Anja Jonuleit - Das Nachtfräuleinspiel

Es gibt 15 Antworten in diesem Thema, welches 1.830 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Juva.

  • Anja Jonuleit - Das Nachtfräuleinspiel


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links



    Broschiert: 493 Seiten

    Verlag: dtv Verlagsgesellschaft (22. Juni 2018)

    ISBN-13: 978-3423261999

    Preis: 15,90 €

    auch als E-Book und als Hörbuch erhältlich


    Wenn aus dem Spiel Ernst wird


    Inhalt:

    Das siebzehnjährige Pflegekind Annamaria träumt von einer liebevollen Zukunft. Als sie von Liane in deren Familie aufgenommen wird, kann sie ihr Glück kaum fassen. Doch bald schon muss das Mädchen erkennen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt.


    Meine Meinung:

    Anja Jonuleit kann mich immer wieder mit ihren Romanen überzeugen. Sie versteht es, interessante Themen unterhaltsam zu verpacken und fesselnd zu erzählen.


    „Das Nachtfräuleinspiel“ erstreckt sich über einen Zeitraum von knapp 50 Jahren. Immer wieder springt die Handlung zwischen 1968 und 2017 hin und her, mit Zwischenstopps in den 1970er und 1980er Jahren. Die Perspektive wechselt zwischen Annamaria und Liane, die sich 1968 in den gut aussehenden Carl verliebt und wirklich alles tut, um ihn für sich zu gewinnen und vor allem, ihn zu halten, was gar nicht so einfach ist. Sie entwickelt sich dabei zu einer Meisterin der Manipulation.


    Liane entpuppt sich immer mehr als egozentrische Person, die auch bereit ist, über Leichen zu gehen. Eigentlich kann man ihr den ebenso egoistischen Carl nur gönnen, denn er steht ihr in nichts nach.


    Annamaria ist dagegen ein sehr liebes Mädchen, das sich einfach nur ein gutes Leben wünscht, nachdem das Schicksal es bisher mit ihr nicht allzu gut gemeint hat. Als die beiden ungleichen Frauen aufeinandertreffen, scheint sich zuerst auch alles zum Guten zu wenden. Doch nach und nach erfährt Annamaria immer mehr Dinge über Liane und Carl, die ihre Beziehung schwer belasten.


    Häppchenweise lässt Jonuleit verschiedene Handlungsstränge zusammenlaufen. Einiges kann man sich schon bald denken, anderes ist wirklich überraschend. Nachdem die ganze Geschichte ziemlich ausführlich erzählt wurde, ging es mir dafür am Schluss ein klein wenig zu hastig zu.


    ★★★★☆

  • Das Hörbuch liegt aktuell in meinem CD-Player - bin gerade an der Stelle



    Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht! :)


    Ich kenne von der Autorin schon die Hörbücher "Der Apfelsammler" und "Rabenfrauen", die mir auch beide gut gefallen haben. (Wobei mich der männliche Protagonist im "Apfelsammler" mächtig genervt hat, aber das ist ein anderes Thema!)

    Einmal editiert, zuletzt von Balena ()

  • Ahhh, sorry!! :huh: Ich bin ja eigentlich auch eine Hardcore-Nichtspoilerin, aber hier hatte ich das noch gar nicht als Spoilern eingeordnet, weil die Geschichte ja noch ganz am Anfang ist und man noch nichts (mich eingeschlossen) über das Ende erfährt. Aber Du hast Recht, wer lieber noch nichts Konkretes über die Handlung wissen will, für den ist das schon ein Spoiler, und ich bin da im Zweifelsfall auch lieber ein bisschen strenger. Also hab ich's jetzt geändert. :)

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links



    Anja Jonuleit: Das Nachtfräuleinspiel. Roman, München 2018, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-26199-9, Klappenbroschur, 492 Seiten, Format: 13,5 x 4 x 20,8 cm, Buch: EUR 15,90 (D), EUR 16,40 (A), Kindle Edition: EUR 13,99. Auch als Hörbuch lieferbar.


