Tracy Chevalier - Der Ruf der Bäume

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    Zum Inhalt:


    Amerika, Mitte des 19. Jahrhunderts: Die Goodenoughs träumen von fruchtbarem Ackerland im Westen, bleiben aber mit ihrem Planwagen kläglich im Sumpfland von Ohio stecken. Der verzweifelte Versuch, hier eine Apfelplantage anzulegen, endet tragisch. Fasziniert von Erzählungen über Bäume, die angeblich in den Himmel wachsen, zieht der jüngste Sohn Robert weiter westwärts, bis nach Kalifornien. Doch am Ziel seiner Träume wird er von seiner tragischen Familiengeschichte eingeholt.


    Zur Autorin:


    Die Amerikanerin Tracy Chevalier, Jahrgang 1962, hat bisher acht historische Romane geschrieben. Ihr zweiter, „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“, wurde zum Weltbestseller und mit Scarlett Johansson und Colin Firth in den Hauptrollen verfilmt. „Der Ruf der Bäume“ ist nach „Zwei bemerkenswerte Frauen“ und „Die englische Freundin“ ihr dritter Roman bei Knaus. Tracy Chevalier lebt mit ihrer Familie in London.


    Meine Meinung:


    Tracy Chevalier hat einen ganz eigenen Erzählstil, den ich schon aus ihren allerersten Büchern, z.B. „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ sehr schätze. Unaufgeregt und als Meisterin der leisen Töne zeigt sie sich auch in ihrem neuen Buch „Der Ruf der Bäume“. Es handelt sich um eine generationsübergreifende Familiengeschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im ländlichen Nordamerika. Das junge Ehepaar Goodenoughs wagt die Planwagenreise in den verheißungsvollen Westen, kommen aber nur bis Ohio, wo sie schließlich eine kleine Apfelplantage gründen. Aber das Leben ist nicht leicht und schmerzliche Verluste und Streit bis hin zur Gewalt zerrütten die Ehe und belasten die ganze Familie. Dies ist auch einer der Gründe, warum Sohn Robert sein Glück in Kalifornien sucht. Er folgt dem Ruf der Mammutbäume und hofft dort auf mehr Glück. Aber geprägt von seinen Kindheitserfahrungen ist er ein Mensch, der sich schwer mit Nähe und Vertrauen tut und auf andere Art ist auch sein Leben ein schweres.


    Durch Briefe und Perspektiv- und Zeitsprünge erhält der Leser tiefe Einblicke in das Innere einer amerikanischen Familie. Die menschlichen Abgründe und Verwicklungen werden ebenso eindringlich wie nüchtern beschrieben. Die Tragik und Dramatik liegt in den Schicksalsschlägen, die die Familie erschüttern, auch in den Unbillen der Natur und den unerfüllten Wünschen der Protagonisten, die letztendlich alle nicht aus ihrer eigenen Haut können.


    Das Buch hat mich auf stille Weise gefesselt und begeistert. Ich mag den menschlich einfühlsamen Ton, den Tracy Chevalier auch dann trifft, wenn sie über die Schwächen der Protagonisten schreibt . Es ist ein ruhiges trauriges Buch. Ich habe es sehr gerne gelesen.


    5ratten

    :lesen:





  • Äpfel satt und Bäume noch und nöcher und was für welche: nämlich die riesigen Redwoods und Sequoien im Westen der Vereinigten Staaten dominieren das Leben von Robert Goodenough, wobei Erstere im Osten des Landes wachsen und seine Familie ernähren. Sie prägen also seine Jugendzeit, die ansonsten von durchaus harten Erfahrungen dominiert werden: seine Eltern gehen lieblos, ja brutal, miteinander und auch mit den Kindern um. Einen familiären Umgang voller Liebe und Achtung lernen sie nicht kennen und verhalten sich entsprechend - nur Robert und seine sanfte Schwester Martha sind anders, werden jedoch früh getrennt, als die Familie auf die denkbar gewaltsamste Weise auseinanderbricht. Dadurch wird Robert fortgetrieben und landet nach einer längeren Odyssee in Kalifornien - einmal durch quer durch den Kontinent zieht es ihn also.


    Daher war ich nicht wenig überrascht von meinem Fazit nach Beenden des Romans: Manchmal muß man mit der Nase auf sein Glück gestoßen werden, das war es, was ich - und Robert Goodenough - aus den Ereignissen mitnahm. Doch manchmal ist es ein langer und steiniger Weg dahin, wie seine Geschichte und damit diejenige der gesamten Familie Goodenough und ihres Umfeldes zeigt! Und sie geht längst nicht für alle Beteiligten glücklich aus, denn es ist ein Haufen dunkler Charaktere, der sich da zusammengefunden hat, bzw. sich zu den vereinzelten Lichtgestalten gesellen. Dazu kommen wohl die schwersten Lebensumstände, die man sich vorstellen kann.


