Guy Delisle - Geisel

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    Originaltitel: S’enfuir: récit d’un otage

    Leseprobe auf der Verlagsseite


    Christophe André, Mitarbeiter einer NGO, wurde 1997 im Kaukasus entführt. Dieser Comic schildert seine 111 Tage als Geisel.


    Von Guy Delisle habe ich schon seinen Comic über seine Zeit in Birma gelesen, der mir sehr gut gefiel, ich wollte die ganze Zeit mehr von ihm lesen, da habe ich direkt zugegriffen, als mir dieses Buch ins Auge fiel.


    Der Comic ist durchgängig in einem graublauen Farbton gezeichnet, es gibt nicht sonderlich viele Details, einzelne Panels sind fast vollkommen leer. Den einzelnen Tagen ist jeweils eine Seite mit einer Ziffer, des Tages seiner Gefangenschaft, vorangestellt, am Anfang gibt es für jeden Tag ein Kapitel, zwischendurch fehlen dann aber immer öfter ein paar Tage, was gibt es auch viel zu erzählen. Die ewig gleichen Bilder zeigen die Eintönigkeit dabei besser als jede Wortbeschreibung es tun könnte. Dazu kommt eine beeindruckende Schilderung der Gefühlswelt Christophes, seine Gedanken kennen nur einige wenige Themen und drehen sich immer wieder im Kreis. Hoffnungsschimmer sind selten und er versagt sie sich auch meist, um nicht in Verzweiflung zu verfallen.


    Wow. Ich bin begeistert. 5ratten

  • Danke für den Hinweis, das Buch ist mir entgegangen. Ich kenne schon einige Bände und mag seine zurückgenommene, dennoch eindringliche Art zu erzählen sehr.

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



  • Im Jahr 1997 ist der Franzose Christophe André in Inguschetien, einer Republik im Kaukasus, für die Organisation Ärzte ohne Grenzen tätig. Eines Nachts wird er von mehreren unbekannten Männern in seinem Schlafzimmer überwältigt, gefesselt und verschleppt. Nach längerer Autofahrt sperrt man ihn in einen kleinen Raum, in dem sich nicht mehr befindet als eine Matratze und ein Heizkörper, an den er mit Handschellen gefesselt wird. Hier wird Christophe nun mehrere Wochen verbringen, ohne eine Möglichkeit der Ablenkung. Lediglich für die Toilette und zum Essen wird er abgekettet und kann ein paar Schritte gehen. Da die Entführer kaum ein Wort mit ihm wechseln, weiß er nichts über den Grund seiner Entführung. Irgendwann wird ihm verdeutlicht, dass er gegen eine Million US-Dollar freigelassen wird, aber es vergehen wiederum Wochen, ohne dass etwas passiert. Und Christophe kann nur tatenlos abwarten und versuchen, sich gedanklich zu beschäftigen, damit er nicht durchdreht. Bis am 111. Tag seiner Geiselhaft etwas Unerwartetes geschieht…

    Abgesehen vom Umfang ist diese Nacherzählung einer wahren Begebenheit von der Optik her minimalistisch. Die Darstellung der Figuren spartanisch, aber dennoch ausdrucksstark. Die Bilder sind durchgehend in unterschiedlichen Grautönen, und der Text beschränkt sich auf das Nötigste. Auf diese Weise wird die Eintönigkeit der Tage und Wochen als Geisel wirkungsvoll unterstrichen. Die Entführer bleiben Statisten; man erfährt nichts über das Leben außerhalb des Raumes, alles fokusiert sich auf den Gefangenen und seine Gedankengänge. Christophe bleibt bemerkenswert ruhig. Natürlich hadert er mit seinem Schicksal, verliert aber nie die Beherrschung. Sein Tagesablauf wird bestimmt von den Mahlzeiten. Dazwischen gibt es keine Abwechslung, und wenn, dann sind es Geräusche von draußen. Ansonsten liegt er nur da, versucht sich mit Denkaufgaben zu beschäftigen, grübelt über die Hintergründe seiner Entführung und denkt an seine Familie Zuhause in Frankreich. Ihm bleibt nichts übrig als abzuwarten, was seine Wächter weiter mit ihm anfangen.

    Angesichts der täglichen Reizüberflutung, der man selbst ausgesetzt ist, fragt man sich, wie jemand eine solche Eintönigkeit über Wochen hinweg ertragen kann, ohne dabei buchstäblich verrückt zu werden. Wahrscheinlich gehört dazu eine gut ausgeprägte mentale Stärke und eine ordentliche Portion Hoffnung. Guy Delisle hat das gut umgesetzt, wenn auch die Monotonie auf den vielen sich ähnelnden Bildern mitunter fast zu gut zum Ausdruck kommt und ein bisschen für Langeweile sorgt. So ganz abgenommen habe ich ihm auch nicht, dass Christophe André das tagtäglich so gut weggesteckt hat. Ein paar überschäumende Gefühle mehr – egal, in welcher Hinsicht – wären nur menschlich gewesen. Immerhin musste er auch mit seinem Tod rechnen.

    Unterhaltsame Lektüre, die nachdenklich macht.

    4ratten

  • Das klingt wirklich interessant. Leider hat meine Bücherei diesen Comic von Guy Delisle (noch nicht), aber ich werde die Augen offenhalten.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Meine Meinung

    Wow. Ich bin begeistert.


    Ich auch. Für mich hat Guy Delisle mit seinen sparsam gezeichneten Bildern genau das ausgedrückt, was die Person darauf gefühlt hat. Allerdings hat mir, ähnlich wie Doris das ganz große Gefühl gefehlt. Manchmal kam es Andeutungen, aber insgesamt kam mir Christophe André zu abgeklärt vor. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er seine Gefühle die ganze Zeit im Zaum gehalten hat. Den einen oder anderen Gefühlsausbruch hätte ich mir gewünscht, das hätte ihn noch ein kleines bisschen authentische gemacht.

    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.