Sarah Moss - Wo Licht ist/Bodies of Light

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 1.740 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

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    (OT: "Bodies of Light")


    Das Buch:
    Alethea, genannt Ally, und ihre jüngere Schwester May Moberley wachsen Mitte des 19.Jahrhunderts in einem eher unkonventionellen Haushalt auf:
    Ihr Vater hat sich als Maler und Innenarchitekt einen Namen gemacht, während ihre Mutter Elizabeth sich unermüdlich für in Not geratene Frauen einsetzt, über die Bedürfnisse ihrer eigenen Töchter hingegen rigide hinweggeht.
    Ally arbeitet hart für ihr Ziel, eine der ersten als Ärztin zugelassenen Frauen ihrer Zeit zu werden, doch eigentlich ringt sie damit vor allem um die Anerkennung ihrer Mutter - ein aussichtsloser Kampf.
    Wird Ally ihr eigenes Lebensglück den überzogenen Erwartungen ihrer Mutter opfern oder gelingt es den neuen Freundinnen von der Universität und Tante Mary mit ihrer liebevoll-turbulenten Familie, Ally zu zeigen, dass man anderen auch helfen kann, ohne dabei ein Leben voller Verzicht und Selbstverleugnung führen zu müssen?


    Meine Meinung:
    Sarah Moss nimmt den Leser mit auf eine faszinierende Zeitreise, die uns heute unfassbar erscheinende Einschränkungen vor Augen führt, unter denen die weibliche Bevölkerung damals zu leiden hatte. Elizabeth Moberley bekommt die Auswirkungen durch ihre ehrenamtlichen Einsatz für die mittellosen und ausgestoßenen Frauen in Manchesters Armenvierteln unmittelbar zu spüren und impft ihrer Tochter Ally von Kindesbeinen an ein, dass es für Frauen nur einen Weg aus der drohenden Fremdbestimmung und lebenslangen Abhängigkeit gibt: Bildung und das Ergreifen eines eigenen Berufes.
    So bewundernswert ich Elizabeths klaren Blick auf die Nöte der Frauen und die Verantwortlichkeit der Männer dafür fand, desto erschreckender ist es, wie sie durch ihren Erziehungsstil geradezu verhindert, dass sich ihre Töchter zu selbstbewussten, klar denkenden und verantwortlich handelnden Heranwachsenden entwickeln können. Dies ist umso erschütternder, da der Leser im ersten Teil des Buches Elizabeth als junge Frau kennenlernt, die ebenfalls zeitlebens unter ihrer strengen, asketischen Mutter leidet und um deren Anerkennung kämpft.
    Im Klappentext wird Elizabeth als "streng christlich" beschrieben, was mir schwer im Magen liegt. Zwar leistet sie Großartiges für die "gefallenen" Frauen in ihrem Umfeld und setzt sich unermüdlich dafür ein, dass ihren Töchtern eine bessere berufliche Zukunft und neuartige Freiheiten offen stehen, doch ihr Umgang mit anderen ist nicht geprägt vom Gedanken der christlichen Nächstenliebe. So unerbittlich und hart wie sie mit sich selbst umgeht, drillt sie auch ihre Töchter zu Höchstleistungen. Während May erkennt, dass die Forderungen ihrer Mutter nicht zu erfüllen sind, reibt sich Ally zwischen Hausarbeit, Schule und Ehrenamt auf und enttäuscht ihre Mutter dennoch ständig durch ihre angeblichen "Nachlässigkeiten" und "hysterischen Anfälle".
    Ich fand es sehr beklemmend zu verfolgen, wie sehr Ally die Maxime ihrer Mutter verinnerlicht hat, so dass sie selbst als Studentin fern vom Elternhaus bestrebt ist, möglichst alles so zu machen, wie es ihrer Mutter gefallen würde - einer Mutter, die keinerlei Interesse zeigt am Leben ihrer Kinder, außer, um sie zu demütigen und auf ihre Fehler hinzuweisen.


    Zwischen den einzelnen Kapiteln finden Zeitsprünge statt, so dass man Elizabeth als jungverheiratete Frau, unglückliche Mutter sowie Allys Werdegang als Schülerin und Studentin gut verfolgen kann. Unvorhergesehene Entwicklungen und Verluste treffen den Leser auf diese Weise besonders überraschend, da er sie lediglich im Rückblick erfährt und sich erst allmählich ein Bild machen kann, was in der Zwischenzeit passiert ist.
    Auch Sarah Moss' Figuren überzeugen ausnahmslos; hier gibt es keine klischeehaften Darstellungen oder Schwarz-Weiß-Malerei. Sie verzichtet auf Bösewichte und übermenschlich starke Frauenfiguren; stattdessen haben die Individuen in Sarah Moss' Universum allesamt ihre Stärken und Schwächen, kämpfen nicht selten selbst als Erwachsene noch gegen die Dämonen der eigenen Kindheit an und können sich durchaus ambivalent verhalten - wie im echten Leben.
    Sarah Moss schafft es, dass der Leser die handelnden Personen nicht sofort in eine Schublade einsortiert, sondern zu verstehen versucht, warum sie sich so verhalten.


    Ich habe Allys beschwerlichen Weg voller Anteilnahme verfolgt und dabei viel über die unvorstellbaren Repressalien erfahren, denen Frauen zur damaligen Zeit ausgesetzt waren. Dies macht umso aufmerksamer in Bezug auf heutige Zustände, so dass wir dankbar und froh sein können über das Erreichte, aber auch wachsam, wo erkämpfte Freiheiten und Chancen bedroht sind oder wo es immer noch Ungerechtigkeiten gibt.
    Gerne hätte ich noch mehr erfahren über Allys Tätigkeit als Ärztin - in der Arbeit mit sogenannten "Wahnsinnigen" und "Geistesgestörten" liegt ihr großes Interesse, und Elizabeths Tätigkeit in der Frauenbewegung lässt Ally kritisch die Umstände hinterfragen, die diese Frauen ins Asyl gebracht haben. Leider endet "Wo Licht ist" kurz nach Allys Abschluss an der Universität, doch zu meiner Freude habe ich festgestellt, dass es einen Folgeband gibt, "Signs for lost children".
    Auch Allys lebhafte und selbstbewusste Schwester May, von der ich gerne mehr gelesen hätte, spielt in einem anderen Buch der Autorin eine Rolle, "Schlaflos" (OT: "Night Waking").


    Fazit:
    "Wo Licht ist" kann ich allen empfehlen, die Interesse haben an Entwicklungsgeschichten und psychologisch stimmig gezeichneten Figuren vor dem Hintergrund der Frauenbewegung im England des 19.Jahrhunderts.
    Ich vergebe
    4ratten und :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Sarah Moss - Wo Licht ist

    Inhalt (Klappentext)


    Manchester, Mitte des 19. Jahrhunderts: Ally ist die Tochter von Eltern, die unterschiedlicher nicht sein könnten: der Vater, Alfred Moberley, ein bekannter Maler, warmherzig, sinnlich und mit einem unbestechlichen Blick für das Schöne; die Mutter, Elizabeth, eine unbeugsame Christin, die sich entschlossen für die Rechte von Armen und Außenseitern einsetzt sich selbst jedoch kasteit und den beiden Töchtern vorlebt, dass religiöse und politische Prinzipien wichtiger sind als der eigene Hunger, Gefühle und die Sehnsucht nach Wärme. Während die jüngere Tochter May (bekannt aus "Schlaflos") früh den Absprung schafft und auf eine schottische Insel zieht, verharrt Ally in einem aussichtslosen Kampf um die Liebe und Anerkennung ihrer Mutter. Doch selbst als sie ein Stipendium erhält und als eine der ersten weiblichen Studentinnen für ein Medizinstudium an der Universität London angenommen wird, zeigt Elizabeth sich kaum beeindruckt. Da begreift Ally, dass es auch für sie an der Zeit ist, die familiären Fesseln zu sprengen und ihren eigenen Weg zu gehen.


