Franziska Hauser - Die Gewitterschwimmerin

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    Nicht im Regen stehen, sondern schwimmen


    Das will Tamara Hirsch immer wieder, aber nur, wenn es dazu gewittert. Denn dann ist man erstens allen und zweitens möglicherweise bald nicht mehr am Leben - beides Tatsachen, die Tamara herbeisehnt. Jedenfalls manchmal. Tamara hat ihren eigenen Kopf und ist gegen den anfänglichen Widerstand ihrer Familie Puppenspielerin geworden - und zwar nicht irgendeine, sondern mit Ausbildung und Studium von der Pike auf. Auch sonst ist sie aufmüpfig und nicht gerade pflegeleicht - am wenigsten für sich selbst.


    Ihr Universum - das ist das Ostberlin der sechziger, siebziger, achtziger Jahre. Wobei sie das Privileg hat, durchaus auch mal über die Grenzen zu dringen und zwar nicht nur ost-, sondern auch westwärts - so sieht sie das Paris der wilden 1960er.

    Denn sie entstammt einer Familie von Privilegierten: Ihr Vater, Opa und Onkel waren tapfere Männer, die in der Zeit des Nationalsozialsmus für ihre politischen Überzeugungen - sozialdemokratische bzw. kommunistische - eingestanden und gekämpft haben, zudem wurden sie wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt. Aber auch mit anderen, vor allem mit Frauen, gingen sie nicht gerade zimperlich um. Ihre eigenen Frauen hatten stets mit Konkurrentinnen zu rechnen und wurden bei Bedarf auch gerne ausgetauscht. Aus einem Umfeld des Bildungsbürgertums hervorgegangen, spielt Wissen und Kultur im Leben aller Generationen eine Rolle. Die Figuren sind komplex und haben in ihrer Konstruktion eine große Nähe zu Franziska Hausers eigener Familiengeschichte.


    Nach eigener Aussage der Autorin haben alle Figuren in diesem Buch mit Ausnahme des leiblichen Vaters von Henriette - ihrem eigenen Alter Ego in dem Buch - ein reales Vorbild. Ich wünsche ihr und vor allem ihrer Mutter, dass nicht alle Details dieses Romans, in denen auch Mißbrauch in verschiedenen Zusammenhängen und Ebenen zur Sprache kommt, auf wahren Begebenheiten fußen, das wäre wirklich überaus traumatisch und fatal. Allerdings befürchte ich, dass die Autorin sich in allen Aspekten ziemlich eng an der Realität orientiert hat.


    Todessehnsucht ist ein Begriff, der vor allem in der Generation von Tamara Hauser, also derjenigen, die in der DDR aufwuchs und sich sozialisierte und bei deren Auflösung bereits im mittleren Alter war, immer wieder ein Thema ist. Diejenigen, die sich gegen den Nationalsozialismus durchgekämpft haben, sind anders, wenn auch nicht lebensfroh. Nein, das nicht - aber das Überleben als solches, das Durchstehen hat einen ganz anderen Wert. Zumal Tamaras Vater im Gegensatz zu ihrem Opa vollends von der DDR überzeugt ist, bis zu seinem Ende.


    Doch auf ihre Art kämpfen sich alle Generationen durchs Leben. Es sind allesamt sperrige Charaktere, jeder auf seine eigene Art und so ist dieser (Über)Lebenskampf in einigen Fällen eher ein Kampf gegen das Leben. So bei Tamara, der Hauptfigur, um die sich alles rankt - auch die ausführlichen Episoden aus dem Leben des Vaters, Großvaters und Onkels, die sich vor ihrer Geburt ereignet haben, hängen letztendlich damit zusammen. Für ihre beiden Töchter ist sie keine einfache und vor allem keine sehr präsente Mutter. Und eine kapriziöse Frau, die die Existenz der DDR zum Leidwesen von Vater Alfred permanent in Frage stellt.


