Celeste Ng - Was ich euch nicht erzählte/Everything I Never Told You

Es gibt 21 Antworten in diesem Thema, welches 4.324 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

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    USA 1977 eine Kleinstadt in Ohio, die 16 jährige Lydia Lee wird eines Morgens vermisst, das Bett ist unangerührt und keiner weiß wo sie sein könnte. Jack ein Junge aus der Nachbarschaft hat sie sehr wahrscheinlich das letzte Mal gesehen, schweigt jedoch. Lydia stammt aus einer chinesisch-amerikanischen Familie, hat noch einen Bruder Nathan und ihre Schwester Hannah. Ihr Vater James ist Wissenschaftler und Mutter Marilyn hat ihr Medizinstudium der Familie wegen geopfert. Lydia ist das Lieblingskind beider Eltern, für sie möchte Marilyn die beste Zukunft, deshalb achtet sie darauf das Lydia fleißig lernt damit sich ihr Traum Ärztin erfüllen kann. Alles sieht nach heiler Welt aus, doch in jedem einzelnen wächst immer mehr die Unzufriedenheit, die an den Tag will. Als man wenige Tagen später die Leiche Lydia´s am angrenzenden See findet ist die Tragödie groß. Erst geht man von einem Verbrechen aus, nach dem man jedoch keine Beweise findet, vermutet die Polizei ein Suizid. Aber Marilyn will das nicht glauben, schien doch Lydia ein glückliches Mädchen zu sein und so zerbricht die Familie immer mehr. Was ist wirklich in dieser Nacht geschehen? Und wie konnte es soweit kommen das diese Tragödie passierte?


    Meine Meinung:
    Celeste Ng ist mit ihrem Debütroman ein wirklich gutes, gleichzeitig aber auch tragisches Werk gelungen. Ihr geht es in erster Linie nicht darum zu fragen wie ist sie gestorben, sondern es geht um das warum. Warum ist dieses Unglück passiert, wie konnte es soweit kommen ohne das jemand etwas bemerkt hat? Dieser vielfach prämierte Bestseller beschäftigt sich mit den Konflikten von Mischehen in den USA. Den in den 50 er Jahren war eher außergewöhnlich, eine solche Mischehe einzugehen. Aber auch bei den Kindern gehörten Konflikte an der Schule zur Tagesordnung und meist wussten die Eltern nichts davon. So bekommt der Leser in diesem Buch eine Einsicht, über das was jeder aus dieser Familie denkt und erlebt hat. Es fügt sich von Kapitel zu Kapitel ein Puzzle zusammen, was einen erschüttert, beängstigt, aber auch nachdenken lässt. Das Buch hat mich emotional sehr ergriffen und ist auch nicht unbedingt etwas für schwache Nerven. Dieses Werk ist kein Krimi, kein Thriller sondern im Grunde ein Roman, bzw. ein Familiendrama. Am Ende des Buches wird der Familie bzw. den Eltern einige ihrer Fehler bewusst. Leider hat sich auch in unserer heutigen Zeit, was die Themen und Konflikte anbelangt nicht allzu viel getan. Noch immer gibt es Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in der Welt, vor dem gerade die Mischehen und -familien am meisten betroffen sind. Auf jeden Fall ist dies ein lesenswertes Buch, das für mich in die Bestsellerliste gehört und 5 von 5 Sterne verdient hat. :klatschen:


    Smiley aus Titel entfernt und Titel angepasst. LG, Valentine

    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • Was für ein Zufall, gerade habe ich den Titel in der OnLeihe vorgemerkt. Die Inhaltsangabe hat mich sehr angesprochen. Im Moment wird das Buch erst 2017 frei, aber oft werden bei so langen Wartezeiten zusätzlich Bücher bestellt. Deshalb kann es sein, dass ich nicht so lange darauf warten muss.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Das Buch interessiert mich auch sehr, ich habe schon an verschiedenen Stellen nur Gutes darüber gelesen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Aus meiner Sicht steht es hier an der falschen Stellen, es ist kein Thriller, sondern ein erschütternder Roman um Familiengeheimnisse. Mir hat er auch gut gefallen:


    In vielen Familien gibt es Geheimnisse, was in den meisten Fällen verständlich, unumgänglich, nachvollziehbar oder zumindest entschuldbar ist. Doch sind es diese den anderen vorenthaltenen Fakten, die zum Tod von Lydia, der ältesten Tochter der Familie Lee, geführt haben?


    Eigentlich ist es eine ganz stabile Familie, die den Widrigkeiten des Umfeldes trotzt - so scheint es. Doch allmählich tun sich Abgründe auf, die zunächst jedoch keineswegs Lydia, perfekte Schülerin und brave Tochter, Lieblingskind beider Eltern, betreffen. Und es ist eine einsame Familie. Kann sie sich selbst genug sein?


    Hinter der Fassade lauern unerfüllte Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen, vor allem bei den Eltern. Und den beiden, James und Marilyn, steht ihre jeweilige Herkunft im Weg: James die als Kind mittelloser Emigranten aus China, der es aufgrund seines Migrationshintergrundes stets als schwierig befand, in seiner Wissenschaftlerkarriere voran zu schreiten und sich ungerecht behandelt fühlte. Und Marilyn, der als Frau einige Hindernisse im Weg standen um das zu erreichen, was ihr Ziel war.


    Doch was hat das mit Lydia zu tun? Diese Verbindungen wie auch einige andere, nicht nur die Familie betreffend, öffnen sich dem Leser erst allmählich, lassen ihn an Klischees, Vorurteilen und vorgefassten Meinungen verzweifeln.


    Eine ungewöhnliche und teilweise etwas sperrige Darstellung ist es, die Celeste Ng hier anbietet, ein wenig mühselig zu lesen auch wegen der nicht an allen Stellen adäquaten Übersetzung. Doch insgesamt ist es eine ausgesprochen lohnenswerte Lektüre, die mich lange nicht loslassen wird!
    4ratten


  • Was für ein Zufall, gerade habe ich den Titel in der OnLeihe vorgemerkt. Die Inhaltsangabe hat mich sehr angesprochen. Im Moment wird das Buch erst 2017 frei, aber oft werden bei so langen Wartezeiten zusätzlich Bücher bestellt. Deshalb kann es sein, dass ich nicht so lange darauf warten muss.


    Musste ich wirklich nicht. Kurz vor dem Urlaub habe ich das Buch bekommen und direkt gelesen :smile:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Meine Meinung
    Zu Anfang hatte ich Mitleid mit Lydias Familie. Aber sehr schnell wurde klar, dass hier etwas gründlich schief gelaufen ist. Marilyn war schon fast der Prototyp einer Ballettmutter: ihre Tochter musste alles erreichen, was sie selbst nicht geschafft hat. Der Rest der Familie hat zugesehen, ohne etwas zu unternehmen. Natürlich waren die Geschwister anfangs zu klein, um ihrer Schwester wirklich helfen zu können. Aber der Vater war noch da und der hat meiner Meinung nach gründlich versagt. Warum hat er nichts unternommen? Weil er seiner Frau gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte und ihr so ermöglichen wollte, doch noch ihren Traum zu leben?


    Ich stimme TocherAlice zu: Was ich euch nicht erzählte ist wirklich kein Krimi. Es ist vielmehr ein schonungslos geschriebener Bericht des Zusammenlebens von fünf Menschen die sich zwar Familie nennen, sich aber nicht so verhalten.
    4ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ich lese das Buch gerade und bin knapp 80 Seiten vor dem Ende.
    Bei fast keinem Buch bisher war ich so dermaßen traurig und wütend auf die Figuren. Was ist das für eine schreckliche Familie, die nicht einmal die simpelsten Probleme miteinander besprechen können?

  • Was ist das für eine schreckliche Familie, die nicht einmal die simpelsten Probleme miteinander besprechen können?


    Das gibt es öfter, als man denkt :sauer: Deshalb hat mich das Buch auch so berührt.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • „Was ich euch nicht erzählte“ spielt in den 1970ern in einer kleinen College-Stadt irgendwo im Mittleren Westen der USA, die Hauptfigur ist Lydia, Teenager-Tochter einer amerikanisch-chinesischen Familie, die eines Tages verschwunden ist. In Rückblicken erfährt man durch die Perspektiven sämtlicher Familienmitglieder, wie es dazu gekommen ist und welche Veränderungen das Geschehen beim Rest der Familie auslöst.


