Tommy Schmidt - Heaven's Gate

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    Klappentext:
    Wer bestimmt darüber, wie und wann wir sterben? Tommy Schmidt wirft einen komischen und provokativen Blick auf ein wichtiges politisches und gesellschaftliches Thema. Satirisch zugespitzt, streitbar und unterhaltsam.


    Satirischer Roman - oder realistische Zukungtsvision? Deutschland in einer nicht allzu fernen Zukunft: Lasse Wiesenthal ist erfolgreicher Eventunternehmer, Ende fünfzig und unheilbar krank. Die Ärzte sagen ihm einen jahrzehntelangen Leidensweg mit einem langsamen, aber unaufhaltsamen Verfall voraus. Statt sich diesem Schicksal zu ergeben, plant er seinen Freitod durch Sterbehilfe. Es soll ein Abschiedsfest sein.
    Und das ist dann auch gleich eine Geschäftsidee: Sterben als das ultimative Event! Man kann mit Geld oder Organen bezahlen, denn sowohl aktive Sterbehilfe als auch Organhandel sind inzwischen gesetzlich liberalisiert. Er baut ein Eventcenter, das Heaven's Gate, das auch von Kranken- und Rentenversicherungen mitfinanziert wird.


    Dumm nur: Wie viele große Bauvorhaben verzögert sich die Fertigstellung um Jahre: Proteste, Naturschutz, Pfusch, Schwarzarbeiter, Mafia, Bombenblindgänger, Betrug, alles, was passieren kann, passiert auch. Währenddessen steuert Lasses Leben unabänderlich auf sein Ende zu.


    Sterben als das ultimative Event! Ein satirischer Blick auf ein wichtiges gesellschaftliches Thema.


    Schreibstil:
    Als ich begann das Buch zu lesen, empfand ich den Schreibstil als sehr befremdlich. Nach etwa 50 Seiten musste ich jedoch feststellen, dass das wohl daran lag, dass ich vorher so viel High Fantasy gelesen hatte und mich erst einmal in der "normalen Welt" wieder zurechtfinden musste.
    Somit kann ich also sagen, dass Schmidt einen sehr leichten, angenehmen und charmant witzigen Stil mit sich bringt, der einen fast schon dazu zwingt weiterzulesen.


    Meine Meinung:
    Mich hat die Idee sofort begeistert und ich musste mich für dieses Buch bewerben. Denn ich selbst denke oft darüber nach, wie es wäre, wenn man die aktive Sterbehilfe legalisieren würde.
    Als ich dann anfing zu lesen, war es schwer für mich der Geschichte zu folgen und mich an den Schreibstil zu gewöhnen.
    Aber das lag wohl wie gesagt eher daran, dass ich vorher so viel Fantasy gelesen hatte.
    Nachdem ich mich also in der "richtigen Welt" wieder eingefunden hatte, machte es mir viel Spaß das Buch zu lesen.
    Es gab jedoch noch eine kleine Sache, die mich irritierte: Die Jahreszahlen. Wenn man solch einen Zukunftsroman schreibt, sollte man auch einen realistischen Abstand zum Hier und Jetzt wählen. Ein in 2017 herausgegebener Roman, der von einer Welt ausgeht, in der nicht einmal 10 Jahre später solch ein heftiger Wandel vorgegangen sein soll, schien für mich sehr unrealistisch. Zumal es um ein solch kontrovers diskutiertes Thema geht.
    Ich entschied mich also dazu einfach zu ignorieren, dass es "schon gleich" solch eine Welt geben sollte und einfach noch ein paar Jahrzehnte gedanklich draufzuschlagen. Nachdem ich das für mich getan hatte, war es interessant den langjährigen Prozess des Baus zu begleiten, da ich mir vorstellen kann, dass es ganz genau so abläuft, wenn man etwas neues in der Stadt Berlin (oder auch jeder anderen kleinen, oder großen Stadt) bauen möchte. Behörden, Ämter, Anträge... So läuft das System.


    Ich hatte eine Menge Spaß beim Lesen und kann das Buch weiterempfehlen.
    Der Ansatz und der Umgang mit dem Thema aktive Sterbehilfe gefällt mir sehr.


    :tipp: 5ratten

  • Meine Meinung:


    Lars Wiesenthal organisiert seit Jahren Rockkonzerte, Bühnenshows und Spektakel. Er ist der Mann, wenn es um Events geht. Mit seiner Agentur „Lasse’s passieren“ hat vor Kurzem wieder ein neues Level erreicht: er hat die Niederkunft einer Celebrity als Event aufgezogen und damit alle Einschaltquoten gesprengt. Als er nun die Nachricht seine Arztes erhält, dass er an einer schweren Krankheit leidet, nach und nach seine Bewegungsfunktionen verlieren und dann sterben wird, ist das also noch lange kein Grund für Lars, genannt Lasse, sich aus dem Business zurückzuziehen. Kurzerhand beschließt er mit seinem letzten Knall zu gehen und macht das Sterben zum Event. Er legt den Grundstein zu „Heaven’s Gate“, einem Center, in dem jeder selbst bestimmen kann, wie und wann er sterben möchte. Und er will selbst sein erster Gast sein.


    Ich mache ja gerne mal einen Ausflug in die Zukunft, die uns Autorinnen und Autoren so anbieten. Nun spielt das Buch zwar in die Zukunft hinein, aber das Hauptthema ist es nicht und so zeigt es nur wenig Aspekte, die sich zum Heute hin ändern. Das macht aber gar nichts, denn die Satire von Tommy Schmidt schaut mit einem lockeren Blick auf ein sehr ernstes Thema: aktive Sterbehilfe. Und auch wenn mich das Thema vorher nicht beschäftigt hat, so tut es das nun. Wie sinnvoll ist es, darauf zu warten, zu sterben, wenn man unheilbar krank ist? Nutzt man die Jahre und hofft auf wundersame Rettung? Auf ein Heilmittel, welches doch noch auftaucht? Oder entscheidet man sich hier und jetzt dafür, so Abschied zu nehmen, wie man möchte? Will man sich – oder seinen Angehörigen - Jahre an Schmerzen und Leiden sparen?


    Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Denn das „Heaven’s Gate“ bietet jedweder Couleur an Sterbewilligen die Möglichkeit, sich zu verabschieden. Auch ohne unheilbare Krankheit. Sinnvoll oder nicht? Nun ja, es wäre kein augenzwinkernder Blick darauf, wenn sich nicht auch die Politik davon Renteneinsparungen versprechen würden und die pensionierten Beamten auf die Barrikaden gingen. Und letztendlich dauert es eine ganze Weile, bevor die letztendliche Entscheidung gefällt ist, da sich der Bau des „Heaven’s Gate“ in das zweite Flughafendesaster wandelt: Demonstranten, Flüchtlinge, Feldhamster, wahnsinnige (und leider falsch rechnende) Architekten, Leichen im Fundament – es scheint als ob das Zentrum nie fertig werden wollen würde. Und derweil all das den Bau verzögert, wird Lasse immer kränker, seine Gliedmaßen werden nach und nach taub, sein Sohn übernimmt die Führung.


    „Also, Lasse, du hast da neulich was gemailt zum Thema Phowa-Meditation. Das hat uns nochmal brainstormen lassen, wie wir die Customer Experience noch nach vorn raus erweitern können. Da liegt noch jede Menge Potenzial! Für das Heaven’s Gate bedeutet das, dass wir weit vor einem geplanten Abschied bereits Dienstleistungen anbieten. […] Als Added Values, weitere positive Aufladung des Markenkerns und eigenständiges Profitcenter.“ (S. 56)


    Es war richtiggehend gruselig, wie sehr mich manche Stellen an mein eigenes Leben erinnert haben, und auch wenn es mir mitunter den Spiegel vors Gesicht gehalten hat, hab ich doch – zum Glück – meistens darüber schmunzeln und auch einige Male herrlich darüber lachen können. Der Blick auf die Realität sollte immer über eine Satire erfolgen. Es ist einfach zu herrlich. So gelingt dem Autor damit nicht nur, die Business-Welt auf die Schippe zu nehmen, sondern das ernste Thema der Sterbehilfe elegant zu verpacken. Eine Lektüre, die Spaß macht, aber auch gleichzeitig zum Nachdenken anregt.


    Das alles wird durch Lasse Wiesenthal getragen, durch den die Geschichte erzählt wird. Sein langsamer Verfall, der nur mehr als langsam voranschreitende Bau des „Heaven’s Gate“ und die gut gemeinte Übernahme durch seinen Sohn lassen Lars reflektieren und bieten eine spannende Vergangenheit, in der er alles mitgenommen hat, aber auch einige zurückgelassen hat. Ein ehrlicher Blick zurück und ein keineswegs unrealistischer Blick in die Zukunft. Mit guten, aber auch mit schlechten Eindrücken über die aktive Sterbehilfe. Segen oder Fluch? Hilfe für Schwerkranke oder kostensparendes Mittel für die überalternde Gesellschaft?


    Fazit:
    Vom herzhaften Lachen bis zum Kloß im Hals – hier ist alles dabei. Tommy Schmidt präsentiert einen ernsten aber nicht todernsten Blick in die sehr nahe Zukunft. Bedenkenswertes Thema, satirisch verpackt. Sehr gelungen.


    4ratten

    Grüßle, Christina