    „Ich habe es geschafft, dachte sie, immer wieder diesen einen Satz. Die Verwandlung ist vollzogen, aus der unsicheren Provinzkindergärtnerin, die den Mund nicht aufkriegt, ist eine eloquente Akademikerin geworden.“ (Seite 378)


    Anja Jonuleits Kriminalromane waren so ganz mein Ding. Aber das hier ist wirklich eine wunderbar böse und spannende Geschichte – und einen mysteriösen Todesfall gibt’s auch.


    Es geht um Liane van der Berg, 69, eine erfolgreiche Erziehungs-Expertin mit eigener Praxis, einer TV-Sendung, einer Anzahl Sachbuch-Bestseller und einem umfangreichen Vortragsprogramm. Eine mustergültige Familie hat sie obendrein: Mit ihrem Mann, dem Oberarzt Dr. Carl Winterling, hat sie fünf wohlgeratene Kinder und dazu noch eine Pflegetochter: Seit einiger Zeit wohnt die 17-jährige Abiturientin Annamaria De Luca bei ihnen, eine Waise, die von ihrem Deutschlehrer ein Kind hat.


    Liane wird wie eine Heilige verehrt

    Von ihren Fans wird Liane van der Berg wie eine Heilige verehrt – dabei hat sie in ihrem Leben noch nie etwas Uneigennütziges getan. Pflegetochter Annamaria, zum Beispiel, weiß genau, dass sie nur so lange auf dem Hellsternhof bleiben darf, wie sie den Haushalt schmeißt, die Kinder versorgt und dabei Lianes strenge Regeln bezüglich Erziehung und Ernährung genauestens befolgt. Schon das Backen mit Zucker ist Grund für einen sofortigen Rausschmiss.


    Ach ja: Und die Aufmerksamkeit des Hausherrn sollte Annamaria besser auch nicht auf sich ziehen. Der v*gelt nämlich alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.


    Anfangs ist Annamaria voller Ehrfurcht und Bewunderung für ihre Pflegemutter/Chefin. Die hat nicht nur in Haushalt und Familie die Zügel fest in der Hand – der Gatte kümmert sich um nichts -, sie arbeitet auch wie eine Besessene und engagiert sich zudem unermüdlich für die Waldorfschule ihrer Kinder. Dieses Arbeitspensum müsste sie eigentlich umhauen, aber sie lächelt den Stress huldvoll weg.


    Die Erziehungs-Expertin hat zwei Gesichter

    Es dauert eine Weile, bis die naive Pflegetochter/Hausangestellte Sein und Schein auseinanderhalten kann und begreift, dass ihre Herrschaften zwei Gesichter haben: ein öffentliches und ein privates. Die private Liane ist ein egozentrisches, verlogenes und manipulatives Biest, das es vortrefflich versteht, Empathie vorzutäuschen. Davon hat sie nämlich nichts. Alles nur Fassade.


    Anja Jonuleit erzählt die Geschichte auf mehreren Zeitebenen. Von den 1960er Jahren an verfolgen wir das Leben von Liane van der Berg, Jahrgang 1948,


    Nur ihre Tagebücher sollte tunlichst keiner lesen, denn da findet ganz ungeschönt die wahre Liane statt.


    Die zweite Zeitebene sind die späten 1980er-Jahre. Nachdem sich Annamaria De Lucas Pflegemutter aus dem Staub gemacht hat, ist das minderjährige Mädchen auf sich selbst gestellt. Der Vater ihres Kindes drückt sich vor seiner Verantwortung. Annamaria versucht, alleine klarzukommen, was scheitern muss.



    Wenigstens kann der Polizeibeamte arrangieren, dass sie in eine neue Pflegefamilie kommt. So landet sie bei Liane und Carl auf dem Hellsternhof.


    Wer will sich an Liane rächen?