    Der Titel ist in diesem Fall wirklich Programm, der gesamte Inhalt wird davon dominiert, dass niemand mit den anderen über die eigenen Empfindungen und Bedürfnisse spricht. Der Rassismus, der dazu beiträgt, dass die Familie nur oberflächlich integriert ist, spielt dabei ebenfalls eine wichtige, wenn auch eher im Hintergrund schwelende Rolle. Der Autorin gelingt es gut, die verschiedenen Figuren zu charakterisieren, als Leser bzw. Leserin kann man die Perspektiven zusammenfügen und betrachtet traurig die Beziehungsfragmente zwischen den Personen. Wenn doch irgendjemand mal wirklich gesagt hätte oder sagen würde, was er oder sie denkt. Aber so bleiben nur stumme Erwartungen, die sie alle geprägt haben und ganz viel Ungesagtes.


    Lesenswert.

    4ratten


    PS: Da ich das Buch ebenfalls nicht als Krimi empfunden habe, auch wenn es fast wie einer beginnt, habe ich es mal verschoben.

  • "Lydia ist tot. Aber das wissen sie noch nicht."


    Mit diesem Paukenschlag von einer Einleitung beginnt das Buch, und nichts könnte passender sein, denn der urplötzliche Tod der 16jährigen Lydia durch Ertrinken im nahegelegenen See ist Dreh- und Angelpunkt des Romans und Auslöser für alles Weitere, sowohl die Handlung in der Gegenwart als auch das Zurückerinnern an die Vergangenheit.


    Die Horrornachricht erschüttert eine nach außen hin geradezu perfekt erscheinende Familie nicht nur dahingehend, dass ein schrecklicher Verlust zu verarbeiten ist, sondern fördert bereits bestehende Risse und Brüche ans Tageslicht und macht deutlich, dass selbst engste Verwandte nie genau wissen können, was in einem Menschen vorgeht. Jeder - Vater, Mutter, der ältere Bruder, die jüngere Schwester - weiß etwas über Lydia, das er oder sie den anderen nie erzählt hat, und das Bild, das Außenstehende von Lydia pflegten, ein Mädchen, dem es an nichts fehlte, erweist sich bei genauem Hinsehen als trügerisch.


    Und auch die eigenen Lebenswege enthalten Geheimnisse, verschwiegene Wünsche und Sehnsüchte, zerplatzte Träume. Der Vater, Hongkong-chinesischer Abstammung, wollte seiner einfachen Herkunft zum Trotz an einer Eliteuniversität lehren, die Mutter Medizin studieren, was damals in den 50er Jahren für Frauen nicht gänzlich undenkbar, aber doch sehr ungewöhnlich war. Doch das Leben spielte schon damals anders, und die jüngste Tragödie spült die alten Verletzungen und Frustrationen wieder an die Oberfläche.


    Celeste Ngs Erstlingsroman überzeugt auf der ganzen Linie. Sie schaut ganz genau hin, hinter die Fassade dieser scheinbar glücklichen Familie, und zeigt uns die wunden Punkte jeder einzelnen Person mit sehr viel Einfühlungsvermögen und einer klaren, präzisen Sprache, die mit jedem Satz berührt, ohne sentimental zu werden.


    Trauer, enttäuschte Hoffnungen, Träume, die nicht wahr werden, die Unfähigkeit, das eigene Kind, den eigenen Partner zu verstehen, die Suche nach dem eigenen Platz im Leben sind die großen Themen in einem Roman, der nicht viele Seiten braucht, um sehr viel zu erzählen und von der ersten bis zur letzten Seite auf eine schlichte, ruhige Art mit viel psychologischem Fingerspitzengefühl zu fesseln versteht.


    Eins meiner Highlights in diesem Jahr.


    5ratten


    Ach ja: ich habe das englischsprachige Original gelesen und fand die Sprache da ganz wunderbar. Reduziert, schnörkellos und sehr passend zur Handlung.

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    Leonard Cohen





  • Zitat

    "illy hat das Thema aus Krimis & Thriller nach Gegenwartsliteratur verschoben"

    Dieser Vermerk und Valentines Rezi machen das Buch schlagartig interessant für mich. Es ist schon auf meine Wunschliste gewandert. Ich frage mich aber, warum es zuerst als Thriller eingestuft wurde?

