Anthony Powell - Eine Frage der Erziehung/A Question of Upbringing

Es gibt 84 Antworten in diesem Thema, welches 13.942 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von knödelchen.

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    Hier kommt unser Thread für Band 1 des Powell-Projekts :smile:


    Da wir uns auf einen Thread pro Band geeinigt hatten, seid bitte so lieb, an Spoilermarkierungen zu denken, falls nötig.


    Bitte verzichtet auch auf Postings wie "Buch liegt bereit, ich fange gleich an".


    Ich wünsche uns allen viel Spaß ... und denkt daran, es geht erst morgen los ;)

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Endlich ist es soweit :klatschen: und ich bin froh, dass sich die Reihe der schlechten Bücher, die ich seit Anfang des Jahres gelesen habe, mit diesem Buch nicht fortsetzt und wünsche euch ebenfalls viel Spaß beim Lesen!


    Zunächst zum eingangs beschriebenen und namensgebenden Bild:
    6845_1483710716.jpg
    Mir gefällt es überhaupt nicht. Die Farbgebung finde ich kitschig, genauso die Darstellung der Figuren. Überdies ist die Darstellung der Jahreszeiten misslungen. Ich könnte nicht sagen, welcher Tänzer welche Jahreszeit darstellen soll. Aber das ist vermutlich Geschmackssache.



    gelesen: 1. Kapitel
    Bisher bin ich begeistert! Die Sprache ist toll und die Darstellungen sind unheimlich witzig. Ich lese mit einem ständig im Hintergrund perlenden Lachen!
    Stellen, an denen ich mich fast kaputt gelacht habe:


    [li]Widmerpool wird aufgrund eines Mantels, von dem niemand sagen kann, warum dieser unpassend gewesen ist, zur bleibenden Erinnerung.[/li]
    [li]Stringhams Ausruf: "'Wir haben eine Marmeladenkrise!'"[/li]
    [li]Die Unterhaltung zwischen Jenkins und Stringham über Widmerpools Krampfanfall: "'Und dann?' 'Er wurde weggeschafft.' 'Ach so. Haben wir Senf?'"[/li]


    Überhaupt Stringham - ihn finde ich toll! Allein das Gespräch zwischen ihm und Le Bas und dann die anschließende Falschanzeige...


    Eine Sache hab ich nicht ganz verstanden: Die Geschichte mit der Banane, die in Widmerpools Gesicht geflogen ist, dem geschassten Akworth und der Moralpredigt... Ist Widmerpool homosexuell?

  • Geschafft habe ich gestern nur 30 Seiten, da ich vieles doppelt lesen musste, um den Inhalt ganz zu erfassen. Ich war einfach zu müde gewesen und habe mich in den Sätzen verloren.


    Jenkins erzählt so treffend, dass man sich die Personen gut vorstellen kann. Wobei ich mir aber immer noch nicht im Klaren bin, wie alt Jenkins und seine Internatsgenossen eigentlich genau sind.


    Liege ich zeitlich richtig, wenn ich davon ausgehen, dass wir uns momentan in den 50er oder Anfang der 60er Jahre befinden?
    Die Sache mit Widmerpools Mantel gefiel mir recht gut. Vor allem so zeitlos!



    Eine Sache hab ich nicht ganz verstanden: Die Geschichte mit der Banane, die in Widmerpools Gesicht geflogen ist, dem geschassten Akworth und der Moralpredigt... Ist Widmerpool homosexuell?


    Mir kam es eher so vor, als ob Akworth derlei unterstellt würde. Widmerpool hat sich in seiner Rage seinem Gegenüber nur über Gebühr genähert, so dass man den Eindruck haben konnte, dass er sich an Peter heranmachen wolle.

  • Vielen Dank, @louzilla, für den Bildservice. Ja, sowas muss man mögen, das ist halt die Malerei des Rokoko mit ihren Schäferidyllen, für die meisten von uns wirkt das sehr manieriert und fast schon lächerlich. Das geht mir ähnlich.
    Powell macht anhand dieses Bildes und anderer Anspielungen schon direkt zu Beginn klar, dass wir uns hier auch bildungsmäßig in der Upperclass befinden.


    Die ersten anderthalb Seiten sollen wohl den Titel des Romanzyklus thematisieren und gleichzeitig Andeutungen für sein Verständnis liefern: Die Bewegungen der Kanalarbeiter im Lichterschein vor dunkler Kulisse liefern dem Ich-Erzähler Anstöße zur Erinnerung an antike Szenen, die in ebensolchen Lichtverhältnissen stattfinden. Damit weist er auf die Geschichte hin, sowohl in ihrer Ähnlichkeit - zu allen Zeiten bewegen sich Menschen zu den Bedingungen ihres Lebensumfeldes - als auch in ihrer Unterschiedlichkeit, die sich in der anderen Lichtquelle und der wenig heroischen Tätigkeit der Kanalarbeiter darstellt.


    Nun, und dann beginnt der erste Teil des Tanzes, der den Ich-Erzähler in einem Privatinternat zeigt mit den typischen Themen und Anfälligkeiten dieses Umfeldes.


    Zunächst habe ich mich gefragt, wo und zu welcher Jahreszeit die Handlung spielt: Es muss wohl irgendwo im Westen, im englischen Kohlengürtel sein, da Koks vergast wird und die Stadt einen mittelalterlichen Kern und einen während der Industrialisierung schnell und unschön aufgebauten Siedlungsrand hat. Die Zeit ist vielleicht November, weil die Schüler erst gerade nicht mehr zum Schulsport nach draußen gejagt werden. Mir gefällt dieses indirekte Erzählen, bei dem man sich aus den Andeutungen selbst die Umgebung klar machen muss.


    Ich glaube nicht, dass Widmerpool explizit homosexuell sein muss. Die Atmosphäre in diesen Privatinternaten, in denen jahrelang pubertierende Jungen zusammengepfercht wurden, hat wohl häufig zu solchen erotischen Anziehungen geführt, die die entsprechend visuell ausgestatteten Jungs auch durchaus zu nutzen wussten, wie es Budd und Templer tun.


    Auch mir gefällt diese ironische Darstellungsweise, die ganz genau erkennt, wo etwas lächerlich ist und die Feder auf die Wunde legt.
    Allerdings habe ich mit Widmerpool auch Mitleid: Für solche etwas wunderlichen Einzelgänger ist die Schulzeit und erst recht die in einem Internat schon eine ziemliche Leidenszeit!
    Ich ergötze mich jetzt an Onkel Giles und seinen finanziellen Nöten.


    yanni, auf S. 8 wird erwähnt, dass wir uns im Jahr 1921 befinden und übrigens im Dezember, wie ich überlesen habe, nicht November. Powell braucht ja auch noch die folgenden Jahrzehnte, um seinen Zyklus zu entwickeln. Übrigens habe ich auch die einleitende Passage mehrfach lesen müssen, ebenfalls aus Müdigkeit und weil ich damit nicht rechnete. Danach kann man aber alles ganz gut verstehen, finde ich.

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()


  • Mir kam es eher so vor, als ob Akworth derlei unterstellt würde. Widmerpool hat sich in seiner Rage seinem Gegenüber nur über Gebühr genähert, so dass man den Eindruck haben konnte, dass er sich an Peter heranmachen wolle.


    Das könnte auch sein.



    Ich glaube nicht, dass Widmerpool explizit homosexuell sein muss. Die Atmosphäre in diesen Privatinternaten, in denen jahrelang pubertierende Jungen zusammengepfercht wurden, hat wohl häufig zu solchen erotischen Anziehungen geführt, die die entsprechend visuell ausgestatteten Jungs auch durchaus zu nutzen wussten, wie es Budd und Templer tun.


    Dass die Atmosphäre, das viele Testosteron und die dauernde Gemeinschaft zu solchen Anziehungen führt, kann ich mir sehr gut vorstellen (Templer schafft sich seinen Ausgleich ja auswärts), ich bin nur über die Formulierung "etwas anfangen" gestolpert. Leider erfährt man auch nicht, was auf dem Zettel steht. Das hätte ich wirklich zu gern gewusst.


    Widmerpool tut mir schon auch leid. Und es ist leider so: Eine winzige Abweichung von der Norm (Mantel) kann der Grund sein, warum man von einer Gruppe (die ja auch eine Zwangsgemeinschaft darstellt) ausgeschlossen wird. Ab dem Zeitpunkt hat man natürlich kein schönes Leben mehr.



    Die Bewegungen der Kanalarbeiter im Lichterschein vor dunkler Kulisse liefern dem Ich-Erzähler Anstöße zur Erinnerung an antike Szenen, die in ebensolchen Lichtverhältnissen stattfinden. [...]


    Die Assoziation Winter- Antike fand ich sehr weit hergeholt. Ich verbinde die Antike eher mit sommerlichen Klimaverhältnissen.


    Was das ganze so witzig macht, ist die banale Darstellung des Katastrophalen. Man kann sich die Haltung der Engländer (speziell aus der Upperclass) richtig gut vorstellen, wie sie auf Furchtbares absolut gefasst und kühl herniederschauen und dann vielleicht noch mit einer feinen spitzen Bemerkung darüber hinweggehen.
    Die prototypische Szene, bei der ich mich wegschmeißen könnte, ist für mich in "Asterix bei den Briten" dargestellt: Ein Engländer schneidet einen Grashalm zurecht und findet seinen perfekten englischen Rasen nach 2000jähriger Pflege "annehmbar". Als die Gallier diesen Rasen durch eine Pferdekutsche zerstören, steht er völlig gefasst da und sagt nur: "Schockierend". Und genau das ist für mich der Humor, der auch im "Tanz" zu finden ist.


    Ansonsten ging es mir wie euch: Müde darf man nicht sein, wenn man diesen Roman liest. Ich bin anfangs auch nur schwer reingekommen, was auch an der komplexen Sprache liegt; aber auch an dem, dass man sich ab und zu etwas zusammenreimen muss.

  • :winken: Huhu, ich habe mich zwar für die Leserunde nicht angemeldet, schmuggle mich aber trotzdem rein. Den Zyklus wollte ich schon seit Ewigkeiten lesen, seitdem ich nämlich in einer Buchhandlung eine vierbändige englische Ausgabe sah, die mich durch ihre Optik immer wieder dazu verführte, sie in die Hand zu nehmen - der Preis hielt mich allerdings vom Kauf ab.


    Das besondere an der Optik: Die Buchrücken nebeneinander ergeben ebenso wie die Cover die Tänzer des Bildes von Poussin. Ja, ich muss gestehen - es gefällt mir. Zwar würde ich mir das Bild nicht in meiner Wohnung aufhängen, aber in einem Museum würde ich es mir gerne ansehen. Und in meinem Regal möchte ich es auch gerne stehen haben, viel lieber als die (für mich) scheußlichen, unfarbigen deutschen Bücher.


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    Noch mal zum Bild: Da es ein Motiv der griechisch-römischen Mythologie bezieht, wären für Mitteleuropäer identifizierbare Jahreszeiten (mit einem schneebeladenen Winter) fehl am Platz. Guckt man sich das Gemälde in groß an, kann man (ich) anhand des Kopfschmucks immerhin Sommer (Rosen) und Herbst (Blätter) identifizieren. Es gibt einen recht interessanten englischsprachigen Wikipediaeintrag zu dem Gemälde, in dem (dem Eintrag) es heißt, dass die Figuren zwar erst als Jahreszeiten konzipiert waren, aber dann zu Repräsentanten verschiedener Stadien des menschlichen Lebens wurden. Armut (Herbst, Band 2) - Arbeit - Reichtum - Vergnügen.


    Zum Inhalt:
    Die ersten Seiten musste auch ich mehrfach lesen; das Englisch ist nicht ganz einfach zu lesen, aber ein paar Anfangsschwierigkeiten ging es.


    Was meint ihr, wie alt sind die Knaben zu Beginn des Buches? Ich schätze sie auf 15, 16. Komisch übrigens, wie der Erzähler seine Geschichte im Internat beginnen lässt ohne jegliche Hintergrundgeschichte. Als hätte sein Leben im Internat - oder vielleicht auch erst nach ein paar Jahren im Internat - begonnen. Er und seine Kumpels sind sozusagen nie ins Internat gekommen, sondern von Anfang an da, im Gegensatz zu üblichen Internatsgeschichten (man denke nur an "Harry Potter" oder "Hanni und Nanni"). Eltern werden nur ganz nebenbei im Zusammenhang mit dem Besuch von Onkel Sowieso erwähnt, sind aber ansonsten nicht von Bedeutung.


    Das erste Kapitel, das ich bisher gelesen habe, ist schon unterhaltsam, aber irgend etwas fehlt mir; schwer zu sagen, was. Ich würde gerne noch ein paar kluge Sätze zum Buch schreiben, aber mir fällt nichts ein.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Ich habe das 1. Kapitel gelesen und muss sagen, dass meine Bedenken, die ich hatte, nachdem ich kurz nach dem Kauf die erste Seite gelesen hatte, sich komplett zerstreut haben. Ich hatte Angst, dass ich es hier mit unverständlichem, geschwollenem Geschwafel zu tun kriege, aber nachdem ich mich innerhalb von wenigen Seiten in Powells zugegebenermaßen sehr elaborierten und eloquenten Stil eingelesen hatte, habe ich mich richtig wohlgefühlt mit dem Buch. Powells Art zu beschreiben und zu formulieren gefällt mir sehr gut.


