Johann Wolfgang von Goethe - Die Leiden des jungen Werther

Es gibt 138 Antworten in diesem Thema, welches 41.806 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von sandhofer.

  • Alles aus heutiger Sicht nicht falsch, aber wer sich die Literatur um 1800 mal anschaut, der wird feststellen, dass der Werther damals einschlug wie eine Bombe. Die verarbeiteten Themen - ins Extrem getriebene Empfindsamkeit, Darstellung eines Suizid aus der Perspektive des Helden - und zwar ohne moralische Verurteilung, libidinöse Dreiecksbeziehung: das verursachte eine enorme Bugwelle. Viele Autoren, darunter Jean Paul und Ludwig Tieck, führten den Werther in ihren eigenen Schriften ausdrücklich an. Es entstand einerseits ein Werther-Kult mit drolligen Auswüchsen und allem, was eben zu kultischen Verehrungen dazugehört, ein Dresscode, eine Andenken- und Devotionalienwirtschaft... andererseits gab es hysterische Abwehrreaktionen vor allem aus konservativ-klerikalen Kreisen.


    Es brauchte wohl einen moralisch skrupelfreien Autor wie J.W. Goethe, um so einen Befreiungsschlag loszulassen. Das, genau das, ist die Bedeutung der Geschichte: es war ein Dammbruch, der damals ganz neue Themen und Sichtweisen ermöglichte. Der Werther ist eine der wichtigsten Schriften der deutschen Literaturgeschichte. Liest man ihn ohne diese historische Dimension, kommt natürlich ein ungerechtes Urteil dabei heraus.


    Einen Einwand, wenn er auch nicht auf meinem Mist gewachsen ist, muss ich aber gelten lassen: als Briefroman ist er in der falschen Form erzählt, denn es gibt ja immer nur einen Schreiber, Werther selbst; es fehlt der ausgeschriebene Gedankenaustausch. Der Werther ist ein in das falsche Gewand geschlüpfter Tagebuchroman!

  • Und nicht zu vergessen die Selbstmordwelle, die das "Werther-Fieber" unter jugendlichen Lesern auslöste. Goethe hatte ungewollt genau den Zeitgeist getroffen. Im Deutschleistungskurs wurde auch behauptet, im "Werther" sei zum ersten Mal die Idee einer Ehe aus Liebe statt aus elterlicher Verkuppelung propagiert worden - ein unerhörter Gedanke, der eine gesellschaftliche Revolution auslöste.


    Aber das ändert nichts daran, dass er aus heutiger Sicht schwülstig und in Teilen kaum noch nachvollziehbar wirkt. Wir können ihn eben nicht mehr im damaligen Kontext lesen. "Werther" ist leider nicht so zeitlos, dass er eine universelle Gültigkeit hätte bewahren können.

    &quot;Cessent iam nunc rapaces officialium manus, cessent inquam!&quot;<br />&quot;Zurück, ihr gierigen Beamtenhände, zurück, sag ich!&quot;<br />&nbsp;&nbsp; - Konstantin der Große

  • Doch! Doch! Doch! Werther ist zeitlos.
    Ich weiß, wovon ich rede. Ich fühlte Mal genau gleich wie er! Liebe tut so weh, unendlich weh, wenn sie nicht erfüllt wird. Ich mag dieses wissenschaftliche Blabla nicht, dass um das Buch kreist und diese Deutschlehrer ziehen da was raus, was einfach zu pseudo - intellektuell ist.
    Jeder weiß, dass Goethe die schönsten Liebesgedichte geschrieben hat, wenn er verliebt war, bzw. unglücklich verliebt war. Dieser Mann, der als hochrangiger Beamter, stocksteif schien, hatte das weicheste Herz aller Zeiten!
    Oh Gott, der arme Werther .... mich hat Liebe auch einmal fast in den Wahnsinn getrieben. Man möchte, nein, man kann beinahe nicht mehr leben! Das ist eine Sache, wie man sich reinsteigert! Und Werther hat sich reingesteigert. Er sah nur noch sie. Nichts anderes mehr!!!!!!
    Warum hat sich die Bovary umgebracht? Klar, weil sie aus Langeweile nur noch Männer im Kopf hatte und sich verausgabt hatte und so nicht mehr weiter machen wollte. Ich mag sie nicht. Aber, wahrscheinlich, weil ich es nachvollziehen kann, ...deshalb.
    Wenn Werther in unserer Zeit leben würde, dann wär er in die Psychiatrie gekommen, - irgendwer hätte ihn schon eingewiesen und statt einer Kugel hätte er Tabletten bekommen.
    Werther ist der Inbegriff an Schmerz. Ich kenn das.

