Jo Walton - Der Tag der Lerche/Ha'penny (Inspector Carmichael 2)

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    Originaltitel: Ha'penny


    Sommer 1949, London freut sich, den Führer zu Gast zu haben.


    Die titelgebende Lerche ist Viola Lark (Larkin), die die Hauptrolle in der neuesten Hamlet-Inszenierung ergattert hat (Cross-Gender-Besetzungen sind gerade in). Ihre Freude wird schnell getrübt, denn wider Willen und durch ihre Schwester wird sie in eine Verschwörung verwickelt.

    Der zweite Strang beschäftigt sich wieder mit Inspector Carmicheal (vgl. Band 1), der die Ermittlungen zu einer Bombenexplosion einer anderen Schauspielerin aus dem Stück führen soll. Seine Vorgesetzten wissen, dass sie sich darauf verlassen können, dass er die Ermittlungen in ihrem Sinne führen wird, so sehr ihm das auch widerstreben mag.


    Bei Viola Lark und ihren zahlreichen Schwestern hat die Autorin sich von den Mitford-Schwestern inspirieren lassen, die Wandlung Violas von der unpolitischen Künstlerin, die die Gerüchte über Massenermordungen in Deutschland als bloße Gerüchte abtut, zu einer Frau, die überzeugt ist, von dem was sie tut, ist der Autorin gut gelungen. Auch Carmichaels Gewissensbisse und seine Selbsttäuschung, dass er doch irgendetwas bewirken könnte, wenn er mitläuft, statt aufzubegehren und die Konsequenzen zu tragen, sind glaubwürdig dargestellt. Die polizeilichen Ermittlungen laufen eher nebenher ab, zeigen aber viele kleine Details, die die wirkliche Hauptfigur des Romans unterstreichen. Die spielt nämlich erneut das sich immer mehr ans Deutsche Reich annähernde politische System Englands, voller Antisemitismus und mit immer weiteren Einschränkungen der persönlichen Freiheit und Stärkung der Kontrollmechanismen.


    4ratten

  • Valentine

    Hat den Titel des Themas von „Jo Walton - Der Tag der Lerche (Inspector Carmichael 2)“ zu „Jo Walton - Der Tag der Lerche/Ha'penny (Inspector Carmichael 2)“ geändert.
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    Viola Lark stammt aus einer Society-Familie, heißt eigentlich Larkin und ist, wenn man ihre Mutter fragt, nicht unbedingt eine wohlgeratene Tochter. Eine Theaterschauspielerin war nicht Mamas großer Traum, doch Viola stört das wenig, und sie ist froh, die Hauptrolle in "Hamlet" abgestaubt zu haben (Geschlechtertausch ist auf den Londoner Bühnen gerade angesagt). Ihre Bühnenpartnerin soll die legendäre Lauria Gilmore werden, doch es kommt nicht einmal zu einer gemeinsamen Probe - Lauria kommt bei einer Bombenexplosion in ihrem Haus ums Leben.


    Zunächst vermutet man einen Anschlag, doch die Ermittlungen von Inspector Carmichael weisen bald in eine ganz andere Richtung, und es gilt, ein potentielles Attentat auf zwei illustre Besucher einer Hamlet-Aufführung zu verhindern: den britischen Premierminister und seinen Ehrengast Adolf Hitler.


    Wir befinden uns wieder im Paralleluniversum, das Jo Walton bereits in "Farthing" (dt. "Die Stunde der Rotkehlchen") eingeführt hat, einem Großbritannien, das früh aus dem Krieg ausgestiegen ist und nun, 1949, von einer faschistisch angehauchten Partei regiert wird. In Deutschland sitzt Hitler nach wie vor fest im Sattel und plant einen Staatsbesuch auf der Insel, was einer kleinen Widerstandsbewegung überhaupt nicht gefällt.


    Nachdem man ihm am Ende des ersten Bandes eine fragwürdige Entscheidung abgenötigt hat, sitzt Carmichael zwischen allen Stühlen. Eigentlich ein liberal eingestellter Mensch und um moralisch einwandfreies Handeln bemüht, darf er sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, um sich selbst und seinen Partner Jack nicht zu gefährden. Ein Dilemma, das ihm auch in diesem Fall wieder schwer zu schaffen macht, denn im Grunde seines Herzens wäre es ihm nur recht, wenn man Hitler den Garaus machen würde, und doch muss er versuchen, die Verschwörung der Regimegegner zu vereiteln.


    Mit Carmichaels nachdenklicher Erzählstimme wechselt sich Violas Ich-Perspektive ab. Diese klingt ein bisschen weniger ironisch als Lucy Kahn im ersten Teil, ist aber auch vom Typ unkonventionelle Tochter aus gutem Hause. Und auch Viola findet sich bald in einer üblen Zwickmühle wieder. Egal, wie sie sich zu handeln entscheiden wird, es würde bedeuten, einem Teil ihrer Familie massiv zu schaden.


    Jo Walton ist wirklich gut darin, vor dem Hintergrund ihrer alternativen Weltordnung moralisch-ethische Fragen aufzuwerfen und gleichzeitig ihre Leser ausgezeichnet zu unterhalten. Überraschende Wendungen sorgen für Spannung bis zur letzten Zeile, ihre Figuren sind lebensecht und ihre Problemstellungen laden auch jenseits der Lektüre zum Nachdenken ein, doch auch ein gewisser düsterer Humor kommt nicht zu kurz. Empfehlenswert!


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen