John Grisham – Die Erbin

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    Katastrophal

    Dieser Roman ist nur schwer erträglich. Sicher, es gibt flott geschriebene Grishams (die Firma, der Klient, der Regenmacher) und langweiligere (Das Testament, die Kammer), aber „Die Erbin“ schlägt dem Fass den Boden aus. Hier zeigt sich Grisham nur noch als Meister der Klischees und der Versatzstücke. Wenn einem die Ideen ausgehen, kehrt man dorthin zurück, wo alles begann: in die ländlichen Idylle von „die Jury“, ehemalige Protagonisten inklusive.

    Soweit (nach zwei Dutzend Romanen) noch tolerierbar. Aber dann. Ständig und überall wird Kaffee getrunken, zum Frühstück gibt es immer Rührei mit Speck, sonst wird fleißig Maisbrei gegessen. Die geschilderten Personen, deren Vielzahl kaum noch zu überblicken ist, sind derart eindimensional, dass man sie eine Seite weiter schon vergessen hat. Bei vielen Namen, die auftauchen, muss man zurückblättern (Willie? Wer was das nochmal?).


    Eine der Hauptpersonen des Romans, Lettie, ist schwarz, Haushälterin, Köchin und Krankenschwester. Eine andere Schwarze namens Sallie ist ebenfalls Haushälterin, Köchin und auch Krankenschwester. Man beachte allein die drollige Namensgebung „Lettie“ und „Sallie“. Nomen est Omen. Die Verniedlichungssilbe am Namensende soll dem Leser deutlich machen: der Unterschicht zugehörig; naives, braves Dienstmädchen.


    Überhaupt sind Grishams Nebenfiguren größtenteils Trottel, primitiv oder rassistisch. Zu Ihrer Charakterisierung verwendet der Autor ausschließlich Klischees. Über einen missratenen Bruder auf der Flucht heisst es: „Und so war es ihm nach einem unsteten Leben zur Gewohnheit geworden, ständig einen Blick über die Schulter zu werfen.“ (S. 291).

    oder

    „...er arbeitete in einer Kneipe...in einer heruntergekommenen Gegend der Stadt, wohin Matrosen, Hafenarbeiter und Handlanger kamen. Um sich zu betrinken, beim Würfel zu verlieren und Dampf abzulassen. Zwei grimmig aussehende Rausschmeißer sorgten für Ordnung...“ (S. 290).

    und

    „Er fuhr jahrelang auf Frachtschiffen und sah die Welt, die ganze Welt. Es gibt keinen Fleck auf der Landkarte, den Ancil nicht kennt. Keinen Berg, keinen Hafen, keine Stadt, keine Sehenswürdigkeit. Keine Bar, keinen Nachtclub, kein Bordell – Ancil war überall (S. 556)


    Als die kleine Tochter der Hauptperson zu Weihnachten einen Welpen geschenkt bekommt, geschieht folgendes: „Sie sah ihre Eltern mit Tränen in den weit aufgerissenen Augen an und brachte kein Wort heraus.“ (S. 356).

    Das ist Schundroman-Niveau, so klingt Groschenheft-Prosa.


    Auch Jugendliche gehören bei Grisham entweder zur Null-Bock-Generation: “Vor den auf volle Lautstärke gedrehten Fernsehgeräten saßen Teenager und starrten auf die Mattscheibe.“ (S. 353) oder aber sie entstammen einer Märchenwelt und werden klischeehaft als Engel verklärt: „Zwei Teenager – intelligente Jugendliche, gute Schüler, Sportler, Kirchenmitglieder, beliebte Jungs aus einer anständigen Familie – waren auf einer eisglatten Straße von einem Betrunkenen um ihr Leben gebracht worden....Die armen Jugendlichen“ (S. 412)


    Vor allem bei den Anwaltstypen greift Grisham tief in die Kiste mit den Versatzstücken: da ist der unerfahrene, aber moralisch überlegene Junganwalt mit Finanzproblemen, der gegen den älteren und teuren Staranwalt einer großen Kanzlei kämpft. Die Gegenseite ist natürlich skrupellos und arbeitet im Prozess mit illegalen Methoden (wie schon in „Der Regenmacher“ und „Das Urteil“). Da gibt es den alten Dorfanwalt mit Gesundheits- und Alkoholproblemen, dessen Ruf bereits gänzlich ruiniert ist; den publicitysüchtigen Selbstdarsteller, der im Rolls Royce vorfährt oder den mausgrauen 0-8-15-Anwalt mit Dienst nach Vorschrift.

    Auch sonst tauchen altbekannte Grisham-Typen auf: die laszive Bedienung im Coffeeshop; die ehrgeizige Praktikantin; ein skurriler Richter, der die „Bösen“ in seinem Gerichtssaal erst zur Schnecke macht und dann hinauswirft (wie schon in „der Klient“).


    Wäre nicht alles schon so oft da gewesen, man würde schmunzeln müssen. So aber wirkt Grishams Kombinationsspiel nur beliebig, die Verwendung immer gleicher Versatzstücke austauschbar und ideenarm. Neu in diesem Buch ist nur die ellenlange, nervtötende Ahnenforschung. Einzig, dass ab und an ein witziger Dialog den dicken Schmöker versüsst, hält einen davon ab, das Buch vorzeitig zuzuklappen. Dem Roman hätte es gut getan, um mindestens 200 Seiten gekürzt zu werden.

