Anthony Powell - Eine Frage der Erziehung/A Question of Upbringing

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  • gelesen: alles


    Von Stringham bin ich enttäuscht, er hat sich - genau wie Templer - zu seinem Nachteil entwickelt. Zunächst fand ich sein Verhältnis zu Tuffy Weedon mehr als seltsam; sie verhält sich unglaublich übergriffig und Stringham findet das sogar gut. Irgendwie hatte ich die Idee, dass die beiden zusammenkommen, zumindest aus Tuffys Sicht wäre das bestimmt wünschenswert gewesen.


    Wie traurig das alles endet! Aber eigentlich war es klar. Es ist einfach so, nach der Schulzeit entwickeln sich alle in verschiedene Richtungen. Dass da die meisten Freundschaften auseinanderbrechen, ist nur eine logische Folge. Ich fand auch bemerkenswert, dass Jenkins das in diesem Moment klar wird. Nun steht er allein da, zumindest hat es den Anschein. Vielleicht freundet er sich mit Mark Members und/oder mit Quiggins an, wir werden es lesen :zwinker:.



    Das Ende war mir ein bisschen zu offen, ich hätte mir mehr Abschluss erhofft, für den Augenblick zumindest. Aber vielleicht ist der Romanzyklus eigentlich als ein großes zusammenhängendes Ganzes zu verstehen, in dem sich episodenhafte Kapitel aneinanderreihen.


    Ich finde den Schluss überhaupt nicht offen, denn ein Lebensabschnitt Jenkins' endet und im nächsten Band beginnt ein neuer.


    Saltanah
    Ich kann deine Kritikpunkte sehr gut nachvollziehen, es sind ja zum größten Teil auch meine. Allerdings überwiegt bei mir das Lesevergnügen. Die Beschreibung des Tennismatches fand ich witzig und ich finde es einfach spannend, wie die Leute miteinander interagieren und was für unterschiedliche Menschen es doch gibt. In vielen der Charakterbeschreibungen erkenne ich den ein oder anderen, den ich kenne oder gekannt habe.


    In diesem Zusammenhang noch ein klitzekleiner Kritikpunkt: Meiner Meinung nach hätten etwas ausführlichere Landschafts-/Wetter- und sonstige -beschreibungen dem Roman gutgetan hinsichtlich seiner atmosphärischen Dichte.


  • Klar gibt es das! Halt in anderer Form. Zum Beispiel in meinem beruflichen Umfeld...:rollen:


    Ja, klar, im beruflichen Umfeld schon. Ich meinte eher, ob es das an (englischen) Universitäten noch so gibt.


    Zitat

    Dieser Sillery ist furchtbar. Leider gibt es solche Menschen wirklich. Deren Lebensinhalt ist es ausschließlich, in die Leben anderer einzugreifen. Die g...n sich dran auf, andere wie die Puppen tanzen zu lassen und über Schicksale zu entscheiden.


    Grässlich! Oft genug sind das Menschen, die selbst nichts auf die Reihe gekriegt haben :rollen:


    Zitat

    Das ist mir insgesamt aufgefallen - ein Uni-Abschluss schien nicht (so wie heute) Usus oder sogar ein Muss in den "besseren" Kreisen zu sein. Da hatte ich eine ganz andere Vorstellung.


    Da hatte ich auch anderes erwartet. Ich dachte immer, die Jungs der High Society müssten alle studiert haben. Egal was, Hauptsache, Uni-Abschluss.



    Örn (der als Norweger eigentlich ein Ørn sei sollte, aber der Ich-Erzähler meinte ja selbst, er habe den Namen nie geschrieben gesehen)


    Hihi, den Gedanken hatte ich auch, dass Örn eher schwedisch als norwegisch wäre.


    Zitat

    Mitte der Zwanziger müsste es sein, aber deutlich wird das kaum.


    Es gibt schon eine zeitliche Einordnung (ziemlich am Anfang wurde mal das Jahr 1921 erwähnt und die Inflation in Deutschland), allerdings hätte ich es ohne diese explizite Erwähnung wohl auch nicht herausgelesen, wann das Ganze spielt.



    Aber eigentlich war es klar. Es ist einfach so, nach der Schulzeit entwickeln sich alle in verschiedene Richtungen. Dass da die meisten Freundschaften auseinanderbrechen, ist nur eine logische Folge.


    Für viele ist das ja der Punkt, an dem man zum ersten Mal im Leben so richtig merkt, dass einen viele Leute eben nur eine gewisse Zeitlang begleiten.


    Zitat

    Nun steht er allein da, zumindest hat es den Anschein. Vielleicht freundet er sich mit Mark Members und/oder mit Quiggins an, wir werden es lesen :zwinker:.


    Da bin ich auch gespannt. Oder es taucht jemand ganz anderes auf der Bildfläche auf.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich bin bis zur Mitte des 4. Kapitels gekommen.


    Das 3. Kapitel in Frankreich habe ich sehr gerne gelesen. Jenkins reist aus England ab mit dem Gefühl (oder dem Bedürfnis), in Jean, die Schwester von Peter Templer verliebt zu sein. Kaum in Frankreich angekommen, findet er aber schon in Suzette einen Ersatz für sie. Die Liebeserklärung am Ende des Kapitels fand ich köstlich, vor allem weil der arme Junge sie trotz der Verwechslung bis zum Ende durchzieht. :smile:


    Zufällig auch dort zu Besuch ist Widmerpool, der mir leider im Verlauf des Frankreichaufenthaltes etwas unsympathisch wird. Sein Versuch, die beiden skandinavischen Streithähne wieder zu versöhnen, ist ja
    löblich, aber auch keine große Heldentat.


    Mich stört gar nicht so sehr, dass wir nicht erfahren, warum Örn und Lundquist überhaupt so gestritten haben. Wir sehen die ganze Begebenheit aus der Sicht von Jenkins und der kennt den Grund eben nicht und einen allwissenden Erzähler, der uns die Sache erläutern könnte, gibt es wohl nicht.



    Das Kaffeekränzchen bei Sillery am Anfang des 4. Kapitels fand ich auch etwas seltsam. Sillery lädt anscheinend nur die seiner Schüler ein, die Verbindungen haben, die ihm etwas bringen könnten. Außerdem scheint es ihm Spaß zu machen, seine Gäste auch mit Bemerkungen zu provozieren oder das Gespräch in eine Richtung zu drängen, die einen Streit hervorrufen könnte. Was hat man von sowas? :rollen:


    Jenkins und Stringham treffen danach auf Peter Templer, der sich nicht gerade zu seinem Vorteil verändert hat und die beiden, zusammen mit zwei weiteren seiner Bekannten, zu einer Spritztour mit seinem neuen Wagen drängt. Unterwegs gabelt er dann zwei Mädchen auf, die sogar bereitwillig mitfahren, und baut einen Unfall. Jenkins, der immer dachte, Stringham wäre Templer näher als ihm, erkennt, dass die Freundschaft der beiden hier ihr endgültiges Ende findet.



    Von Jenkins selbst hat man immer noch nicht mehr erfahren. Seine Eltern oder sein Elternhaus tauchen gar nicht auf, nur Onkel Giles wird ab und an erwähnt. Es gibt ja auch in dem Sinne keinen wirklichen Handlungsstrang, sondern einfach die Beschreibung einzelner Begebenheiten mit verschiedensten Personenkonstellationen.
    Ich hatte das anders erwartet, bin bisher aber mit Jenkins Beobachtungen seiner Umgebung auch ganz zufrieden, auch wenn es eben eher einzelne Momentaufnahmen sind. :smile:

    :lesen: Anthony Powell - The Kindly Ones <br /><br />Mein SUB<br />Meine [URL=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/32348.msg763362.html#msg763362]Listen


  • Außerdem will er verliebt sein. Seine Erfahrungen mit Frauen mögen sich auf schwärmerische Distanz beschränken, aber er kann mit Fug und Recht behaupten, die Höhen und Tiefen der Liebe ausgekostet zu haben. Dass seine Gefühle nicht echt und nur Illusion waren, gibt er in der Rückschau sogar offen zu.


    Es heißt ja sogar am Anfang des 3. Kapitels "Jean Templer, with whom I decided to be in love with". Vielleicht wollte er einfach auch einmal eine Liebesgeschichte haben und hat sich dafür eben Jean ausgesucht, weil das die einfachste und greifbarste Kandidatin war. :smile:




    Saltanah
    Ich kann deine Kritikpunkte sehr gut nachvollziehen, es sind ja zum größten Teil auch meine. Allerdings überwiegt bei mir das Lesevergnügen. Die Beschreibung des Tennismatches fand ich witzig und ich finde es einfach spannend, wie die Leute miteinander interagieren und was für unterschiedliche Menschen es doch gibt. In vielen der Charakterbeschreibungen erkenne ich den ein oder anderen, den ich kenne oder gekannt habe.


    Das kann ich so unterstreichen. Ich finde die Beschreibungen der Teegesellschaften, Abendessen, Unternehmungen usw. so unterhaltsam, dass mich Jenkins Hintergrund oder die fehlende Auflösung aller Streitigkeiten und Intrigen gar nicht stört.

    :lesen: Anthony Powell - The Kindly Ones <br /><br />Mein SUB<br />Meine [URL=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/32348.msg763362.html#msg763362]Listen


  • Es heißt ja sogar am Anfang des 3. Kapitels "Jean Templer, with whom I decided to be in love with". Vielleicht wollte er einfach auch einmal eine Liebesgeschichte haben und hat sich dafür eben Jean ausgesucht, weil das die einfachste und greifbarste Kandidatin war. :smile:


    Das ist interessant und viel eindeutiger! In der deutschen Ausgabe steht: "[...] in die ich mich, wie ich fest überzeugt war, verliebt hatte, [...]".
    Das ergibt ja einen ganz anderen Sinn!

  • Der Fluch der Übersetzung mal wieder. Fast ein bisschen erschreckend, wie schnell das in eine sinnentstellende Richtung gehen kann.



    Mich stört gar nicht so sehr, dass wir nicht erfahren, warum Örn und Lundquist überhaupt so gestritten haben. Wir sehen die ganze Begebenheit aus der Sicht von Jenkins und der kennt den Grund eben nicht und einen allwissenden Erzähler, der uns die Sache erläutern könnte, gibt es wohl nicht.


    Ich hätte zwar gedacht, dass wir es vielleicht noch erfahren, aber Du hast völlig recht - Jenkins hat es nicht herausgefunden, also finden wir es auch nicht heraus.


    Mich stört es generell wenig bis gar nicht, dass es kein handlungsgetriebenes Buch ist, sondern im wesentlichen von Beobachtungen des Zwischenmenschlichen und der gesellschaftlichen Gepflogenheiten lebt. Im Gegenteil, ich finde diese höchst seltsame Welt ziemlich interessant, auch wenn ich nicht für Geld und gute Worte darin leben wollen würde.


    Nur an einem Punkt der Silleryschen Teegesellschaft habe ich mal kurz begonnen, mich ein bisschen zu langweilen, aber dann kam Templers Spritztour.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Mich stört es generell wenig bis gar nicht, dass es kein handlungsgetriebenes Buch ist, sondern im wesentlichen von Beobachtungen des Zwischenmenschlichen und der gesellschaftlichen Gepflogenheiten lebt. Im Gegenteil, ich finde diese höchst seltsame Welt ziemlich interessant, auch wenn ich nicht für Geld und gute Worte darin leben wollen würde.


