Daniela Ohms - Wie Treibholz im Sturm

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    Nach dem ersten Roman der Autorin Daniela Ohms (Winterhonig) war ich sehr gespannt auf diesen Roman - und wurde nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil: Ein intensiveres Leseerlebnis, das den Leser in die Kriegs- und Nachkriegsjahre zurückkatapultiert und anhand des Kennenlernens zahlreicher Personen, die den Roman bevölkern; hauptsächlich jedoch den beiden Hauptprotagonisten Hannah und den stummen Soldaten, der aus dem Krieg zurückkehrt und zufällig mit ihr und zwei weiteren Kriegsheimkehrern die Dachstube eines Gutshofs in Schleswig-Holstein teilt, bis zur letzten Seite nicht loslässt, hatte ich selten. Besonders auffallend war für mich, dass auch die "Nebenfiguren" wie Egon, Freddie - aber auch Herr von Kobelenz sehr gut angelegt waren und die Autoren auch diesen sehr viel Leben 'einhauchte'.


    Der Roman beginnt in Hamburg, 1943 und man erlebt quasi mit, wie Hannah Riedel, Apothekertochter, verheiratet, ein Kind (4) nur durch Glück einen Fliegerangriff im Grindelviertel überlebt - jedoch an diesem Tag ihre gesamte Familie verliert...
    Traumatisiert wird sie aus Hamburg evakuiert und findet, wie so viele Flüchtlinge, eine vorläufige Bleibe auf einem Gutshof in Schleswig-Holstein. Dort teilt sie sich kurz darauf eine fast nicht beheizbare Dachkammer mit drei Soldaten, von denen einer kein Wort spricht und von den Freunden "Fuchs" genannt wird, da er rotes Haar hat. Von diesem stummen - oder sollte man besser sagen, verstummten Menschen, der Schreckliches im Krieg durchmachen musste, fühlt sich Hannah unweigerlich angezogen und möchte ihm helfen, verliebt sich trotz dessen Stummheit in ihn...


    Die zweite wichtigste Hauptfigur im Roman ist dieser "Fuchs", der knapp 18jährig, aus Ostpreußen stammend, den Zug mit hunderten anderer Soldaten besteigen muss und unterwegs bereits ahnt, was auf ihn zukommen wird. Er freundet sich mit einem älteren Kameraden an, da dieser ihn an seinen kleinen Bruder erinnert und wird gemeinsam mit Glaubitza einem Bataillon zugeteilt, das in Russland hinter der Frontlinie Partisanen bekämpfen sollen.... Es ist schier unglaublich, wie intensiv die Gefühle des kaum dem Kindesalter entwachsenen Fuchs von der Autorin dargestellt werden; seinen inneren Zwiespalt, seine erlebten Schrecken und sein unbeugsamer Überlebenswille:
    Die Lektüre der Kriegsszenen, die Daniela Ohms nicht ausspart, sind ein Kernthema des Romans und umkreist die Themen Schuld - und Sühne; Verantwortung und Menschlichkeit, die in Zeiten des zweiten Weltkrieges - währenddessen und auch hinterher - quasi ausser Kraft gesetzt werden und viele Männer traumatisierten, nicht wenige zeitlebens, da eine Unterstützung in psychologischem Sinne, wie es heute der Fall ist, nicht gegeben war. Es geht aber auch um Freundschaft, ja um Liebe in Kriegs- und Nachkriegszeiten; um das schwierige Weiterleben, um Vertriebene und Flüchtlinge, die einander noch teils Jahrzehnte suchen sollten, da ganze Familien ausgelöscht - oder in Flüchtlingstrecks auseinandergerissen wurden.....


    Die Konsequenzen von Traumata, Flucht und Vertreibung, besonders hier der früheren Gebiete Deutschlands wie Ostpreußen, Schlesien, Masuren z.B. greift die Autorin nicht nur auf, sondern beleuchtet sie in aller literarisch zur Verfügung stehenden Schärfe. Auch die "Wolfskinder" sind ein Thema und auch die Verfolgung und Ermordung der Juden - hier in Form von Klara, der besten Freundin Hannahs in der Zeit ihrer Kindheit, die aus einer jüdischen Familie stammte...


