Martin Osterberg - Das kalte Haus

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  • Weil eine sorgenfreie Kindheit nicht alles ist…


    Martin Osterberg, Pseudonym eines Berliner Journalisten, hat mittlerweile zwei Kinder im erwachsenen Alter. Mit der von seiner Frau und ihm gegründeten Familie ist er, trotz gelegentlicher Schwierigkeiten, sehr glücklich. Dennoch lässt ihn seine Stammfamilie nicht los, niemals kann er ihrer kalten Atmosphäre entfliehen. Obwohl er eine sorgenfreie Kindheit hatte, wie man es wohl nennen würde, hatte er bei weitem keine glückliche oder gute. Seine heile Familie war von Distanz geprägt, eine Grundhaltung die Martin schwer zu schaffen machte und es noch immer tut. Seine Eltern sind als Kriegskinder nicht einmal bewusst kühl, reserviert und lieblos, sondern kennen diese Art des Zusammenlebens aus eigener Erfahrung und erachten sie als normal. Besonders schmerzhaft ist für den Protagonisten die defizitäre Beziehung zu seinem Vater, der ihn mal ignoriert oder ihn zu anderer Gelegenheit als ein Arschloch bezeichnet; keineswegs im Streit sondern eher als allgemeine Feststellung.
    Erzählt werden in diesem Buch Episoden aus Martins Kindheit, seiner Jugend sowie seinem Erwachsenenalter in deren Verlauf er immer mehr versucht, sich seiner Familie loszusagen. Doch verfolgt sie ihn auch noch als er dieses Buch schreibt – obwohl es besser geworden ist.
    „Ich bin Veteran des Krieges zwischen mir und meinem Vater.“ (S.8) Und dieser Kampf beginnt leider schon sehr früh und bleibt meist unterschwellig spürbar. Doch auch die Mutter kann der Familie keine Liebe oder Fürsorge einhauchen, stattdessen gibt sie jedes Mal wenn Besuch kommt eine Inszenierung ab, sodass nach Außen hin alles normal wirkt. So wird aus kritischen Kommentaren beim Betreten des Kinderzimmers ein sorgsames „Braucht ihr noch etwas?“.
    Martins Versuche, sich aus dem Familienleben zurückzuziehen kann man immer besser erkennen, wenn er beginnt immer mehr zu lesen und ihm bald die Bücher ausgehen.


    Während des gesamten Buches wird bei Dialogen auf die Anführungszeichen verzichtet, was mich zwar zunehmend störte, aber bestens zu der bedrückenden Stimmung passte und sie noch zu verstärken vermochte. Beklemmend sind die meisten Abschnitte des Buches, denn man spürt sehr schnell, dass eine Familie so nicht sein sollte. Und dennoch ist Martins Geschichte und Familie nicht untypisch für die damalige Zeit – es regt zum Nachdenken an, dass viele Menschen unter einem derart kalten Haus gelitten haben und sich ein Zuhause, einen Ort, an den man wiederkehren kann, an dem man in Sicherheit ist, gewünscht haben.
    Mit „Das kalte Haus“ geht Osterberg einen weiteren Schritt von seinen Eltern weg und auf ein eigenes, unabhängiges Leben zu. Auch wenn ihm die vollständige Abnabelung wohl niemals gelingen wird, da er von der Familiensituation viel zu sehr geprägt und gefangen ist. Und vergessen kann man etwas solches nicht einfach. Die Eltern werden einen immer begleiten – selbst wenn sie bereits seit Jahren verstorben sein sollten, bahnen sie sich doch stets den Weg in die Gedanken ihres Kindes oder tauchen plötzlich und unerwartet in Form einer Erinnerung wieder auf.
    „Ich habe einen Vater.
    Ich habe eine Mutter.
    Ich habe einen Bruder.
    Ich fühle nichts.“
    Leider hat das Buch, da der Autor so viele unterschiedliche Situationen wie nur eben möglich zu schildern versucht, durchaus passagenweise auch seine Längen. Obwohl das Thema ausgesprochen spannend ist, musste ich mich gelegentlich aufrappeln, weiterzulesen. Da dieses Buch keine leichte Lektüre ist, lässt es sich keineswegs an einem Stück lesen. Irgendwann ist immer ein Punkt erreicht da man abbrechen muss, um das Gelesene erst einmal zu rekapitulieren und zu verarbeiten.


    Empfehlen kann ich das Buch durchaus, da es einem zeigt, woran es einer Familie nicht mangeln darf: An Wärme, Zuneigung, Verständnis, Interesse und auch einer gesunden Kritikfähigkeit.


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    Titel korrigiert (illy)

  • Heißt das Buch nicht Das kalte Haus? So steht es zumindest auf dem Cover, das angezeigt ist :gruebel:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Meine Meinung

    Empfehlen kann ich das Buch durchaus, da es einem zeigt, woran es einer Familie nicht mangeln darf: An Wärme, Zuneigung, Verständnis, Interesse und auch einer gesunden Kritikfähigkeit.

    Dieser Satz fasst die Situation in Martins Elternhaus treffend zusammen. Man tut Dinge, weil man sie eben so macht, sie schon immer so gemacht hat und auch immer so machen wird. Ohne darüber nachzudenken und ohne viel Aufwand zu betreiben. Es läuft ja und alles was anders ist, ist nicht nur nicht gut, sondern die anderen sind geradezu dumm, dass sie sich so verhalten.


    Dass es in anderen Familien anders laufen kann, lernt Martin erst spät. Einer seiner Freunde hasst tatsächlich den eigenen Vater nicht, sondern hat ein geradezu herzliches Verhältnis zu seinen Eltern. Dass diese Erkenntnis so spät kommt, liegt daran dass Martin nie gelernt hat, über Dinge die ihn bewegen, zu reden. Er geht einfach davon aus, dass es überall genauso ist wie bei ihm.


    In seiner Familie wird nicht gestritten oder eine Lösung gesucht, sondern es werden nur Argumente aufgezählt und das Gespräch beendet, wenn diese Aufzählung vorbei ist. Deshalb sind alle Beteiligten vor den Kopf gestoßen, wenn tatsächlich eine Entscheidung getroffen wird, die in eine neue Richtung geht.


    Vieles in dem Buch kommt mir bedrückend bekannt vor, auch wenn ich es nie so gut hätte formulieren können.

    5ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.