  • Faszinierend wie unterschiedlich wir am Ende das Buch zugeklappt haben.;)


    Ich habe das Buch ganz anders empfunden. Ich fand, es war eines seiner Spannendsten und das Thema hat mich fesselt. Die Klischees haben sich für mich durchaus im Rahmen gehalten und ich mochte die Hauptdarsteller und die Art, wie sie agierten war für mich glaubwürdig.

    Sicherlich ist es streckenweise etwas vorhersehbar, aber die ein oder andere Überraschung war auch dabei. Die Dialoge haben Spaß gemacht und über das amerikanische Erbrecht habe ich einiges unterhaltsames erfahren.


    Noch zu einigen der scheinbar einfallslosen Details. Der Roman spielt im Süden der Vereinigten Staaten in einer Gegend, wo tatsächlich die meisten der Haushälterinnen Schwarze oder Latinas sind. Nach einem mehrwöchigen Urlaub dort kann ich bestätigen, dass es in den diversen Hotels und B&Bs vor allem Rührei und Speck zum Frühstück gab und gruseliges Zeug, was sie dort Brot schimpften.


    So geballt lesen sich die Metaphern natürlich schon ziemlich platt. Aber bis zu einem gewissen Grad gehört dies durchaus zum plakativen Schreibstil von John Grisham und wenn man zu seinen Büchern greift, weiß man eigentlich, dass man so etwas immer wieder mal findet und unter typisch amerikanisch abhaken muss.


    Von mir bekommt das Buch4ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

    :lesen:





  • Mit Klischees ist das so eine Sache: manchmal stören sie mich, aber wenn ich den Autor schon kenne und weiss, was mich erwartet, bin ich gnädiger. John Grisham gehört für mich zu diesen Autoren. Ich sehe seine Bücher als leichte Kost für zwischendurch.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • @Valentine: okay.


    gagamaus:
    "Ich fand, es war eines seiner Spannendsten"

    Also, wenn das spannend sein soll...


    "die Art, wie sie agierten war für mich glaubwürdig."

    völlig unglaubwürdig


    "ist es streckenweise etwas vorhersehbar,"

    es ist völlig und in Gänze vorhersehbar, nicht nur streckenweise


    "aber die ein oder andere Überraschung war auch dabei."

    welche denn?


    "Die Dialoge haben Spaß gemacht"

    Ja, Dialoge kann er.


    "über das amerikanische Erbrecht habe ich einiges unterhaltsames erfahren."

    Wenn ich darüber etwas erfahren will, lese ich ein Sach-/Fachbuch, keine Belletristik.


    "Der Roman spielt im Süden der Vereinigten Staaten in einer Gegend, wo tatsächlich die meisten der Haushälterinnen Schwarze oder Latinas sind."

    Wenn man als Romancier die Realität 1 : 1 wieder gibt, ist das einfallslos und uninspiriert.


    "kann ich bestätigen, dass es in den diversen Hotels und B&Bs vor allem Rührei und Speck zum Frühstück gab"

    Deshalb muss ich als Autor nicht dauernd erzählen von den banalsten Dingen des Lebens, nur weil ich nicht weiß, was ich sonst schreiben soll.


    "So geballt lesen sich die Metaphern natürlich schon ziemlich platt. Aber bis zu einem gewissen Grad gehört dies durchaus zum plakativen Schreibstil von John Grisham"

    Argument = ja, Grisham schreibt schlecht, aber es gehört zu seinem Schreibstil, dass er schlecht schreibt

    "und unter typisch amerikanisch abhaken muss."

    Grisham ist nicht gleichbedeutend mit amerikanischen Autoren.

    Warum soll man eine unkünstlerische Leistung einfach abhaken?


    Kirsten

    "John Grisham gehört für mich zu diesen Autoren. Ich sehe seine Bücher als leichte Kost für zwischendurch."

    Ja, das sind sie und als solche werden sie von mir auch wahrgenommen, aber hier übertreibt er es mit der leichten Kost. Hier nähert er sich den Heftchenromanen von Bastei-Lübbe.

  • Ich lese keine Sachbücher und finde es Klasse, wenn Infos unterhaltsam in einem Roman verpackt werden. Und warum darf ein Autor die Wirklichkeit nicht abbilden? Das verstehe ich nicht. Genau das gefällt mir ja, wenn es realistisch ist. Für mich war nicht alles vorhersehbar. Vielleicht bin ich da einfacher gestrickt aber ich habe das Buch sehr gerne gelesen und fand es sehr unterhaltsam. Und amerikanisch ist sein Schreibstil durchaus. Ich sage nicht ALLE Amerikaner schreiben so, aber ich denke schon, dass jede Kultur Eigentheiten hat, jedes Land Schwingungen und Stimmungen, die in Büchern des gleichen Genres rüber kommen. So empfinde ich es als Leserin jedenfalls immer wieder, wenn ich Autoren wie Iles, Grisham, Winslow lese.


    Und das Leben ist doch meist banal. Die meisten Themen der Bücher sind eigentlich banal und wiederholen sich ständig. Da dürfte ich gar keine Bücher mehr lesen, wenn ich Angst hätte, das ich das schon mal so gellesen habe oder dass ich ja weiß, wie es ausgeht. Wenn ich zu Grisham greife, weiß ich, was ich bekomme. Und mir gefallen bei Leibe nicht alle seine Bücher. Ich habe das Buch an Neffe und Schwester weitergereicht. Wir haben wohl den gleichen Geschmack, denn die haben es auch beide mit Vergnügen gelesen. Die Geschmäcker sind einfach verschieden.

    :lesen: