt meines Lebens auf das Buch einlassen könne. Alles hat seine Zeit, auch Bücher und Geschichten und zur falschen Zeit im eigenen Leben entfalten sie nicht ihre Wirkung.

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



    Einmal editiert, zuletzt von Firiath ()

  • In meinen Augen ist der Erzählton in diesem Roman genau passend. Dadurch, dass Ishiguro Kathy erzählen lässt, die in ihrer Kindheit nichts Anderes kennengelernt hat als das Ghetto, in dem sie aufgewachsen wird und das daher als Normalität wahrnimmt, ist das Grauen, das der Leser empfindet, zunächst sehr subtil. Da den Kindern gewisse "Fakten" schon in sehr jungem Alter, aber ohne nähere Erklärungen, mitgegeben werden (im Text wird gesagt: "Immer etwas zu früh"!), übernehmen sie diese ziemlich unreflektiert, aber eben auch unaufgeregt - sie können sich diese Dinge nicht in ihrer wirklichen Konsequenz vorstellen, aber nehmen sie als unabänderlich hin.
    Das ist für den Leser ziemlich schockierend, aber entspricht doch in der "Art der Aufnahme" (!) ein wenig der frühkindlichen "religiösen Erziehung" - auch hier wurde schon im Mittelalter in einer gezeichneten Kinderbibel, die ich kürzlich sah, darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, dass solche Erziehung "in very tender age" stattfinde. Was man so früh aufnimmt, ist eben auf ganz andere Weise verankert als später Gelerntes/Gehörtes.


    Im ersten Teil des Buches kommt das "eigentliche Thema" ja nur eher am Rand vor - Kathys Beschreibungen beziehen sich hier meist noch auf ihre anderen, sie damals aktuell viel mehr beschäftigenden Lebensumstände, die aus oben genannten Gründen als ebenso normal und unabänderlich wahrgenommen werden: Die sehr begrenzte Bewegungsfreiheit, die ständige Beobachtung, die relative Armut nimmt nur der Leser als "unnormal" wahr.


    Der Roman zeichnet ein bedrückendes Beispiel dafür, was für Extreme an Realität man Menschen als akzeptabel "verkaufen" kann, wenn man ihnen nur diese zeigt - insofern ist das Thema für mich noch ein viel weiteres als nur das hier ganz konkrete - weswegen ich auch die genauen *"technischen Einzelheiten", nach denen es Einige verlangte, für relativ uninteressant halte. Im Gegenteil - ihr Fehlen macht das Ganze eher noch düsterer und deprimierender, denn an "Horrorszenarios" sind wir heute allzu gewöhnt.
    Auch ein "Aufbäumen und Ausbrechen" aus der Situation gäbe zwar eventuell den besseren Actionfilm her, aber entspräche eben mMn nicht dem "Geist" dieses Buches.


    Einmal editiert, zuletzt von Alice ()

  • In ruhigem Ton erzählt der Autor die Geschichte von Kathy, Ruth und Tommy. Die drei lernen sich in Hailsham kennen. Hailsham scheint ein Internat zu sein, in welchem die Kinder leben und unterrichtet werden. Doch es gibt einige Dinge die ungewöhnlich sind und immer deutlicher werden. Durch die Augen der drei Kinder lernt man das Leben dort kennen und auch wenn es auf den ersten Blick eine Idylle zu sein scheint, bekommt man schnell eine beklemmende Ahnung, dass es sich hier nicht um ein normales Internat handelt.


    Der ruhige Erzählstil und die Sprache des Autors haben mir von der ersten Seite an gut gefallen. Obwohl mir durch eine gesprächige Buchhändlerin schon klar war, um was es hier geht, hat mir ihr Spoiler nur das auf den ersten Blick Offensichtliche vorweg genommen.


    Kathy und ihre Freunde wachsen im Mikrokosmos von Hailsham auf und durch ihre unterschiedlichen Charaktere wird deutlich, wie Menschen sich in dieser Situation entwickeln und verhalten können und trotzdem schafft es keiner von ihnen das perfide System rund um ihr Leben vollständig zu durchschauen.


