Åsne Seierstad - Einer von uns: Die Geschichte des Massenmörders Anders Breivik

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  • "Einer von uns. Die Geschichte eines Massenmörders" von Åsne Seierstad


    Dieses Buch war schwer zu lesen uns ist noch schwerer zu rezensieren. Es ist die Biografie des norwegischen Massenmörders Anders Breivik, der 2011 auf der Insel Utøya fast 70 Menschen, überwiegend Jugendliche, erschoss.

    Neben Breiviks Leben wird auch das Leben von einigen jungen Menschen erzählt, z. B. Bano Rashid, deren Familie aus dem Irak geflohen war. Die kurdische Familie beantragte in Norwegen Asyl. Bereits als Kind begann sich Bano für die Politik zu interessieren und trat als Teenager in die Sozialdemokratische Partei ein.

    Man liest detailliert über Bano und ihre Parteifreunde und fragt sich die ganze Zeit, ob die drei unter den Opfern auf der Insel sein werden oder nicht. Das geht an die Nieren, denn bereits im Prolog stehen die ersten Morde an Jugendlichen. Waren Bano, Simon und Anders dabei? Man erfährt es erst am Ende.


    Das Hauptaugenmerk des Buches liegt aber eindeutig auf Anders Behring Breivik. Der Vater ließ sich von Anders' Mutter schon nach wenigen Monaten scheiden, so dass der Junge später nur wenig Kontakt zu ihm hatte. Die Mutter war mit zwei Kindern überfordert, so dass sich das Jugendamt einschalten musste.

    Anders wollte nach oben, der Beste und der Anführer sein. Aber was er auch anfasste, es hielt nicht. Das Versagen verfolgte ihn an allen Fronten. Erst gehörte er einer Gruppe von Sprayern an, später trat er der rechtspopulistischen Partei bei, gründete eine Firma, dann die nächste, wurde zu den Freimaurern eingeladen - und nichts davon klappte so recht. Die Sprayer mobbten ihn raus, weil er sich nicht an deren Regeln hielt, in der Partei bekam er nicht den gewünschten Posten, die Firmen musste er aus verschiedenen Gründen aufgeben, und die Freimaurer interessierten ihn schon bald nicht mehr. Dafür entdeckte er die Welt der Computerspiele, in die er für Jahre abtauchte. Als er daraus wieder auftauchte, war er zu dem geworden, den die Welt als Massenmörder von Oslo und Utøya kennenlernen sollte.


    Die Autorin Seierstad hat einen relativ trockenen Schreibstil, aber sie kann gut erklären, Zusammenhänge herstellen und die Hintergründe ans Licht ziehen. Für ihr Buch hat sie sich an allen ihr verfügbaren Quellen bedient. Mir hat ihre Art des Schreibens so gut gefallen, dass ich mir, als ich noch nicht einmal ein Drittel dieses Buches gelesen hatte, schon das nächste bestellte.


    Die Details, die einem hier geboten werden, können erschlagen. Seierstad seziert die Geschehnisse so, dass ich das Buch mal weglegen wollte und mal nicht schnell genug weiterlesen konnte. Sie schreibt über die Kindheit von Simon genauso detailliert wie über Breiviks Bombenbau (das ist fast schon eine Anleitung, also Vorsicht!). Jede Minute des Anschlags in Oslo wird genau beschrieben. Hier bekommt man als Leser fast den ersten Herzinfarkt, denn die Unfähigkeit der norwegischen Polizei an diesem Punkt ist haarstäubend. Die ist völlig hilflos, dabei hätte sie Breivik schon relativ früh schnappen können, wenn sich die Beamten in dem einen Streifenwagen an ihre Befehle gehalten hätten.

    Die Morde auf der Insel sind das zweite Herzinfarktrisiko. Ich lese nicht oft Thriller, aber wenn, dann machen mir blutrünstige Szenen nicht viel aus. Aber hier ist es echt. Es ist wirklich passiert. Diese Menschen sind nicht der Phantasie eines Schriftstellers entsprungen. Seierstad beschreibt Breiviks methodisches mörderisches Vorgehen so plastisch, dass einem wirklich schlecht werden kann.


    Eines der schwersten und verstörendsten Bücher der letzten Jahre. Nicht für jeden.


    ***

    Aeria