    Die Atmosphäre im Eliteinternat ist wunderbar eingefangen und auch die beiläufige Gemeinheit, mit der "Vergehen" wie das Tragen eines "falschen" Kleidungsstücks geahndet werden. Der arme Widmerpool wird das Mantelthema wohl nie mehr los (obwohl keiner mehr so genau zu wissen scheint, was eigentlich genau an dem Mantel verkehrt war), wenn sein Name schon zum Synonym für merkwürdige Kleidungsstücke geworden ist.


    Der Erzähler ist wie so ziemlich jeder in seinem Alter auf der Suche nach seiner Identität und nach Vorbildern. Stringham hat es ihm offenbar angetan (den finde ich auch recht sympathisch ... und er redet ja wie ein Buch in druckreifen Sätzen!) Irgendwie fand ich die Szene auch klasse, wie die beiden Jungs auf dem Zimmer Würstchen brutzeln :breitgrins:


    Wie Onkel Giles ins Gebäude gelangt ist, würde mich wirklich interessieren. Er wirkt auf mich recht egozentrisch - anscheinend braucht er seine Familie nur dann, wenn sie ihm aus der Patsche helfen soll. Dann ist ihm sogar ein minderjähriger Junge recht, der von dem ganzen Finanzkram kaum Ahnung hat :rollen: Seine stinkende Zigarette weiter zu rauchen war auch nicht gerade nett von ihm, jetzt haben die Jungs Ärger mit ihrem Betreuer am Hals ...


    Der Streich, den Stringham Le Bas mit der Anzeige gespielt hat, ist ja bei aller verständlichen Abneigung ziemlich grenzwertig. Ich bin gespannt, ob das noch komplett auffliegt

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Cool, dass du dabei bist, Saltanah :klatschen:! Ich trag dich im Eingangsthread ein :breitgrins:.


    Okay, ich geb' zu, die Buchrücken- und Cover-Gestaltung deiner Ausgabe ist bestechend schön. Aber ich finde die deutschen Ausgaben auch gelungen - und farblos sind die mitnichten. Als Reihe dürfte das ebenfalls einen ganz farbenfrohen halben Meter ergeben. Außerdem finde ich sie haptisch ganz toll.



    Noch mal zum Bild: Da es ein Motiv der griechisch-römischen Mythologie bezieht, wären für Mitteleuropäer identifizierbare Jahreszeiten (mit einem schneebeladenen Winter) fehl am Platz. Guckt man sich das Gemälde in groß an, kann man (ich) anhand des Kopfschmucks immerhin Sommer (Rosen) und Herbst (Blätter) identifizieren. Es gibt einen recht interessanten englischsprachigen Wikipediaeintrag zu dem Gemälde, in dem (dem Eintrag) es heißt, dass die Figuren zwar erst als Jahreszeiten konzipiert waren, aber dann zu Repräsentanten verschiedener Stadien des menschlichen Lebens wurden. Armut (Herbst, Band 2) - Arbeit - Reichtum - Vergnügen.


    Engel sind ein religiöses (Judentum, Christentum, Islam) Motiv und da so ein vertrockneter alter Zausel-Engel die Laute zupft, scheint das Bild aus einer Mischung von Motiven unterschiedlichen Ursprungs zu bestehen. Leider kann man die Details, wie den Kopfschmuck oder auch das Gedöns am Himmel (Ist das ein Sonnenwagen?), nicht so richtig erkennen, um mehr aus dem Bild rauszuziehen.


    Das Alter der Jungs würde ich auf 16-18 Jahre schätzen. Dafür spricht, dass es für Stringham das letzte Jahr ist und Templer Sex mit leichten Londoner Mädchen hat.


    Was mich noch verblüfft hat, ist, dass Scheidungen und Neuverheiratungen in dieser Zeit offensichtlich keine große Sache waren. Da habe ich ein gegenteiliges Bild im Kopf. Oder ging es nur in Deutschland so prüde zu?