    Es geht hier um Menschlichkeit und das Mensch sein und welche Augenwischereien veranstaltet werden, damit man sich unmenschlich verhalten kann, ohne dass man ein schlechtes Gewissen haben muss.
    Vieles wird nur angedeutet und der Autor verzichtet darauf ins Detail zu gehen. Das ist auch gar nicht nötig, denn auch so wird der Schrecken dieser Geschichte mehr als deutlich, vielleicht gerade weil man nicht von Action und Drama abgelenkt wird.


    Es fällt mir schwer, meine Gedanken in Worte zu fassen, ohne zu viel zu verraten. Das Buch bietet so viel Stoff zum Nachdenken und Diskutieren, dass es sicher der ideale Stoff für eine Leserunde ist.


    Das Buch hat mich in mehr als einer Hinsicht zum Nachdenken gebracht und es wird mich sicher noch eine Zeit lang beschäftigen.


    5ratten

    Einmal editiert, zuletzt von Aurian ()

  • Handlung:

    Kathy H., Anfang 30, blickt auf ihre Kindheit und Jugend zurück, die sie gemeinsam mit ihren Freunden Tommy und Ruth in Hailsham verbracht hat. Dort gibt es keine Lehrer sondern Aufseher und die Bewohner werden Kollegiaten genannt. Gespräche untereinander sind nicht erwünscht, trotzdem entwickelt sich zwischen den dreien eine tiefe Freundschaft, die im Mittelpunkt der Handlung steht. Es wird recht schnell klar, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Internat oder - wie ich zu Beginn dachte - Waisenhaus handelt. Die Kollegiaten sind für eine bestimmte Aufgabe vorgesehen...


    Meine Meinung:

    Ich fühlte mich sofort von Ishiguros Schreibstil angesprochen. Diese Art, Kathy als Ich-Erzählerin ihre Geschichte berichten zu lassen, ohne große Emotionen und doch so, dass man ihr gerne folgt, hat mich beeindruckt. Sie erzählt von Tommy und Ruth und ihren gemeinsamen Erlebnissen. Erst nach und nach wird klar, dass deren Aufenthaltsort Hailsham alles andere als eine normale Schule ist. Der Lebensweg aller drei wird nachgezeichnet, sie verlieren sich nicht aus den Augen und bleiben einander verbunden. Nur unterschwellig schwingt in den Rückblicken etwas Unheilvolles und Beklemmendes mit. Der Leser erfährt gemeinsam mit Kathy und ihren Freunden, was es mit ihrem Aufenthalt in Hailsham auf sich hat. Während die Protagonisten diese Information gelassen hinnahmen, war ich zutiefst schockiert. Diese Gelassenheit zieht sich auch durch die weitere Handlung. Die drei begehren nicht auf, niemand kommt auf die Idee, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, sondern alle folgen brav dem vorgezeichneten Lebensweg. Das war für mich unverständlich. Es gab zwar kurzfristig einen Versuch, das Unausweichliche hinauszuzögern, doch fügten sich die Beteiligten recht bald wieder in ihr Schicksal.

    Eine kritische Grundhaltung der Protagonisten war vom Autor wohl auch nicht beabsichtigt: Zu keinem Augenblick wird angesprochen, dass es Konsequenzen hätte, wenn man versucht, seine eigenen (Lebens)Ziele zu verfolgen. Diese Möglichkeit wird kategorisch ausgeschlossen.

    Hinzu kommt auch das Verhalten Kathys, als sie erfährt, dass Hailsham geschlossen wurde. Die Stätte wird von ihr verherrlicht, niemand kann ihr die Erinnerungen daran nehmen - so ihre Worte zu einem Zeitpunkt, als das Schicksal ihrer beiden Freunde bereits besiegelt ist. Man möchte sie schütteln und "wach endlich auf!" zurufen.

    Aber es gab auch schöne Episoden im Buch: Der Ausflug nach Norfolk und die Schilderungen um Kaths Freude an einer einfachen Musikkassette lockern die Stimmung zwischendurch wieder auf und haben mir - ebenso wie das Wiedersehen zweier "Bekannter" aus Hailsham - sehr gut gefallen.


    Durch Ishiguros Erzählkunst wird das Erschütternde und Unfassbare dem Leser in einer leichten und unaufgeregten Sprache näher gebracht, so dass man sich der Geschichte nicht entziehen kann. Die Handlung ist nicht leicht verdaulich, die Thematik aktueller denn je (Stichwort China). Das Buch wird mich gedanklich sicher noch länger beschäftigen.



    5ratten+:tipp:

    Liebe Grüße

    Danglard

  • Ich habe für dieses eigentlich eher kurze Buch fast zwei Monate gebraucht. Das lag teilweise an den äußeren Umständen, aber ich denke, dass das Buch auch eine Rolle spielte. Durch den ruhigen Erzählton bestand auch nicht die Gefahr, dass ich aus der Handlung rausfalle. Dadurch, dass ich oft am Abend nur mehr ein, zwei Seiten gelesen habe, war ich aber auch nicht ganz so in der Geschichte drinnen.


    Das Thema des Buches kannte ich schon, ich kann mich nicht mehr erinnern, wie das passiert ist, aber irgendwann habe ich im Zuge der Berichterstattung über den Film das eine relevante Wort aufgeschnappt. Das ist jetzt aber auch schon wieder ein paar Jahre her und ich habe seitdem versucht, nicht mehr über das Buch bzw. den Film zu erfahren.

    Da im Verlauf der Geschichte aber auch schon relativ früh andere Dinge angesprochen werden, die auf den Hintergrund hindeuten, fand ich das dann auch nicht so schlimm.


    Den Stil von Ishiguro mag ich gerne und auch, dass es in seinen Büchern nicht so sehr darum geht, was um die Personen herum passiert, sondern das, was in ihnen drin passiert. Aber im direkten Vergleich zu "The Remains of the Day" hat mir hier irgendwie etwas gefehlt. Ich kann selbst nicht sagen, was es war.


    Direkt nachdem ich das Buch beendet habe, habe ich auch den Film gesehen und der hatte bei mir fast mehr Nachwirkung als das Buch selbst. Vielleicht war es auch die Kombination aus Buch und Film und der Film alleine hätte auch nicht diese Wirkung gehabt. Wie gesagt, ich weiß es nicht.

    Keira Knightleys Interpretation von Ruth hat sich übrigens doch deutlich von meiner Interpretation unterschieden, im Laufe des Films fand ich das aber ganz spannend, hier nochmal eine andere Lesart zu sehen.


    Nichtsdestotrotz ist "Never let me go" sicherlich ein empehlenswertes Buch!

    “Grown-ups don't look like grown-ups on the inside either. Outside, they're big and thoughtless and they always know what they're doing. Inside, they look just like they always have. Like they did when they were your age. Truth is, there aren't any grown-ups. Not one, in the whole wide world.” N.G.

  • Meine Meinung

    Die Umstände in Alles, was wir geben mussten wirken so normal, dass man fast vergessen könnte, dass sie es eben nicht sind. Es sind keine gewöhnlichen Kinder, um die es geht. Auch wenn es über lange Strecken so wirkt und nur die Andeutungen von Kath etwas anderes vermuten lassen. Abgesehen davon, leben die drei Freunde ein normales Leben mit den normalen Problemen von Teenagern.


    Erst als Kath von der Zeit erzählt, in der die drei getrennt wurden und sie keine Freunde, sondern Aufseher und Spender waren, habe ich gemerkt, wie absurd die Situation eigentlich war. Warum hat sich niemand aufgelehnt? Und was wäre passiert, wenn es doch jemand getan hätte? Wussten die Empfänger, wie sie zu ihren Organen gekommen sind?


    Diese Fragen sind nicht beantwortet worden, nicht einmal andeutungsweise. Das fand ich schade, denn so habe ich nach dem Lesen das Gefühl gehabt, als ob das Buch nicht vollständig erzählt worden ist.

    4ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Valentine

    Hat den Titel des Themas von „Kazuo Ishiguro - Never let me go / Alles, was wir geben mussten“ zu „Kazuo Ishiguro - Never let me go/Alles, was wir geben mussten“ geändert.