    Meine Meinung


    Der Zeitraum des Buches überdeckt die Jahrzehnte von ca. Mitte der 1850er Jahre bis zum Ende der 1870er. Es beginnt mit der Heirat von Aletheas Eltern Alfred und Elizabeth, wir lernen Alethea (genannt Ally) bereits ab ihrer Geburt kennen, dies ist wichtig um die Umstände zu charakterisieren, unter denen sie aufwächst. Ihre Mutter, die im Klappentext als unbeugsame Christin bezeichnet wird, aber vor allem an ihren Kindern nicht christlich handelt, hat eine große Aufgabe im Leben: sie setzt sich für die Wohlfahrt von armen, unterdrückten (vor allem) Frauen und Mädchen ein. Hier entfaltet sich ein Zeitpanorama, das die Situation von armen Frauen im Manchester Mitte des 19. Jahrhunderts beschreibt, wir lesen von den Anfängen der feministischen Bewegung in England, und zum Beispiel über den Kampf gegen das Gesetz zur Eindämmung von Geschlechtskrankheiten (Contagious Diseases Act), der weiterführte zum Kampf um das Frauenwahlrecht und allgemeine Emanzipation.


    Personen der Zeitgeschichte wie z.B. Josephine Butler und Florence Nightingale werden erwähnt, erstere tritt sogar persönlich im Buch auf. Doch das nur am Rande, der wesentliche Inhalt des Buches ist die Entwicklung von Ally, ihre Emanzipation sowohl allgemein, als auch von ihrer Familie.


    An sich führt Elizabeth einen sehr löblichen und wichtigen Kampf, doch sie ordnet stets die Belange ihrer eigenen Kinder dem unter. Ihre strenge Erziehung ist einerseits sinnvoll (die Töchter sollen sich selbst versorgen können und einen Beruf ergreifen, mit dem sie sich ernähren können) doch andererseits unbarmherzig und so übertrieben, dass es für Ally, die bereits als Baby vernachlässigt wird und dennoch immer versucht, den Ansprüchen ihrer Mutter gerecht werden will, kaum zu schaffen ist und sie um ein Haar scheitert (infolge ihres Kindheitstraumas leidet sie unter Anfällen, die entweder Panikattacken oder Asthmaanfälle sein könnten).


    Ausgleichende Einflüsse kommen von seiten des Vaters, Alfred Moberley, der Maler und Innenarchitekt ist, und besonders von seinem Freund Aubrey West, ebenfalls ein Maler, der den Schwestern Ally und May die schönen Seiten des Lebens zeigt, und so vieles von dem gutmacht, was die Mutter zerstört hat. Später ist es Allys Tante Mary, die sie wesentlich unterstützt.
    Die Kapitel beschreiben Allys Lebensweg schlaglichtartig, zwischen den Kapiteln befinden sich Zeitsprünge, die oft wesentliche Ereignisse wie Hochzeiten und Geburt überspringen, die dem Leser nur in Form ihrer Ergebnisse präsentiert werden. Das machte es manchmal etwas schwierig, der Handlung zu folgen. Jedes Kapitel wird eingeleitet mit der Beschreibung eines Bildes, gemalt entweder von Alfred Moberley oder von Aubrey West, das jeweils zum Inhalt des Kapitels passt. Diese beiden Maler und ihre Bilder sind allerdings fiktiv.


    Der Schreibstil ist stets treffend und sehr genau in den Details, was das Lesen zu einer Freude macht, auch wenn ich es als sehr bedrückend empfand, so lange immer wieder über Allys vergebliche Anstrengungen, ihre Mutter zu beeindrucken, zu lesen. Doch zum Glück hat Ally am Ende wirklich etwas erreicht und der Leser hat ein eindrucksvolles Gesellschaftsbild der viktorianischen Zeit in England bekommen.


    Fortgesetzt wird Allys Geschichte in "Zwischen den Meeren", auf das ich sehr neugierig bin und das ich bald lesen werde.


    Bewertung: "Wo Licht ist" gehört zu meinen Lesehighlights des Jahres.


