Verna B. Carleton - Zurück in Berlin

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    Kurzbeschreibung


    »Zurück in Berlin« Ein großer verschollener Nachkriegsroman


    Zwischen Stunde null und Wirtschaftswunder: Ein jüdischer Exilant kehrt nach Berlin zurück, um sich seiner Vergangenheit zu stellen. In der zerstörten, doch lebendigen Stadt erwartet ihn eine Aufgabe, mit der er nicht im Geringsten gerechnet hat.


    Der Londoner Eric Devon heißt eigentlich Erich Dalburg und wuchs in Berlin-Grunewald auf. Während des Zweiten Weltkriegs musste der junge jüdische Widerständler alles zurücklassen. Nur seine Frau Nora, eine Britin, und eine befreundete amerikanische Journalistin wissen von seinen deutschen Wurzeln. Sie überzeugen ihn, gemeinsam nach Berlin zu fahren. Zögerlich lässt sich Eric auf die Reise ein, und schon bald stehen die drei vor seinem Elternhaus. Bewohnt wird es von einer Tante, die Eric für mitschuldig am Tod seines Vaters hält. Doch er muss sein Bild von der Vergangenheit revidieren und sich eigene Fehler eingestehen. Geschenkt wird ihm ein neuer Anfang dort, wo er ihn am wenigsten erwartet hätte: in seiner Familie, in Berlin.


    [hr]


    Na, hat noch jemand Lust auf eine
    Leserunde zu diesem wiederentdeckten Nachkriegsroman? :winken:

    LG, Dani


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  • (Zeitgenössisch ist das Buch strenggenommen nicht, weil es im Original bereits 1959 erschienen ist, aber ich sortiere es trotzdem mal hier ein, weil es gerade erst neu aufgelegt wurde.)


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    Bei einer Atlantiküberquerung auf einem heruntergekommenen Schiff trifft die namenlose Erzählerin, eine US-Amerikanerin, auf einige Menschen, die den Krieg in Europa hautnah erlebt haben. Unter anderem eine englische Gouvernante, einen ehemaligen französischen Widerstandskämpfer, einen "strammen Deutschen" und das britische Ehepaar Eric und Nora Devon. Eric ärgert sich massiv über die markigen Sprüche des Deutschen, wozu er allen Grund hat, wie bald klar wird. Denn Eric ist gebürtiger Deutscher mit jüdischem Blut und ist ein paar Jahre vor dem Krieg aus Deutschland geflüchtet.


    Was wie großes Glück klingt, nämlich die Flucht rechtzeitig angetreten zu haben und nicht unter dem unbarmherzigen Naziregime verhaftet oder gar getötet worden zu sein, hat bei Eric vor allem eines bewirkt: schwere Schuldgefühle und die Unfähigkeit, über seine persönliche Vergangenheit zu sprechen. Er hat alles, was vor seiner Emigration geschehen ist, verdrängt und ausgeblendet, nicht einmal Nora weiß irgendwelche Details über seine Kindheit oder seine Familie.


    Doch nun sind die Devons mit ihrer amerikanischen Begleiterin auf dem Weg nach Berlin, wo Eric aufgewachsen ist. Erstmals seit zwanzig Jahren setzt er wieder einen Fuß auf deutschen Boden und begibt sich eher widerwillig und von Nora angespornt auf die Suche nach Spuren seiner Familie. Ein aufwühlendes Unterfangen, das Eric viel Kraft kostet, weil es ihn zwingt, endlich zurückzublicken und sich dem Vergangenen zu stellen - auch den eigenen Fehlern.


    Allein schon als Zeitdokument ist dieser wiederentdeckte Roman einer hierzulande kaum bekannten Autorin lesenswert. Erstmals veröffentlicht wurde das Buch 1959, und erstaunlich hellsichtig wirken manche Passagen, in denen über die Zukunft des damals geteilten Deutschlands spekuliert wird. Bei einem heute erschienenen Buch würde man annehmen, der Autor habe der Figur den Gedanken hübsch passend in den Mund gelegt, hier bekommen wir jedoch die echte Perspektive der Nachkriegszeit zu lesen.


    Viele der damals aktuellen Themen haben (leider) nichts an Brisanz eingebüßt: nationalistisches Denken (und Nazis in der Politik), Vergangenheitsbewältigung, Integration, um nur einige zu nennen. Gottlob passé ist die deutsche Teilung, die ja gerade in Berlin spürbar war und den Alltag prägte, wie uns Carleton in einigen eindringlichen Szenen vor Augen führt. Sehr anschaulich schildert sie auch das damalige Stadtbild Berlins mit Nachkriegsbausünden neben Bombenruinen.


    Erics Probleme mit seiner Identität und Zugehörigkeit nehmen einigen Raum ein, werden aber konsequent von außen geschildert. Er wirkt oft extrem in seinen Emotionen und Äußerungen und bleibt dem Leser dadurch eher etwas fremd. Generell beeindruckt das Buch aber mit einer facettenreichen und glaubhaften Figurenzeichnung, die nur gelegentlich das eine oder andere Klischee streift, und einem detaillierten, treffenden und nicht immer schmeichelhaften Porträt der deutschen Nachkriegsgesellschaft.


    Das einzige, was im Gesamtbild etwas stört, ist die komplett farblos bleibende Erzählerin, bei der man spürt, dass sie nur ein Vehikel ist, das die Handlung vorantreiben und als neutrale Beobachterin und Erzählstimme dienen soll. Da spürt man die Absicht, ist ein wenig verstimmt und fragt sich, ob es nicht auch ohne diesen Kniff gegangen wäre.


    Trotzdem eine sehr empfehlenswerte Wiederentdeckung, die Deutschland nach dem Krieg aus einer sehr interessanten Perspektive schildert.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • Verna B. Carleton - Zurück in Berlin


    1959 erschienen und trotzdem sehr aktuell!


    So lässt sich das Buch für mich am besten zusammenfassen. Denn während der gesamten Lektüre musste ich mir sehr oft klar machen, dass viele Aussagen tatsächlich schon fast 60 Jahre alt sind, so sehr passen sie in die heutige Zeit. Besonders die Sicht der Emigranten Eric und Käthe fand ich aktueller, wie nie!
    Denn Eric und Käthe, beide im 3.Reich aus Deutschland geflohen (er nach England, sie nach Frankreich) müssen sich doch immer wieder mit ihren deutschen Attribute auseinander setzten. Aber auch ihre Vergangenheit im In- und Ausland und vor allem Erics Sicht auf das Deutschland zum Ende der 1950er Jahre sind ein großer, wenn nicht sogar der beherrschende Aspekt des Buches.
    Die Autorin gibt dem Leser mit Erics deutscher Familie und anderen Wegbegleitern immer wieder verschiedene Einblicke auf die Deutschen, ihre Schuld, den Krieg und den Wiederaufbau. Die Blickwinkel sind dabei so vielseitig und verschieden, wie es verschiedene Menschen gibt. Und der Leser wird jedesmal angeregt, sich seine eigenen Gedanken dazu zumachen.
    Die Protagonisten sind gut und glaubhaft gezeichnet. Ich bin nicht mit jedem warm geworden, aber das ist im "echten" Leben ja auch nicht so. Einzig die Ich-Erzählerin bleibt ein "unsichtbares Wesen" im Hintergrund, obwohl sie an der Geschichte auch rege teilnimmt. Hilfreich war aber ihr neutraler, amerikanischer Blick (der der Autorin) auf die Deutschen und ein kleines bisschen auch auf die Briten.


    Sehr bewegend waren die Beschreibungen eines Besuches im KZ Bergen-Belsen und die Tagebuch-Aufzeichnungen von Erics Vater, während eines Gefängnisaufenthaltes zur NS-Zeit.


    Das Ende ist mir ein bsschen zu rund, gut, amerikanisch. Es schadet dem Buch aber nicht sonderlich und so kann ich für "Zurück in Berlin"
    4ratten
    vergeben.

  • Ende der 50er Jahre findet auf einem Schiff von Fort Lauderdale nach Europa ein kleiner Kreis Menschen zueinander - mit intelligenten Plaudereien lässt sich die lange Reise besser überstehen. Unter ihnen eine US-amerikanische Journalistin, die unter anderem das kriegszerstörte Deutschland besuchen möchte, und das Ehepaar Devon, das auf der Rückreise in die englische Heimat ist.
    Die beiden Frauen freunden sich rasch an und versuchen gemeinschaftlich Eric Devon von einer Reise nach Berlin zu überzeugen. Zögerlich willigt er schließlich ein und die drei reisen in die alte deutsche Hauptstadt, die noch immer stark von den Bombardements des Zweiten Weltkriegs gezeichnet ist.
    Was Nora, Erics Ehefrau, bislang nicht wusste, ist, dass ihr Mann eine Vergangenheit in Deutschland hat. Er wuchs in Berlin auf und floh als junger Mann vor den Nazis nach London. So dauert es nicht lange, und die drei Reisenden stehen vor Erics altem Zuhause in Grunewald und begegnen Menschen, die Eric nie mehr wiedersehen wollte.


    Eric muss sich irgendwann eingestehen, dass nicht alles so war, wie er sich das in den letzten gut zwanzig Jahren zurecht gelegt hat und seine stets notdürftig verdrängten Schuldgefühle brechen sich Bahn... Der Aufenthalt in Berlin zehrt an Erics Nerven und auch Nora leidet zunehmend unter der Veränderung ihres Ehemanns.


    Verna B. Carletons Roman "Zurück in Berlin" ist bereits 1959 in Nordamerika und Anfang der 60er erstmals in Deutschland erschienen. Nach 50 Jahren hat der Aufbau Verlag den Nachkriegsroman wiederentdeckt und konnte mit Ulrike Draesner eine Schriftstellerin als Herausgeberin gewinnen.


    Für mich ist nach der Lektüre klar, dass dieses Projekt einschließlich einer Neuübersetzung, durchweg gelungen ist und uns einen großartigen Roman als Fundstück präsentiert.
    Mit Präzision fängt Verna B. Carleton das Berlin der 50er Jahre ein und lässt so die durchaus noch sichtbaren Folgen der Kriegszerstörung, aber auch die ersten Zeichen der bereits geteilten Stadt greifbar werden. Das Fingerspitzengefühl, mit dem die Autorin von der Atmosphäre der Stadt und - noch viel wichtiger - den Zeitzeugen berichtet, ist in meinen Augen bemerkenswert. Das Ringen mit dem Schmerz und den Schuldgefühlen der Überlebenden, die unterschiedlichsten Weisen der traumatisierten Opfer der Nazis, mit dem Erlebten umzugehen, oder die Verstörtheit der Berliner Jugend - all das beschreibt Carleton sehr gekonnt. Aber auch der Versuch, sich all den Tätern, von denen nicht wenige in ein normales Leben zurückgekehrt sind, zu stellen und mit ihnen in einem Land leben zu können, findet Raum, und zeigt ganz deutlich die dramatischen Unterschiede in der Betrachtung der jüngsten Vergangenheit und der eigenen Verantwortung:


    "Mein lieber Junge, die Menschen, die sich schuldig fühlen, sind Menschen wie du und ich - anständige, rechtschaffene Leute, die weinen, weil sie das, was geschehen ist, nicht verhindern konnten - nicht, weil sie es getan haben." (S. 223)


    Für mich ist dieser Roman eines rechtzeitig geflohenen, jedoch innerlich stark geplagten Rückkehrers eine wirkliche Entdeckung. Frühzeitig hat die Autorin die menschlichen Traumata zumindest stückweise aufgearbeitet und geradezu scharfsinnig in die Zukunft geblickt... Einzig und alleine die eigene Rolle, die der namenlos bleibenden Ich-Erzählerin, hat viel zu wenig Kontur und lässt mich ratlos zurück. Wahrscheinlich wollte Carleton sich nicht mehr Raum zugestehen als nötig - so aber frage ich mich, ob sie sich die Journalistin, aus deren Blick erzählt wird, nicht ganz hätte sparen können.
    Trotzdem ist dies kein Kritikpunkt, der wirklich Einfluss hat - zu gut sind die Betrachtungen auf das Berlin Ende der 50er Jahre und den so bedeutsamen unterschiedlichen Charakteren.


    Fazit: Ein in meinen Augen äußerst lesenswerter Nachkriegsroman. Eine Leseempfehlung!


    5ratten und ein :tipp:

    Liebe Grüße

    Tabea

    Einmal editiert, zuletzt von dubh ()

  • Weg von Berlin wollen vor, während, aber auch nach dem 2. Weltkrieg viele, insbesondere solche, die nicht konform gingen mit Nazideutschland, die entweder anderer Meinung waren oder von den Verantwortlichen gejagt, gehetzt und vernichtet wurden. So auch Eric Devon, den die Protagonistin, eine amerikanische Journalistin - und somit ganz offensichtlich das Alter ego der Autorin ganz zufällig zusammen mit seiner Frau auf einem Überseedampfer kennenlernt.


    Fast noch zufälliger kommt sie seiner Geschichte, seinem Hintergrund auf die Spur - im Ergebnis steht eine Berlin-Reise, die sie eigentlich allein machen wollte, auf der sie jedoch nun das Ehepaar Devon begleitet.


    Es ist eine Reise in Erics Vergangenheit, in die offenen Wunden Deutschlands, die die Protagonistin ebenso schonungslos wie einfühlsam aufdeckt. Zunächst meint man, von Klischee auf Klischee gestoßen zu werden, doch sollte sich der Leser vor Augen führen, dass er ein mehr als 50 Jahre altes Werk liest. Folgt man Verna B. Carlton mit diesem Wissen vor Augen, dann erstarrt man gleichsam vor Erfurcht vor ihrer Voraussicht, ihrer Hellsichtigkeit, mit der sie bereits damals das Wort Wiedervereinigigung - ein Phänomen, das sie leider nicht mehr erleben durfte, in den Mund nimmt ,


    Einige Entwicklungen am Ende - nein, ich verrate sie Ihnen nicht - empfand ich dann auch als etwas sehr rund und ein wenig weit hergeholt!


    Aber das macht überhaupt nichts, ich bin dennoch vollends begeistert und das hängt vor allem mit der frühen Publikation dieses Werkes zusammen und mit dem bereits erwähnten Umstand, dass die Autorin Amerikanerin bzw. keine Deutsche ist. Die paar Klischees, die sie einfließen ließ und die sich zum Ende hin ein wenig häufen, verzeihe ich ihr gern ob der Tatsache, dass sie trotz allem einen ganz besonderen, einfühlsamen Blick auf die Deutschen und vor allem auf das Nachkriegsberlin richtet - voller Empathie und dem Erkennen der Nöte, die viele dieser Menschen zu der Zeit durchlebten - innerlich, versteht sich!


    Ein Buch, das ich nach dem Lesen staunend und voller Bewunderung in den Händen halte. Zeitweise ein bisschen tollkühn, etwas zu verwegen fast: aber dennoch ist es alles andere als ein weiblicher Münchhausen, der da schreibt, sondern eine Realistin. Denn die wildesten Geschichten schreibt nun mal das Leben selbst!
    5ratten