    "Mein Freund, der Baum": das wäre ein Satz, den Robert Goodenough wohl niemals sagen würde, doch wenn man ihn fragen würde, ich bin sicher, er würde Bäume als seine Freunde bezeichnen - mehr als die meisten Menschen.


    Obwohl das Thema kein einfaches ist und nicht nur eine tragische Seite ofenbart - nein, es sind viele Facetten, weist der Roman keineswegs eine düstere Grundnote auf. Wie erwähnt, tauchen im Handlungsverlauf zahlreiche Charaktere mit unliebsamen Eigenschaften auf, doch den meisten davon bringt man als Leser zumindest in einer Situation Verständnis entgegen oder kann ihr Handeln in der jeweiligen Lage, in der sie sich befinden, zumindest nachvollziehen.


    Doch eines wird ganz deutlich: es ist nicht unsere Welt, diejenige der Siedler und Pioniere in den Vereinigten Staaten des 19. Jahrhunderts, aber wie spannend und bereichernd ist es, der Autorin Tracy Chevalier in diese zu folgen!


    Die Wendungen vor allem in Roberts Leben werden mit so viel Charme geschildert, dass ihnen trotz der Härte, der er und auch die anderen Figuren ausgesetzt sind, eine gewisse Leichtigkeit innewohnt. Und der so oft bemühte Zauber sowieso, denn die Autorin schreibt sowohl (lebens) klug und eloquent, als auch fesselnd und eindringlich. Zudem hat sie hervorragend recherchiert. Ich jedenfalls habe das Buch erst aus der Hand gelegt, als ich die letzte Seite umgeblättert hatte!
    5ratten

    Einmal editiert, zuletzt von TochterAlice ()

  • In "Der Ruf der Bäume" kehrt Tracy Chevalier in den Mittleren Westen der USA zurück.


    Auf dem Weg nach dem von Träumen überladenen Westen bleiben Sadie und James Goodenough 1838 im Sumpfland Ohios stecken. Im wahrsten Sinne des Wortes gestrandet, beschließen sie, ihren Traum von einer Apfelplantage im Black Swamp umzusetzen. Doch es ist keine einfache Situation, denn bitterkalte Winter und heiße Sommer, die Sumpffieber mit sich bringen, zeichnen eine unwirtliche Gegend, die nicht selten Menschenleben kostet. Aber Sadie und James sind unerbittliche, leidenschaftliche Pioniere, die auch nach Schicksalsschlägen fast alles geben, um ihren Traum leben zu können...
    Erst ihr jüngster Sohn, Robert, wird wieder gen Westen ziehen - im Zuge des Goldrauschs, der viele Abenteurer und Siedler erfasst. Natürlich bedeutet diese Reise nicht, dass sich das harte Leben der Goodenoughs nun in Glück wandelt.


    Tracy Chevalier erzählt gewohnt gekonnt vom Leben einfacher Menschen, die ein hartes Leben führen, um ihren Träumen näher zu kommen. Dazu gehört eine Menge Entschlossenheit, eine große Portion Opferbereitschaft und der Wille, auch an einer Stelle Wurzeln zu schlagen, die man nicht als seine neue Heimat auserkoren hat.


    Wie schon in anderen Romanen beweist die Autorin ihr Talent für glaubhafte Charaktere, die sehr gut recherchiert für ihre Zeit und ihre Lebensumstände stehen. Durch den Wechsel der Erzählperspektiven ist es mir ganz zu Anfang nicht ganz einfach gefallen, mich in die Geschichte einzulesen, aber die Idee des Romans hat mich sofort fasziniert. Einfühlsam und zugleich ohne Ausschweifungen erzählt Tracy Chevalier vom schwierigen Leben des Ehepaars Goodenough, das auch das Leben des Sohnes für immer prägen wird. Gerade die gewählten Mittel wie beispielsweise eingestreute Briefe, ermöglichen tiefe Einblicke und zutiefst menschliche Eindrücke.


    Kein Buch, das ich schnell verschlingen, sondern in das ich eintauchen und dessen Charaktere ich verstehen und begleiten wollte. Ein ruhiges Buch, das mich nachdenklich gemacht und mir das Leben der zahllosen einfachen Pioniere der Vereinigten Staaten näher gebracht hat.


