Shalom Weiss - "Wie konntest du Mensch sein in Auschwitz?"

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    Erst einmal - ich weiß nicht, ob das Buch von Shaom Weiss in dieser Rubrik richtig aufgehoben ist. Da es aber seine Lebenserinnerung beinhaltet, möchte ich hier etwas dazu schreiben.


    Shalom Weiss, in Ungarn geborren und aufgewachsen, beschreibt sein Leben und unterteilt dies in drei Abschnitte: "Kindheit", "Shoa", "Auferstehung". Dies sind auch die ersten drei Kapitel seines Buches.


    Kindheit: Er beschreibt, dass er bereits hier brutale Erfahrungen von Antisemitismus durch die nichtjüdischen Ungarn macht (die Pfeilkreuzler vor allem), dass er aber trotzdem insgesamt geborgen zusammen mit seinen fünf Brüdern bei seinen Eltern aufwächst. Vor allem zu seiner Mutter hat er eine sehr positive, liebevolle Beziehung. Er erhält selbstverständlich eine religiöse, traditionelle jüdische Erziehung und Schulbildug, ist aber auch neugierig auf die nichtjüdische Umwelt und kann auch hier Erfahrungen machen und Kontakte knüpfen. Die Familie ist relativ arm. In diesem Abschnitt wird auch die Nachricht vom deutschen Überfall auf Polen erzählt, dann die Ghettoisierung der Juden aus Shaloms Stadt nach dem deutschen Einmarsch in Ungarn und die Deportation nach Auschwitz von ihm, seinen Brüdenr und seiner Mutter - einer seiner Brüder und der Vater sind bereits vorher zum "Arbeitseinsatz" eingezogen worden, die Familie hat keine Nachricht von ihnen.


    Teil 2, "Shoa", beginnt mit der Ankunft in Auschwitz. Seine Mutter und seine drei jüngeren Brüder werden sofort in der Gaskammer ermordet. Er selbst schafft es, zusammen mit seinem älteren Bruder Avraham zu den "arbeitsfähigen" Juden eingeteilt zu werden, obwohl er eigentlich noch zu jung ist. Schon bald erfährt er von der Ermordung seiner Mutter und seiner Brüder und glaubt dies sofort. Kapitel 2 schildert den Lageralltag in Auschwitz, die Zwangsarbeit in einer Raffinnerie und das Überleben bis zum Todesmarsch im Januar 1945, dann den Transport nach Bergen-Belsen und den schrecklichen, völlig ungeordneten Aufenthalt dort, dann den kurzen Aufenthalt in Bremen Farge und wiederum den Transport und Aufenthalt in Bergen Belsen, dann die Befreiung durch die Engländer. Sein Bruder stirbt an Flecktyphus - nach der Befreiung. In Kapitel 1 und 2 wird jeder Unterabschnitt mit einem Bibelzitat eingeleitet, den man zum Inhalt in Beziehung setzen kann - Zusagen Gottes, Verheißungen, aber auch Unheilsankündigungen, wie sie in der Hebräischen Bibel zu finden sind.


    Teil 3, "Auferstehung" beschreibt seine Rückkehr nach Ungarn (über Jugoslawien). Er erhält die Nachricht, dass sein älterer Bruder noch lebt und schlägt sich in seine Heimatstadt durch, um ihn zu treffen. Aber er findet ihn nicht - sein Bruder hat sich den ultraorthodoxen Satmarer Juden angeschlossen und will mit ihnen in die USA gehen. Besonders schwer zu lesen fand ich den Abschnitt "Die Zerstörung des Tempels": Shalom, gerade 18 Jahre alt, steht im Innenhof seines alten Hauses, sein Herz schlägt normal. "Ich bin nicht mitgenommen angesichts dieses Hofes, der einst voll von Kindern war, die es nun nicht mehr gibt. Auch bin ich nicht aufgeregt vor dem Treffen mit meinem älteren Bruder .... und ich höre auch nicht Mutters Ruf zum Abendessen..." Niemand reut sich, dass er wieder da ist, die nichtjüdische Familie, die nun ind er Wohnung seiner Eltern lebt, jagt ihn davon. In der halbkaputten Synagoge (der einzigen von dreien, die geöffnet ist) findet er Unterschlupft für die Nacht, zusammen mit einem anderen Überlebenden, der auf die Frage nach seiner Familie nur "Treblinka, Majdanek, Auschwitz" sagen kann. Über Umwege schließt er sich einer zionistischen Gruppe an und bereitet sich auf die Auswanderung nach Israel vor, indem er Landwirtschaft lernt.

