Wolfgang Herrndorf - In Plüschgewittern

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  • Wolfgang Herrndorf - In Plüschgewittern


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    Inhalt: (Text vom Buch)


    Dies ist die Geschichte eines Mannes um die dreißig, der auf dem Weg aus der westdeutschen Provinz in die Szene-Quartiere der Hauptstadt wenig tut, aber viel mitmacht. Der seine Umwelt beobachtet, sie bissig kommentiert und im Übrigen an sich und der Welt leidet. So einer passt nach Berlin, denn Berlin heißt: Endloses Gerede, viel Durst, vager Durchblick, kein Plan. Keine Arbeit sowieso, dafür ab und zu Altbau-Parties, bei denen auch schon mal jemand vom Dach fällt. Doch dann widerfährt unserem Helden ein Missgeschick: Er verliebt sich. Leider nicht in ein blondes Sonnenscheinchen. Eher im Gegenteil.

    Meine Leseeindrücke:


    Vor ein paar Jahren war ich sehr angetan von "Tschick", ich war also gespannt, ob mich hier etwas Ähnliches erwartet. Und von Sprache und Humor des Autors war ich auch gleich wieder gefesselt, als ich das Buch heute anlas. Vom Inhalt weniger. Besonders der Buchanfang war schwer erträglich. Der Ich-Erzähler ist ein unsympathischer Widerling, was ja nicht unbedingt gegen die Qualität des Buches spricht. Doch als er seiner (zugegebenermaßen nervigen) Schwägerin auf ihre Äußerung, dass sie nicht versteht, wie jemand Synagogen anzünden könne, antwortet, indem er ihr eine Anspielung aufs KZ Buchenwald zu Weihnachten schenkt, :entsetzt:, hätte ich das Buch gleich nach den ersten paar Seiten fast wieder zugeklappt.


    Aber da ich alles gut fand, was ich bisher von Herrndorf gelesen habe, las ich doch weiter. Ich fand schon in meiner Jugend solche Typen unerträglich, die um jeden Preis cool sein müssen, nichts können und sich für nichts interessieren, nichts mit ihrem Leben anfangen, aber auf andere verächtlich herabschauen. Doch hier erwarte ich noch eine Entwicklung und Verbesserung. Tatsächlich war es interessant, über die Jugenderlebnisse des Protagonisten zu lesen. Gedanken und Gefühle kommen sehr dicht und präzise beim Leser an, das gefällt mir.


    Ich habe etwa bis zur Buchmitte gelesen und finde es nun besser. Inzwischen ist unser Ich-Erzähler nach Berlin gefahren und auch hier präzise und spannende Milieuschilderungen, wenngleich einer Umgebung, die mir fremd ist. Manches verstehe ich auch nicht (ein Fläschchen Poppers? ein halber Royal TS? Dies und noch anderes sagt mir alles nichts). Was Plüschgewitter sind, weiß ich auch noch nicht, ich stelle mir darunter vor, dass Leute auf Sofas sitzen und sich gegenseitig das Leben schwer machen. Mal schauen, was unser Protagonist in Berlin noch so erlebt.

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

  • Poppers sagt mir auch nichts, aber der Royal TS ist ein Burger von McDonalds.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Danke! Poppers habe ich gegoogelt: Irgendeine Drogenmischung.


    Es werden auch Personen und Fernsehsendungen erwähnt, die mir nichts sagen. Vermutlich weil ich keinen Fernseher habe, aber auch, weil ich zur Zeit der Entstehung des Buches (erschienen 2002, aber im Buch wird noch mit D-Mark gezahlt) im Ausland gelebt habe.

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  • Ich finde auch Widerlinge spannend, weil sie manchmal mehr hergeben als die braven Typen, die in alle Schablonen passen. Oft ist es so, dass man mehr Zeit braucht, um sich an ihre Eigenheiten zu gewöhnen, und manchmal gibt es ganz besondere Gründen, warum sie so widerlich sind, und das kann auch mitreißend sein.


    TS war doch Tomate und Salat? :zwinker:


  • Ich finde auch Widerlinge spannend, weil sie manchmal mehr hergeben als die braven Typen, die in alle Schablonen passen. Oft ist es so, dass man mehr Zeit braucht, um sich an ihre Eigenheiten zu gewöhnen, und manchmal gibt es ganz besondere Gründen, warum sie so widerlich sind, und das kann auch mitreißend sein.


    Zwischen Widerling und "braver, schablonenhafter Typ" gibt es ja zum Glück noch sehr viel anderes, nämlich das richtige Leben. Unser Widerling hier bleibt leider so, ich finde ihn nur sehr bedingt spannend, und die Gründe, warum er so widerlich ist, werden auch nicht thematisiert, sondern am Ende (in einem Kapitel, das aus Sicht seines Bruders geschrieben ist) nur kurz angerissen. Er war wohl schon immer so.


    Mich hat er irgendwann nur noch genervt. Zu lesen, wie dieser Typ Party macht, von Kneipe zu Kneipe zieht und sich besäuft, am Ende auf seine eigenen Schuhe kotzt oder in die S-Bahn, oder nicht mehr nach Hause findet und sich bepinkelt, wird mit der Zeit langweilig. Irgendwelche Erkenntnisse oder Entwicklungen gibt es hier nicht. Er weiß einfach nicht was er will und selbst wenn er sich verliebt, wie im Klappentext angekündigt, bleibt das bei Äußerlichkeiten stehen und wird ihm offenbar nicht mal selbst bewußt.


    Das Gute daran ist einfach nur, wie es Herrndorf versteht, dies zu beschreiben. Treffend und atmosphärisch dicht. Wie realistisch das ist, kann ich nicht beurteilen, aber man bekommt einen Eindruck vom Innenleben eines Menschen, der zwar intelligent ist, aber offensichtlich unfähig, andere als Menschen wahrzunehmen und mit ihnen zu interagieren, und sich stattdessen in den nebensächlichsten Details verliert. Da steckt zwar einiges mehr drin, als es anfänglich scheint, und unterhaltsam ist es an vielen Stellen auch. Trotzdem fehlte mir am Ende Tiefe.


    Länger hätte das Buch nicht sein dürfen und ich bin froh, dass ich durch bin.


    Fazit: Lesenswert, aber nicht überragend. "Tschick" hat mir viel besser gefallen.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

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  • Hast Du eigentlich rausgefunden was der Autor mit den Plüschgewittern gemeint hat? Mir fällt tatsächlich nur ein, das es eine literarische Anspielung sein könnte - In Stahlgewittern von Ernst Jünger. Aber vielleicht ist das arg weithergeholt^^

  • @Holden



    Hast Du eigentlich rausgefunden was der Autor mit den Plüschgewittern gemeint hat? Mir fällt tatsächlich nur ein, das es eine literarische Anspielung sein könnte - In Stahlgewittern von Ernst Jünger. Aber vielleicht ist das arg weithergeholt^^


    Nein, das ist nicht weit hergeholt, denn genau das ist es.
    Allerdings kann ich nicht näher beurteilen, worin genau die Parallelen bestehen (ob es literarisch eine Analogie ist? Oder eine Art Gegensatz?), da ich "In Stahlgewittern" nicht gelesen habe.

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