Tracy Chevalier - Der Neue

Es gibt 10 Antworten in diesem Thema, welches 2.279 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kirsten.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Zum Inhalt: (lt. Amazon)


    Was es bedeutet, Außenseiter zu sein – ein atmosphärischer Roman, der in das Amerika der 1970er Jahre führt.


    Osei will an seiner neuen Schule vor allem eines: nicht auffallen. Für den afrikanischen Diplomatensohn ist es der vierte Wechsel innerhalb von sechs Jahren, und aus Erfahrung weiß er, dass er gleich am ersten Tag Freundschaften schließen muss. Doch bereits seine Anwesenheit scheint einige seiner weißen Mitschüler und Lehrer zu provozieren. Im Amerika der 1970er Jahre sind gemischte Klassen immer noch selten. Als sich ausgerechnet die beliebte Dee mit Osei anfreundet, sieht Ian, der Tyrann auf dem Pausenhof, rot.


    Tracy Chevalier lässt Shakespeares Othello, jenes klassische Stück über Eifersucht und Diskriminierung, in einer Schule spielen, wo das Wort Mobbing kein Fremdwort ist.



    Hier findet demnächst eine Leserunde statt und ihr könnt euch noch bis Ende der Woche bewerben.


    Leserunde

    :lesen:





  • Ein amerikanischer Schulhof in den 1970er Jahren. Es herrscht große Aufregung, denn es gibt einen neuen Schüler: Osei aus Ghana, schwarz. Sofort tauchen sowohl bei den SchülerInnen als auch im Lehrerkollegium rassistische Ressentiments auf und vor allem ein Schüler nutzt die Gelegenheit aus, um sein eigenes Schachspiel zu eröffnen.


    Das Buch ist an das Shakespearesche Drama "Othello" angelehnt. Ich selbst kenne dieses Stück nicht, so dass mir die Parallelen anhand von Dritten erläutert wurden, was dem Lesevergnügen aber keinen Abbruch tat. Ich selbst erkannte zwar nicht "Othello" wieder, aber typische Dramenelemente: mehr oder minder ein Setting, Geschehnisse innerhalb eines Tages, Unterteilung in fünf Kapitel, eine Art Chor am Anfang jedes Kapitels, dramatische Entwicklungen, ... Also sowohl inhaltlich als auch stilistisch lassen sich einige augenscheinliche Merkmale herauslesen.


    Auch wenn der Aufbau des Dramas ziemlich drastisch wirkt, weil alles in so kurzer Zeit geschieht, ging es mir persönlich nicht zu schnell. Eher ließ ich mich völlig mitreißen in den Strudel der sich überschlagenden Ereignisse und las schnell und mit klopfendem Herzen. Selten habe ich einen so intensiven Lesesog gespürt, der mich derart elektrisiert hat. Anders als in Dramastücken handelt es sich hier um einen Prosatext, in dem die Gedanken und Gefühle der Figuren deutlich thematisiert und angesprochen werden. So lassen sich die Entwicklungen und Verstrickungen der Personen jederzeit nachvollziehen, auch wenn man sich hin und wieder einen anderen Fortgang wünschen würde, um die immer näherkommende Katastrophe abwenden zu können.


    Die Personen sind recht deutlich in gut/böse unterteilt, was mich normalerweise starkt stört. In diesem kurzen (150 Seiten umfassenden) Roman war dies nicht der Fall. Vielleicht weil sich alles so schnell entwickelt hat und der Roman zu kurz war, um es als nervig zu empfinden. Viel mehr stehen hier die Manipulation von Menschen und deren daraus resultierenden Entwicklung im Vordergrund. Und gerade das ist der Autorin wunderbar gelungen. Auch erfahren wir genug von den Personen, so dass wir sie ins Herz schließen oder verabscheuen können, so dass eine ausreichende Identifizierung stattfinden kann und am Ende mit den Personen zu leiden.