    Die dritte Zeitebene beschränkt sich auf wenige Tage im April 2017. Liane van der Berg hat als FAMILIENRETTERIN Kultstatus erreicht. Die Jubiläumssendung ihrer TV-Serie soll der ganz große Knaller werden. Doch da holen sie auf einmal alle ihre Schandtaten aus der Vergangenheit ein. Es muss ein alter Weggefährte sein, der anonyme Briefe mit zutreffenden Anschuldigungen an Lianes persönliches Umfeld verschickt und durch diverse einfallsreiche Aktionen ihren Ruf zu ruinieren versucht. Und derjenige muss Zugang zu ihrem Haus haben.


    Der Leser schaut fassungslos zu, wie eine üble Geschichte nach der anderen ans Licht gezerrt wird und die Zahl derer, die aus guten Gründen Liane gern am Boden sähen, stetig wächst. Keine Frage: Bei dieser Frau klaffen Selbstbild und Fremdbild weit auseinander!


    Mit einer gewissen Schadenfreude sieht man, wie dieser Unbekannte aus sicherer Deckung heraus Lianes Leben in Trümmer haut. Ja, dieses scheinheilige Luder hat wirklich jeden einzelnen Schlag redlich verdient!


    Dass sie ihre Kinder und Patienten mit umstrittenen Behandlungsmethoden terrorisiert hat, zeigt, dass sie unterwegs jegliches Mitgefühl verloren hat. Ich weiß noch, wie schockiert ich war, als ich in späten 1980er-Jahren erstmals von der „Therapie“ gehört habe, die Liane bevorzugt. Ich hab‘ keine Kinder, aber ich war mal eines. Und ich konnte mir nicht vorstellen, dass DAS einem Menschen gut tun kann. Gut, Erziehungsmethoden sind quasi-religiöse Ansichtssachen – das sehen wir sehr schön im Buch -, aber es gibt Grenzen, die der gesunde Menschenverstand setzen sollte. Liane van der Berg ist das egal. Ab einem bestimmten Zeitpunkt geht es nur noch um ihre Außenwirkung.


    Wer sich an Liane rächt, ist fast schon Nebensache. Hauptsache, dass!


    Nomen est omen

    Vielleicht ist das jetzt eine Überinterpretation, aber der Name „Liane“ ist für die Protagonistin trefflich gewählt: Eine Liane ist eine Schlingpflanze, die sich um andere Lebewesen windet und ihnen so Licht, Luft und Nährstoffe nimmt und sie an einem gesunden Wachstum hindert. Und das passt!


    Dass sie im Lauf der Jahre immer mehr abhebt, wird auch an den Namen ihrer Kinder deutlich. Die ersten drei heißen noch ganz bodenständig Matthias, Gesine und Lieselotte. Ruben war damals für sehr ländliche Regionen im Schwäbischen schon ein bissle überkandidelt. Und beim jüngsten Kind ist sie völlig ausgetickt: Das Mädle heißt Hortensie! Damit wird man auf dem Dorf zum Mobbingopfer!


    Das allein wäre für die Tochter schon Grund genug für einen Rachefeldzug. Aber war sie’s …?


    Die Autorin

    Anja Jonuleit, in Bonn geboren, wuchs am Bodensee auf und ging dann einige Jahre ins Ausland. Sie studierte Italienisch und Englisch am Sprachen- und Dolmetscherinstitut in München, arbeitete als Übersetzerin und Dolmetscherin, bis sie mit Mitte dreißig das Schreiben entdeckte. Sie ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Friedrichshafen.

  • Eine Frau geht ihren Weg ... und wenn es über Leichen ist ...

    Die von mir sehr geschätzte Autorin Anja Jonuleit hat sich mit dem „Nachtfräuleinspiel“ ein heikles Thema rausgesucht, das höchst kontrovers zu betrachten ist. Wo sind die Grenzen von Übermutter zu Misshandlung angesiedelt? Wieviel Manipulation, Strafe und fehlende Empathie einer Mutter kann ein Kind ertragen?

    Wir bewegen uns im Roman auf drei Ebenen, angefangen mit den 60er Jahren, in denen die junge Liane anfängt ihre Ränkespiele zu spielen. Sie hat es sich in den Kopf gesetzt Carl zu erobern, der aber scheinbar gar nicht erobert werden will, sondern ganz zufrieden ist in seiner Kommune jenseits des Spießerlebens seiner Mutter. Doch Liane spinnt Intrigen und ersinnt immer neue perfide Ideen, um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Als wir schließlich Anna-Maria in den 80er Jahren kennenlernen, hat sie es geschafft und lebt bereits in ihrer „perfekten“ Familie mit Arzt zum Mann und Vorzeigekindern. Auch Anna-Maria sehnt sich nach einer solchen Bilderbuchgemeinschaft und wird schließlich überglücklich trotz Babybauch von Liane aufgenommen. Was anfangs als scheinbares Familienidyll beginnt, entpuppt sich bald zum Albtraum … schließlich in der Gegenwart angelangt treffen wir wieder auf Liane – inzwischen TV Karrierefrau, deren perfektes Leben zu zerbrechen scheint, denn die Vergangenheit hat sie eingeholt. Hier ist jemand, der auf Rache sinnt …

    Ich habe mich für die Hörbuchversion dieses Romans entschieden und muss zugeben, dass ich anfangs Schwierigkeiten hatte, mich in der Geschichte zurecht zu finden. Die Zeitsprünge, immer wieder untermalt vom schwäbisch-allemannischen „Nachtfräuleinspiel“, machten den Einstieg nicht einfach. Doch einmal drin, ließ mich die Story nicht mehr los. Ich war schockiert über die „Erziehungsmaßnahmen“, die Liane ihrer Umwelt gegenüber ergriff und hiermit meine ich nicht nur gegenüber Kindern. Mit einer unglaublichen Gefühlskälte manipuliert sie ihr Umfeld, die einen erschaudern lässt. In ihre Fänge möchte man nicht geraten, weder damals noch heute.

    Mit den „Rabenfrauen“ können die Nachtfräulein nicht ganz mithalten, dennoch wieder ein sehr lesens- bzw. hörenswertes Buch einer großartigen Autorin.


    Von mir gibt es vier von fünf möglichen Sternchen :)

  • Das Buch spielt in drei Zeitebenen: 1968, 1986 und 2017. Anfangs hatte ich die Befürchtung, dass mich das beim Lesen durcheinander bringen könnte, aber dem war überhaupt nicht so.


    Ich fand das Buch sehr spannend, weil ich lange nicht wusste, wo die Reise hingeht. Die Handlung an sich ist sehr interessant und vor allem teilweise auch sehr kontrovers. Die Haupthandlung ist das Leben von Liane, die als Erziehungsexpertin bekannt wurde und ihre Erziehungsmethoden auch an ihren Kindern praktizierte. Die Geschichte durchläuft sehr viele Stadien in ihrem Leben, wodurch man langsam immer besser erkennt, wer die wahre Liane ist. Und dann ist da noch Annamaria, die als schwangere Waise bei Liane aufgenommen wird.


    Jedes Kapitel beginnt als Überschrift mit der jeweiligen Person und dem Jahr. Darüber steht in kursiv ein Satz - diese Sätze konnte ich anfangs überhaupt nicht einordnen, aber ich wusste, dass sie bedeuten, dass noch etwas passieren wird. Das ganze Buch über passiert sehr viel, es wird an keiner Stelle langweilig, aber ich habe auf das große Peng! gewartet. Das fand ich sehr, sehr spannend!


    Das Buch konnte mich komplett in seinen Bann ziehen, es hat mir sehr gut gefallen. Die Thematik ist natürlich sehr kontrovers und bietet reichlich Stoff zum Nachdenken und Diskutieren.


    5ratten

  • Ich musste bei der Lektüre öfters an die Psychologin Irina Prekop denken, deren Bücher zur Zeit meiner "Kinderaufzucht" äußerst populär waren. Ist die eigentlich im Nach/Vorwort iwo erwähnt, marimirl ?? (Kann mich nicht mehr erinnern...)

  • Alice Ja, sie wird im Nachwort erwähnt.


    Wenn es dich interessiert, kann ich auch genauer raussuchen, was im Nachwort steht.

  • Wenn Du das Buch noch da hast und es leicht geht, gerne, marimirl :). Ansonsten könnte/müsste ich bei Gelegenheit einfach nachsehen, ob es in unserer Bib gerade verfügbar ist.


    Interessant halt, wie/wenn auch "jüngste" pädagogische Empfehlungen auf diese Art kritisiert/verarbeitet werden.. Bücher, auch die von Fachfrauen/männern, enthalten eben selten "absolute Wahrheiten", und ich erinnere mich noch gut an meinen damaligen Gedanken, dass man von "Erziehungsratgebern" entweder gar keine oder aber viele verschiedene lesen sollte.

  • Im Prinzip geht es darum, dass Irina Prekop in ihrem Buch genau die Methodik beschreibt bzw. empfiehlt, die Liane anwendet.

    Im Nachwort steht auch dass ein amerikanischer Psychotherapeut diese Methodik heute noch anwendet, unter anderem um von Homosexualiät zu heilen. Erschreckend.


    Die Autorin macht dann deutlich, dass sie von diesen Methoden nichts hält, weil sie darin nur Gewalt sieht.


    Ich glaube ja auch nicht, dass Liane wirklich von diesen Methoden überzeugt war, sondern dass sie Produkt ihrer eigenen psychischen Probleme waren.

  • Das Nachtfräuleinspiel ist irgendein Kinderspiel aus der schwäbischen Alb, dessen Regeln ich nicht verstanden habe, was mich das ganze Buch hindurch irgendwie irritiert hat, obwohl ein Verständnis der Regeln für die Lektüre gar nicht wirklich notwendig ist. Die Gegend, in der das Buch spielt steht damit aber schon mal fest. Hauptfigur ist Liane: wir begegnen ihr zuerst Ende der 1960er Jahre, wo sie als Kindergärtnerin in eine Studentenclique gerät und ihren zukünftigen Mann kennenlernt. Rund 50 Jahre später ist sie als „Familienretterin“ im Fernsehen bekannt als plötzlich nicht mehr alles glatt läuft - irgendjemand wirft ihr Verfehlungen aus der Vergangenheit vor und droht das heile Bild von ihr zu zerstören.


    Die zweite Hauptfigur ist Annamaria, eine junge Waise, die in den 1980ern im Haushalt Lianes unterkommt.


    Ich weiß immer noch nicht so recht, was ich von dem Buch halten soll. Es gab keine wirklichen Sympathieträger, beide Partner waren in erster Linie Egoisten und, seien wir mal ehrlich, Annamaria war schon etwas naiv in ihrer Wahrnehmung, so dass ich sie schon manches Mal packen wollte, um ihr zu sagen, sie solle doch mal selber denken. (Natürlich ist das leicht gesagt und in ihrer Lage schwer getan, aber es nervte mich etwas.)


    Gerade Liane verliert im Laufe der Zeit jegliche positiven Züge. Diese Diskrepanz zwischen ihrer selbstgerechten Eigenwahrnehmung und dem, was zum Beispiel ihre eigenen Kinder empfinden und wie man selbst als Leserin die Situation deutet, war unangenehm. Ich habe zudem soeben erst einen autobiographischen Roman einer Autistin beendet und bin mir ziemlich sicher, dass sie die von Liane als Nonplusultra der Kindertherapie gepriesene Festhaltetherapie als Folter empfunden hätte. (Zu dem Thema gibt es dann auch einiges zum realen Vorbild im Nachwort).


    Das Buch lässt mich zwiegespalten zurück, es war nicht schlecht, hat mich aber auch nicht vollends begeistert und das hätte es tun müssen, um mich das (von der Autorin vermutlich beabsichtigte) unangenehme Gefühl, das das ganze Geschehen bei mir ausgelöst hat, überwinden zu lassen.


    4ratten

  • Ich hofffe, endlich Zeit zu haben, damit anzufangen, denn eure Kommentare zu dem Buch machen ich immer neugieriger. Es ist ja für die Monatsrunde angemeldet.

  • Ich hofffe, endlich Zeit zu haben, damit anzufangen, denn eure Kommentare zu dem Buch machen ich immer neugieriger. Es ist ja für die Monatsrunde angemeldet.

    Geht mir genauso, ich verfolge die Beiträge hier auch gespannt und habe es schon bereitliegen, um damit anzufangen.

  • Es kommt selten vor, dass ein Buch, das mit derartig unsympathischen ProtagonistInnen ausgestattet ist, mich trotzdem so packen kann. In den ersten zwei Dritteln des Romans lag es sicher daran, dass die Handlung sehr spannend war, danach hatte ich deutliche Vermutungen, mit denen ich auch richtig lag, wollte dann aber unbedingt wissen, wie weit der-/diejenige gehen würde, der/die Lianes Leben und Lebenswerk zerstören möchte.


    Das Nachtfräuleinspiel ist ein historisches Spiel, dessen Text am Ende des Romans komplett wiedergegeben wird, während vorher die einzelnen Sätze kursiv gedruckt den Kapiteln vorangestellt sind. Die Nachtfräulein stehlen zusammen mit ihrer Mutter Urschel die Kinder einer Mutter, die zur Hexe wird und sich dadurch ihre Kinder zurückholt, die sie auch alle zu Hexen macht. Ich habe den Bezug zur Handlung so verstanden, dass hier zwei konkurriende Mutterfiguren - Liane und Annamaria - um die Sympathie und Anhänglichkeit von Lianes fünf Kindern rivalisieren, was zu wiederholten Konflikten führt. Letztendlich setzt sich Liane durch, sie bleibt, Annamaria muss gehen, aber für ihre Kinder haben ihre Erziehungsmethoden am Ende einen hohen Preis.


    Liane war mir von Anfang an unsympathisch, sie ist manipulativ und selbstgerecht und bedient sich ausgesprochen perfider Mittel, um Konkurrenz und Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Sie hat keinerlei Hemmungen, auch zu direkten Lügen zu greifen - hier hatte ich teilweise Schwierigkeiten nachzuvollziehen, dass gerade eine solche Person aus Gründen der Psychohygiene lebenslang (und ehrlich!) Tagebuch schreiben sollte, aber diese Tagebücher sind nunmal wesentlich für die Handlung, wenn auch nicht immer glaubwürdig. Ihre Art, sich als Frau zu inszenieren, der alles gelingt, hat etwas krankhaftes, zumal sie sich selbst damit sehr unter Druck setzt.


    Annamaria ist das totale Gegenteil der kühl kalkulierenden Liane - sehr naiv und vertrauensselig, auch diese Figur ist damit nicht ganz überzeugend, denn sie scheint nicht zu der Vita des ehemaligen Heimkindes zu passen, als das sie dargestellt wird - hier würde man doch etwas mehr Realismus und weniger Wunschdenken erwarten, da sie immerhin bereits die Erfahrung gemacht hat, dass die Welt nicht gut und gerecht ist. Ihren Glauben an die "glückliche Familie", bei der sie einzieht, als eine Chance zu begreifen, nehme ich ihr noch ab, aber die Affäre mit dem Vater ihres Kindes ist einfach dämlich. Gut gefallen hat mir aber, dass gerade am Ende des Romans deutlich wird, dass sie eben nicht wie Liane ist, sondern aus ihren Erfahrungen gelernt hat, das gibt Annamarias Geschichte in gewisser Weise ein versöhnliches Ende.


    Dass die im Roman erwähnten Erziehungsmethoden höchst fragwürdig sind, erschließt man sich schon beim Lesen, die Erläuterungen der Autorin am Ende des Buches runden diese Erkenntnis dann ab. Es trägt für mich zur Spannung des Romans bei, dass diese Informationen in der Geschichte absolut plausibel eingebaut sind.


    Auch wenn ich für die kleinen Kritikpunkte bei der Figurengestaltung eine Ratte abziehe halte ich das Buch für lesenswert, ich hatte damit einige spannende Lektürestunden.

    4ratten