    5ratten

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

  • Meine Meinung

    Ich hatte zuerst Zwischen den Meeren gelesen, weil ich nicht wusste, dass es eine Geschichte davor gab. Auch wenn man Zwischen den Meeren für sich alleine lesen kann, beantwortet mir Wo Licht ist doch einige Fragen, die ich mir über Ally gestellt habe. Auch wenn sie vieles an guter Arbeit geleistet hat, so fand ich doch dass Allys Mutter eine schreckliche Frau war. Ich fand es furchtbar, wie sie ihren Töchtern jede Freude versagt hat und sie ständig darauf hingewiesen hat, wie gut es ihnen im Vergleich zu ihren Schützlingen doch ging. Was das aus Ally gemacht hat, war deutlich zu sehen. Die Arme hat bei allem ein schlechtes Gewissen gehabt.


    Genauso schlimm fand ich die Art, wie sie mit Allys Problemen umgegangen ist. Wenn sie den Druck nicht mehr ausgehalten hat, wurde sie als hysterisch bezeichnet und dementsprechend behandelt. Das alles mit der Zustimmung des Arztes und dem Wohlwollen des Vaters. Umso mehr freue ich mich wenn ich daran denke, wie ich sie im späteren Buch kennen gelernt habe.


    Ich war positiv überrascht, als Josephine Butler im Buch nicht nur erwähnt wurde, sondern sie wirklich aufgetaucht ist. Ich habe erst vor kurzem ihre Biografie gelesen, die mich sehr beeindruckt hat.


    Wo Licht ist, ist die Geschichte einer sehr starken Frau. Ich würde gerne wissen, wie es nach Zwischen den Meeren mit Ally weiter geht.

    4ratten


    Liebe Grüße

    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Alethea "Ally" Moberley und ihre Schwester May sind die Kinder eines recht ungewöhnlichen Paares. Der Vater Alfred ist ein bekannter Maler und Innenarchitekt, nicht zuletzt berühmt für seine Tapetenmuster, ein liberaler, lebenslustiger Mann, während seine Frau Elizabeth streng und puritanisch das Regiment über die beiden Mädchen führt. Sie ist eine leidenschaftliche Kämpferin gegen Armut und gegen die Unterdrückung der Frau, schießt mit ihren Methoden jedoch bei den eigenen Kindern häufig über das Ziel hinaus, um sie nur ja nicht zu verweichlichen.


    Ally wächst zu einem ernsten, nachdenklichen Mädchen heran, dessen Strebsamkeit eigentlich jede Mutter freuen müsste, doch für Elizabeth ist es nie genug, egal, was Ally tut, selbst als sie als eine der ersten Frauen überhaupt gegen alle möglichen Widerstände ein Medizinstudium beginnt. In ihren Augen ist ihre Tochter schwach und hysterisch. Dass Allys gelegentliche Zusammenbrüche aus purer Überforderung entspringen, kommt ihr nicht in den Sinn, sie soll sich gefälligst zusammenreißen.


    Sarah Moss ist ein Name, den ich mir ab sofort unbedingt merken muss. Dieser Entwicklungsroman über eine junge Frau im viktorianischen England ist keine herkömmliche historische Frauengeschichte, allein schon durch die äußerst treffende Sprache nicht. Sie schafft es, gleichermaßen die damaligen Lebensumstände und engstirnigen Denkweisen zu skizzieren, die erst ganz allmählich aufzubrechen beginnen, wie auch Allys Lebensweg packend zu schildern.


    Wie sehr die die verqueren Ansichten ihrer Mutter verinnerlicht hat und sich dabei selbst das Leben noch schwerer macht, lässt uns aus heutiger Sicht immer wieder den Kopf schütteln, doch gerade das ist das Glaubhafte an diesem Buch. Alle sind Kinder ihrer Zeit und niemand ist schwarzweiß gezeichnet, allen voran Elizabeth, die einerseits so viel Gutes tut und mit so viel Herzblut und Einsatz für ihre Überzeugungen kämpft und andererseits so gar kein Verständnis für die Nöte ihrer Töchter aufzubringen vermag.


    Eine sehr gelungene Emanzipationsgeschichte, gerade weil sie sich nicht mit einem großen Knall, sondern in kleinen, schmerzhaften Schritten vollzieht.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Valentine

    Hat den Titel des Themas von „Sarah Moss - Wo Licht ist“ zu „Sarah Moss - Wo Licht ist/Bodies of Light“ geändert.