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Pierre Lemaitre - Drei Tage und ein Leben
Klett-Cotta, September 2017
270 Seiten; EUR 20.- (Hardcover)
ISBN 978-3-608-98106-3
Originalsprache: französisch
Originaltitel: Trois jours et une vie
Frankreich, 1999. Antoine lebt mit seiner Mutter in Beauval, einem kleinen Ort. Die Beziehung der beiden ist nicht gerade von liebevollem Verständnis geprägt - Madame Courtin muss mächtig für den Unterhalt der beiden strampeln und sie kümmert sich um ihren zwölfjährigen Sohn, aber sonderlich viel Gespür für ihn besitzt sie nicht. Antoine wird von einer Gruppe Gleichaltriger isoliert, da seine Mutter die PlayStation-Nachmittage absolut nicht gutheißen kann, und spielt stattdessen alleine im Wald… Dort will er ein Baumhaus bauen und so die anderen Kinder beeindrucken.
Doch dann verschwindet der sechsjährige Nachbarsjunge Rémi und nur Antoine weiß, was geschehen ist. Er schweigt und bangt darum, dass ihm im Dorf keiner auf die Schliche kommt. So wird eine großangelegte Suche organisiert, die verängstigte Familie Rémis bei der Weihnachtsmesse genauestens in Augenschein genommen und der Orkan Lothar zieht über Beauval und nötigt die Dorfbewohner, sich in ihren Häusern aufzuhalten.
„Drei Tage und ein Leben“ ist ein passender Titel, denn diese wenigen Tage werden Leben verändern, einzelne Menschen regelrecht aus der Bahn werfen… Pierre Lemaire hat einen trostlosen Roman vorgelegt, der sehr eindringlich erzählt ist. Gerade die Art und Weise des Erzählens ist für mich ein großer Pluspunkt - verschiedene Probleme in Beauval werden sehr gut eingefangen, realistisch schildert Lemaire von der Angst um Arbeitsplätze, dem Hass auf einen Verdächtigen und die Neugier der Bewohner, die gerne alles mögliche beurteilen und dann darüber tratschen. Vielleicht stellenweise ein wenig zu klischeebeladen, aber okay.
Dennoch überwiegen für mich leider die Minuspunkte. Allen voran der sexualisierte Blick der zwölfjährigen Hauptfigur hat mich ratlos gemacht. Für mich war so mancher Gedanke, der Antoine durch den Kopf geht, eher einer, den ich einem Erwachsenen zutraue, aber eben keinem Kind. Zumal es für mich ziemlich befremdliche Gedanken waren - zum Beispiel, wenn das wogende Hinterteil eines Mädchens Sex und Scheitern gleichermaßen ausstrahlen soll. Oder die Vorstellung, dass sich ein nackter, dickbäuchiger Pfarrer in seiner Mönchszelle geißelt… Hm, ich weiß nicht.
Auch die nie vorhandene Möglichkeit auf einen Ausweg, ja, nicht einmal einen Funken Hoffnung, hat in mir das Gefühl von Verlorenheit ausgelöst.
Letztlich zeigt der Roman die dörfliche Engstirnigkeit, die kleinkarierten Geister und biederen Ansichten, die nahezu permanent aufeinander treffen. Allen voran Madame Courtin, Antoines Mutter, die eine liebevolle Beziehung zu ihrem Sohn offensichtlich nicht einmal in Betracht ziehen möchte. Im Nachhinein ist die Überlegung, dass vieles fast schon vorprogrammiert war, gar nicht so weit weg.
Zum Ende bleiben zerstörte Leben - eine deprimierende Lektüre, wenngleich auch ein gutes Gesellschaftsportrait.