    Bis dahin habe ich bis jetzt gelesen.


    Interessant finde ich, dass Kapitel 3 einen religiösen Titel bekommen hat - "Auferstehung" - dass aber die einzelnen Abschnitt nicht mehr mit Bibelversen eingeleitet werden. An mehreren Stellen klingt durch, dass Shalom nach Auschwitz seinen Glauben verloren hat.

    Mitleid empfinden kann Shalom nur seinen nächsten Verwandten/Bekannten gegenüber, für alles andere reicht die Kraft nicht. Vor dem Todesmarsch beschreibt er, dass eine Gruppe Häftlinge erschossen wird, er und die anderen, die auf den "Todesmarsch" gehen müssen, essen noch eine Scheibe Brot und gehen los. Diese "Gleichgültigkeit" kommt bei der Schilderung mehrere Situationen zum Ausdruck, ich konnte beim Lesen nachvollziehen, dass sie notwendig war, um diese Exremsituation irgendwie bestehen zu können, ohne verrückt zu werden.


    EDIT: Buchverlinkung eingefügt. LG, Saltanah

  • Saltanah

    Hat den Titel des Themas von „Shalom Weiss, Wie konntest du Mensch sein in Auschwitz“ zu „Shalom Weiss - "Wie konntest du Mensch sein in Auschwitz?"“ geändert.
  • Gesine Ich habe in letzter Zeit mehrere Romane gelesen die sich irgendwie mit der Zeit nach der Shoa beschäftigt haben. (Totenliste von Harald Gilbers, Deutsches Haus von Anette Hess) und die Autoren haben hier auch auf Erinnerungen von Überlebenden zurückgegriffen. Dabei ist mir auch Shalom Weiss Buch ins Auge gesprungen. Ich gebe aber zu, das ich nicht sicher bin ob ich das lesen kann.

    Ich weiß das viele sich z.B auch gleichzeitig die Schuldfrage stellten, also das sie überlebt haben und andre nicht. Das finde ich am Schlimmsten dabei.

    Ich weiß das Du auch Maus von Art Spiegelman auf deiner Liste stehen hast. Er geht genau mit dieser Frage um, was danach kommt/kam. Konnten Menschen dieses Leid danach ertragen? Das Überleben?

  • Die Bücher mit den Fragen nach dem Danach sind noch einmal eine andere Dimension. Ich habe bisher fast nur Bücher über Opfer gelesen, die nicht überlebt haben, nur ganz wenig über Überlebende. Dies aber nicht bewusst.

    Auch ich habe mich immer wieder gefragt: Wie konnten die Überlebenden weiterleben, wie konnten sie es ertragen. Ein Ob sie es schafften, diese Frage stellte sich ja meist nicht, sie mussten.


    Viele konnten gar nicht darüber reden, viele wollten sicherlich, aber wen hat es interessiert? Damals doch kaum jemanden. Nach dem Krieg sollte nach vorn geschaut werden, sollte aufgebaut werden. Da wollte man nicht zurückschauen. Man müsste sich dann ja auch die Frage nach der eigenen Schuld stellen.


    Ich habe noch einen Buchtipp zu dem "Danach". Habe ihn hier mal gepostet, aber nicht wundern, da habe ich als Tiram geschrieben. Ich habe so einige Anläufe gebraucht, um endgültig hier zu landen :(

    Monika Held - Der Schrecken verliert sich vor Ort

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 91


    Gesamt seit März 2007: 1012

  • An mehreren Stellen klingt durch, dass Shalom nach Auschwitz seinen Glauben verloren hat.

    Das ging - zumindest vorübergehend - auch Elie Wiesel so, der auch über seine Zeit in den KZs geschrieben hat. (Man lese sein Buch "Die Nacht". Nur, dass Wiesel sehr wenig über die Zeit danach schreibt, zumindest in "Die Nacht". - Ich habe hier vor ein paar Tagen was dazu geschrieben, allerdings diesen Aspekt beiseite gelassen.)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Danke für eure Hinweise und Bemerkungen, auch zum Hinweis auf das Buch "Der Schrecken verliert sich vor Ort", danke, Anne.

    Ja, "Maus" und auch "Metamaus" von Spiegelman werde ich demnächst lesen.


    Shalom Weiss Buch finde ich besonders interessant, weil er zum einen als Erwachsener schreibt, in einem langen zeitlichen Abstand zum Geschehenen, und trotzdem seine eigene damalige Kinder-/Jugendlichenperspektive auf das Erlebte so gut zum Ausdruck bringen kann. Seine teilweise sachliche, unbeteiligt wirkende Schilderung erinnert mich ein bisschen an Imre Kertesz Schreibweise, der ja ähnlich jung war, als er nach Auschwitz gekommen ist.


    Zum anderen hat das Buch noch ein viertes, ein fünftes und ein sechstes Kapitel, das die Fragen von Weiss`Töchtern und Enkeln zu ihrer Lektüre von Teil 1-3 wiedergibt und natürlich auch Weiss`Antworten auf diese Fragen. Der Untertitel des Buches heißt ja auch "Drei Generationen versuchen zu verstehen". In Kapitel 4-6 gibt es viele Bezüge auf Kapitel 1-3 des Buches, die er hier noch einmal erläutert. Wie bei "Maus" geht es wohl auch in diesem Buch um das Gespräch der Nachgeborenen mit den Überlebenden, um ihr Bemühen, zu verstehen, was die Shoa und das Erleben von ihrem Vater/Großvater auch für sie bedeutet. Aber wie gesagt - an dieser Stelle bin ich noch nicht wirklich, hab nur schon ein bisschen vorgeblättert.


    @Holden Caulfield, was mich interessieren würde (falls du antworten magst, natürlich nur): Du schreibst, dass du nicht sicher bist, ob du das Buch "lesen kannst".

    Das habe ich auch von anderen immer mal wieder gehört - gerade in Bezug auf Bcher über die Shoa - dass sie nicht wissen, ob sie es aushalten, das zu lesen.

    Vielleicht bin ich einfach zu abgebrüht, aber mich wundert das immer und ich wüsste gerne, was das bedeutet - falls man das sagen kann. Bei der Lektüre von Shalom Weiss`Buch gestern habe ich z.B. gemütlich in meinem Bett gelegen. Und auch sonst: Weder muss ich frieren, hungern, Angst vor Gewalt, Ermordung oder Tod haben, Zwangsarbeit oder Pogrome erdulden, ich werde nicht permanent gedemütigt, meine Familie ist wohlauf, mein Leben ist also so derartig anders als das von Auschwitz-Häftlingen, dass ich für mich natürlich aushalten kann zu lesen, was sie schreiben. Hätte ich erlebt, was Weiss erlebt hat - DAS hätte ich wohl nicht "ausgehalten", allein schon körperlich nicht. "Auschwitz" ist für mich schon das "ganz Andere", an das ich mit meinem Vorstellungsvermögen niemals wirklich herankomen werde, auch wenn ich Bücher darüber lese. Also: Das Lesen darüber ... ich halte das jederzeit aus. Die Schuldfrage ("warum habe ich überlebt") stellt Weiss sich bis zum jetzigen Punkt der Lektüre kein einziges Mal, er nimmt es vielmehr so hin, dass viele seiner Nachbarn, Mitschüler, Freunde, Familienangehörige ermordet wurden und er eben überlebt hat. Dass er es einfach so hinnimmt, also gar nichts anderes tun kann, als es irgendwie hinzunehmen, finde ich fast noch härter, als wenn er sich in Schuldgefühlen ergehen würde.


    sandhofer, Ja, "Die Nacht" kenne ich auch, auch Wiesels Äußerunge darin über Gott. Diese Rabbiner, die als Häftlinge einen Gerichtshof gegen Gott halten, die Gott schuldig sprechen und dann zu ihm beten. Die Hinrichtung eines Kindes, in dem nach Wiesel Gott zu finden ist. Gott hängt dort am Galgen, er greift nicht ein, er hilft nicht, er leidet selbst und wird ermordet. Das ist schon hart.

    Bei dem Buch von Weiss möchte ich mich nochmal genauer mit den ganzen Bibelzitaten beschäftigen, die er seinen Einzelabschnitten in Kapitel 1-2 voranstellt.

    4 Mal editiert, zuletzt von Gesine ()

  • Gesine Ich weiß was Du meinst und verstehe auch deine Frage. Ich hab mir das noch mal durchgelesen und würde sagen, ich habe das etwas ungeschickt formuliert.


    Es ist nicht so das ich noch nie Bücher von Überlebenden gelesen hätte und ich schaue auch Dokumentationen über die Shoa, die auch kaum aushaltbar sind - in dem Sinne, das sie einem bewusst machen was Menschen anderen Menschen angetan haben, antun können. Und ja, deshalb kann ich Bücher über solches Leid nicht zu jedem Zeitpunkt lesen. Das hat nichts damit zu tun, das ich dem Thema aus dem Weg gehen würde oder bewusst solche Bücher meiden würde. Im Gegenteil. Es ist eher so, das es eben Zeitpunkte gibt in denen ich mich damit auseinandersetze und andere, an denen ich das eben nicht tue.


    Ein Freund von mir, dessen Familie jüdisch ist, aber aus England stammt (und nein nicht von dorthin ausgewanderten Juden in den letzten 200 Jahren) hatte mit mir letzthin darüber gesprochen, das es ihm Unbehagen auslöst die deutsche Sprache zu erlernen. Aus dem heraus, das die Nationalsozialisten Deutsche waren. Gleichzeitig lebt er selbst in Deutschland, was ihm glaube ich auch in gewisser Weise Unbehagen auslöst. Wir haben darüber gesprochen, das er es unverständlich findet, das nach 1945 Juden in Deutschland blieben oder sogar gezielt wieder nach Deutschland gingen. Das kann er nicht verstehen.


    Ich studiere in meinem zweitfach (daher nur 25 %) Jüdische Studien und beschäftige mich darüber mit jüdischer Geschichte auch abseits der Shoa und das finde ich genauso wichtig. Die Sichtbarmachung jüdischer Geschichte, die schon lange vor der Shoa existiert hat. Für mich geht das Hand in Hand. Ebenso wie die Sichtbarmachung Jüdischer Geschichte danach. Es gibt einen Bruch und damit tiefes Leid, aber trotzdem gibt es auch wieder jüdisches Leben auf der ganzen Welt. Es ist anders keine Frage. Aber es ist da. Und das gibt auch wieder Hoffnung.

  • Shalom Weiss, Kapitel 3, "Auferstehung"