  • Doris Vermutlich weil das Buch ab und zu gerne mal als Krimi eingestuft wird, wenn es im Internet auftaucht. Amazon z.B listet das Buch unter anderem auch bei Krimis und Thrillern. (Nicht nur aber eben auch). Vermutlich um mehr Zielgruppen einzubinden, die das Buch kaufen sollen.

  • Nur weil darin eine verschwundene Tote vorkommt, wird es doch nicht automatisch zum Thriller. Dass es bei uns zunächst unter "Krimis & Thriller" auftauchte, war für mich ein Ausschlusskriterium.

  • Doris Klar sehe ich auch so. Amazon und Co. denken da aber natürlich eher Marketingstrategisch. Und aus dem Blickwinkel heraus macht es schon Sinn.

    Aber jetzt ist es ja denke ich mal besser eingeordnet. Ich hätte den Roman, nach dem was ich so gehört habe, aber auch nicht bei den Krimis vermutet.

  • Vermutlich wird es öfter gelesen, wenn es unter den "Thrillern" gelistet ist. Das ist nun mal Mainstream. Ich habe gerade bei Amazon nachgesehen: Platz 23 bei Krimi/Thriller, Platz 14581 bei Gegenwartsliteratur. Wer sich für Letzteres mehr interessiert und nach den Platzierungen vorgeht, wird das Buch so weit hinten kaum noch finden.


    Wenigstens haben wir hier Leserinnen, die das richtig einschätzen und verschieben.

  • Im Dezember habe ich noch von dem Buch geschrieben und es dann passenderweise kürzlich in der Bücherei entdeckt. :)


    Es ist ein Buch zum Festlesen. Selbst wenn man weiß, wie es endet, ist es ungemein spannend zu erfahren, was zu dem tragischen Ereignis geführt hat. Als unbeteiligte Außenstehende erkennt man unschwer, woran es in dieser Familie hapert. Die beiden älteren Geschwister versuchen, den Erwartungen ihrer Eltern zu entsprechen - genau dasselbe, was der Mutter selbst passiert ist und worunter sie immer gelitten hat. Trotzdem realisiert sie nicht, was sie ihrer Tochter antut. Natürlich wollen Eltern immer das Beste für ihre Kinder, aber ist das auch das Beste für die Kinder? Lydia soll die unerfüllten Träume ihrer Mutter verwirklichen, anstatt sich so zu entfalten, wie sie es sich selbst vorstellt. Im Grunde kennen solche Eltern ihr Kind überhaupt nicht. Diese Erwartungen üben ganz subtil Druck aus, mit dem nicht jeder umgehen kann.

    Fatal ist, dass alle darunter leiden, auch die beiden anderen Geschwister, die entsprechend weniger Aufmerksamkeit bekommen, während sich alles um die Schwester dreht.


    Hier läuft so vieles falsch, aber nicht aus böser Absicht. Es ist das Unvermögen, die anderen Familienmitglieder zu verstehen sich in sie hineinzuversetzen, und die Unfähigkeit, miteinander offen zu reden, was alle unweigerlich ins Unglück führt.


    Wenn man sich für feinfühlig erzählte Familiengeschichten interessiert, kommt man an dieser Erzählung nicht vorbei. Ich freue mich schon auf mehr von Celeste Ng.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Und ich habe das Buch jetzt in der Bücherei mal vorgemerkt. Bin gespannt, wann ich es bekomme, denn es sind noch zwei vor mir dran.

  • Hier läuft so vieles falsch, aber nicht aus böser Absicht. Es ist das Unvermögen, die anderen Familienmitglieder zu verstehen sich in sie hineinzuversetzen, und die Unfähigkeit, miteinander offen zu reden, was alle unweigerlich ins Unglück führt.

    Damit fasst du das Problem gut zusammen. Wahrscheinlich kommt das öfter vor, als gedacht. Aber nur selten führt es zu so einer Katastrophe.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Schön, dass es Dir auch so gut gefallen hat, Doris!


    Ich habe gerade erst die Diskussion um die Einordnung gelesen. Wenn dieses Buch eins nicht ist, dann ein Krimi oder Thriller. Auch wenn es spannend ist.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen