Nina Bodenlosz - Dornröschen, wir müssen reden!

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    Nina Bodenlosz: Dornröschen, wir müssen reden! Märchen, die sich neu erfunden haben. Hamburg 2018, Tredition GmbH, ISBN 978-3-7469-6537-6, Softcover, 252 Seiten, mit Illustrationen in Farbe und s/w von Katarina Pollner, Format: 12,7 x 1,5 x 20,3 cm. Buch (Softcover) EUR 11,99, Buch Hardcover: EUR 19,99, Kindle: EUR 2,99.


    „[Die Prinzessin] sollte sich (...) still und fügsam zeigen, sich mit Handarbeiten befassen sowie stets sauber und ordentlich gekleidet sein. Das waren gute Voraussetzungen, um einmal eine erfolgreiche Königin zu werden. Die Prinzessin allerdings interessierte sich eher für die Landwirtschaft, für Kampfsport und fürs Trompetespielen. Ihre Kleider waren am Ende des Tages oft zerrissen und verschmutzt und ihre Haare lösten sich aus ihrem Zopf (...).“ (Seite 121)


    Als Kind im Vorschulalter konnte ich nicht genug bekommen von Grimms Märchen: Schneewittchen, Dornröschen, Aschenputtel, Froschkönig, Die Gänsemagd ... Die Märchenkassette war noch nicht erfunden, und so las meine Mutter mir schließlich meine Lieblingsmärchen auf ein Tonband. Nun konnte ich auch dann hören, wenn gerade niemand Zeit hatte, mir vorzulesen. Die Märchenbücher von damals gehören auch zu den wenigen Büchern meiner Kindheit, die jeden Umzug mitgemacht haben und jetzt noch bei mir im Regal stehen.




    Ein Relaunch der alten Volksmärchen

    Aber wenn man die Geschichten kritisch liest, kann man die wenigsten heut’ noch reinen Gewissens an die folgenden Generationen weitererzählen. Nicht nur, weil manche furchtbar brutal sind, sondern auch, weil sie ein Frauenbild transportieren, das nicht mehr zeitgemäß ist. Mädchen warten passiv auf ihre Rettung, statt selbst das Heft in die Hand zu nehmen. Frauen wird Stolz und Wille gebrochen, damit sie sich in eine arrangierte Heirat fügen. Hallo? So etwas kann man doch heute nicht mehr 1:1 den Kindern vorsetzen! Und was macht man mit einem Produkt, das im Prinzip in Ordnung ist, aber nicht mehr auf der Höhe der Zeit? Genau: einen Relaunch. Man passt es an die aktuellen Verbrauchergewohnheiten an.


    Nina Bodenlosz hat genau das mit einem Dutzend bekannter deutscher Volksmärchen gemacht. Jetzt sind zwar nicht mehr alle Geschichten vorschulkindertauglich, weil man den Kids zu vieles aus der Welt der Großen erklären müsste, aber für erwachsene LeserInnen sind ihre Märchenvarianten außerordentlich vergnüglich. Spannend sind sie obendrein, weil ja nun moderne, tatkräftige Heldinnen im Mittelpunkt stehen und die Geschichten daher nicht mehr so ausgehen können, wie die Brüder Grimm sie uns erzählt haben.


    Auf rettende Prinzen ist kein Verlass

    Rapunzels Prinz ist ein Jammerlappen, und wenn sie nicht in ihrem Turm verhungern und verdursten will, weil ihr Wach- und Versorgungspersonal auf einmal nicht mehr auftaucht, wird sie schon ihren eigenen Grips anstrengen müssen. – Nicht Ilsebill ist gierig und stellt maßlos übersteigerte Ansprüche an den zauberkräftigen Butt, wie wir das aus Vom Fischer und seiner Frau kennen. Hier ist es der Angler, der die attraktive junge Frau partout beeindrucken will. Doch sein letzter Wunsch war einer zu viel. Oder, sagen wir so: Von dessen Erfüllung hatte der Butt andere Vorstellungen als der Angler. :)



    Eine misshandelte Ehefrau wacht auf

    Prinzessin Petersilie ist eine überaus packende Neufassung von König Drosselbart. Ich habe Drosselbarts Frau nie zuvor als misshandelte Ehefrau gesehen. Aber genau das ist sie, denn ihr Gatte misshandelt sie mit dem Ziel, sie gefügig zu machen. Es dauert eine Weile, bis die Prinzessin kapiert, dass sie Alternativen hat, Bedingungen stellen und sich wehren kann. So wird der fiese Plan von Ehemann und Vater für sie zu einer Art feministischem Erweckungserlebnis – und für die Herren zum klassischen Eigentor. Ja, das hat man dann ...!


    Ich habe mich köstlich amüsiert. Vor allem mit der feministischen Neuinterpretation von König Drosselbart und den gewerkschaftsnahen Frau-Holle-Mitarbeiterinnen. Auch das Arrangement der Froschkönig-Helden hat was. Zwar ist diese Lösung nur semi-modern, aber in Sachen Toleranz und Akzeptanz ist man dort halt noch nicht so weit. Wunder kann man eben auch im Märchenland nicht fortwährend erwarten.


    Die Autorin

    Nina Bodenlosz lebt in Berlin-Neukölln. Sie schreibt beharrlich, seit sie einen Stift halten kann: Erzählungen, Glossen, Skizzen und Romane. Ihr Blog, das Bodenlosz-Archiv (https://bodenlosz.wordpress.com), wurde im September 2012 eröffnet.