    Weiss beschreibt die recht mühsame Zeit nach der Befreiung aus dem Lager und dem Tod seines Bruders Avraham, er, ein Jugendlicher ohne direkten Familienanschlss, ohne feste Bleibe, im stalinistischen Ostblock (Jugoslawien, Ungarn, Tschechien), bis er endlich die Möglichkeit hat, nach Israel einzuwandern. Als er sich einer zionistischen Jugengruppe anschließt, ändert sich sein Leben, seine Stimmung, sie wird heiterer, zuversichtlicher, er hat nun seinen Ort gefunden, auch eine Grupe Gleichaltriger, mit denen er ein gemeinsames Ziel verfolgt. Nach der Gründung des Staats Israel, 1949, kommt er über Wien und Bari endlich in Israel an und meldet sich dort sofort zur Armee. Im Unterschied zu seinen Kameraden hat er keinerlei familiäre Anbindungen in Israel, er ist allein. Trotzdem ist er glücklich und dankbar über sein Leben. Nach seiner Zeit in der Armee, die recht abrupt und durch einen Zufall bedingt endet, nimmt er - als ungelernter Arbeiter und ohne Schulabschluss - verschiedene körperlich schwere Arbeiten an. Dann lernt er Lea kennen, die ein Jahr jünger ist als er, auch aus Ungarn stammt und die Ravensbrück überlebt hat. Beide haben nicht nur die Gemeinsamkeit, dass sie die Todeslager überlebt und dort viele enge Familienmitglieder verloren haben, sondern auch, dass sie ihren Glauben, den sie vor der Shoah selbstverständlich gelebt haben, nun verloren haben und sich dadurch eine große Distanz zu den überlebenden entferteren Familienmitgliedern (Onkel, Tanten), die nun noch stärker religiös sind als vor der Shoah, ergibt. Besonders hart ist, es, was Weiss über die Situation der überlebenden Frauen schreibt: Sie wurden von den in relativer Sicherheit (in Verstecken) überlebenden Familienmitgliedern, in denen die Frauen nicht von ihren Familienmitgliedern getrennt wurden und immer unter der Aufsicht der Väter, älteren Brüder usw. standen, verdächtigt, moralisch verkommen zu sein. Der Kontakt zu den gleichaltrigen Kusinen wurde als unpassend und gefährlich angesehen. Lea entscheidet sich unter dem Eindruck dieser Erfahrungen, nach Israel auszuwandern. Sowohl in Leas als auch in Shaloms Familie gibt es Angehörige, die den Zionismus absolut ablehnen und versuchen, die beiden davon abzubringen. Genau das kommt für beide - unabhängig voneinander, schon bevor sie sich kennenlernten - aber absolut nicht in Frage. Lea und Shalom heiraten, beziehen eine kleine Wohnung, Shalom findet Arbeit als Kranführer in einer Raffinerie, sie bekommen zwei Töchter, und Shalom macht Karriere bis zum Produktionsleiter der ganzen Raffinnerie (was mich beim Lesen sehr beeindruckt hat, obwohl er dies nur in einem Satz erwähnt).


    Er äußert sich auch zu der Frage, warum gerade er überlebt hat:

    Geholfen habe, dass er alle Gefühle von Mitleid, Trauer, Leid, Angst und Sorge in Auschwitz und Bergen Belsen verdrängt habe. Nur die Gefühle, die unmittelbar mit dem Überleben zu tun gehabt hätten, habe er zugelassen. Der Zufall spielt für ihn eine wichtige Rolle, und die Möglichkeit, mit anderen in Gemeinschaft zu sein (vor allem mit seinem Bruder, aber auch mit anderen Jungen aus seiner Stadt). Dann der Umstand, dass er aus einer eher armen Familie kam: die Gewohnheit der Kinder der Armen, selbst für ihre Bedürfnisse zu sorgen - die Kinder der Reichen hätten es demgegenüber viel schwerer gehabt, weil sie genau das nicht gewohnt gewesen seien. Kenntnisse der deutschen Sprache seien wichtig gewesen, aber auch Wagemut, Kreativität und Umsicht. Schuldgefühle, dass er überlebt habe und andere nicht, äußert er nicht.


    Schlussfolgerungen aus der Shoa zieht er auch: 1. Die Notwendigkeit der zionistischen Idee, der Gründung des Staates Israel. 2. Die Ablehnung aller totalitären, diktatorischen Regierungsformen. 3. Das Bewusstsein, dass auch die schwierigsten Situationen sich zum Besseren verändern können. Er beschreibt nachvllziehbar und für mich sehr anrührend das Gefühl von Dankbarkeit, das sein Leben grundsätzlich prägt. Auch heute ist das Trinken von Wasser oder das Schlafen in seinem Bett für ihn nichts Selbstverständliches, sondern etwas, wofür er tief dankbar ist. Er ist dankbar für seine Kinder und Enkelkinder, für seine Familie.


    Im 3. Kapitel erfährt man "nebenbei" beim Lesen viel über die Anfangsjahre des Staates Israel, über seine Armee, die flachen Hierarchien dort, über die Probleme des Alltags (die Wohnverhältnisse!), über die lebenspraktische Einstellung zu Problemen und Schwierigkeiten. Über das Nicht-Thematisieren der Zeit der Shoa - die Überlebenden eint es, dass sie nicht über ihre Erfahrungen in den Lagerrn sprechen. Dass Shalom Weiss sich nun doch entschieden hat, darüber zu sprechen, öffentlich, in seinem Buch, dafür muss man tief dankbar sein. Ein hervorragendes Buch. Ich habe mich schon viel mit der NS-Zeit. dem 2. Weltkrieg und der Shoa beschäftigt und auch schon wirklich sehr viel dazu gelesen, Sachbücher, Romane, Erinnerungen, und genauso auch über die Gründung des Staates Israel und die Geschichte des Judentums in Deutschland überhaupt, aber hier habe ich eine weitere wichtige, neue Stimme hören können: die von Shalom Weiss.


    Das 4.-6. Kapitel, in dem es um das gespräch mit seinen Töchtern und Enkeln geht, werde ich nächste Woche lesen.

    3 Mal editiert, zuletzt von Gesine ()

  • Kapitel 4: Dies ist quasi ein Kommentar zum Text aus Kapitel 1-3. Jeder Unterabschnitt der einzelnen Kapitel wird noch einmal erläutert, die Kidnder/Enkel stellen fragen, Shalom Weiss beantwortet sie. Hier erhält man noch einmal viele Hintergrundinformationen zum Inhalt der Kapitel selbst, aber auch Weiss`Reflexionen zu seinem eigenen Erinnerungs- und Schreibprozess, auch zu den vielen Bibelzitaten und zu Weiss`religiöer Einstellung. Hier habe ich den text aus Kapitel 1-3 mochmal viel tiefgehender verstanden. Wirklich ein absolut lohnenswertes Buch.

  • Jertzt habe ich auch das 5. und 6. Kapitel gelesen.

    Im 5. kapitel schreiben die beiden Töchter von Shalom und Lea Weiss, wie sie ihre Kindheit erlebt haben:Ilana Teicher, die ältere Tochter, und Rivka Weiss, die jüngere Tochter. Beide schreiben sehr verständnisvoll über die besondere Situation ihrer Eltern, schreiben aber auch klar auf, was für sie selbst als Kinder schwierig und belastend war: die schweren Depressionen der Mutter, die Zurückhaltung des Vaters, das große Verlustgefühl - keine Großeltern, nur sehr wenig nähere Verwandte, zu denen aber kaum Kontakt besand. Die selbtgestellte Aufgabe, die eigenen Eltern zu "pflegen", Rücksicht auf sie zu nehmen, die Entscheidung für therapeutische und pflegerische Berufe. Im 6. Teil dann die Enkel: Eran Teicher, Noa Teicher, Tamar Werber, Daniela Werber. Auch sie schreiben sehr persönlich, wie sie ihre Eltern und ihre Großeltern erlebt haben, was in der Beziehung zu ihnen wichtig war.

    Wirklich ein besonderes Buch, absolut empfehlenswert. Durch die verschiedenen Perspektiven, die vermittelt werden erfährt man ungeheuer viel. Klare Leseempfehlung, auch für Jugendliche ist es sehr geeignet. zum einen behält Weiss in seinem Text seine Kinder- und Jugendlichenperspektive, in der er die Shoa erlebt, erzählerisch bei, aber auch die Töchter und Enkel erzählen aus dieser Perspektive - natürlich nicht so unmittelbar und direkt, aber doch so persönlich und offen, dass es auch für jungen Menschen gut nachzuvollziehen ist. Ein wirklich wertvolles Buch.

    Einmal editiert, zuletzt von Gesine ()