    5ratten

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Die Goodenoughs hatten große Träume, als sie nach Ohio gezogen sind, doch in Wahrheit ist es ein hartes Leben, für das sie ihr altes Zuhause aufgegeben haben. Die Sümpfe bringen nicht nur schwer zu bestellendes Land und unglaublich zähen Schlamm mit sich, in dem oft genug die Planwagen der Siedler einfach steckenbleiben, so dass diese sich der Einfachheit halber vor Ort niederlassen, sondern sorgen auch für ein unwirtliches Klima mit ewiger Feuchtigkeit und Insektenscharen. Das jährlich wiederkehrende Sumpffieber wird schon als gegeben hingenommen und hat die Goodenoughs bereits mehrere Kinder gekostet.


    Während Mutter Sadie abgestumpft, gerne jeden ihre scharfe Zunge spüren lässt und sich jedes bisschen Vergnügen nimmt, das sie kriegen kann, träumt Vater James immer noch von einer florierenden Apfelplantage, inbesondere mit seinen Lieblingsäpfeln, den Goldpeppings, die fast wie Ananas schmecken. Sadie hasst die Apfelbäume aus tiefster Seele, sie will lieber heute als morgen weg und verabscheut alles, was die Familie an dieses Stückchen Erde fesselt, das doch nur Mühe und Plackerei beschert.


    Robert, den jüngsten Sohn, zieht es noch weiter nach Westen. Zunächst folgt er dem Goldrausch, findet dann aber in Kalifornien eine ganz andere Faszination: die dort heimischen Mammutbäume haben es ihm angetan, und er freundet sich mit einem Naturforscher an, der Sequoias und Redwoods nach England bringen möchte, wo man ganz verrückt nach exotischen Pflanzen ist.


    Das Leben der Siedler und Abenteurer im Amerika des frühen 19. Jahrhunderts ist weder im sumpfigen Ohio noch im sonnenverbrannten Kalifornien ein einfaches, und wer sich den schnellen Profit verspricht, wird hier wie dort enttäuscht. Es braucht Pioniere wie James Goodenough, die bereit sind, sich zu schinden und die Hoffnung nie aufzugeben - auch wenn James eher zu den Glücklosen zählt.


    Roberts langer, zäher Weg nach Westen wird zunächst nur in Form der Briefe erzählt, die er immer zu Neujahr an seine Familie in Ohio schreibt - ein hübscher Erzählkniff, der eine große Neugier weckt, die zum Glück dann noch mit mehr Details, teils durchaus dramatischer Natur, gestillt wird. Dass Robert sich lieber den Bäumen als dem Gold widmet, klingt vielleicht unspektakulär, ist aber so spannend geschildert, dass ich beim Lesen einiges nachgeschlagen habe. Einige der im Buch erwähnten Baumriesen kann man auch heute noch im Nationalpark betrachten, und es treten auch ein paar historisch belegte Persönlichkeiten im Buch auf wie der Naturbursche "Johnny Appleseed" oder der Forscher William Lobb, mit dem Robert schließlich zusammenarbeitet.


    Ein wirklich lesenswerter Roman, insbesondere für alle, die Bäume mögen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Johnny Appleseed ist in den USA wohl in unserer Zeit zu einer Art Kinderheld mutiert (worden), der den Kindern süße rotbackige Äpfel bringt. Die Tatsache (!), dass die Früchte seiner Bäume vorwiegend zur Herstellung von Apfelschnaps dienten (mit den beschriebenen Folgen..), hat jedenfalls in einer US-stämmigen Freundin Entsetzen ausgelöst..


    Diese Regel, dass einem das staatseigene Land nur dann dauerhaft gehört, wenn man innerhalb einer bestimmten Zeit eine festgeschriebene Zahl an Obstbäumen pro Fläche anpflanzt, hat mich an die hiesigen Regeln für "Einheimischengrundstücke" erinnert: Wir haben so etwas tatsächlich hier auch (wenn auch wahrscheinlich mit weniger rechtlichen Konsequenzen - hab's nicht ausprobiert.. ;)).


    Ich fand dieses Buch wie bisher alle von Tracy Chevalier jedenfalls gut recherchiert und gut geschrieben. :)

  • Die Tatsache (!), dass die Früchte seiner Bäume vorwiegend zur Herstellung von Apfelschnaps dienten (mit den beschriebenen Folgen..), hat jedenfalls in einer US-stämmigen Freundin Entsetzen ausgelöst..

    Da ist wohl eine mythische Figur vom Sockel gestürzt ;)


    Das Thema Most-/"Schnaps"äpfel versus Speiseäpfel wird im Buch ja auch angesprochen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich fand es auch sehr interessant, die "namentlich" erwähnten Riesenbäume nachzuschauen. Viele davon gibt es ja noch - sogar den armen Baum, der komplett entrindet wurde.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen