Agnes Krup - Mit der Flut

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    Zur Autorin:
    Agnes Krup ist seit dem Studium in Hamburg und Tübingen als Verlagslektorin, Agentin für Autoren und Literaturscout tätig. Geboren in Finkenwerder bei Hamburg lebt sie seit 1994 in New York. »Mit der Flut« ist ihr erster Roman.


    Meine Meinung:


    1923 schleicht sich der halbwüchsige Paul Benitt mit Hilfe seines Freundes auf ein Überseeschiff und gelangt so schließlich nach New York. Schon immer hatte er eine unstillbare Sehnsucht in sich und er hofft, dass er sie im fernen Amerika erfüllt findet. Aber erst einmal muss er in dieser überbordenden Stadt voller Einwanderer sein Überleben sichern. Er hat Glück und ist bald als Tischler erfolgreich. Jahre später verliebt er sich in die italienische Einwanderers-Tochter Antonia und auf den ersten Blick scheint sein Glück perfekt. Aber die Sehnsucht ist geblieben und hat sich in Gestalt eines unerfüllten Berufswunsches manifestiert. Schließlich kehrt er alleine nach Deutschland zurück, um dort endlich das Arzt-Studium aufnehmen zu können, von dem er sich die Erfüllung seiner Wünsche erhofft. Antonia bleibt in New York zurück mit dem Versprechen vertröstet, er werde zurückkommen und sie heiraten. Aber nach dem Studium kommt der Krieg den beiden in die Quere. Und Paul ist unsicher, ob er überhaupt zurückkehren möchte.


    Ich habe mich mit dem Hauptdarsteller Paul sehr schwer getan. Er ist ein unterkühlter und sehr rational denkender Mann. Einer, der oberflächlich gut mit Menschen kann, solange, bis sie einem sehr nahe kommen und spüren, dass es ihm in Wirklichkeit schwerfällt, für andere die nötige Empathie aufzubringen. Auch ist er verschlossen und kann seine Gefühle nie wirklich in Worten ausdrücken. Ganz anders Antonia, die das Herz auf der Zunge trägt, die in einer Liebe und Treue an ihm hängt, die er nicht verdient hat. Dieses Ungleichgewicht der Gefühle empfand ich bald als sehr traurig, teilweise richtig bedrückend.


    Das Buch schreitet flott durch die Zeit, überspringt hie und da mal ein paar Jahre, lebt davon, dass es sehr viele Briefe gibt – vor allem von Antonia, aber auch von Paul – die dem Leser die Personen und ihre Erlebnisse näherbringen. Die historischen Geschehnisse des Krieges werden nur marginal gestreift und sind für die Geschichte nur insofern wichtig, als sie Paul länger in Deutschland halten, als er es anfangs geplant hatte und dass er natürlich Kriegserlebnisse mit sich herumträgt.


    Die Autorin erzählt eine fiktive Geschichte, die in Teilen wohl an die Erlebnisse ihres Onkels angelehnt ist. Die Liebesgeschichte ist nicht so romantisch und hoffnungsvoll, wie ich es mir wohl erwartet hatte. Auch war es mir fast ein wenig zu wenig Zeitkolorit. Dennoch ein Buch, welches ich gerne gelesen habe, da die Sprache von Agnes Krup es schafft, die zwischenmenschlichen Abgründe sehr treffend und feinfühlig zu erzählen.


    4ratten

    :lesen:





    Einmal editiert, zuletzt von gagamaus ()

  • Paul Benitt wächst in Finkenwerder bei Hamburg auf. Das Familienleben ist geprägt von harter Arbeit auf der eigenen Obstplantage, Paul selbst tritt schließlich auf Wunsch seiner Eltern eine Tischlerlehre an. Doch eigentlich hat er andere Sehnsüchte und schleicht sich mit Hilfe eines Freundes als blinder Passagier auf einem Überseedampfer ein. Er will etwas von der Welt sehen und in Amerika sein Glück versuchen. Davon kann ihn auch die erste Liebe nicht abhalten.


    In New York sind die ersten Jahre schwierig. Wohnraum ist teuer, die Arbeit in der Möbelfabrik nicht das, was ihn glücklich macht, die Sprache muss er erst einmal richtig lernen. Doch ein neuer Traum begleitet ihn - er würde liebend gerne Medizin studieren -, und er lernt Antonina kennen, die selbst erst als Elfjährige aus Sizilien zu ihren bereits einige Jahre zuvor ausgewanderten Eltern in die USA gekommen ist, und seine erste ernsthafte Liebesbeziehung beginnt.


    Eines Tages muss er sich dann entscheiden: will er seine beruflichen Wünsche in die Tat umsetzen oder darauf verzichten und bei Antonina in New York bleiben? Wie folgenschwer diese Entscheidung sein wird, weiß das Paar zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht, doch der Leser ahnt es, denn in Deutschland sind die Nazis an die Macht gekommen, und bald werden die Familien der beiden auf verschiedenen Seiten eines weltumspannenden Konflikts stehen.


    Es ist keine Auswanderergeschichte, wie man sie schon tausendmal gelesen hat, was uns Agnes Krup hier serviert, keine glückstrahlende und ein wenig kitschige vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Story. Zwar beginnt das Buch so ähnlich, doch auf Pauls Ankunft in die USA folgt eben nicht nach wenigen harten Monaten ein kometenhafter Aufstieg. Er muss hart arbeiten, und auch die Beziehung zu Antonina ist nicht eitel Sonnenschein, sondern entwickelt sich manchmal eher holprig.


    Die Kriegszeit in Deutschland schildert die Autorin sehr eindringlich und unsentimental, mit nur wenigen Bildern von der Front und umso mehr Augenmerk auf die Zivilbevölkerung. Die Episoden aus den furchtbaren Hungerwintern in den unmittelbaren Nachkriegsjahren sind dann fast noch beeindruckender.


    Die Figuren sind knorrig, spröde, oft schwer zugänglich, ein bisschen wie die alten Apfelbäume auf den Wiesen der Benitts, es wird wenig geredet und auch häufig wenig Verständnis füreinander aufgebracht, im Mittelpunkt steht die Arbeit, der Hof, das Überleben.


    Paul selbst macht eine eher negative Entwicklung durch, was teils natürlich an den politischen Umständen liegt, er wirkt ständig unzufrieden, fühlt sich fehl am Platz, trifft in Herzensdingen dumme, wenn auch manchmal durchaus nachvollziehbare Entscheidungen. Ein großer Sympathieträger ist er somit nicht, diese Rolle kommt anderen Figuren zu wie Antonina selbst, Pauls einfühlsamem Bruder Johann, der in der Familie ein bisschen aus der Art geschlagen scheint, oder Johanns quirlig-pfiffige Tochter Hella.


    Es weht ein kühler Wind der Realität durch dieses ganze Buch, und genau deswegen habe ich es so gerne gelesen. Es erscheint mir als ziemlich getreues Abbild der Zeit, in der es spielt und porträtiert Land und Leute ohne allzu gefällige Klischees. Dazu passen auch die Dialogpassagen im Hamburger Platt (keine Sorge, diese nehmen nicht überhand) und die Art, wie zwischenmenschliche Beziehungen gezeichnet sind: bei weitem nicht immer idealtypisch, aber gerade deshalb so glaubhaft, mit Charakteren, an denen man sich ein wenig reiben kann, was in diesem Zusammenhang gar nichts Schlechtes ist. Ein bisschen wie im richtigen Leben.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Auch war es mir fast ein wenig Zeitkolorit.


    Zu viel oder zu wenig? :smile:


    Die Sprache hat mir auch sehr gut gefallen, zurückhaltend, aber treffend.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • :lachen:


    Ich musst jetzt gerade Tränen lachen über meinen Schreibfehler. Danke, dass Du mich korrigierst. :winken:


    Ein wenig zu wenig wollte ich eigentlich sagen. Also ich hatte mehr Zeitgeschehen und sicherlich auch mehr dramatisches Kriegsgeschehen erwartet. Erhofft will ich nicht sagen, denn das klingt ja blutrünstig. Aber tatsächlich hatte ich auch mehr Politik erwartet.

    :lesen:





  • Für einen Roman aus dieser Zeit spielen Politik und Kriegsgeschehen (von den Bombardements der Städte abgesehen) wirklich eine eher untergeordnete Rolle, aber hier hat es mich gar nicht so gestört, weil das ja auch die Lebensrealität der Figuren ganz gut abgebildet hat. Ich fand es sogar mal ganz spannend, den Fokus eher auf die Zivilisten zu legen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Paul Benitt ist in Finkenwerder, einem Hamburger Stadtteil südlich der Elbe, aufgewachsen. Kein einfaches Leben - ist dieses doch von harter Arbeit der Familie auf den Streuobstwiesen geprägt, während der Sohn eine Lehre zum Tischler absolviert. Doch eigentlich treibt Paul ein ganz anderer, großer Traum um...
    1923 lässt er schließlich seine Familie und sein bisheriges Leben hinter sich und kommt als blinder Passagier eines Überseedampfers in die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort scheinen all seine Wünsche in Erfüllung gehen zu können: er kann sich frei entfalten, hat Zugang zu guter Bildung und somit auch bessere Arbeit in Aussicht als in der alten Heimat. Doch ganz so leicht gestaltet sich das neue Leben nicht, denn New York ist kein allzu einfaches Pflaster. Die Lebenskosten sind hoch und Pauls Arbeit in einer Fabrik ist auch nicht gerade erfüllend. Zum Glück kann er auf seinen gelernten Beruf bauen und dann ist da vor allem auch die Tatsache, dass Paul Antonia kennenlernt - eine junge Frau, die als Kind von Italien in die USA ausgewandert ist. Kann jetzt noch etwas schief gehen?
    Paul hat noch einen Traum - er möchte sehr gerne Medizin studieren. Diese Möglichkeit hätte er in Deutschland und dies bringt Paul schließlich dazu, 1937 nach Deutschland zurückzukehren - ein Land, dass er nach all den Jahren kaum wiedererkennt. Noch dazu bleibt seine große Liebe Antonia in New York - mit der Hoffnung, dass Paul nach Beendigung des Studiums wieder zu ihr zurückkommt und die beiden heiraten. Was das Paar nicht ahnen kann: es wird ihnen ein Weltkrieg dazwischen kommen...


    Zugegebenermaßen werde ich bei solchen Romanen immer hellhörig. Mein eigener Großonkel, der für mich wie ein Großvater war, ist als Sechzehnjähriger von zuhause ausgebüxt und 1923 über Bremerhaven in die USA ausgewandert. Auch er hat seinen amerikanischen Traum gelebt und sich dank harter Arbeit nach oben gearbeitet - also nicht immer eitel Sonnenschein, aber dennoch stetig zum Positiven. In seiner alten Heimat war das Leben deutlich härter - meine Urgroßmutter musste ihre Kinder des öfteren hungrig ins Bett schicken.
    So hat mich Pauls Geschichte per se natürlich an meinen Onkel erinnert - auch wenn es in diesem Fall erst Ende der 50er wieder zu einem kurzen Besuch in Deutschland kam. Paul lebt hingegen nach seinem Neuanfang in New York ab 1937 wieder in Deutschland - und bleibt durch die historischen Umstände schlussendlich länger als ursprünglich als geplant.


    Paul Benitt ist eine durch und durch realistische Figur. Das liegt vor allem an seiner Art, alles zu hinterfragen und öfter mal unzufrieden zu sein. In ihm ist schon früh die Saat aufgegangen, nach Besserem zu streben und dafür auch sämtliche Zelte abzubrechen und Neuanfänge zu wagen. Dadurch ist er aber stetig von einer inneren Unruhe befallen; einem Zustand, der ihn nicht nur zu einem regelmäßigen Kampf treibt, sondern ab und an auch regelrecht zu quälen scheint. Zum Glück gibt es mit Antonia immerhin einen Gegenpol zum eher unterkühlten norddeutschen Paul.


    "Mit der Flut" widmet sich weniger den historischen Gegebenheiten, die aber ohne Frage den Rahmen vorgeben und durchaus skizziert werden, sondern viel eher den Charakteren, ihren Entwicklungen und ihrem täglichen Kampf mit dem (Über-)Leben.


    Die Autorin hat hier keine klischeehafte Auswanderergeschichte vorgelegt, dafür eine durch und durch ehrliche, manchmal harte Geschichte einer Suche nach einem besseren Leben. Agnes Krups Fokus liegt dabei eindeutig auf ihren glaubhaften Charakteren und setzt nicht auf Sympathieträger, die den Leser sofort für sich gefangen nehmen. Vielleicht kein geschmeidig dahinfließender Roman - für mich aber eine spannende Geschichte, die ich richtig gerne gelesen habe.


    4ratten und :marypipeshalbeprivatmaus:

    Liebe Grüße

    Tabea