    Eine Familie, die für ihre Überzeugungen und teilweise gegeneinander kämpft. So hat auch die Lektüre dieses Romans teilweise etwas von einem Kampf. Verstehen Sie mich nicht falsch, er ist eindringlich und gleichzeitig unterhaltsam, doch hat der Kampf zahlreicher Charaktere mich teilweise richtig zermürbt, so dass ich einfach nicht weiterlesen konnte. Auch hatte ich wieder und wieder Mitgefühl mit der Autorin, die es in dieser Familie nicht leicht hatte, auch wenn sie als Tamaras Tochter Henriette eher eine kleinere Rolle einnimmt.


    Ein faszinierender, aber mehr noch beklemmender Roman, der mich sehr beschäftigt und dessen Wirkung wohl auch noch lange in mir nachhallen wird. Ein wenig sehe ich Parallelen zum Familienroman "Ab jetzt ist Ruhe" von Marion Brasch. Aber nur von der Thematik her - stilistisch und auch von der Darstellung der Inhalte her hat die Autorin ein ganz eigenes Werk geschaffen, dass nicht nur aufgrund ihres persönlichen Hintergrundes dem Leser - mir zumindest - an die Nieren geht.

    Ich muss sagen, ich habe viele Passagen in dem Roman, vor allem wenn es um Sexuelles, um die Mann-Frau-Beziehung ging, in ihrer Direktheit absolut nicht gerne gelesen. Aber insgesamt empfinde ich die Lektüre dieses Romans als großen Gewinn. Wer gerne Romane liest, in denen die deutschen Entwicklungen im 20. und auch 21. Jahrhundert zur Sprache kommen, auch gerne zu Anspruchsvollem greift und keine Angst davor hat, mit Aufwühlendem konfrontiert zu werden und zwar (fast) durchgehend, dem empfehle ich dieses Buch. Aber Vorsicht: Ich habe Sie gewarnt. Und das nicht nur einmal.

    4ratten

  • Mit diesem Roman „Die Gewitterschwimmerin“ erzählt die Autorin Franziska Hauser die Lebensgeschichte der Tamara Hirsch und damit die Geschichte ihrer eigenen Familie.

    Nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter Adele, ist Tamara dabei, das Haus zu entrümpeln. Sie schwingt den Vorschlaghammer und verbrennt Erinnerungsstücke. Dabei blickt sie auf ihr Leben zurück und erinnert sie sich, wie unglücklich sie in dem Haus gewesen ist.

    Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich mich in die Geschichte hineingelesen hatte. Wir lernen die Geschichte der Familie Hirsch ab dem Jahr 1889 kennen und gegenläufig dazu die Geschichte von Tamara als Ich-Erzählerin. Dabei wird immer wieder zwischen den Zeiten hin und her gesprungen. Gleichzeitig ist diese Familiengeschichte auch ein Stück Zeitgeschichte. Die politischen Verhältnisse haben Einfluss auf die Hirschs, die verfolgt waren und Widerstand geleistet haben, die Geschichte mitgeprägt haben und die sich angepasst haben.

    Der Schreibstil ist sehr direkt und authentisch.

    Ich mochte die unangepasste, sperrige Tamara, die Mutter von zwei Töchtern ist und auch schon Enkel hat. Dass sie eine Ausbildung zur Puppenspielerin gemacht hat, ist bei ihrer Familie nicht gut angekommen. Sie hat schon früh gelernt zurechtzukommen und nicht zimperlich zu sein, sie macht es sich aber auch selbst nicht leicht. Zu ihrer Mutter Adele hat sie eine schwierige Beziehung. Sie und ihre Schwester Datscha werden durch die Eltern und den Onkel missbraucht. Ihre Schwester ist an allem zugrunde gegangen, Tamara wurde dadurch, wie sie nun mal ist. Sie geht gerne schwimmen, allerdings nur bei Gewitter. Sie hofft, dass der Blitz einschlägt und alles vorbei ist.

    Auch die anderen Charaktere sind komplex und sehr exzentrisch. Die Männer hatten ihre politischen Überzeugungen, für die sie einstanden. Frauen waren eher schmückendes Beiwerk und wurde gerne auch mal ausgetauscht.

    Es ist ein interessantes Buch, aber auch eines mit vielen Abgründen. Besonders heftig wurde es, wenn es um den Missbrauch ging. Es macht einfach fassungslos.

    Auf dieses Buch muss man sich einlassen können.



    4ratten