Michael Ende - Der Spiegel im Spiegel

Es gibt 8 Antworten in diesem Thema, welches 2.971 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.


  • "Der Spiegel im Spiegel - Ein Labyrinth"
    von Michael Ende

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    Erstveröffentlichung 1984 , Weitbrecht Verlag in K.Thienemanns Verlag
    ich les aber ein spätere Taschenbuchausgabe von dtv 2006


    234 Seiten


    Text auf dem Buchrücken:


    Wenn man im Traum weiß, das man träumt, ist man kurz vor dem Aufwachen. Ich werde gleich aufwachen. Vielleicht ist dieses Feuer nichts anderes als der erste Strahl der Morgensonne einer anderen Wirklichkeit ....

    Dreißig Visionen Michael Endes mit achtzehn Zeichnungen seines Vaters Edgar Ende strahlen ihre magischen Kräfte aus
    .

    ***



    Vor einigen Jahren hatte ich mit dem Buch schon einmal begonnen, aber damals nicht fertiggelesen, den Einmerker fand ich auf Seite 87. Ich les nochmal ganz von vorne. Es ist definitiv kein Buch für Kinder, sondern richtet sich an Erwachsene und man sollte schon einen gewissen Hang zum Surrealen mitbringen. Aufgrund des Monatsrunden-Mottos hab ich mich daran erinnert gefühlt und mir spontan gedacht, ein Buch von Michael Ende kann es nicht verdient haben, nicht zu Ende gelesen zu werden.


    Diesmal werde ich die Sache ganz langsam angehen und alle paar Tage eine der Geschichten lesen und nachwirken lassen. Wobei .. Geschichte ist für die unterschiedlich langen "Visionen" nicht ganz das richtige Wort, es sind eher Träume, Sequenzen, sehr bildlich, nicht greifbar, nicht logisch und sehr surreal, wie auch die Bilder des Vaters Edgar Ende. Im Buch sind Zeichnungen von ihm enthalten, die Michael Ende zu seinen Traumgeschichten inspiriert haben (könnten?). Übrigens ist das Bild auf dem Cover oben von Edgar Ende.

    Ich hab inzwischen die ersten drei Geschichten gelesen. Gleich die Einführung, der ein Zeichnung vorangestellt ist, bleibt sehr vage, schwebt in einem endlosen Raum, die einzige Konstante ist ein Wesen namens "Hor" , obwohl es völlig der Phantasie und der Auslegung des Lesers überlassen bleibt, was oder wer Hor ist oder sein wird, ob er selbst Traum ist, ob er einer ist oder viele. Und ... was fällt dem geneigten Michael Ende-Leser dabei ein? :heybaby:
    Ich könnte mir vorstellen, das ich mich immer wieder an eins der Bücher von Michael Ende erinnert fühlen werde beim Lesen, wenngleich nur in kleinen Details, denn diese Sammlung ist etwas völlig anders. Natürlich inspiriert mich die Zeichnung mir Hor vorzustellen und zusammen mit seinem beschriebenen Lebensumfeld und dem Untertitel der Geschichtensammlung , drängt sich mir eine Assoziation zum Minotaurus im Labyrinth auf.

    Ich hab mich jetzt im Vorfeld nochmal ein bisschen über Edgar Ende, den Vater, informiert. Geboren 1901 , gilt er als einer der wichtigsten Vertreter der deutschen surrealistischen Malerei. Wens interessiert --> Hier kann man sich Bilder des Malers anschaun. Für mich war es eine schöne Einstimmung.

    Hor gibt einem auch sowas wie eine Leseanleitung mit auf den Weg:
    Hor wird nicht mit größerer Deutlichkeit zu dir reden könne, als sie jenen Stimmen eigen ist, die du kurz vor dem Einschlafen hörst. Und du wirst auf dem schmalen Grad zwischen Schlafen und Wachen das Gleichgewicht halten müssen - oder schweben wie die, denen oben und unten das gleiche bedeutet. "

