Stendhal - Rot und Schwarz

Es gibt 22 Antworten in diesem Thema, welches 9.892 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kirsten.

  • Trotzdem möchte ich keine Übersetzung lesen, die den Ausgangstext grundlegend umschreibt, sei es durch Streichungen, Umstellungen oder Hinzufügungen.


    Jede Übersetzung schreibt mehr oder weniger um. Streichungen oder Hinzufügungen sind (für mich!) natürlich untolerierbar; wenn ich aber z.B. in der aktuellen Glöckner-Leserunde sehe, dass es auch welche gibt, die froh sind, dass Hugos weitschweifige Einführung des Datums auf eine schlichte Jahreszahl gekürzt wurde, so sind da wohl andere auch anderer Meinung. Auch "Readers's Digest" hat sein Publikum.


    Schließlich bin ich auch kontextgebunden in dieser Zeit, warum soll ich also nicht eine „passende“ Übersetzung lesen, die das Ausgangswerk aber wenigstens respektiert.


    Einverstanden. Solange hier nicht einfach mit dem Begriff "bessere Übersetzung" operiert wird ...


    Wenn die Geschichte und die Protagonisten überzeugend sind, kann ich mit Schwächen im Stil unter Umständen auch leben ...


    Auch einverstanden. Und Stendhal lebt m.M.n. definitiv nicht vom Stil. Wenn man allerdings mit der Psyche / Psychologie seiner Figuren auch nichts anfangen kann, dann bleibt wenig ... :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Das Buch liegt schon eine geraume Zeit auf meinem SUB und vor einigen Tagen hatte es mich plötzlich gereizt, dass ich es trotz vieler angefangener Bücher zur Hand genommen habe.


    Ich lese die neue Übersetzung von Elisabeth Edl und ohne jetzt große Vergleiche zu haben, finde ich die Worte und Sätze bisher recht passend. Ich habe kurz in das freie Ebook auf Gutenberg reingelesen und spontan sprach mich meine Übersetzung mehr an und schien mir adequater. Vielleicht vergleiche ich noch ein paar Stellen direkt und/oder frage meine frankophilen Mitbewohner auch mal um eine Meinung zum französischen Original.


    Aber zurück zum Inhalt:


    Ich bin etwa bis zum 14. Kapitel bisher gekommen und kann mich den Meinungen zu Julien anschließen. Sympathisch ist er mir nicht. Ebensowenig wie irgendeine andere Figur bis zu diesem Zeitpunkt. Aber ich kann mich durchaus mit unsympathischen Hauptfiguren anfreunden, solange sie einigermaßen nachvollziehbare Handlungen folgen. Und in diesem Punkt finde ich das Buch meistens eigentlich recht stimmig auch wenn ich die Gründe meistens nicht persönlich nachvollziehen kann und es mir manchmal auch Schwierigkeiten bereitet, die Gefühle, Handlungen, Gedanken, Probleme, Ziele und Wünsche der Protagonisten zu verstehen und Taten und Einstellungen auseinanderzuhalten. Manchmal muss ich schon genau lesen bzw. mir die Absichten und Umstände nochmal durch den Kopf gehen lassen und sie vor allem in den zeitlichen Kontext einordnen.
    Ich habe schon zu Anfang der Lektüre das Nachwort etwas gelesen und überflogen und mich zwischendurch auch im Internet kurz kundig gemacht. Ich denke mir kommt auch sehr zugute, dass ich mit der Zeit und den Umständen etwas vertraut bin und momentan auch an der Uni Wirtschaftsgeschichte habe. Ich denke, ohne die geschichtlichen politischen Umständen näher zu kennen, ist es tatsächlich schwierig, die Handlungen, das Streben, die Unwissenheit und Naivität der Personen nachvollziehen zu können.
    Interessant finde ich momentan vor allem die Widersprüchlichkeit Juliens Charakters. Einerseits hat er einen Hass auf den Adel, der die (politische) Macht in Händen hält und auf Bürger wie ihn hinabschaut, auf der anderen Seite strebt er selbst so sehr nach Anerkennung, Macht und (wirtschaftlichen) Erfolg, dass sein Ehrgeiz und jugendlicher Eifer ihn blind machen für alles andere und er nicht im Stande ist, seine Situation genau zu reflektieren. Er geht mit einer jugendlichen Vorgenommenheit und Überlegenheit an alles heran, die ihm wie gesagt keine Sympathiepunkte einbringen, die aber auf der anderen Seite für mich aber trotzdem durchaus realistisch erscheinen, bedenkt man die familiären und politischen Hintergründe (junger, ehrgeiziger, aber unerfahrender Bursche, Außenseiter in der Familie, Wunsch nach Ansehen und wirtschaftlichem Erfolg, gleichzeitig die Rückkehr zur Monarchie in Zeiten der Restauration (was es für einen Bürger schwierig macht den gesellschaftlichen Aufstieg zu verwirklichen), den Drang das verhasste Provinznest zu verlassen, die Engstirnigkeit der Dorfbewohner, Herablassung des Land-)Adels, Trivialität und Oberfächlichkeit der Zeit, enge gesellschaftliche Konventionen, die jeden Schritt des Lebens bestimmen...)
    Dass er auch gute Seiten in sich hat, zeigt sich in den Situationen mit den Kindern, die ihn anscheinend lieben und denen er offen, freundlich und ehrlich begegnet.
    Eigentlich tut er mir fast etwas Leid, wie er aller Widerstände zum Trotz an seinen Plänen festhält, angetrieben von Hass und Machtstreben, er aber so fokusiert auf seine Ziellinie ist, dass er vergisst auf den Weg zu schauen. Allein der Abbé kann seine Gefühle etwas nachvollziehen und ihn durchschauen. Aber er selbst ist ein alter Mann, der wohl einen 18jährigen Teenager auch damals kaum ganz verstehen konnte...

  • Meine Meinung

    Ich glaube, ich bin zu alt dazu, einen pubertierenden Jüngling mit aufgeblasenem, aber eigentlich hohlen Ego interessant zu finden.

    Da bin ich ganz bei dir. Julien hat eine hohe Meinung von sich selbst und kann auch andere davon überzeugen, aber sie ist meiner Meinung nach nicht gerechtfertigt. Manchmal war ich geneigt, ihm sein Verhaltene zu verzeihen, weil er zum einen noch recht jung war, ihn zum anderen niemand wirklich unterstützt hat auf seinem Weg. Sich auf dem schlüpfrigen Parkett des Adels zu bewegen, ist mit Sicherheit nicht einfach. Aber ich habe bei Julien nie den Eindruck gewonnen, dass er aus seinen Fehlern lernt oder überhaupt die Schuld bei sich sucht. Die hat er immer weit von sich gewiesen.


    Trotzdem will ich Rot und Schwarz nicht ganz verurteilen. Den Blick, den ich auf das damalige Frankreich werfen konnte, war durchaus interessant.

    3ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.