    Normalerweise mag ich ja keine Bücher mit viel "action", also müsste dieses Buch eigentlich was für mich sein. Ist es aber sonderbarerweise nicht. Mir ist es viel zu geschwätzig; unendlich wortreich (zugegebenerweise auch wortgewandt) wird "nichts" erzählt.
    Ich habe heute vormittag das 3. Kapitel noch beendet, und was soll ich sagen - ich bin mitten drin wieder eingeschlafen. :todmuede:


    Es stimmt natürlich, dass Jenkins mangels eigenem Wissen nichts von der Streitursache der Skandinavier erzählen konnte, aber da zeigt sich für mich wieder der grundlegende Fehler in der Wahl der Erzählperspektive - ich finde ihm hätte ein allwissender Erzähler besser getan. Ich nehme es Jenkins auch nicht ab, dass er sich nach circa 25 Jahren so detailliert an unwichtigen Einzelheiten erinnert. Ein Beispiel (am Ende des Gespräches mit Dubuisson):


    Zitat

    As he [Dubuisson] strolled back across the lawn towards the house, he stowed away his pipe, which he seemed to use as a kind of emblem of common sense, in the pocket of his black alpacka jacket, which he wore over fawn tussore trousers.


    Ich nehme es ihm nicht ab, dass er sich an Dubuissons Kleidung in gerade dieser Situation erinnert. Vielleicht, wenn er Ambitionen zum Modedesign gezeigt hätte, aber nicht so. Hier spricht dann doch wieder ein allwissender Erzähler, den es ja eigentlich nicht gibt.
    Oder doch? Wenn mich nicht alles täuscht, wird Jenkins Schriftsteller werden. Er steht also nicht im Fenster, die Bauarbeiter im Schnee beobachtend und sich erinnernd (wie in der Eingangsszene beschrieben), sondern legt sich seine Memoiren so zurecht, wie es ihm in den Kram passt, und wie er sie als am effektvollsten empfindet. (Hier sehe ich natürlich von Powell, der natürlich der wirkliche allwissende Erzähler ist, ab und bleibe in der Logik des Romans.)


    Ob ich das vierte Kapitel noch lesen werde? Vielleicht wenn ich das nächste Mal Einschlafprobleme habe. :zwinker:

    Wir sind irre, also lesen wir!


  • Normalerweise mag ich ja keine Bücher mit viel "action", also müsste dieses Buch eigentlich was für mich sein. Ist es aber sonderbarerweise nicht. Mir ist es viel zu geschwätzig; unendlich wortreich (zugegebenerweise auch wortgewandt) wird "nichts" erzählt.


    Manchmal passt ein Buch halt einfach nicht zu einem, selbst wenn es eigentlich ins Beuteschema fällt.


    Zitat

    Ich habe heute vormittag das 3. Kapitel noch beendet, und was soll ich sagen - ich bin mitten drin wieder eingeschlafen. :todmuede:


    :lachen:


    Zitat

    Ich nehme es Jenkins auch nicht ab, dass er sich nach circa 25 Jahren so detailliert an unwichtigen Einzelheiten erinnert.


    Ich nehme das eher als künstlerische Freiheiten denn als echte Erinnerungen. Dass man das so spät alles noch so genau wissen kann, halte ich nämlich auch für ein Gerücht (manchmal kann ich mich kaum noch erinnern, was ich am Tag zuvor anhatte!)

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Es stimmt natürlich, dass Jenkins mangels eigenem Wissen nichts von der Streitursache der Skandinavier erzählen konnte, aber da zeigt sich für mich wieder der grundlegende Fehler in der Wahl der Erzählperspektive - ich finde ihm hätte ein allwissender Erzähler besser getan.


    Die Erzählperspektive finde ich passend, sie wird aber nicht richtig genutzt. Zum Beispiel der Streit zwischen den Skandinaviern: Es wäre gar nicht schlimm, dass wir den Anlass nicht erfahren, wenn Jenkins beispielsweise durchblicken lassen würde, dass er Debuisson nicht glaubt und den tatsächlichen Grund des Streits einfach nicht herausfinden konnte. Das würde ihn näher ans Geschehen rücken, ihn selbst greifbarer, menschlicher machen.


