Celeste Ng - Kleine Feuer überall/Little Fires Everywhere

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    384 Seiten

    dtv Verlagsgesellschaft

    ET: 20. April 2018

    OT: Little Fires Everywhere


    In Shaker Heights gibt es Regeln, viele Regeln, die besagen was man tun und was man nicht tun darf. So darf der Rasen vor dem Haus nicht höher als 15 cm sein, ansonsten kommt ein strenger Brief der Stadt. Auch die Farben der Häuser sind genau geregelt. Je nach Baustil dürfen nur ganz bestimmte verwendet werden, um eine harmonische Ästhetik der Straßenzüge sicherzustellen. Ja, in Shaker Heights gibt es für alles einen Plan und das Motto der Stadt lautet „Die meisten Gemeinden entstehen einfach, die besten sind geplant.“


    In dieser scheinbar perfekten Idylle lebt Mrs. Richardson mit ihrem Mann und ihren vier (natürlich geplanten) Kindern. Sie haben ein wunderschönes Haus und leben in Wohlstand ein ruhiges und beschauliches Leben, in das sich nur Izzy, die rebellische Jüngste der Familie, nicht so recht einfügen will.

    Da sich Mrs. Richardson gerne als Wohltäterin sieht, vermietet sie eine freie Wohnung an die alleinerziehende Künstlerin Mia, die dort mit ihrer Tochter Pearl einzieht. Die beiden sind in den 15 Lebensjahren des Mädchens nie lange an einem Ort geblieben, aber das soll sich jetzt ändern. In Shaker Heights soll ihr Vagabundenleben ein Ende haben. Doch bereits auf den ersten Seiten des Buches wird klar, dass dies nicht gelingt, denn als diese beiden unterschiedlichen Familien aufeinandertreffen, gerät etwas in Bewegung, das am Ende dafür sorgt, dass einiges durcheinandergewirbelt wird. Jeder der Beteiligten geht verändert aus der Geschichte hervor.


    Nach und nach lernt man beide Familien näher kennen. Die Jugendlichen gehen auf die selbe Schule und freunden sich schnell an. Die Entwicklung der Beziehung der jungen Leute wird toll beschrieben. Pearl hat zum ersten Mal in ihrem Leben Freunde und lernt, wie es ist, wenn man nicht nur das Nötigste besitzt.

    Ihre Mutter Mia ist Fotografin, die getrieben auf der Suche nach dem nächsten perfekten Motiv ein ruheloses und minimalistisches Vagabundenleben führt. Äußerlichkeiten und die Meinung anderer sind ihr nicht wichtig. Alles was zählt sind sie und Mia.


    Anhand dieser beiden Familien und ihren Mitgliedern wird deutlich wie unterschiedlich Menschen mit derselben Situation umgehen, wie sie diese beurteilen und wie wichtig sie sich selbst und ihre Meinung nehmen.


    Eines der Themen ist es aufzuzeigen, wie trügerisch makellose Fassaden sein können und dass scheinbar Mittellose in mancher Hinsicht reicher bzw. zufriedener leben. Der ruhige Schreibstil spiegelt die Atmosphäre in Shaker Heights perfekt wieder. Doch er ist genauso trügerisch und indem sich die Autorin den Personen immer wieder aus einer anderen Perspektive nähert entsteht am Ende ein Gesamtbild, dass mit den anfänglichen Eindrücken kaum noch etwas zu tun hat.

    Hier geht es um das ganz normale Leben, das manchmal aus den Fugen gerät, was dramatische Folgen haben kann.


    Besonders gut gefallen haben mir die Frauenfiguren, egal welcher Altersgruppe, gesellschaftlicher Stellung oder Nationalität. Jede dieser Frauen hat ihre ganz eigene Geschichte, ihre Stärken und ihre Schwächen, die sie menschlich und verletzlich machen.

    Interessant sind hier die unterschiedlichen Blickwinkel, aus denen die Autorin Mütter und die Beziehung zu ihren Kindern betrachtet.


    Fazit: Eine ruhige Geschichte, die einen Blick hinter scheinbar perfekte Fassaden wirft und zeigt wie stark Frauen sein können, besonders wenn es um ihre Kinder geht.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Ich habe das Buch im Original vor ein paar Monaten als Hörbuch gehört und mir hat es ebenfalls sehr gut gefallen. Auf der einen Seite ist das der ruhige und unaufgeregte Erzählstil von Celeste Ng und auf der anderern Seite sind da aber tatsächlich viele kleine und größere Brandherde im Leben der Figuren.


    Auch die Darstellung der Kleinstadtidylle, die eben doch nicht so idyllisch ist, hat mir gut gefallen. Das Thema ist ja schon sehr oft aufgegriffen worden und ich mag es nicht, wenn dann alles viel zu dramatisch und unrealisitsch á la Desperate Housewives wird. Hier bleibt aber alles im Rahmen der Möglichkeiten und trotzdem kommt keine Langeweile auf. Ich hatte das Gefühl, ich könnte eine Geschichte aus dem echten Leben mit echten Menschen lesen.


    Das Ende hat mir auch gut gefallen, aber ich hätte doch zu gerne erfahren, wie es mit der ein oder anderen Figur weitergeht.

    “Grown-ups don't look like grown-ups on the inside either. Outside, they're big and thoughtless and they always know what they're doing. Inside, they look just like they always have. Like they did when they were your age. Truth is, there aren't any grown-ups. Not one, in the whole wide world.” N.G.

  • Es brodelt hinter der Fassade...


    Zum ersten Mal in ihrem Leben überlegen sich die Künstlerin Mia und ihre 15 jährige Tochter Pearl sesshaft zu werden. In Shaker Heights, einem Vorort von Cleveland, konnten sie von der Familie Richardson günstig einen Hausteil mieten. Pearl freundet sich mit den Kindern der Richardson an und ist heimlich in den ältesten Sohn Trip verliebt. Als Linda, die Freundin von Elena Richardson, ein asiatisches Baby adoptieren möchte und die Mutter das Kind zurück will, steht das Städtchen Kopf. Isabelle, die Jüngste der Familie Richardson ist empört…kurz darauf brennt das Haus der Familie…Brandstiftung!


    Ich hatte schon sehr viel Gutes von diesem Buch gehört, und es mir deshalb besorgt. Und tatsächlich, hat die Geschichte mich von Beginn weg fasziniert. Denn der Schreibstil von Celeste Ng ist einfach toll. Ich kenne von der Autorin schon "Was ich euch nicht erzählte" und wieder finde ich hier den unvergleichlichen Schreibstil. Erst startet die Autorin ohne gross die direkte Rede zu benutzen, das Ganze wirkt eher wie eine Erzählung. Und trotzdem habe ich mich den Figuren gleich nahe gefühlt…wie sie das mit dem Schreibstil, in dem man sich wie bei einer Lesung fühlt, hingekriegt hat, ist mir ein Rätsel. Ich vermute es liegt an der bildreichen Sprache….

    Man versteht sofort das Gefüge des kleinen Städtchens. Regeln sind nicht nur wichtig sondern werden auch penibel eingehalten. Auch skurrile, wie, dass das Gras auf dem eigenen Grundstück nicht länger als 15 cm sein darf. Die Moral im Städtchen wird wie ein Banner hoch gehalten. Teenager, die schwanger werden, kennt man keine. Und nach und nach kommt man als Leser dahinter, dass vieles unter dem Deckmäntelchen Regeln, Sitte, Moral und Anstand, verborgen bleibt.

    Zeitweise prallen zwei Welten aufeinander. Der Lebensstandard der Richardson ist völlig anders als die der alleinerziehenden Mia. Bei Richardson haben alle ein eigenes Zimmer, Dinge werden weggeworfen statt repariert. Gerade Pearl fühlt sich magisch angezogen vom Heile Welt Familienleben der Familie. Und merkt schlussendlich, dass nicht alles was glänzt auch Gold ist.

    Sehr speziell empfand ich, dass Isabelle, auf den ersten 70 Seiten nur durch Erzählungen ihrer Familie an der Geschichte teilnimmt. Wie ein Gespenst ist sie präsent, doch nimmt nicht aktiv an der Handlung teil. Sehr gut hat die Autorin später das Hauptproblem von Isabelle eingeflochten. Denn Izzy hatte nach einem schweren Start ins Leben die geballte Ladung Sorge, Aufmerksamkeit und Ueberbehütung durch ihre Mutter auf sicher…und hat sich unweigerlich zu einem schwierigen Kind und Teenager entwickelt.

    Die Geschichte, die die Bevölkerung, und sogar Familien und Paare entzweit, die Frage bei wem das adoptierte Kind leben soll, entfesselt neue, eigene Geschichten um das Thema Adoption und Abtreibung. Celeste Nig spielt mit den Vorurteilen und den Gefühlen der Bewohner von Shaker Heights ( und die, der Leser ). Wer ist die bessere Mutter? Die reiche Linda, die sich seit Jahren ein Kind wünscht? Oder die alleinstehende, Migrantin Bebe Chow, die das Baby erst ausgesetzt hat und nun zurück will? Ein brisantes Thema, bei dem man unweigerlich ins Grübeln gerät…

    Die Autorin hat ein gesellschaftskritisches Werk geschaffen und ich war sehr gefesselt. Einzig ein paar holperige Stellen in der Handlung habe ich als gesucht und konstruiert empfunden. So, wie die Tatsache, dass Mia, als sie erfährt, dass eine Freundin von Mrs. Richardson ein asiatisches Baby adoptieren wird, sofort an Bebe Show, mit der sie mal zusammen gearbeitet hat, denkt. Und die auch noch zufälligerweise die Mutter des Babys ist.


    4ratten

    4 Mal editiert, zuletzt von Igela ()

  • Das Buch beginnt damit, dass das Haus der Richardsons abbrennt. Wie es dazu kam, erfährt man dann im restlichen Buch. Die Richardsons sind eine perfekte Familie (Vater, Mutter, 2 Mädchen, 2 Jungen, alle im Teenager-Alter) in einer perfekten Gemeinde. Alles ist brav und bieder, nur Tochter Izzy verwehrt sich der Perfektion. Und da gibt es noch Mia und Pearl, Mia, eine Künstlerin, der die Richardsons eine Wohnung vermietet hatten und ihre Tochter Pearl, die sich mit den Richardson-Kindern angefreundet hatte und durch die die Jugendlichen eine etwas andere Perspektive auf das Leben kennenlernen.


    Im Verlauf der Geschichte bekommt man aber auch als Leserin die Figuren aus immer wieder neuen Perspektiven gezeigt und stellt immer wieder fest, dass der erste Eindruck wirklich nur das ist und es eigentlich hinter jeder Verhaltensweise immer eine Geschichte steckt, die diese begründet. Man findet manche Dinge und Reaktionen falsch und wenn man dann Hintergründe erfährt, ist das Urteil längst nicht mehr so sicher. Und manchmal möchte man auch einfach alles anzünden.


    Ich mochte schon Ngs voriges Buch (Was ich euch nicht erzählte) und auch hier zeigt sie sich wieder als gute Analystin von problematischen (Familien-)Beziehungen. Ich hoffe, sie schreibt weiter so.


    4ratten


    PS. Eine Verfilmung als 8teilige Mini-Serie läuft im März 2020 auf der US-Video-On-Demand-Plattform "HULU" an.

  • Als das Haus der Richardsons in einem beschaulichen, sehr wohlgeordneten Vorort von Cleveland abbrennt und klar wird, dass es Brandstiftung war, sind sich so ziemlich alle einig, dass die Jüngste der Familie, die schon immer etwas rebellische Izzy, das Feuer gelegt haben muss. Fragt sich nur, warum ...


    Die Richardsons sind der Inbegriff einer wohlhabenden amerikanischen Mittelklassefamilie. Schönes Haus mit Garten, angesehene Berufe (er Anwalt, sie Journalistin bei der Lokalzeitung), in rascher Folge wurden 4 Kinder geboren, die nun alle im Teenageralter sind und eigentlich auch alle recht wohlgeraten, bis auf Izzy, die schon immer gerne aus der Reihe getanzt ist.


    Einige Zeit vor dem Brand ist die Künstlerin Mia mit ihrer Teenagertochter Pearl in ein zweites Haus im Besitz der Richardsons gezogen. Pearl hat sich mit den Richardson-Sprösslingen rasch angefreundet und gehofft, dass sie und ihre Mutter an diesem Ort Wurzeln schlagen können, dass das Nomadendasein, das sie bisher geführt haben, endlich vorbei ist. Doch auch aus Shaker Heights werden sie wieder überstürzt aufbrechen, und zwar kurz vor dem verheerenden Feuer.


    Keine Angst, das ist kein Spoiler, sondern wird schon auf den ersten Seiten des Buches klar, das mit dem Brand beginnt und dann um einige Monate zurück in die Vergangenheit schwenkt, um nach und nach aufzudröseln, welche Verkettung von vielerlei Umständen und zwischenmenschlichen Beziehungen schließlich zu der Katastrophe geführt hat.


    Wie schon in ihrem beeindruckenden Erstling "Everything I Never Told You" reißt Celeste Ng die Heile-Welt-Fassade einer vermeintlich typischen glücklichen US-Familie ein und blickt tief in die Seelen und Köpfe ihrer Protagonisten, angefangen mit der Mutter, die interessanterweise meistens nur als "Mrs. Richardson" bezeichnet wird und gerne mit Phrasen um sich wirft wie "was sollen die Leute denken" oder "so haben wir dich aber nicht erzogen", eine der Mütter, die überzeugt sind, dass bestimmte Dinge immer nur den anderen passieren und sich gerne wohltätig präsentieren, ohne zu merken, wie herablassend sie eigentlich sind. Doch auch in die sehr unterschiedlichen Charaktere der Teenager-Figuren fühlt sich die Autorin ausgezeichnet ein.