    Gleich in der nachfolgenden Geschichte wird die Fähigkeit dazu auf die Probe gestellt. Es geht darin um einen Sohn, der sich mit Hilfe seinens Vaters, Flügel träumt, um damit aus der Labyrinthstadt zu fliehen. Diese Flucht ist nicht verboten, gelingt aber nur wenigen und die "Regeln" dafür sind paradox, eine davon lautet : "Nur wer das Labyrinth verläßt, kann glücklich sein, doch nur der Glückliche vermag ihm zu entrinnen." , keine einfache Sache für so einen jungen Mann, der noch dazu verliebt ist. Mehr möchte ich von der eigentlichen Flucht gar nicht verraten. Faszinierend wieviele Bilder beim Lesen von nur 5 Seiten bereits im Kopf entstehen. Erst am Ende der Geschichte findet sich eine Zeichnung des Vaters, die man damit in Zusammenhang bringen kann.
    Man muß den Traum fließen lasssen, sich auf diese Bilder und Worte einlassen, ohne sofort nach Zusammenhängen und gewolltem Sinn zu suchen. Die Lesegewohnheiten werden auf den Kopf gestellt, die Interpretation bleibt jedem selbst überlassen, es gibt keine vorgefertigte Meinung, kein Händchen des Autors, das einen zum Ziel führt.
    Letztlich geht es für mich in Endes "Ikarus-Geschichte" (nur mein persönlicher Name dafür) um Freiheit, vor allem der Freiheit des Denkens. Vielleicht ein schöner Gedanken am Anfang einer solchen Sammlung.


    Die dritte Geschichte ist teilweise ein bisschen konkreter, im Wesentlichen ein Gespräch zwischen einem gerade überforderten Studenten und einem philosophisch veranlagtem Diener und hat auch eine echt komische Komponente. In dem Gespräch geht es u.a. höchst philosophisch ums Staubwischen :breitgrins: , ich mußte dabei mehrfach schmunzeln und hab ab jetzt die perfekte Ausrede. :zwinker: . Auch in der Geschichte gibt es stonst noch einiges zu entdecken, gibt es traumartige Stiuationen und tiefschürfende Gedankengänge, aber seht mir nach wenn ich nicht alles bierernst nehme.



    Mal sehen was mich noch so alles erwartet ...

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



    Einmal editiert, zuletzt von Firiath ()

  • Das klingt sehr interessant. Ich glaube ich verfolge das mal und vielleicht wird es auf meiner Wunschliste landen.
    Ich muss nämlich ehrlich zugeben, dass ich bislang nur ein Buch von Ende im Regal stehen habe :aaa:

    Sub 78 :boxen: (SuB, ich sage dir den Kampf an)


    Once Upon a Time in a kingdom filled with entchanted books, there was a girl who loved to read.

  • Viky
    ...welches Buch ist es denn, das in deinem Regal steht? Hast du sonst schon was von ihm gelesen?


    Ich hab von Ende ziemlich viel gelesen, teilweise schon als Jugendliche nur für mich, später hab ich einige der Bücher meinen Kindern vorgelesen und Ende dadurch nochmal neu für mich entdeckt. "Jim Knopf" hab ich z.B. erst komplett gelesen, als ich es meinen Kindern vorgelesen hab und ich war und bin einfach begeistert davon. Er hat viele Ebenen in seinen Büchern und sie funktionieren für Kinder wie für Erwachsene, wenn man sich als Erwachsener noch drauf einlassen kann.


    "Der Spiegel im Spiegel" ist allerdings echt was völlig anderes, weit davon entfernt ein Buch für Kinder oder Jugendliche zu sein und ich würd erstmal seine sonstigen Bücher empfehlen um ihn besser kennenzulernen.




    ***




    Ich hab inzwischen noch ein paar Geschichten weitergelesen... teilweise werden die Geschichten sehr alptraumartig, klaustrophobisch und sogar blutig. Sehr ungewohnt, einerseits für Ende, andererseits für mich, hab länger nichts derartiges mehr gelesen. Jede der Geschichten ruft Bilder im Kopf hervor die sich einprägen. Es ist wirklich so als ob Ende surrealistische Bilder mit Hilfe von Worten malt und nicht nur Geschichten zu den Bildern seines Vaters schreibt.
    Die Geschichten sind schwer zu fassen, wenn man versucht sie für sich einzuordnen wird man im nächsten Absatz gezwungen seine Meinung wieder zu revidieren, man muß die Worte und Bilder fließen lassen, es gibt nicht wirklich einen Anfang und schon gar kein Ende, es ist am Schluß einer jeden Geschichte eher so als ob man aus einem Traum kurz aufwacht und dann wieder einschläft, in einen anderen Traum hinübergleitet ,es gibt auch lose Verbindungen zwischen den Träumen, manchmal eine Farbe, eine Formel, ein Gefühl.
    Ich bin grad wieder erstaunt wie schwer es manchmal fällt, nicht vorrausschauend zu lesen, nicht einzuordnen, es ist einfach ganz anders als übliches Lesen. Surreale Literatur eben, erinnert mich vom Lesegefühl her am ehesten an "Die andere Seite " von Kubin und "Es kamen drei Damen im Abendrot" von Beagle .

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



  • Die unendliche Geschichte steht bei mir, ungelesen oder nur angelesen. Sonst habe ich nichts von ihm gelesen und kenne seine Werke wie Momo nur vom hören oder lesen (Foren, Zeitschriften).