    Das Problem ist, dass der Erzähler die Distanz eines auktorialen Erzählers hat, aber der Leser eben nicht alles erfährt, wie es bei dieser Perspektive der Fall wäre. Gleichzeitig ist diese Distanz für eine Ich-Perspektive unpassend und irgendwo auch unglaubwürdig.

  • Ich hinke leider total hinterher - aber nicht, weil mich das Buch langweilt, sondern weil ich derzeit kaum zum lesen komme. Im Moment bin ich noch im 3. Kapitel, hoffe aber, dass ich es heute Abend beenden kann.


    Bisher gefällt mir das Buch immer noch sehr gut.


  • Nochmal zu Widmerpools sexueller Orientierung: Der flippt so aus, als er hört, dass Templer in London ein Mädel flachgelegt hat. Ist das nun Eifersucht, weil er scharf auf Templer ist oder neidet er ihm dessen Erfahrung?


    Vielleicht keines von beiden. Mir erscheint Widmerpool öfter wie ein Pedant, immer korrekt sein zu wollen und das auch von anderen zu verlangen. Seine Reaktion, als Jenkins in Frankreich Englisch mit ihm spricht oder als Jenkins ihm von Stringhams Streich erzählt, brachte mich auf den Gedanken.


    Widmerpool fand ich von Anfang an am Interessantesten. Der Frankreichaufenthalt offenbart so einiges über ihn. Er stammt also aus nicht so begütertem Hause, liegt da vielleicht der Ursprung seiner kritischen Art gegenüber den anderen Jungen im Internat. Ich will nicht behaupten, dass Neid eine Rolle spielt, eher hat seine Mutter in so geformt. Etwas großspurig empfinde ich ihn.
    Als er sich zum Vermittler zwischen den beiden Skandinavieren erhebt, bekam ich den Eindruck, dass er es genießt Menschen zu beeinflussen, in gewisser Weise so Macht auszuüben. Das würde auch zu seinem Plan später in die Politik oder Wirtschaft einzutreten passen. Er "übt" schon mal.


    Im 3. Kapitel wird ja arg auf den Klischees herumgeritten, wie sich diese oder jene Nationalität so verhält. :rollen: Aber seien wir doch mal ehrlich, so ist es doch oft heute noch.


    Dubuisson ist ein fürchterlicher Wichtigtuer und in Jenkins hat er scheints ein williges Opfer gefunden. Ob er diese Karikatur Widmerpools an die Wand gekritzelt hat?


    Jenkins Reaktion, als er Suzette zu treffen glaubte und es zu dieser unseligen Verwechslung kam, zeigt wie unerfahren er noch ist. Der Schreck und die Scham lähmten ihn, aus der peinlichen Situation zu entkommen und so zog er sie bis zum bitteren Ende durch. Ich muss gestehen, er tat mir kein bisschen leid.


    Jenkins Art zu erzählen, uns Häppchen zu servieren ohne je ins Detail zu gehen, könnte ja typisch für seine Kreise sein. Andeutungen machen, ohne wirklich zu viel zu offenbaren. Der Sinn des Buches besteht wohl nicht so sehr darin seine Entwicklung zu verfolgen, als die unterschiedlichen Eigenheiten jener Gesellschaftsschicht zu präsentieren. Er ist nur der Beobachter. Ich musste dabei an Tierfilmer denken, die hinter der Kamera ja auch kaum etwas über sich preis geben. Wichtig sind die vor der Kamera - die englische Oberschicht. Sicher, Jenkins gehört dazu, aber ohne diesen Umstand hätten wir keinen direkten Einblick.


  • Das Kaffeekränzchen bei Sillery am Anfang des 4. Kapitels fand ich auch etwas seltsam. Sillery lädt anscheinend nur die seiner Schüler ein, die Verbindungen haben, die ihm etwas bringen könnten. Außerdem scheint es ihm Spaß zu machen, seine Gäste auch mit Bemerkungen zu provozieren oder das Gespräch in eine Richtung zu drängen, die einen Streit hervorrufen könnte. Was hat man von sowas? :rollen:


    Mich hat diese Szene an Horace Slughorn erinnert, der im fünften Harry Potter vielversprechende Schüler und solche mit interessanten Verbindungen zu Teekränzchen bei sich versammelt. Es wäre interessant zu erfahren, ob Rowling hier Anleihen bei Powell genommen hat, oder ob dieser Lehrer - Typus an englischen Internaten/Colleges öfter vorkommt.


  • Jenkins Art zu erzählen, uns Häppchen zu servieren ohne je ins Detail zu gehen, könnte ja typisch für seine Kreise sein. Andeutungen machen, ohne wirklich zu viel zu offenbaren. Der Sinn des Buches besteht wohl nicht so sehr darin seine Entwicklung zu verfolgen, als die unterschiedlichen Eigenheiten jener Gesellschaftsschicht zu präsentieren. Er ist nur der Beobachter. Ich musste dabei an Tierfilmer denken, die hinter der Kamera ja auch kaum etwas über sich preis geben. Wichtig sind die vor der Kamera - die englische Oberschicht. Sicher, Jenkins gehört dazu, aber ohne diesen Umstand hätten wir keinen direkten Einblick.


    Bis auf die ersten beiden Sätze - wobei es sich einem enlischen Oberschicht-Autor mit dem entsprechenden "Sprech" eher anbietet, was ich im Folgenden schreibe - würde ich das genau so unterschreiben. Immer dann, wenn Jenkins direkt von der Handlung betroffen ist (wie bei dem Besuch des Onkels in der Schule oder am Ende, wenn er von Stringham versetzt wird) werden zwar auch kurz seine Gefühle und Reaktionen geschildert, aber das Ganze geht ganz schnell über in die Darstellung der anderen. Ich empfinde das allerdings nicht als Verlust oder gar als erzählerische Unehrlichkeit, wie es in dem einen oder anderen Beitrag anklingt, sondern als völlig verständliche erzählerische Entscheidung: Der Focus dieses Romanwerks liegt auf der Darstellung der Innenwelt der Außenwelt (ich glaube, es gibt sogar einen Romantitel, der so heißt, allerdings nicht von Powell) und nicht auf Jenkins Entwicklung: kein Entwicklungs-, sondern ein Gesellschaftsroman.


    Ich bin nun auch mit dem ersten Band fertig und durch das letzte Kapitel eher wieder beruhigt. Wenn ich zwischendrin den Eindruck hatte, es ginge mehr um den geschliffenen Ton als um den Inhalt, so zeigt gerade das letzte Kapitel doch deutlich den Umbruch und die Melancholie, die darin liegt. Jenkins und seine Freunde verabschieden sich von der Schulzeit; Wie eine Luftblase aus einem abgestandenen Sprudel taucht noch mal Le Bas auf, der aber schon so schemenhaft geworden ist, dass er sich gar nicht mehr richtig artikulieren kann und Jenkins muss zu seinem ungeliebten Onkel Giles, weil sein ehemaliger bester Freund weniger Interesse an ihm als an seiner neuen Flamme hat. Das ist bitter, aber wohl auch symptomatisch für eine Phase, durch die wir alle durchmüssen: also auch hier keine Entwicklung, sondern so eine Art gesellschaftliche Phase in der Altersgruppe zwischen Fisch und Fleisch.


  • Mich hat diese Szene an Horace Slughorn erinnert, der im fünften Harry Potter vielversprechende Schüler und solche mit interessanten Verbindungen zu Teekränzchen bei sich versammelt. Es wäre interessant zu erfahren, ob Rowling hier Anleihen bei Powell genommen hat, oder ob dieser Lehrer - Typus an englischen Internaten/Colleges öfter vorkommt.