  • cori, ich glaube, wenn Goethe deine Reaktion auf seinen Werther lesen würde - und das mehr als zwei Jahrhunderte später - würde ihm das Herz aufgehen. :smile:

    [color=darkblue]&quot;Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of b

  • Danke!
    Aber, es ist wahr! Was zieht man da raus? Man muss die Liebe rausziehen. Werther ist auf Reisen geschickt worden um eine Angelegenheit zu klären und um sich zu entlieben, weil er ja schon unglücklich verliebt war. So und nun trifft er auf Charlotte, den Engel.
    In der Oper das Libretto: Ach, wär ich nur mit diesem Engel zusammen, dann wäre jeder neue Tag ein Gebet!
    OH GOTT! Massenet hat das richtig rausgezogen aus dem Buch und hat nicht wissenschaftlich gedacht. Nein, auch er hat sich die Liebesgeschichte geholt und gezeigt, dass LOTTE Werther SEHR WOHL LIEBT. Ja, der Meinung bin ich auch. Und wie! Sie hat sich vorher mit Albert, dem faden Stümper verlobt, weil es in der Einöde einfach nichts gibt. Ich kann mir vorstellen, dort leben der Pfarrer und Kinder und alte Leute. Tja, wem hätte sie da nehmen sollen? Sie, die Schönheit...?! Und dann kommt Werther, der Herzmensch und verdreht auch ihr den Kopf. Ich kann das so gut nachvollziehen!!!!
    Ja, und aus lauter hin und her hat er sich dann umgebracht und nein, die Dramatik steigert sich real! Er stirbt nicht gleich, sondern leidet weiter, Stunden um Stunden. MEINE GÜTE!!! Wie gut Goethe uns ans Herz gehen konnte. Ich glaube, genau das Ende war die Dramatik.


  • cori, ich glaube, wenn Goethe deine Reaktion auf seinen Werther lesen würde - und das mehr als zwei Jahrhunderte später - würde ihm das Herz aufgehen. :smile:


    Das hab ich mir auch grad gedacht!
    Ich bin ja der Meinung, dass man jedes Buch, jedes Werk unbedingt in Zusammenhang mit der Zeit in der es geschrieben wurde, sehen muss. Allerdings kann man auch zeitgemäße bzw. zeitlose Gedanken in jedem Werk finden...das ist doch das schöne am lesen, oder?


    lg, Frau 32

  • Auch da meine ich: ein ganz entschiedenes Jein.


    Das Zentralmotiv des Scheiterns an einer unerfüllten Liebesbeziehung ist sicher zeitlos. Deren suizidale Entwicklung dürfte auch nicht erst mit dem Werther in die gesellschaftliche Realität getreten sein. Neu war allenfalls die dazu eingenommene Haltung, die plötzlich jeder nachlesen konnte. Nach diesem Muster entstehen noch heute Skandale! Und wer meint, so etwas gebe es heute in modernen Zeiten nicht mehr, der irrt.


    Ohne weiteres richtig ist aber auch, dass der Bezugsrahmen, in dem das Zentralmotiv eingebettet ist, heute passé ist. Wer die abgespeckte Fabel heute nacherzählen will, muss einen ganz neuen Rahmen erfinden. Plenzdorf hat's so gemacht. Hier gilt ohne weiteres, was ich weiter oben anmerkte: der gesellschaftliche und literaturgeschichtliche Kontext gehört dazu, und ein Blick darauf, was der Werther alles möglich gemacht hat, sonst wird das Urteil schief.


    Die sprachliche Form ist sicher nicht mehr aktuell, das ist schon richtig. Aber sie wirkt auf mich moderner und lebendiger als manches, was der Geheime Rat von Goethe später schrieb. Zu seiner Zeit war er absolut auf der Höhe. Man muss eben wissen, in welcher Epoche der Werther entstand. Und, ganz im Ernst, so viel Bereitschaft, sich mit Literaur auseinanderzusetzen, sollte man schon aufbringen. Ansonsten gerieten aus heutiger Sicht schon Thomas Mann und Hermann Hesse aus dem Blickfeld.

  • Ich weiß nicht so Recht. Die neuen Leiden spielten in der Grossstadt. Sicher ein gutes Buch und absolut gut erzählt. Der Werther am Land. Wie ist es denn jetzt so in kleinen Dörfern? Ich bin nicht sicher, ob ich das als Stadtmensch beurteilen könnte....

  • weil die Lehrerin lesen wollte, dass Werther ein gesellschaftlicher Außenseiter gewesen sei, der mit dem Standes- und Klassendünkel seiner Umgebung nicht zurecht kam.


    Das ist in Deiner Formulierung nun übertrieben, aber auch dieser Aspekt trug das Seine zum Selbstmord bei.


    Einen Einwand, wenn er auch nicht auf meinem Mist gewachsen ist, muss ich aber gelten lassen: als Briefroman ist er in der falschen Form erzählt, denn es gibt ja immer nur einen Schreiber, Werther selbst; es fehlt der ausgeschriebene Gedankenaustausch. Der Werther ist ein in das falsche Gewand geschlüpfter Tagebuchroman!


    Arno Schmidt? :breitgrins:


    Aber das ändert nichts daran, dass er aus heutiger Sicht schwülstig und in Teilen kaum noch nachvollziehbar wirkt. Wir können ihn eben nicht mehr im damaligen Kontext lesen. "Werther" ist leider nicht so zeitlos, dass er eine universelle Gültigkeit hätte bewahren können.


    Hm ... Du bist ein Mann, der nun das Opfer einer schon über 100 Jahre dauernden Indoktrination geworden ist, à la: Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Das war zu Goethes Zeit noch anders, kann auch wieder anders werden. Insofern möchte ich Deinen letzten Satz nicht ohne Vorbehalt unterschreiben. :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • @ sandhofer:


    Ja, Schmidt! Ich geb's ja zu. Immerhin: den Werther hat er gelten lassen!

  • Ich glaube fest, dass es nicht anders ist. Dieses Leiden ist gleich geblieben!!!!!Ich weiß es!!!!!

  • Auch heute (etwa 7 Jahr nachdem ich gezwungen wurde diese "Büchlein" zu lesen) ist mir noch keine Methode eingefallen, um das Buch vernichten zu können um mich für mein Leiden zu entschädigen.
    Ich habe darüber nachgedacht es komplett zu Konfetti zu verarbeiten (selbstverständlich durch selber-lochen) und die Schnippsel dann zu verbrennen. Aber das erscheint mir irgendwie zu... einfach.
    Ich kann immernoch kaum in Worte fassen, wie grässlich dieses Buch ist. Und zwar in Gänze. Inhalt sowie Sprachform sind einfach... unzumutbar. Tut mir leid, ich hasse Jammerlappen. Und Werther ist der größte Jammerlappen von dem ich jeh gelesen habe! Wie sehr habe ich darauf gewartet, dass er sich endlich "inhumiert".... War ich froh, als wir uns endlich mit etwas anderem befasst haben!


    Der Werther war eines der Bücher, die sogar zu seiner Zeit verboten wurde (wegen der Nachahmer...).

  • Herzinfarkt!!!!!! :grmpf:


    Na ja, Geschmäcker sind verschieden und ich finde es schön, wenn Männer Gefühle zeigen. In Zeiten von Prolo-Muskelprotz-hirnlos- sein, ist Werther eine richtige Erholung und zeigt, dass wenigstens früher die Männer genauso waren, wie die Frauen.
    Und Goethe hat hier ein Meisterwerk hingelegt.


  • Ich kann immernoch kaum in Worte fassen, wie grässlich dieses Buch ist. Und zwar in Gänze. Inhalt sowie Sprachform sind einfach... unzumutbar. Tut mir leid, ich hasse Jammerlappen. Und Werther ist der größte Jammerlappen von dem ich jeh gelesen habe! Wie sehr habe ich darauf gewartet, dass er sich endlich "inhumiert".... War ich froh, als wir uns endlich mit etwas anderem befasst haben!


    Die Sprachform kann man Goethe kaum vorwerfen: das war eben einfach die gehobene Alltagssprache seiner Zeit. Im Gegenteil, der Ausdruck war das Einzige, was mir die gediegene Langeweile überhaupt noch minimal erträglich gemacht hat. Zum Glück fand ich in der Stadtbücherei das sekundärliterarische Werk, auf das sich die Deutschlehrerin bei der Auslegung stützte, konnte daher exakt ihre Meinung wiederkäuen und bekam für den Aufsatz eine 2, ohne mehr, als die geistige Gesundheit überleben kann, des Buches selbst überhaupt gelesen zu haben.

    &quot;Cessent iam nunc rapaces officialium manus, cessent inquam!&quot;<br />&quot;Zurück, ihr gierigen Beamtenhände, zurück, sag ich!&quot;<br />&nbsp;&nbsp; - Konstantin der Große

  • @Imperator: Du bist eindeutig ein Kopfmensch. Ich, als Herzmensch versinke in Werthers Gefühlen und male rote Rosen auf ein Blatt Papier.

  • Eines ist klar: Dieses Buch werde ich mit allen geistigen Waffen verteidigen. Ich liebe es und ich freu mich auch, dass es noch polarisiert!

  • An den unterschiedlichen Standpunkten, die der Imperator und ich einnehmen, kann man sehen, dass selbst die Kopfmenschen sich nicht einig werden können. Für die Herzensmenschen scheint das gleiche zu gelten.


    Also, ich finde, lebendiger kann Literatur gar nicht sein, wenn sie das zustande bringt.

  • Die Sprachform kann man Goethe kaum vorwerfen: das war eben einfach die gehobene Alltagssprache seiner Zeit. Im Gegenteil, der Ausdruck war das Einzige, was mir die gediegene Langeweile überhaupt noch minimal erträglich gemacht hat. Zum Glück fand ich in der Stadtbücherei das sekundärliterarische Werk, auf das sich die Deutschlehrerin bei der Auslegung stützte, konnte daher exakt ihre Meinung wiederkäuen und bekam für den Aufsatz eine 2, ohne mehr, als die geistige Gesundheit überleben kann, des Buches selbst überhaupt gelesen zu haben.


    Ja mag sein. Ich erkenne seine "Leistung" ja auch an. Aber ich kann eben generell mit dem Sprachstil der damaligen Zeit überhaupt nichts anfangen... Es ist alles zu geschwollen... Wenn er dir zusagt, kann ich nachempfinden, dass es dir die Lektüre erleichtert hat, für mich wurde es nur noch erdrückender... (Was auch der Grund dafür ist, dass ich zu einigen "Klassikern" einfach keinen Zugang finde, aber das gehört hier nicht hin :smile:).



    Herzinfarkt!!!!!! :grmpf:


    Na ja, Geschmäcker sind verschieden und ich finde es schön, wenn Männer Gefühle zeigen. In Zeiten von Prolo-Muskelprotz-hirnlos- sein, ist Werther eine richtige Erholung und zeigt, dass wenigstens früher die Männer genauso waren, wie die Frauen.
    Und Goethe hat hier ein Meisterwerk hingelegt.


    "Gefühle zeigen" ist ja ok, aber du willst nicht ernsthaft behaupten, dass der gute Werther nicht ein wenig überreagiert hat, oder? Ja, auch das war der Geist der Zeit, alles muss(te) überschwenglich und übertrieben sein... Aber es ist für meinen (heutigen) Geschmack einfach too much.



    Hört, hört! Er polarisiert also immer noch! :breitgrins:


    Ja, ganz offensichtlich :zwinker:.