Heimito von Doderer - Die Strudlhofstiege (Zweiter Teil)

Es gibt 36 Antworten in diesem Thema, welches 7.490 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kandida.

  • Übrigens bin ich sehr dankbar, dass ich mir eine kleine, noch unvollständige Personenliste angelegt habe.
    Mich wundert es wirklich, dass es im Buch keine gibt.

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  • In der letzten Nacht habe ich den "Showdown" des Skandals um Ingrid Schmeller und Stephan Semski auf der Stiege gelesen und ich bin begeistert.
    Es ist so phantastisch, wir Doderer alle Fäden hat zusammenlaufen lassen. Wie plötzlich diese Menschen, die irgendwie alle miteinander vebunden sind, sich minutiös auf der Stiege treffen um zu erleben, wie Ingrid von ihrem Vater "abgeführt" wird.
    Einfach toll beschrieben.

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  • Diese Szene fand ich aus zwei Gründen erschreckend: Eigentlich sieht es danach aus, als hätten die jungen Leute viele Freiheiten, die als selbstverständlich hingenommen werden. Aber dann steht doch der Vater drohend dahinter und schreitet ein und macht damit deutlich, dass er entscheidet, mit wem und wie weit die Tochter geht. Bloß um jeden Preis einen Skandal vermeiden! Leider weiß ich nicht genau, wie alt Ingrid zu dem Zeitpunkt war, aber auf zwanzig hätte ich sie schon geschätzt, also alt genug um zu wissen, was sie tut.


    Das der andere Punkt war die Erkenntnis, dass Ingrid Semski eigentlich gar nicht liebt und sich trotzdem auf ihn einlässt. Will sie sich als "erwachsen" zeigen, weil es in ist, schon einen Verehrer zu haben, oder ist das der Anfang einer Flucht von Zuhause?

  • Ich bin nicht sicher, ob die jungen Leute wirklich soviel Freiheiten hatten. Soviel ich weiß, war es zu dieser Zeit und in dieser Gesellschaftsschicht üblich, dass es diese - wie soll ich es nennen - Sommerfrische mit vielen Gästen gab. Und es fand ja im Elternhaus statt.
    Da war es ja schick, dass die Jugend miteinander umging, aber immer in der Gruppe. Wir erinnern uns, dass Melzer bei seinem Ausflug, den er mit Asta plante und überlegte, wen er mitnehmen könne. Ich komme gerade nicht drauf, welche Dame es war, die mitgenommen wurde, mit René, da klar war, dass sie den Berg nicht schaffen wird.
    Ich würde es in bisschen wie Zuckerbrot und Peitsche sehen. Viele Freiheiten, wenn gewisse Regeln eingehalten werden. Diese zu umgehen, war vielleicht der Kick.


    Dass Ingrid mit Semski anscheinend nur gepielt hat - na ja, nett ist das nicht, aber auch nichts Neues. Nur dass es diesmal die Frau ist, die den Mann.....
    Darum hat sie sich auch so scheinbar geknickt, aber demütig vom Papa abführen lassen. Hat ihr vielleicht ganz gut gepasst...?

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  • Wenn ich an die Wohnung der Stanglers denke, wo die Kinder quasi ihren eigenen Flügel mit separaten Eingang hatten, sind das schon großzügige Freiheiten, die ihnen zugestanden werden. Aber das wird eine Ausnahme gewesen sein. Ansonsten sehe ich es auch so, wie du es beschreibst: Zuckerbrot und Peitsche. Auf den ersten Blick bzw. im ersten Teil des Buches denkt man, sie können sich viel erlauben - Tennis, Autofahrten, Ausflüge - aber dann zeigt sich doch, dass die elterliche Sorgfaltspflicht sehr ernst genommen wird. Die Reaktion von Vater Schmeller fand ich allerdings ziemlich überzogen. Das hätte er auch mit mehr Fingerspitzengefühl machen können.

    Einmal editiert, zuletzt von Doris ()

  • Allerdings saß im zweiten Hauseingang ja der - fast - perfekte Drachen. Nur hatte die Jugend ja recht fix raus, wie der Drachen umgangen werden kann.


    Ja, das stimmt. Die Verfolgungsjagd wr schon ziemlich heftig.
    Aber....toll geschildert. :breitgrins:

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  • Jetzt bin ich fast durch und zum Ende hin treffen wir wieder alte Bekannte aus den Anfang des ersten Teils.
    Es fügt sich einiges zusammen, was wohl irgendwie zusammengehört. :winken:

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  • Ein erster großer Höhepunkt also, die Erinnerung Melzers an den Skandal. Ich mochte das Zusammentreffen der Figuren in der Studlhofstieg auch und fand es sehr gelungen.
    Schön fand ich auch, wie der Bogen zu 1925 wieder gespannt wurde in der Erinnerung Melzers.
    So viele Dinge die in diesen Szenen ihren Zusammenhang und ihre Erläuterung finden. Das ist schon bewundernswert wie Doderer das geschafft hat. Melzers unerfüllte Liebe zu Asta fand ich auch sehr schön beschrieben.
    Wie die gesellschaftlichen Ansprüche der Eltern waren, wurde hier schon sehr deutlich. Parties, gemeinsame Ferien im wohlgewählten Freundeskreis (schön beschrieben im Zusammentreffen in der Stiege war die "Außenseiterrolle" Paulas), gemeinsame Ausflüge oder Treffen in Cafes, all das und ein bisschen mehr duldeten die Eltern, doch echte Beziehungen und dann noch öffentlich das gab es nicht. Verlobte wie Grauermann und Etelka hatten es leichter. Wie die Eltern dann reagieren war sicher unterschiedlich, aber zu Schmeller hat die Art ja durchaus gepasst.


    Beschrieben wird ja hier auch immer ein wenig der Unterschied zwischen "Neureichen" und Vermögenden in 3. oder späterer Generation. Vllt. war es für Schmeller aus erster Riege ja doch noch wichtiger auf seine Ehre zu achten, Stangelers wurden anderweitig rausgeboxt.


    Ich bin wirklich sehr begeistert und bin gespannt wie es weitergeht.


    Grüße
    schokotimmi

  • So, nun habe ich den 2. Teil auch beendet. Nach dem Zusammentreffen und dem Skandal sind wir nun ganz bei Melzer und seinen Bekanntschaften und gesellschaftlichen Beziehungen im Jahr 1925. Wir treffen Editha und Rene Stangeler wieder und wir erfahren über E.P. einiges zu den Zusammenhängen und Befindlichkeiten bei den Stangelers. Auch von Melzer klingt das eine oder andere an.


    Eine Stelle hatte ich mir noch markiert; "Es ist nun einmal so: Das tiefste Staunen kommt uns nicht angesichts des Ungewöhnlichen, das die Außenwelt vor uns hinspült. [...] Sondern es kommt uns gegenüber unserer eigenen inneren Mechanik..."


    Wieder so eine Stelle die ich mehrfach gelesen und bedacht habe.


    Mein kleines Personenverzeichnis macht sich jetzt wirklich gut und die Anzahl neuer Personen bleibt ja Gott sei Dank beschränkt.


    Trotzdem frage ich mich nun, was es weiter bringen wird, wohin sich die Geschichte entwickelt. Irgendwie fehlen mir gerade eben die richtig spannend-offenen Fragen...


    Grüße
    schokotimmi

  • In Teil drei geht es, wie ich finde, spannend weiter. Es lohnt sich allemal.
    Ohne Personenverzeichniscwäre ich mittlerweile verloren, ich würde zuviel Zeit damit verbringen, zurückzublättern um zu suchen, wo und wie mir die Personen schonmal über den Weg gelaufen sind.
    Und das ist bei diesen hauchdünnen Seiten echt anstrengend.

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  • Auf den Seiten 330-331(2) betrachtet Melzer die Stiege und macht sie durch in-Zusammenhang-Setzen mit der Handlung quasi zu einer Art Hauptakteurin; auch endet der 2. Teil mit einer Bemerkung über die Stiege und deren "genius loci".
    An die Sache mit der (nicht nur räumlichen) Trennung von oben und unten durch sie kann ich mich auch erinnern - das steht aber anderswo genau so ausdrücklich, glaube ich.


    Kann es sein, dass ihr diese Stelle hier meint (Seite 285 in der dtv-Ausgabe):
    "Oft wirkt es schon, wenn ich nur an diese Gegend hier denke. An die Strudlhofstiege zum Beispiel. Das ist eine ganz geheimnisvolle Stelle. Wie sich diese Stiegen hinabsenken, wie aus einer neuen Stadt und ihren Reizen in eine alte und ihren Reiz. Eine Brücke zwischen zwei Reichen. Es ist, als stiege man durch einen verborgenen Eingang ib die schattige Unterwelt des Vergangenen..."

    :lesen: Anthony Powell - The Kindly Ones <br /><br />Mein SUB<br />Meine [URL=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/32348.msg763362.html#msg763362]Listen

  • Jaaa, genau das ist die Stelle, die jedenfalls ich meinte, Knödelchen!
    Vielen Dank - ich konnte sie einfach nicht wiederfinden.. :smile:

  • Ja, die meinte ich auch. Normalerweise kann ich mir schon einigermaßen merken, wo etwas steht, aber dieses Buch erschlägt mich mit der Optik seiner Seiten.


    Mir ist leider erst viel zu spät eingefallen, dass ich darauf hätte achten sollen, wie die Personen auf der Stiege platziert sind, wenn sie dort stehen. Davon gibt bzw. gab es einige Gelegenheiten. Es hätte je nach Situation durchaus einen symbolischen Charakter haben können, wenn eine bestimmte Person oberhalb einer anderen steht, wenn sie sich z. B. zufällig dort treffen. Ist euch dazu etwas aufgefallen?

  • Aufgefallen ist es mr nicht, ich habe aber auch nicht darauf geachtet. Da könnte etwas dran sein. Das ganze Buch scheint mir sehr durchdacht, konstruiert. Wahnsinn, wisst ihr, wie lange Doderer an diesem Buch geschrieben hat?

    &#128012;

  • Ich habe gerade bei Wikipedia nachgelesen, dass er von Februar 1946 bis 1948 (spätestens September) daran geschrieben hat. Eigentlich recht kurz für so ein komplexes Werk.

  • Das ist kurz!
    Vielleicht hatte er zu der Zeit nichts anderes zu tun?
    Oder es hatte sich schon in groben Zügen in seinm Kopf festgesetzt.
    War er in Kriegsgefangenschaft? Er ist ja direkt nach dem Kieg angefangen.
    Ich muss das mal nachlesen. Irgendwie interessant. :smile:

    &#128012;

  • Ich habe nochmal nachgelesen. So begann er schon 1942 an der Stiege zu arbeiten. Ab 46 jedoch intensiv.
    Ich vermute daher, dass ein Grundgerüst stand, als er 1946 begann, das Werk zu beenden.
    Interessant für mich ist in dïesem Zusammenhang ist, dass Doderer in Norwegen in Kregsgefangenschaft war.
    Mein Großvater ebenfalls. Schade, dass ich ihn nicht mehr fragen kann, denn manchmal ist die Welt klein.

    &#128012;