    Ich denke, solche Zirkel gibt es überall, sowohl an Universitäten wie auch in Firmen oder anderen Institutionen, in denen man aufsteigen kann. Es ist von daher wenig verwunderlich, dass so etwas öfter in der Literatur vorkommt. Beim Lesen hatte ich auch ein Deja-vu, aber ich konnte es nicht einordnen. Harry Potter kann es in meinem Fall nicht sein...

  • Zu diesen Teerunden; Das ist wohl wirklich ein spezielles Merkmal der englischen Upper- und auch Middleclass, insbesondere in deren akademischen Kreisen. Egal, was man an englischer Literatur oder englischen Filmen, die diese Schicht thematisieren, liest oder sieht, solche Teegesellschaften kommen sehr häufig vor: Ob Unterhaltungsliteratur wie Jeffrey Archer oder etwas gehobener und älter P.G. Wodehouse oder anspruchsvollere Literatur wie Antonia S. Byatt, überall dort gibt es Teegesellschaften oder -treffen, insbesondere gerne in Colleges. Kann man zum Beispiel auch in der Inspector Lewis-Serie, die ja in Oxford spielt, beobachten.
    Bei uns gibt es natürlich auch solche Treffen, die ja auch der Vernetzung dienen, ob nun im beruflichen oder privaten Bereich, aber eher weniger traditionell und in viel vielfältigerer Form.


  • [...]Kann man zum Beispiel auch in der Inspector Lewis-Serie, die ja in Oxford spielt, beobachten.
    [...]


    Da hab ich's her :klatschen:. Danke, finsbury!


  • Mir erscheint Widmerpool öfter wie ein Pedant, immer korrekt sein zu wollen und das auch von anderen zu verlangen. Seine Reaktion, als Jenkins in Frankreich Englisch mit ihm spricht oder als Jenkins ihm von Stringhams Streich erzählt, brachte mich auf den Gedanken.


    Das erscheint mir auch so, ich habe es bloß nie erwähnt ( :rollen: :breitgrins: ). Er scheint immer ganz genau zu wissen, wie wer sich zu verhalten hat oder hätte. Das hält ihn aber nicht davon ab, selbst ab und an manipulativ zu sein ... vielleicht ist er scharf auf Einfluss, gerade weil er aus einfacheren Verhältnissen stammt?


    Zitat

    Im 3. Kapitel wird ja arg auf den Klischees herumgeritten, wie sich diese oder jene Nationalität so verhält. :rollen: Aber seien wir doch mal ehrlich, so ist es doch oft heute noch.


    Ja und ja! Mich haben die Klischees beim Lesen gestört, andererseits ist a) hier und da vielleicht doch was dran und sind b) Vorurteile leider immer noch nicht ausgestorben.


    Zitat

    Ich musste dabei an Tierfilmer denken, die hinter der Kamera ja auch kaum etwas über sich preis geben. Wichtig sind die vor der Kamera - die englische Oberschicht. Sicher, Jenkins gehört dazu, aber ohne diesen Umstand hätten wir keinen direkten Einblick.


    Das ist ein schräger, aber passender Vergleich!


    Sillerys Teekränzchen hat wirklich was vom Slug Club bei Harry Potter.



    Wie eine Luftblase aus einem abgestandenen Sprudel taucht noch mal Le Bas auf


    Schön gesagt :breitgrins:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Die am Ende verkorkste Spazierfahrt war typisch Templer, oder? Und auch Stringham zeigte sich ganz "in character", so unwohl wie er sich da gefühlt hat (ich konnte es ihm nachfühlen ...) Interessant, dass Stringham keine akademische Karriere verfolgen will, obwohl seine Mutter ja nicht so angetan scheint. Bei seiner Sprachgewandtheit hätte ich das fast erwartet.


    Da macht sich die Weiterentwicklung zumindest bei Jenkins Schulkollegen bemerkbar. Jeder muss seinen eigen Weg finden und da passen eben manche Verhaltensweisen und Personen nicht mehr dazu. Die Interessen verschieben sich, das Umfeld wechselt und stellt neue Ansprüche, so dass "Altes" abgelegt oder weniger beansprucht wird, so wie in Jenkins Fall, als Stringham ihn versetzt, weil er zu einer vielleicht wichtigen, tollen oder was auch immer Party möchte. Er hat hier klar Prioritäten gesetzt.