    Ich hatte das Glück, mich in einer autorenbegleiteten Leserunde mit anderen LeserInnen austauschen zu können und mir ging es wie einigen anderen: Der Roman ist keine leichte Kost und der Stil von Daniela Ohms sowie der Verlauf der Handlungsstränge im Roman, die sich zeitlich von 1943 bis etwa 1949 erstrecken; von Hamburg über Weißrussland, Ostpreußen bis nach Schleswig-Holstein verortet sind, zeigen anhand der großen Authentizität von sowohl Hannah als auch dem Fuchs deutlich auf, welche Spuren und seelischen Verletzungen ein Krieg stets bei Menschen hinterlässt.
    Dies kann und konnte in manchen Menschen solche irreparablen Schäden an der Seele verursachen, dass es kaum möglich war, wieder ein normales Leben führen zu können, die Wiese des Friedens wieder mit von Blut besudelten Stiefeln betreten zu können, wie es so treffend im Roman formuliert wurde. Auch lädt der Roman dazu ein, betreffende Themen wie Flucht, Vertreibung, Wolfskinder etc. durch eigene Recherchen noch zu vertiefen.


    Fazit:


    Daniela Ohms ist es unglaublich gut gelungen, eine Geschichte aus sehr dunklen Zeiten des 2. Weltkrieges zu erzählen, bei der man als Leser nahe an den sehr authentisch dargestellten Figuren "dran" ist; mit ihnen leidet, mitfiebert, sich freut, entsetzt ist und Hoffnung hat: Eine solche Intensivität, aber auch einen Roman, der mich emotional sehr mitgenommen hat und der mich mitunter an die Grenzen meiner Belastbarkeit beim Lesen brachte, habe ich sehr selten gelesen und möchte ihn dennoch absolut weiterempfehlen: Sehr gut recherchiert, exemplarisch für so viele Menschen, denen großes Leid zugefügt wurde durch den 2. Weltkrieg, die alles hinter sich lassen mussten und als Flüchtlinge geduldet wurden, schlägt die Autorin in ihrem Nachwort noch einen Bogen in die heutige Zeit, in denen erstmals die Zahlen von Flüchtlingen vergleichbar sind mit denen nach dem 2. Weltkrieg: Somit ist es für mich auch ein Plädoyer für Menschlichkeit und Frieden, der in allen Zeiten oftmals brüchig war: Es gilt, ihn zu erhalten, gerade in unserer Zeit!
    Von mir erhält der Roman die volle Punktezahl, 5* und 100° auf der Histo-Couch sowie eine absolute Leseempfehlung!


    5ratten:tipp:

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Hannah hat als Einzige aus ihrer Familie die Operation Gomorrha überlebt und ist nun in einer Kammer eines Nebengebäudes auf einem Gut in Schleswig-Holstein untergekommen. Als immer mehr Menschen eintreffen, müssen alle Evakuierten und Flüchtlinge zusammenrutschen - auch die junge Frau muss daraufhin ihr winziges Zimmer teilen. Die bereits zweiten Mitbewohner sind drei ehemalige Wehrmachtssoldaten, mit denen Hannah - nach kleineren Startschwierigkeiten - eine vorsichtige Freundschaft beginnt. Alle Bewohner der häufig unbeheizten Kammer sind stark traumatisiert und haben mit sich zu kämpfen - doch sie sind auch ein Stück weit Überlebenskünstler, die alles dafür geben, um irgendwie über die Runden zu kommen. Gemeinsam wird die Schicksalsgemeinschaft versuchen, sich bestmöglich zu unterstützen und so den Hungerwinter 46/47 zu überleben.

    Doch einer der vier macht besondere Sorgen: der junge Mann mit dem roten Schopf, den die anderen beiden - Egon und Freddie - „Fuchs“ nennen, da er kein Wort verlieren mag - nicht einmal seinen Namen. Halb verhungert, wirkt der ehemalige Soldat die meiste Zeit stark in sich gekehrt, abwesend. Trotz dieses Eindrucks schafft ausgerechnet „Fuchs“, Hannah aus ihrer ewigen Trauer und Lethargie zu reißen - mit ihm muss sie nicht reden, aber immerhin leistet er ihr beim Sammeln von Treibholz oder beim Sammeln von Früchten Gesellschaft. Doch als sich Hannah und der „Fuchs“ ganz langsam öffnen, muss die junge Frau erkennen, dass Moritz, wie der „Fuchs“ in Wirklichkeit heißt, nicht bleiben kann…


    Daniela Ohms hat bei diesem Roman extrem viel Fingerspitzengefühl bewiesen. Nicht nur, dass sie die mitunter sehr trostlose Situation der Menschen damals realistisch schildert, sie fängt auch ihre persönlichen Sorgen und Nöte derart gelungen ein, dass mir als Leserin kaum etwas anderes übrig geblieben ist, als berührt zu sein. Dabei empfinde ich das Thema als eine Gratwanderung, da das Leid der Flüchtlinge oftmals instrumentalisiert wurde - darüber darf man in meinen Augen aber niemals vergessen, wer Auslöser des ganzen Elends war. Hier hilft vor allem Hannah als Hauptfigur, die gänzlich unschuldig in diese ganze Situation geraten ist und nun stellvertretend für so viele um ihr Leben und ihre Zukunft kämpfen muss. Anhand der ehemaligen Soldaten zeigt die Autorin die Schuld einzelner im Getriebe des Angriffskrieges und ihren individuellen Umgang damit. Sehr eindringlich sind hierbei vor allem die Rückblenden mit den Erlebnissen Moritz’, die die Grenze zwischen Täter und Opfer verwischen lassen. An wirklich keiner Stelle schont Daniela Ohms ihre Leser*innen, sondern sie beleuchtet die Ereignisse bis hin zu den seelischen Verwundungen, die der Vernichtungskrieg bei fast allen hinterlassen hat.


    Mit „Wie Treibholz im Sturm“ habe ich einen Roman gelesen, der komplett stimmig in sich ist. Perfekt recherchiert, mit wichtigen Details gespickt und gekonnt erzählt, hat der Roman nicht nur alles, um sehr gut zu unterhalten. Nein, meiner Meinung nach ist er auch ein Lehrstück darüber, was Hass, Vernichtungswahn und Krieg mit unschuldigen, jungen Menschen macht. Mit bemerkenswertem Geschick erzählt die Autorin von Schuld, seelischen Schmerzen, Trauer und dem Versuch, mit all dem leben zu können - und trieb mir dabei nicht nur einmal die Tränen in die Augen.


    Ein Roman wie ein Lehrstück - vor allem wenn man nach all den Emotionen beim Nachwort angelangt und begreift, dass Daniela Ohms einen grandiosen wie wichtigen Bogen zu heutigen Flüchtlingsströmen zieht. Ich wünsche mir, dass dieses Buch viele, viele Leser*innen findet!


    Schlicht und ergreifend großartig! Anfang Juni kann ich mit Sicherheit feststellen, dass „Wie Treibholz im Sturm“ zu meinen absoluten Highlights dieses Jahr zählen wird.


    5ratten und ein :tipp:

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Das klingt sehr nach einem Roman den ich unbedingt lesen möchte :err: Ok, eigentlich verwundert mich das nicht zwingend, die bisherigen Romane der Autorin (ich hab auch einen Fantasyroman von ihr gelesen) fand ich alle toll.

  • Es gibt viele Romane, die im Schatten des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit spielen. Es gibt sogar viele gute Romane aus genau dieser Zeit. Und dann gibt es Autorinnen wie Daniela Ohms, die uns diese Zeit auf ganz besondere und wundervolle Weise näherbringen. Eine Weise, die unter die Haut geht und Gänsehaut verursacht.

    Ich muss gestehen, ich habe dieses Buch von der ersten Seite an geliebt. Sicher wird auch hier wieder an das Grauen erinnert, aber vor allem ist ein tiefes Schuldeingeständnis eines Soldaten. Ein Schuldeingeständnis, das ihn fast zerbrechen lässt. Eine junge Frau namens Hannah versucht trotz ihrer eigenen misslichen Lage gepaart mit tiefer Trauer ein wenig Sonnenschein in sein Leben zu bringen. Ihn, den alle nur „Fuchs“ nennen, denn er spricht nicht mehr, die Grausamkeit des Krieges nahm ihm die Sprache. Hannah verliebt sich in den traumatisierten Mann, doch kann sie es schaffen, ihm ein lebenswertes Leben zurückzugeben?

    Daniela Ohms verfügt über ein unglaubliches Einfühlungsvermögen, fast könnte man meinen, sie wäre selbst dabei gewesen. Wie schon von ihrem Vorgängerbuch „Winterhonig“ schafft sie es wieder dem Leser ein Leseerlebnis der besonderen Art zu präsentieren. Ich bin begeistert und vergebe gerne die Note eins mit Sternchen!

  • Meine Gedanken/Meinung:


    Ich gebe zu, ich habe ein Problem damit, wenn es in Romanen immer wieder nur diese "guten Deutschen" als Hauptfiguren gibt, die natürlich gegen die Nationalsozialisten waren, aber gleichzeitig ach so hilflos und alles dann doch hinnehmen. Das ist eine Sichtweise die nicht nur ignoriert, wie viele Menschen dann am Ende still profitierten, das Juden enteignet und in die Konzentrationslager geschickt wurden, sondern auch, das sehr viele Menschen ideologisch kein so großes Problem damit hatten, wie Deutschland nun regiert wurde.

    Deshalb habe ich mit Hannah als Figur in gewisser Weise meine Probleme, weil sie eher unrealistisch ist für die Zeit, aus der sie stammt. Auch wenn ihr restliches Schicksal ansonsten durchaus repräsentativ ist, finde ich es immer wieder problematisch, wie verklärend viele Autor*innen oft an Teile der deutschen Geschichte herangehen. Mag sein das man sich so eine sympathische Figur zurechtzimmert, aber das überdeckt nur schlecht und recht die Verklärung dahinter. Auch wenn es im Roman selbst glaubwürdig ist, weshalb Hannah kritisch bleibt, fände ich es wichtiger, ambivalente Figuren zu beschreiben und damit auch der Realität näher zu kommen.

    Auch wenn der Fokus stärker auf der unmittelbaren Nachkriegszeit liegt, spielt die Vergangenheit trotzdem eine wichtige Rolle. Das ist aber eben ein allgemeines Problem, wie die Zeit des Nationalsozialismus in Unterhaltungsliteratur dargestellt wird und natürlich auch immer im Wechselspiel mit der Gesellschaft und damit den Leser*innen zu betrachten...


    Andere Punkte des Romans haben mir aber gut gefallen, vor allem auch der Ansatz, zu überlegen, wie ein Soldat mit seinem Trauma und seiner Schuld umging. Was aber auch von ihm erwartet wurde. Schweigen und Füße Stillhalten über die Verbrechen der Wehrmacht wurde von ehemaligen Kameraden und auch der Gesellschaft eingefordert. Nur so konnte man auch die eigene Schuld weit von sich schieben. Die Figur des Moritz, aber auch Holger und auch andere Soldaten sind Beispiele dafür, was speziell auch der zweite Weltkrieg mit den Menschen gemacht hat (aber vieles lässt sich natürlich auch auf Krieg im allgemeinen übertragen.). Wieviel Schuld kann man ertragen? Wie sich dem Stellen? Kann man damit jemals ins Reine kommen und wenn ja, wie soll das gehen?


    Was mir auch sehr gefiel war wie die Autorin hier eine Liebesgeschichte erzählt, die davon überschattet ist, was Moritz erlebt hat. Die Annäherung bleibt immer glaubwürdig und vieles was dann passiert, zeigt, das man nicht jedem Menschen helfen kann, und wenn man es noch so sehr möchte.


    Der Schreibstil der Autorin gefiel mir schon immer sehr gut, weshalb es mich nicht überrascht hat, das mir der Roman insgesamt trotz meiner oben genannten Kritikpunkte sehr gut gefiel. Ich hatte vieles direkt vor Augen und war mitten unter den Figuren und ihrem Schicksal.

    Ich kann aber trotzdem nicht ganz ignorieren, das ich auch kritische Punkte habe.

    So kommt dann auch mein Abzug zu Stande.


    4ratten