  • Was mich noch verblüfft hat, ist, dass Scheidungen und Neuverheiratungen in dieser Zeit offensichtlich keine große Sache waren. Da habe ich ein gegenteiliges Bild im Kopf. Oder ging es nur in Deutschland so prüde zu?


    Das ist mir auch aufgefallen. Ich weiß zumindest, dass Scheidungen in England seit irgendwann in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts möglich waren (Thomas Hardy hat sich mit dem Thema ja unter anderem in "The Woodlanders" beschäftigt). In "höheren" gesellschaftlichen Kreisen gelten auch oft etwas andere Anstandsregeln als beim gewöhnlichen Volk, und zudem dürfte in England der Einfluss der katholischen Kirche, die vehement gegen Scheidungen ist, deutlich geringer gewesen sein als in anderen Ländern.


    Ich lese auf englisch und habe diese Ausgabe:


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    Die Titelzeichnung gefällt mir zwar nicht sonderlich, aber der Rücken ist einfarbig orange. Die anderen Bände haben jeweils eine andere leuchtende Farbe, was sicher im Regal auch schick aussehen wird, wenn alles komplett ist.


    Wer liest denn eigentlich in welcher Sprache?

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • yanni, auf S. 8 wird erwähnt, dass wir uns im Jahr 1921 befinden und übrigens im Dezember, wie ich überlesen habe, nicht November. Powell braucht ja auch noch die folgenden Jahrzehnte, um seinen Zyklus zu entwickeln. Übrigens habe ich auch die einleitende Passage mehrfach lesen müssen, ebenfalls aus Müdigkeit und weil ich damit nicht rechnete. Danach kann man aber alles ganz gut verstehen, finde ich.


    Vielen Dank, finsbury, das habe ich völlig überlesen. Durch meinen Eindruck, dass wir uns zeitlich nach einem Krieg befinden und die Scheidung eines Elternpaares erwähnt wurde, kam ich zur Annahme wir seien zeitlich in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Aber wie ich nun lese, sind Scheidungen in England schon viel früher üblich gewesen als bei uns in Deutschland.


    Der Streich, den Stringham Le Bas spielte, wird vom Hausdirektor bestimmt nicht so hingenommen werden. Man denke nur, wie ausführlich er sich mit der Verspätung Templers beschäftigte.


  • Der Streich, den Stringham Le Bas spielte, wird vom Hausdirektor bestimmt nicht so hingenommen werden. Man denke nur, wie ausführlich er sich mit der Verspätung Templers beschäftigte.


    Das fand ich auch befremdlich, mit welcher Vehemenz und Akribie dieser Le Bas seine Schüler verfolgt. Auch die Sache mit der Zigarette: Er hätte einfach mal an den Händen der beiden Jungs schnüffeln können oder sich anhauchen lassen können, um zu wissen, dass die beiden nicht geraucht haben. Einen Brief von Onkel Giles zu verlangen, fand ich schon sehr aufwendig, wenn man sich mal damalige Verhältnisse vergegenwärtigt. Deshalb glaub' ich, dass Stringham, vielleicht auch stellvertretend für Freunde, mit Le Bas noch eine umfangreiche Rechnung offen hatte.


    Onkel Giles ist also das schwarze Schaf der Familie, dass es wohl in jeder Familie geben muss. Ich vermute mal, dass wir von dem noch einiges lesen werden.


    Was mir noch aufgefallen ist: Von Jenkins erfahren wir so gut wie nichts. Irgendwie scheint er recht farblos zu bleiben oder am Geschehen seltsam unbeteiligt zu sein.

  • Ich lese die deutsche Ausgabe und finde die Aufmachung gar nicht so unattraktiv (es erinnert mich an ein Büchlein, das ich ich meine Jugend besessen habe, allerdings kann ich mich weder an Titel noch Inhalt erinnern).


    Beim Stöbern im Internet bin ich über folgende Seite gestoßen: http://anthonypowell.de/Home.html


    Ich schließe mich meinen Vorrednern an, dass man sehr aufmerksam lesen muss. Gestern, als ich müde wurde, hab ich einen Abschnitt zweimal gelesen, musste ihn heute früh aber ausgeschlafen nochmals lesen. Dennoch gefällt mir die Art und Weise, wie Powell erzählt und die Menschen, die Gegebenheiten und Situationen beschreibt sehr gut (auch wenn sich mir der ein oder andere Satz auch nach mehrmaligem lesen nicht ganz erschließen will).


    Mir hat vor allem die Beschriebung Le Bas' sehr gut gefallen. Nachdem Powell ihn sehr ausführlich beschrieben hat, steht ganz unten in einem knappen Satz:


    "Er war unverheiratet."


    Knapp, trocken und wie ich finde, mit einer gewissen Komik.


    Im Moment bin ich gerade an der Stelle, als Le Bas verhaftet wird. Ganz ohne Frage, ein wirklich heftiger Streich, dennoch kommt eine gewisse Schadenfreude in mir hoch. Le Bas empfinde ich nicht nur streng gegenüber seinen Schülern, sondern dass er auch Schikane mit ihnen betreibt.


  • Durch meinen Eindruck, dass wir uns zeitlich nach einem Krieg befinden und die Scheidung eines Elternpaares erwähnt wurde, kam ich zur Annahme wir seien zeitlich in der Mitte des letzten Jahrhunderts.


    Das hatte ich auch erst angenommen (weil ich die Jahreszahl ebenfalls überlesen hatte), bis der Verfall der Mark in Deutschland erwähnt wurde.


    Zitat

    Der Streich, den Stringham Le Bas spielte, wird vom Hausdirektor bestimmt nicht so hingenommen werden. Man denke nur, wie ausführlich er sich mit der Verspätung Templers beschäftigte.


    Ja, zumal der Polizist, der die Meldung aufgenommen hatte, noch erwähnt hat, wie gut der Anrufer Le Bas imitiert hat. Es wurde ja mal erwähnt, dass Stringham ein begnadeter Imitator ist. (Einer gewissen Komik entbehrt die Anzeige durchaus nicht, das stimmt schon. Jungen in dem Alter denken wohl auch nicht groß drüber nach, was das für Konsequenzen haben kann).


    Le Bas' Verbissenheit bei der "Strafverfolgung" seiner Schützlinge ist wirklich sehr übertrieben. Vielleicht würde ihm tatsächlich eine Frau guttun. Oder ein sinnvolles Hobby. Irgendwas, das seine Zeit in Anspruch nimmt und ihn davon abhält, sich in seine Strafaktionen zu verbeißen. Das mit dem Brief ist echt albern.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Inzwischen habe ich das zweite Kapitel beendet und bin sehr angetan, insbesondere von dieser tollen Formulierungskunst, die mit Stilmitteln arbeitet, die typisch sind für die englische Literatur, die ich aber in dieser Dichte lange oder gar nicht mehr gelesen habe. Aber davon später, jetzt erstmal zu dem ersten Kapitel noch:


    @louzilla, ich denke auch, dass Stringham sich vielleicht auch für Le Bas' schon krankhaften Verfolgungswahn rächen will, aber mehr noch nehme ich an, dass er dem Bild Templers, er schleime sich in der Weideszene bei Le Bas ein, zumindest unbewusst widersprechen will und daher unmittelbar danach diesen ziemlich wüsten, aber auch wirklich originellen "Streich" auf den Weg bringt.
    Für Le Bas am schrecklichsten, stelle ich mir vor, ist es, von seinen Kollegen noch jahrelang
    "Braddock alias Thorne" genannt zu werden :breitgrins:.


    Dann noch zu Le Bas' Verhalten, als er die Jungen scheinbar beim Rauchen erwischt. Heute und hier - denke ich - würden viele Lehrer so handeln, wie du es beschreibst, @louzilla, aber die Engländer und besonders die, die noch aus der viktorianischen Epoche stammen, hatten wohl einen großen Widerwillen, sich in der Öffentlichkeit körperlich zu sehr anzunähern, was das Anhauchen und Schnüffeln aber voraussetzt. Ich täte das sogar heute nicht, aber aus anderen Gründen: Ich finde, man unterläuft damit den Abstand, den man zu Menschen, die einem anvertraut sind, aber mit denen man nicht verwandt ist, halten sollte, um deren Würde nicht zu verletzen.


    Hafermilch, der Satz mit Le Bas' Familienstand ist mir auch aufgefallen, weil er, wie du es schilderst, in seiner ganzen Lakonie die vorherigen Ausführungen zusammenfasst. Und von dieser Schreibweise, die auch in der deutschen Ausgabe, die ich ebenfalls lese, sehr gut wiedergegeben wird, bin ich wirklich begeistert. Was in die gleiche Richtung geht, ist die Stilfigur des Euphemismus (ich musste extra nachschlagen, weil ich dieses Stilmittel schon einige Zeit nicht mehr gelesen hatte), die Powell extensiv verwendet und die geradezu das Kennzeichen seines ironischen Stils ist. Euphemismus, also Beschönigung, verwendet er, um gerade dadurch die Person oder Handlung, die er dadurch kennzeichnet, zu entlarven und lächerlich zu machen.

    Ein Beispiel aus dem zweiten Kapitel, bezogen auf Onkel Giles, mag dies verdeutlichen:


    [Onkel Giles war in Südafrika und] "ließ sich auf unkluge Handel mit Diamanten ein [...]. Das Unternehmen fand ein fast katastrophales Ende, und wegen der Haltung, die die örtlichen Behörden daraufhin annahmen, war es ihm unmöglich, sich in Port Elizabeth niederzulassen, wo er ursprünglich seinen Lebensunterhalt zu verdienen gedachte."


    Ein weiteres Beispiel bezieht sich auf Templer Senior, ebenfalls in diesem zweiten Kapitel, und diese Umschreibung finde ich wirklich genial, weil sie auf viele Leute zutrifft, die sich damit das Leben einfach machen, das bei uns sogenannte Stammtischdenken:


    Mr. Templer vertrat einige wenige einfache Überzeugungen, um die herum er sein Leben gestaltet hatte; und insgesamt gesehen hatten ihm diese Überzeugungen auch gute Dienste geleistet - größtenteils deshalb, weil sie zueinanderpassten und von genügend allgemeiner Anwendbarkeit waren, um sich in etwa neun von zehn Fällen als richtig zu erweisen.


    Das zweite Kapitel führt uns aus der Schule heraus in die Elternhäuser von Stringham und Templer und bringt wieder einige wirklich hervorragend geschilderte Typen in die Geschichte ein, von denen wir hoffentlich noch viel hören werden. Aber ich warte erstmal ab ... .

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()


  • aber mehr noch nehme ich an, dass er dem Bild Templers, er schleime sich in der Weideszene bei Le Bas ein, zumindest unbewusst widersprechen will und daher unmittelbar danach diesen ziemlich wüsten, aber auch wirklich originellen "Streich" auf den Weg bringt.


    Soweit hatte ich nicht gedacht, aber ja, das ist natürlich absolut plausibel.


    Zitat

    Für Le Bas am schrecklichsten, stelle ich mir vor, ist es, von seinen Kollegen noch jahrelang "Braddock alias Thorne" genannt zu werden :breitgrins:.


    :lachen:


    Ein bisschen schade finde ich, dass zumindest meine Ausgabe keine erläuternden Anmerkungen hat. Das würde mir helfen, das Buch noch besser zu würdigen, weil mir bestimmt aus Unkenntnis viele Andeutungen und Anspielungen entgehen.


    Dafür habe ich den Choral erkannt, der am Ende des 1. Kapitels gesungen wird: The Day Thou Gavest, Lord, Is Ended Den gibt es auch in deutscher Fassung und ich mag ihn sehr (allerdings am liebsten noch etwas schneller gesungen als hier).

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo ihr Lieben :winken:,


    ich habe nun auch das erste Kapitel gelesen und kann viele von euren Eindrücken nur bestätigen.




    Ich habe das 1. Kapitel gelesen und muss sagen, dass meine Bedenken, die ich hatte, nachdem ich kurz nach dem Kauf die erste Seite gelesen hatte, sich komplett zerstreut haben. Ich hatte Angst, dass ich es hier mit unverständlichem, geschwollenem Geschwafel zu tun kriege, aber nachdem ich mich innerhalb von wenigen Seiten in Powells zugegebenermaßen sehr elaborierten und eloquenten Stil eingelesen hatte, habe ich mich richtig wohlgefühlt mit dem Buch. Powells Art zu beschreiben und zu formulieren gefällt mir sehr gut.


    Hier ging es mir wie dir, Valentine, nach der ersten Seite, also quasi der Einleitung hatte ich auch Angst, mich erstens mit der englischen Ausgabe übernommen zu haben und zweitens mit dem Stil des Autors gar nicht zurecht zukommen, aber die Beschreibung der Begegnung mit Widmerpool auf der winterlichen Straße oder die Szenen in Stringham´s Studentenzimmer haben mich dann wieder versöhnt.


    In dem kurzem Vorwort, das meine Ausgabe enthält, wird erwähnt, dass Powell im Dezember 1905 geboren wurde und es durchaus für wahrscheinlich angesehen werden kann, dass die Romanfigur Jenkins, aus deren Sicht ja erzählt wird, diesen Geburtstag teilt. Da die Ereignisse im ersten Kapitel im Jahr 1921 stattfinden, habe ich Jenkins für 16 oder 17 Jahre alt gehalten und Stringham und Templer eben etwas älter.




    Komisch übrigens, wie der Erzähler seine Geschichte im Internat beginnen lässt ohne jegliche Hintergrundgeschichte. Als hätte sein Leben im Internat - oder vielleicht auch erst nach ein paar Jahren im Internat - begonnen. Er und seine Kumpels sind sozusagen nie ins Internat gekommen, sondern von Anfang an da, im Gegensatz zu üblichen Internatsgeschichten (man denke nur an "Harry Potter" oder "Hanni und Nanni"). Eltern werden nur ganz nebenbei im Zusammenhang mit dem Besuch von Onkel Sowieso erwähnt, sind aber ansonsten nicht von Bedeutung.


    Der Einstieg ist wirklich etwas plötzlich, aber da es sich hier ja um eine bestimmte Erinnerung an die Schulzeit handelt, macht es schon Sinn, dass der weitere familiäre Hintergrund und die frühere Kindheit dabei nicht ausgeleuchtet werden. Ich könnte mir vorstellen, dass man davon im weiteren Verlauf des Buches noch mehr erfährt.

    :lesen: Anthony Powell - The Kindly Ones <br /><br />Mein SUB<br />Meine [URL=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/32348.msg763362.html#msg763362]Listen

  • In der Upper Class in England ist es ja auch gang und gäbe, dass man ins Internat geht, also quasi nichts Besonderes, das viel Drumherum-Erklärung bräuchte.


    Ich gehe auch davon aus, das wir mit der Zeit noch mehr über Jenkins' Hintergrund erfahren werden. Aktuell ist er für mich auch noch ein wenig blass, aber nicht so, dass es mich stört.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Meine Ausgabe enthält allerlei Illustrationen, Gemälde, Fotographien, Werbeplakate aus der Zeit usw, so natürlich auch das titelgebende Gemälde von Nicolas Poussin.
    Ich persönlich tue mich etwas schwer, hier Jahreszeiten zu erkennen, mit der Deutung der vier Tänzer als Armut, Arbeit, Reichtum und Vergnügen kann ich da mehr anfangen. (Danke liebe Saltanah für den Link :smile:)




    Die Atmosphäre im Eliteinternat ist wunderbar eingefangen und auch die beiläufige Gemeinheit, mit der "Vergehen" wie das Tragen eines "falschen" Kleidungsstücks geahndet werden. Der arme Widmerpool wird das Mantelthema wohl nie mehr los (obwohl keiner mehr so genau zu wissen scheint, was eigentlich genau an dem Mantel verkehrt war), wenn sein Name schon zum Synonym für merkwürdige Kleidungsstücke geworden ist.


    Dieses Drama um den angeblich falschen Mantel fand ich sehr amüsant, auch wenn der arme Widmerpool damit sofort den Außenseiterstempel aufgedrückt bekommt und sich bald schon niemand mehr erinnern kann, was an dem Mantel denn nun tatsächlich so falsch und schlimm war. Daran hat sich aber wahrscheinlich nicht viel geändert, auch jetzt werden Jugendliche ausgeschlossen wegen falschen Klamotten oder Haarschnitten.
    Widmerpool ist wohl jemand, der schon sein eigenes Ding durchzieht (z.B. seinen Sport), aber wohl doch gerne Anschluss hätte, denn warum findet er es fast schon eine Ehre, von einem anderen, beliebteren Schüler mit einer Banane beworfen zu werfen? Ich denke mal, wir werden noch mehr über ihn erfahren und bin schin gespannt darauf.

    :lesen: Anthony Powell - The Kindly Ones <br /><br />Mein SUB<br />Meine [URL=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/32348.msg763362.html#msg763362]Listen

  • Valentine, vielen Dank für den Link zu diesem schönen Chorstück. Ich habe mir den Namen des Komponisten gleich rausgeschrieben und werde nachher danach googeln.
    Ich kann mir gut vorstellen, dass Jenkins nicht nur von Widmerpools Sangesintensität sondern von dem Stück allgemein gerührt war. Englische Chormusik ist schon was Wunderschönes, man denke nur an Thomas Tallis!