    Für mich ist das Buch ein Highlight, an dem ich persönlich gar nichts auszusetzen habe. Also klare Buchempfehlung!:tipp:

  • Osei ist wieder der Neue an der Schule. Sein Vater ist Diplomat und so sind wiederholte Schulwechsel nichts Neues. Problematisch ist dabei, dass Osei aus Ghana kommt und gemischte Schulklassen sind im Amerika der 70'er Jahre nicht alltäglich und auch nicht bei jedem gerne gesehen. Aber an dieser Schule gibt es etwas Besonderes, nämlich Dee eine Mitschülerin von Osei.


    Tracy Chevalier verlegt den Schauplatz von Othello in das Washington der siebziger Jahre.

    Innerhalb von nicht einmal zwei Tagen wird aus einer unschuldigen Freundschaft zwischen zwei ca. 12-jährigen Kindern eine Geschichte von Missgunst, Hass und Gewalt.


    Aus Othello und Desdemona werden hier Osei und Dee. Osei versucht normalerweise in jeder neuen Schule unauffällig zu bleiben, dies misslingt, als Dee ihm offen ihre Zuneigung zeigt. Mitschüler und Lehrer sind grösstenteils entsetzt und Osei wird zum Ziel ihrer Anfeindungen. Durch ein Federmäppchen, das Dee durch Unachtsamkeit verliert, nimmt das Drama seinen Lauf.


    Tracy Chevalier schafft es, dass man das Buch auf keinen Fall aus der Hand legen möchte. Eine geschliffene Sprache, ein rasanter Handlungsablauf und passgenau beschriebene Figuren machen diese Othello-Adaption zu etwas ganz Besonderem. Kennt man das Werk von Shakespeare, weiss man, auf was die Geschichte hinsteuert, trotzdem war ich am Ende fassungslos, was aus nicht gesagten Worten und Unsicherheit entstehen kann und vor allem, wieviel Bösartigkeit in Ian steckt.


    Lediglich ein Aspekt der Schlusssequenz hat mir nicht gefallen. Dieser Punkt hat mich allerdings so sehr gestört, dass ich dem ansonsten perfekten Buch einen kleinen Abzug in der Gesamtwertung gebe.


    4ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

    Das sind keine Stirnfalten. Das ist ein Sixpack vom Denken.

  • Ein Drama um Macht, Liebe und Eifersucht vollzieht sich an einem einzigen Schultag.

    In ihrem Buch im Rahmen des Hogarth Shakespeare Project hat sich Tracy Chevalier "Othello" vorgenommen und verlegt dessen fünf Akte in die fünf Schulhofzeiten einer amerikanischen Junior Highschool der 70er Jahre.

    O(sei/thello) ist auch in ihrem Buch der exotische, kultivierte Außenseiter, D(ee/esdemona) die beliebte Schönheit - die Rolle des ränkeschmiedenden Jago wird hier von Ian übernommen, der alle Mitschüler schikaniert und seine Machtposition durch den Neuankömmling und dessen sich anbahnende Freundschaft zur beliebten Dee gefährdet sieht.

    Wie er es schafft, den aufrechten, aber durch die ständige Rolle des "Neuen" hochwachsamen und am Ende doch labilen Osei aus der Reserve zu locken, als sich dieser durch das aufkeimende Vertrauen zu Dee eine emotionale Blöße gibt, ist einem echten "dramatischen Bösewicht" durchaus angemessen und in seinen Einzelheiten sehr passend auf die Altersstufe der etwa Zwölfjährigen übertragen.

    Auch die Nebenpersonen des originalen Dramas finden sich in Form von Mitschülern wieder, prägnant, aber psychologisch immer sensibel dargestellt in Bezug auf ihre Rollen im sich zuspitzenden Geschehen.

    Die finale "wütende Raserei" des O und der Aufbau seiner Wut waren für mich nachvollziehbar und die Übertragung auf die Altersstufe und das Milieu gelungen - die empfindlichen Punkte bleiben eben im Grunde bei Heranwachsenden und Erwachsenen zu allen Zeiten die gleichen, nur die Ebene, auf der sich die Reaktionen abspielen, ist eine andere und das "Timing" oft verschieden. Für die Beteiligten aber sind die Folgen hier nicht weniger "dramatisch".

    Ein in vieler Hinsicht sehr "entlarvendes" Buch - ganz allgemein für die menschliche Psyche, aber im Speziellen für den Rassismus der 70er Jahre, der damals noch sehr viel offener zu Tage trat.


    4ratten+:marypipeshalbeprivatmaus:

    Einmal editiert, zuletzt von Alice ()

  • Ein Schulhof nahe Washington, D.C. in den 70ern. Der 12jährige Osei ist ghanaischer Diplomatensohn und aus Erfahrung weiß er, dass er als neuer Schüler einen Verbündeten benötigt - ansonsten könnte der erste Tag ziemlich schwierig werden. Zum Glück findet sich Dee, das beliebteste Mädchen der Schule, die offen zu ihm steht. Eine verhältnismäßig ungewöhnliche Offenbarung in den Vereinigten Staaten, in dem der Civil Rights Act von 1964, der die sogenannten Rassentrennung abgeschafft hat, noch nicht lange zurückliegt.

    Doch ein Mitschüler kommt mit der aufkeimenden Beziehung Oseis und Dees nicht klar und beschließt, die Freundschaft zwischen dem schwarzen Jungen und der angesehenen Schönheit zu torpedieren. Am Ende des Tages wird kein Beteiligter mehr so sein wie früher...


    Tracy Chevalier hat das Shakespeare'schen Werk "Othello" als Vorlage genommen und die Geschichte in die USA und etwas modernere Zeiten verlagert. Vom Original kenne ich nur die grobe Handlung, gelesen habe ich das Drama nämlich nie. Die wichtigste Gemeinsamkeit ist natürlich die Figur Osei/Othello und die Reaktionen auf ihn - wobei ich jetzt einmal schätze, dass der Rassismus in Chevaliers Roman deutlich klarer herausgearbeitet und benannt wird als bei Shakespeare.

    Die Autorin verdichtet die Geschichte sehr gut, arbeitet die unterschiedlichen Charaktere wunderbar heraus und erzeugt in ihrem relativ schmalen Werk einen richtig gelungenen Spannungsbogen - trotz der Vorahnung (oder im Zweifel auch das Vorwissen, sollte man "Othello" gelesen hat), dass alles unweigerlich auf eine Katastrophe zusteuert. Leidenschaftlich sind ihre Figuren - in ihrer Freundschaft, aber auch in ihrem Hass, ihrer Manipulationsfähigkeit und dem Ränkeschmieden.


    Trotz Chevaliers schriftstellerischem Können konnte mich das Buch nicht restlos überzeugen, da mich zwei Punkte etwas irritiert haben: zum einen die sehr jungen Figuren, die mit ihren 12 Jahren allesamt doch etwas schwieriger zu akzeptieren sind als die erwachsenen Handelnden bei Shakespeare. Zum anderen die Tatsache, dass die Autorin die Geschichte an einem Tag spielen lässt - es fällt mir einfach schwer, zu glauben, dass es bei solch jungen Menschen in so kurzer Zeit zu solch einer Zuspitzung der Emotionen und letztlich einer solchen Eskalation kommen kann.

    Wäre es nur ein Punkt für sich gewesen, hätte ich vermutlich locker darüber hinwegsehen können - die Kombination hat mir das schwerer gemacht. Wenn ich es mir recht überlege, hätte ich es deutlich überzeugender gefunden, wären Osei, Dee und Co. zwei, drei Jahre älter gewesen - da hätte das Argument, dass Jugendliche eben sehr intensiv fühlen und sich schnell in etwas hineinsteigern können, ebenfalls noch gegolten.


    Überzeugt hat mich die Verdichtung der Geschichte, die zu einer überraschenden Intensität beim Lesen führt, und die Beschreibungen der weißen Vorstadtschule, in der nicht nur Schüler intrigieren, sondern auch Lehrer ihre rassistischen Ansichten verpflanzen wollen. Ebenso die Ausführung der Auseinandersetzung von Oseis Schwester Sissy mit ihrer Familie.


    4ratten

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Meine Meinung

    Der Neue zeigt, wie schnell sich eine Situation ändern kann. An nur einem einzigen Tag wird der neue Schüler von einem Freund zu einem Gegner und schließlich einem Feind um die Gunst eines Mädchens.


    Natürlich kann so etwas nicht passieren, wenn man ehrlich zueinander ist oder wenn man genug Selbstbewusstsein besitzt, um über das Getuschel, dem Osei ausgesetzt ist, hinweg zu gehen. Aber er ist zu jung und hat auch genug ähnliche Situationen erlebt, um zu wissen, wie es weitergehen wird.


    Genau diese Erfahrung kreide ich Osei ein wenig an. Er gibt seiner neuen Schule von vorneherein keine Chance und geht vom Schlimmeren aus anstatt zu vertrauen. Vielleicht liegt das aber auch an seinem Alter, denn mit zwölf Jahren ist er noch sehr jung und mit der Situation überfordert.


    Ich habe zwei Kritikpunkte: zum einen erscheint mir der eine Tag zu kurz, um die Konflikte so aufzubauen, dass sie eskalieren. Zum anderen verhalten sich die Schüler viel erwachsener als sie sind. Abgesehen davon hat mich Der Neue voll überzeugt.

    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ich kenne Othello, die Vorlage für diesen Roman, nicht, so dass ich die entsprechenden Motive nur in Ansätzen erkennen konnte.


    Das Geschehen, die 5 Akte, auf einen Zeitraum von einem Schultag zu komprimieren, sorgt dafür, dass die Entwicklungen manchmal zu stark oder zu schnell stattfindenden wirken, das ist aber wohl in erster Linie dem Konzept geschuldet.


    Ich hatte leider die ganze Zeit das Gefühl, dass die Autorin meine Gefühle den Figuren gegenüber bewusst manipuliert. Eine Person verhält sich so bzw. ihre Gedanken werden wiedergegeben, nicht weil es so ist, sondern, damit ich als Leserin sie mag oder nicht mag. Das passt zum manipulativen Verhalten einzelner Personen und zur Vorgehensweise eines Theaterstücks, war mir aber trotzdem unangenehm.


    Gut gemacht, aber nicht mein Geschmack:


    3ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

  • Das Geschehen, die 5 Akte, auf einen Zeitraum von einem Schultag zu komprimieren, sorgt dafür, dass die Entwicklungen manchmal zu stark oder zu schnell stattfindenden wirken..

    Ich hatte da damals auch mit gekämpft, aber wenn man das Alter der Protagonisten (etwa12..?!) bedenkt, könnte das für diese Altersstufe auch absolut typisch sein. Momentanes Überreagieren und Fehlen des "Blickes von außen" sind in dem Alter einfach normal..

  • Ich hatte die gleichen Bedenken, aber das Gesamtpaket hat mir gefallen. Allerdings muss ich gestehen, dass ich die Verbindung zu Othello nicht gemacht habe:rolleyes:


    Die kleinere Leserin hat letzte Woche übrigens mit dem Buch angefangen. Im Moment sind andere Bücher interessanter, aber weil ich es bald zurückgeben muss, muss sie sich demnächst zwischen Weiterlesen oder Abgeben entscheiden.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ich hatte die gleichen Bedenken, aber das Gesamtpaket hat mir gefallen. Allerdings muss ich gestehen, dass ich die Verbindung zu Othello nicht gemacht habe:rolleyes:


    Ich hatte das vorher schon irgendwo (hier im Thread oder der Leserundenankündigung?) gelesen. ;)


    Ich bin neugierig wie die kleinere Leserin das Buch findet, gib doch mal einen Kommentar ab, falls möglich.

  • illy ich soll das Buch zurück geben. Im Moment liest sie Das Tagebuch der Anne Frank und hat auch eine Reihe Sachbücher für Kinder entdeckt, die sie sehr interessieren. Da fehlt ihr ein bisschen die Lust für erwachsene Bücher.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.