    Eure Bemerkungen zu den Teerunden habe ich mit Interesse gelesen. In britischen Romanen liest man oft über diese Gesellschaften. Es scheinen ja meist die gleichen Leute dazu eingeladen zu werden. Sie erinnern mich ein wenig an Stammtische, auch wenn das Umfeld ein ganz anderes ist.
    Ob sie heute wohl noch genau so häufig abgehalten werden wie früher?


    Was mich sehr erstaunte war das Wiederauftauchen von Le Bas. Man hatte fast den Eindruck, er wolle etwas von Jenkins, sein Zögern und die teilweise Umkehr, nachdem er Jenkins bereits verlassen hatte.


    Im letzten Kapitel wird ganz klar, dass die Schulzeit vorbei ist. Alte Beziehungen lösen sich und die Erinnerungen beginnen zu verblassen.

  • Kapitel 3 habe ich beendet.


    Widmerpool war für mich eine der tragenden Figuren in diesem Kapitel. Er wirkt auf mich sehr pedantisch, aber auch prüde - jemand, der nicht aus seiner Haut kann. Vielleicht liegt der Ursprung dieses Verhaltens darin, dass er eine sehr dominante Mutter hat.


    Dubuisson empfand ich auch sehr wichtigtuerisch und ziemlich unangenehm.


    Sehr amüsant fand ich die Verwechslung mit Madame Dubuisson. Jenkins wirkte durch dieses Verhalten sehr unreif und unerfahren. Und dadurch, dass er sich nachher auch noch fast einredete, dass vielleicht Madame Dubuisson das Objekt seiner Begierde gewesen sein könnte, zeigte für mich, wie sehr er noch sehr unreif ist und sich Gefühle fast einredet.


    Da wir im 4. Kapitel wieder auf Stringham stoßen und er sehr niedergeschlagen wirkt, drängt sich mir wieder mal der Gedanke auf, dass er evtl. manisch-depressiv ist? Denn es wechseln sich bei ihm die gutgelaunten Phasen mit niedergeschlagenen Phasen ab.


    Sillery scheint ja sehr manipulativ und intrigant zu sein. Da bin ich noch sehr gespannt, wie es weitergeht.


  • Was mich sehr erstaunte war das Wiederauftauchen von Le Bas. Man hatte fast den Eindruck, er wolle etwas von Jenkins, sein Zögern und die teilweise Umkehr, nachdem er Jenkins bereits verlassen hatte.


    Ja, finsburys Vergleich dazu ist wirklich treffend! Ich hab die ganze Zeit erwartet, dass er noch irgendetwas ultra Wichtiges sagt, weil er die ganze Zeit während seines Besuches so unentschlossen und deplatziert wirkt. Aber es kommt nichts - das fand ich befremdlich. Die ganze Szene trägt zumindest zu dem Eindruck bei, dass die Schulzeit endgültig vorbei ist.




    Sehr amüsant fand ich die Verwechslung mit Madame Dubuisson. Jenkins wirkte durch dieses Verhalten sehr unreif und unerfahren. Und dadurch, dass er sich nachher auch noch fast einredete, dass vielleicht Madame Dubuisson das Objekt seiner Begierde gewesen sein könnte, zeigte für mich, wie sehr er noch sehr unreif ist und sich Gefühle fast einredet.


    Wir lachen ja alle über Jenkins' Aktion, aber was hat er für andere Möglichkeiten? Die Verwechslung zugeben? - Peinlich für ihn, verletzend für Madame Debuisson. Abbrechen und stiften gehen? - Noch peinlicher. So gesehen hat er eigentlich kaum eine Wahl, um sein Gesicht zu wahren und ihre Gefühle nicht zu verletzen.