    Sub 78 :boxen: (SuB, ich sage dir den Kampf an)


    Once Upon a Time in a kingdom filled with entchanted books, there was a girl who loved to read.

  • "Die unendliche Geschichte" wär aber eigentlich wirklich perfekt für den Einstieg in die Ende-Welt :smile: , ich hab es mit ca. 13 Jahren das erste Mal gelesen und geliebt und viele Jahre später hab ich es meinen Kindern vorgelesen und ganz neue Seiten an dem Buch für mich entdeckt. Bastian nervt manchmal ein bisschen, aber das Buch ist trotzdem wirklich wunderschön, besonders die vielen kleinen Geschichten die darin erzählt werden...

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")




  • "Die unendliche Geschichte" wär aber eigentlich wirklich perfekt für den Einstieg in die Ende-Welt :smile:


    Unbedingt :herz: War mein erster Ende, und ich liebe das Buch heute noch.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Mein Einstieg war Momo, dicht gefolgt von der "Unendlichen Geschichte". Ich weiß nicht, wie oft ich diese Bücher schon gelesen habe. Sie sind jedes Mal wieder schön :herz:

  • Ein junger Mann, dem Flügel aus dem Rücken wachsen. Ein Feuerwehrmann, der an einem Ort, der irgendwas zwischen Bahnhof und Kathedrale darstellt, als einziger eine Gefahr entdeckt. Ein Bräutigam, der sich entkräftet durch eine endlose Wüste schleppt, um endlich zu seiner Braut zu gelangen. Einbeinige Bettler, eine Hurenstadt, ein rätselhaftes Museum, unbestimmte Bedrohungen, Willkür, besondere Fähigkeiten.


    Scheinbar ohne irgendeine Logik reihen sich kurze Episoden aneinander, gleichzeitig merkwürdig und von eindrücklicher Kraft. Im Mittelpunkt stehen immer wieder andere Menschen, meist namenlos, die willkürlich ausgesucht scheinen. Hat man sich aber eine Weile auf dieses mit "Ein Labyrinth" untertitelte Buch eingelassen, stellt man fest, dass die einzelnen Kapitel gar nicht so zusammenhanglos sind, wie es zunächst aussieht.


    "Der Spiegel im Spiegel" ist kein fortlaufender Roman, keine lineare Geschichte. Der Untertitel bringt es gut auf den Punkt, dieses verschlungene Geflecht von Vignetten ähnelt einem verschnörkelten Labyrinth, das auf den ersten Blick völlig unüberschaubar erscheint und doch ein in sich geschlossenes Ganzes darstellt. Motive (häufig der christlichen Symbolsprache entlehnt) werden immer wieder aufgegriffen, Personen kreuzen in anderer Rolle wieder auf, Orte spielen erneut eine Rolle. Ende-Kenner werden auch den einen oder anderen Anklang an "Momo" und "Die unendliche Geschichte" erkennen.


    Das Ganze liest sich verstörend, sonderbar, absurd, surreal, manchmal gar eklig, unappetitlich, grotesk. Vieles wirkt märchenhaft, manches auch sehr realistisch.


    Ende widmet sich existentiellen Fragen, ohne sie explizit auszusprechen. Seine Figuren sind auf der Suche - nach dem Sinn des Daseins, nach einem Ausweg, nach einer Lösung, vielleicht sogar nach Erlösung. Orientierungslosigkeit und Verlorenheit ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch, die Charaktere stecken oft in ausweglos scheinenden Situationen fest. Die Vergänglichkeit und (gefühlte) Vergeblichkeit des Lebens ist häufig spürbar, eine gewisse Melancholie liegt wie ein Schleier über der Welt irgendwo zwischen Realität und Traum, die Ende hier darbietet. Dazu passen auch die mysteriös anmutenden Illustrationen aus der Feder von Endes Vater Edgar.


    Ganz bestimmt kein 08/15-Buch und auch nicht zu vergleichen mit den tiefsinnigen, aber perfekt wegschmökerbaren anderen Büchern Endes. Es ist ein Experiment, ein Labyrinth eben, auf das man sich einlassen muss und das immer wieder mit kleinen Aha-Erlebnissen, eindrucksvollen Bildern im Kopf, dem einen oder anderen Denkanstoß und einer fast 35 Jahre nach Erscheinen ein wenig altmodisch gewordenen, aber wunderschönen Sprache belohnt.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()


  • Jede der Geschichten ruft Bilder im Kopf hervor die sich einprägen. Es ist wirklich so als ob Ende surrealistische Bilder mit Hilfe von Worten malt und nicht nur Geschichten zu den Bildern seines Vaters schreibt.


    Schön gesagt!


    Das wäre auch mal was für eine Leserunde gewesen ...

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen