Joyce Carol Oates, The Falls

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 1.757 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von sandhofer.

  • Der Roman setzt ein mit einem Mann, der Selbstmord begeht, indem er über die Absperrung auf Terrapin Point in die Niagara-Fälle springt. Ausgehend von diesem Ereignis wird die Geschichte seiner Witwe Ariah erzählt, die keinen Tag mit ihm verheiratet war, der Selbstmord war eine Verzweiflungstat und geschah in den Flitterwochen.
    Die Gründe für die Tat werden nicht bis ins Detail behandelt, nur soviel wird klar: Die beiden hatten geheiratet, weil es in den 50er Jahren, in denen die Handlung angesiedelt ist, nicht anging, nicht zu heiraten, und weil sie nicht hoffen konnten näher an etwas zu kommen, das sich wie Glück anfühlte.


    Die völlig versteinerte Ariah, die am Ort des Geschehens bleibt, bis die Leiche ihres Mannes nach einer Woche aus dem Wasser gefischt wird, und die inzwischen seinen Abschiedsbrief verschwinden lässt, um den Selbstmord zu vertuschen, hinterlässt so einen starken Eindruck auf den reichen Lebemann und erfolgreichen Anwalt Dirk Burnaby, dass dieser sich zu ihrem Beschützer erklärt. Einen Monat später macht er Ariah einen Heiratsantrag.


    Gemeinsam haben sie drei Kinder, die eigentlich das Glück Ariahs komplett machen sollten, doch diese hält sich seit dem Tod ihres ersten Mannes für verdammt und wartet nur auf den Tag, an dem Dirk sie verlässt.


    Es kommt, wie es kommen muss, Dirk nimmt einen für die Zeit sehr ungewöhnlichen Prozess an, in dem es um die Auswirkungen von Umweltverschmutzung auf die Bevölkerung geht. Oates inspiriert sich hierbei übrigens an einem realen Prozess. Die Gemeinde von Niagara Falls hat tatsächlich in den 60ern eine Neubausiedlung auf einer Sondermülldeponie errichtet.


    Der Prozess wird zum Zeitfresser und zum Politikum, er zerrüttet die Ehe der Burnabys, geht verloren und Dirk wird von gedungenen Schergen der chemischen Industrie noch am Abend der Urteilsverkündung mit seinem Auto von der Straße abgedrängt. Auch Ariahs zweiter Mann stirbt so im Niagara River.


    Wie die Familie damit fertig wird, wie der Prozess in den 70ern noch einmal aufgerollt wird und Dirk Burnaby späte Rehabilitierung erfährt, darum geht es im Rest des Buches.


    Im Grunde ist "The Falls" eine Auseinandersetzung mit der alten Antigone-Problematik, dem Widerstreit von Privatem und Öffentlichem, in den 50ern noch ebenso geschlechtsspezifisch besetzt wie in der Antike. Ariahs ganzes Bestreben zielt auf die Abschottung eines familiären Kokons, hinter den alles andere zurückzutreten hat. Die sehr distanzierte personale Erzählweise, die trotz einer Fülle gegebener Informationen kein wirklich zuverlässiges inneres Bild von Ariah oder Dirk Burnaby entstehen lässt, passt sehr gut zu dieser Abschottung: Selbst den Leser scheinen Ariahs Gefühle nichts anzugehen.


    Dass Oates auch bei ihrem abschließenden Schwenk zur Haltung der Kinder gegenüber dieser zentripetalen Bewegung hin auf nichts als die Familie keine deutliche Problematiserung dieses Zustands vornimmt, hat bei mir einen faden Beigeschmack hinterlassen. Das Verhältnis von privatem und öffentlichem Raum, die Rolle der Familie in diesem Spannungsfeld werden mir nicht kritisch genug beleuchtet und bei allem Platz, den sich Oates nimmt (der Roman hat fast 500 Seiten), scheint mir hier einiges nicht zu Ende gedacht zu sein.
    Wenn etwa Ariahs ältester Sohn Chandler sein eigenes Leben nicht über das eines Geiselnehmers stellt, den er mit einer Geste des Vertrauens vom Selbstmord abzuhalten versucht, und ihn daraufhin seine Freundin verlässt, weil er für sie in dieser Situation nicht genug Verantwortung zeigt (!), dann sind wir erneut bei der Entgegensetzung von Öffentlichem und Privatem, und bei der selbstverständlichen Geringschätzung des ersteren. Eine stärkere Differenzierung und Entwicklung beim zentralen Thema des Romans, wäre wünschenswert gewesen.


    Oates Panorama bleibt zwar lesenswert, verschenkt aber viel von dem, was die Geschichte eigentlich hergeben würde.


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    Einmal editiert, zuletzt von Bartlebooth ()

  • Hallo Bartlebooth :winken: ,


    bin neugierig. Wieviele Ratten würdest du für dieses Buch vergeben?


    Liebe Grüße
    wolves

  • Hallo wolves,


    ich hab's ja bekanntermaßen nicht so mit den Punkten, Sternen und sonstigen quantitativen Bestimmungen :-). In mancher Hinsicht finde ich das Buch gelungen, in anderer weniger. Das gegeneinander aufzurechenen, fällt mir schwer.


    Herzlich, B.

  • Zitat von "Bartlebooth"

    In mancher Hinsicht finde ich das Buch gelungen, in anderer weniger.


    Hallo zusammen!


    Ich kenne jetzt dieses spezielle Werk von Oates nicht, aber das drückt ziemlich genau meine eigene Erfahrung mit andern Werken dieser Autorin aus.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)