Helmut Oehring - Mit anderen Augen

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    Helmut Oehring - Mit anderen Augen


    btb-Verlag,Dezember 2012 - 256 Seiten


    Inhaltsangabe (übernommen aus s.o.):
    Helmut Oehring ist hörendes und sprechendes Kind gehörloser Eltern. Erst mit vier Jahren kommt er mit der Welt der Hörenden in Kontakt – eine fremde und meist feindselige Welt. Doch dann entdeckt er etwas, das ganz ihm gehört: die Musik. Und wird als völliger Autodidakt zu einem der wichtigsten zeitgenössischen Komponisten. Oehring erzählt eine Lebensgeschichte, in der man aus dem Lachen, Weinen und Staunen nicht herauskommt. Er erzählt, wie sein gehörloser Bruder dreimal Republikflucht begeht, angeschossen wird, ins Gefängnis muss und dann später im Westen von einem Auto überfahren wird. Wie der Vater als gehörloser Torsteher des legendären Dresdener SC sportliche Triumphe bei den Hörenden feiert. Oder wie die Schulleitung den jungen Oehring ins Heim schicken will, weil er dabei erwischt wurde, wie er in seiner Wut mit dem Luftgewehr vom Balkon auf Leute schießt. Die Schulleitung bestellt die Eltern ein. Oehring muss übersetzen …


    Leseeindruck :
    Ein Buch, bei dem mir der Einstieg erst einmal sehr schwer fiel - solch fragmentarischer und impressionistischer Stil ist nicht mein "gewohnheitsmäßiges Lesematerial". Gleichwohl fand ich den thematischen Zusammenhang zwischen Sprache und Musik eben ungemein interessant, und insgesamt bin ich sehr froh, das Buch gelesen zu haben.
    Von seinen 3 Sprachen - Gebärdensprache, gesprochene Sprache und Musik - ist für mich allerdings die musikalische Sprache des Autors auch die unverständlichste geblieben. Er ist ein "preisgekrönter" moderner Komponist und man müsste sich sicherlich ausführlicher mit seiner Musik beschäftigen, um sie verstehen zu können. Lediglich aus dem Text des Buches erschließt sich mir wenig - aber vielleicht war ich auch oft einfach ein zu ungeduldiger Leser..
    Die fragmenthafte Sprache des Buches - in einigen Fällen auch der Versuch einer direkten Übertragung der Gebärdensprache - ist zunächst gewöhnungsbedürftig, hat aber ihren Reiz. Wenn man es schafft, sich darauf einzulassen, vermittelt sie oft ein unmittelbares und schlaglichtartiges Gefühlsbild der einzelnen Situationen - es handelt sich eben um dieses und nicht um "konventionelles" Erzählen.


    Vieles, was der (auch vorhandene) Erzählfaden berichtet, ist erschreckend (Einsamkeit, heftiges Mobbing in der Kindheit, soziale Schwierigkeiten bis hin zur Kriminalität..) - wie stark muss ein Charakter in der Grundsubstanz sein, um all diese Probleme zu überwinden und zu einem kreativen und am Ende anscheinend doch glücklichen Leben zu finden..


    Einen speziellen Platz finden Beschreibungen der Verhältnisse in der ehemaligen DDR - obwohl auch kein unkritischer Bewunderer des Westens*, finden sich viele Textstellen, die zeigen, als wie repressiv Helmut Oehring (Jahrgang 1961) das System erlebt hat.


    (*Zitat S. 156: )
    "Dass sich ein Lied wie "Patrona bavariae" weltweit siebzehn Millionen Mal verkauft, ist ja auch für irgendwas ein Zeichen. Unterhaltung ist Menschenrecht. Ein Prosit der Gemütlichkeit. Aber, wenn der Topf nun einmal ein Loch hat - egal. Kein Sex keine Affären kein Kindersterben keine Nazis kein Öl im Ozean kein Artensterben kein Giftmüll keine explodierenden Atomkraftwerke keine Wasserknappheit keine Taliban. Idylle. Siebenhunderttausend verkaufte Exemplare vom Gartenundgemüseblatt "Landlust". Seitenlang Petersilienthemen. Gurkenphilisophie."


    Fühle mich außerstande, hier eine einigermaßen objektive "Bewertung" in Punkten zu vergeben.

    Einmal editiert, zuletzt von Alice ()

  • Uh, wenn ich mir das Zitat so anschaue, hätte ich das wohl keine dreißig Seiten durchgehalten :entsetzt:


    Schade, denn thematisch klingt das Buch interessant.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Es ist nicht die ganze Zeit so.
    Es gibt viele "normale" Erzählpassagen, in denen die Sprache sehr einfach ist - die Sätze sind meist sehr kurz, teilweise auch nur Halbsätze.
    Andererseits gibt es Stellen, die in reiner Lautschrift geschrieben sind.. einfach sehr.. ungewöhnlich.
    Nachdem ich mich einmal aufgerafft hatte, hab' ich das Buch innerhalb eines Tages durchgelesen - was wahrscheinlich viel zu schnell war. Abbrechen war keine Option.


    Ich bin wohl im Endeffekt doch ein Anhänger der durchformulierten Sprache - aber als Stilmittel ist dieser telegrammartige Stil für Situationsbeschreibungen, für die ich selbst viel zu VIELE Worte brauchen würde, durchaus wirksam. Er hat so was Arno-Schmidt-artiges, ohne wie manchmal bei diesem auf mich so.. "künstlich" zu wirken (künstlich und künstlerisch ist ein interessantes Wortpaar, hm..??). Aufgrund seiner Sprachgeschichte "nimmt man es ihm ab".