    Mit Mia und Pearl kommen zwei Menschen ins Spiel, die ein völlig anderes Leben zu führen gewohnt sind und auf ihre Weise jedem der Richardson-Kinder etwas Besonderes zu geben imstande sind. Es hätte alles wunderbar ausgehen können, wenn nicht bestimmte Ereignisse und einige Missverständnisse und Fehlinterpretationen die ganze Konstellation ins Wanken gebracht hätten. Diesen Weg, der, wie man von Beginn an weiß, unausweichlich zum großen Knall führt, zeichnet Celeste Ng ungemein mitreißend und mit psychologischem Feingefühl nach, zwar teils auch mal dramatisch, aber nie schrill oder laut oder überzogen.


    Erneut ein großartiges Buch von einer Autorin, von der ich sehr gerne noch viel mehr lesen würde.


    5ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich bin diesmal den umgekehrten Weg gegangen als sonst, wenn ich eine interessante Romanverfilmung entdecke und habe mir zuerst das Buch gekauft und es auch gleich gelesen. Hat mir gut gefallen, die Gründe wurden hier größtenteils schon angesprochen. Ich fand es auch gut, dass wir zwar das übliche "und dann passiert es, die Fassaden bröckeln!" haben, was ja praktisch die Quintessenz dieser Art Bücher ist, aber es passiert eigentlich nichts absolut grauenhaftes und auch die Leichen im Keller sind eher Schaufensterpuppen. Was ich hier gut fand, denn das Buch war trotzdem sehr spannend und hat sich von selbst gelesen, das lag zweifellos an den sehr gelungenen Figuren, natürlich vor allem die sehr unterschiedlichen Frauen und Mädchen, aber auch die beiden Richardson-Jungs wurden interessant geschildert, mit, wie ihren Schwestern, typischen Teenagerproblemen. Es hat mich nur rasend gemacht, dass wir nie erfahren, wie Moody tatsächlich heißt!

    Mir ist auch aufgefallen, dass Mrs. Richardson nur sehr selten Elena war und bei all den schattierten Figuren wirkte sie auch am negativsten, auf mich zumindest. Sollte sie einen also bewusst auf Distanz halten? Interessant fand ich allerdings auch, dass wir eine sehr logische Erklärung dafür bekommen, warum es stets kracht zwischen ihr und Izzie, beruhend auf den Umständen ihrer Geburt.


    Die größte Stärke des Buches waren für mich die moralischen Fragen, auf die man keine klare Antwort bekommen hat und über die man wohl selber eine Weile grübelt.

  • Es hat mich nur rasend gemacht, dass wir nie erfahren, wie Moody tatsächlich heißt!

    Das hab ich mich auch dauernd gefragt :breitgrins:

    Mir ist auch aufgefallen, dass Mrs. Richardson nur sehr selten Elena war

    Das war wirklich auffällig, passte aber auch gut zu ihrer Art. Die Fassade ist ihr ja meist wichtiger als das, was dahinter ist.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Valentine

    Hat den Titel des Themas von „Celeste Ng - Kleine Feuer überall“ zu „Celeste Ng - Kleine Feuer überall/Little Fires Everywhere“ geändert.
  • Meine Meinung

    Wie schon in ihrem beeindruckenden Erstling "Everything I Never Told You" reißt Celeste Ng die Heile-Welt-Fassade einer vermeintlich typischen glücklichen US-Familie ein...

    ... und macht sie wirklich gut. Ich wusste von Anfang an, dass es hinter der Fassade anders aussieht als es auf den ersten Blick scheint. Aber wie anders das ist, konnte ich mir nicht vorstellen. Das wird erst im Lauf der Lektüre deutlich.


    Eigentlich ist es nur ein normales Familienleben, was Celeste Ng beschreibt, denn die Aussagen, die im Buch getroffen werden, haben die meisten von uns schon gehört. Aber es kommt nur selten vor, dass sie so rigoros gelebt werden wie in der Familie Richardson und solche Auswirkungen haben. Auch wenn die Geschichte manchmal ein wenig überzeichnet klingt (was vielleicht auch an dem Erzählton lag, der mich irgendwie an Desperate Housewives erinnert hat), haben mich die Kleinen Feuer überall überzeugen können.

    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.